Wofür es sich zusammenzuraufen lohnt

von Georg Kasch

15. Juni 2017. Nicht zu demonstrieren ist auch keine Lösung. Seit 20 Jahren gibt es den alternativen Christopher-Street-Day in Berlin-Kreuzberg für alle, die sich vom kommerzialisierten großen CSD nicht (mehr) vertreten fühlen. Ein CSD, in dem Spruchbänder, Megafone und politische Botschaften das Bild prägen, Transmenschen und Krawalltunten, nicht halbnackte Muskelpakete und pittoreske Dragqueens. Das hat was von den subversiven Anfängen der Parade, als noch Mut dazu gehörte, sich auf offener Straße als polymorph pervers zu bezeichnen. Allerdings wurde von Anfang an darum gestritten, wer wie stark präsent sein darf. Dieser erbitterte Kampf um die queere Deutungshoheit führte oft genug zu Absagen der ganzen Demo. Und das ist ein Symptom.

Konservative Backlashs

Queer ist ja eigentlich ein politischer Begriff. Dass er längst als Synonym für alles benutzt wird, was schwul und lesbisch, trans und inter ist, auch von mir, hat ihn massentauglich gemacht, aber auch entwertet. Klingt halt fluffig und zeitgemäß und viel besser als Buchstabenungetüme wie LGBTII, nach quietschbunten Partys, rosa Softeis und Einhörnern, die Regenbögen kotzen.

kolumne 2p kaschAllerdings verbirgt diese verweltlichte Version von Queer, dass es noch um etwas zu kämpfen gilt. Dass die Gewalt gegen nichtheteronormative Menschen auch in Deutschland zunimmt. Dass es konservative Backlashs gibt, wo man sie am wenigsten erwartet. Dass in weltweit viel zu vielen Ländern Homosexualität einer Verurteilung zur Todesstrafe gleichkommt.

Da waren die Bezeichnungen "schwul" und "lesbisch" eindeutiger, als Schimpfwörter, die die Mütter und Väter der Bewegung entschieden zu Selbstbezeichnungen machten. Noch in den 90ern konnte man damit Schockwellen aussenden. Aber schon Komposita wie "lesbischwul" klangen so lustig wie der Li-La-Launebär. Da hatte der verständliche Run danach, auch ja keine der sich ausdifferenzierenden Identitäten zu vergessen, längst begonnen.

Gemeinsam Do-it-yourself

Heute gehören irgendwie alle dazu, mit einem Buchstaben, einem Sternchen, zusammengefasst in einem Wort wie Queer. Aber wer genau ist gemeint? Ist das nicht auch eine Verschleierungstaktik, wenn man vor lauter Ausindividualisierungen nicht mehr konkrete Gruppen benennt, sondern wolkig sammelt? Als eine Gemeinschaft, die keine ist, weil sie sich ständig in unversöhnlich gegenüberstehende Untergruppen zersplittert?

Zurück nach Berlin also, wo sich die Häschen in Kreuzberg so lange die Köppe einschlugen, bis der alternative CSD Geschichte war. Jedenfalls als echte angemeldete Demo. Stattdessen gibt es dieses Jahr eine halb basisdemokratische, halb anarchische Spontanversammlung am Mariannenplatz, ohne festes Programm. "Es gibt so viele verschiedene Gruppen in der Queer-Szene", heißt es aus der anonymen Initiator*innen-Gruppe. "Da ist es schwer zu entscheiden, wer dort sprechen muss oder welche politischen Aufgaben am wichtigsten sind. In der Auseinandersetzung mit den Problemen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, haben wir beschlossen, eine Veranstaltung nach dem Do-It-Yourself Prinzip zu machen."

Alles Individualisten

Do it yourself? Unter der kuschligen, regenbogenfarbenen Queer-Decke sind wir alle wieder Individualisten? In Tschetschenien und Uganda krepieren Menschen, in Russland und Indonesien, Malaysia und Ägypten landen sie im Knast oder in der Folterzelle. In Deutschland werden immer noch HIV-Positive kriminalisiert und wird ein Kinderstück mit einem schwulen Känguruh abgesetzt, weil Eltern damit ein Problem haben. Und wir ziehen uns in den neoliberalen Heimwerkermodus zurück, weil jede Identitätsgruppe so tut, als sei sie ein eigenes Volk mit territorialer Hoheit? So hatte das Falk Richter, der in seinem berühmten Smalltown Boy-Wutmonolog über die queere Community von "meinem Volk" spricht, ganz sicher nicht gemeint.

Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt.

 

Zuletzt schrieb Georg Kasch in seiner Kolumne über Privilegien.

 

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