Alles in Zeitraffer

von Teresa Präauer

Erwähnungen des Wortes "Bühnenaufbau" auf nachtkritik.de bisher: 6 Mal

20. Juni 2017. In Wien staut sich, wie in Berlin, dieser Tage die Hitze. Ich sitze, es ist bereits nachts, bei halbgeöffnetem Fenster vor dem hell blinkenden Laptop, drei Gelsen umkreisen mein Werk. Das Theaterjahr geht wieder einmal zu Ende, und ich verabschiede mich mit einer letzten Kolumne dieser Saison in die Sommerpause. Welch ein Jahr der Abschiede und letzten Auftritte und letzten Inszenierungen. Eines möchte ich dazu noch sagen: Hätte es für mich als junge Theaterbesucherin Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre die Volksbühne so nicht gegeben, wer weiß, was aus mir geworden wäre. Vielleicht ein Polizist?

Naturgemäß ist der Sommer trotzdem keine Pause, sondern wir hackeln anderswo weiter, ihr lieben Leserinnen und Leser, und so machen es auch die Schauspielerinnen und Schauspieler auf den Sommerbühnen in der Provinz. Vielversprechende Plakate gibt es davon schon in der Hauptstadt zu sehen, sie überraschen uns mit der kreativen Anwendung sämtlicher Regeln des Photoshop. Ich freue mich jedes Jahr über die ausdrucksstarken Fotos, die farbenfrohen Kostüme, die exaltierten Grimassen, die erotischen Einblicke und die flotte Typo. Die Sommerbühne, wo ist sie nur unterm Jahr? Und wer baut sie alljährlich wieder auf?

kolumne 2p praeauerIm Internet hat sich ein Genre von Doku-Videos herausgebildet, die sich dem Blick auf die Arbeit des Bühnenaufbaus widmen und diesen vornehmlich im Zeitraffer zeigen. Besonderes Augenmerk habe ich bei meiner Recherche für diese Kolumne auf den Aufbau von Sommer- und Freiluftbühnen gelegt. Der Aufbau von Konzertbühnen, auch er ist auf YouTube stark vertreten, soll im Folgenden keine Rolle spielen, wir widmen uns vielmehr dem Aufbau von Theaterbühnen: Diese werden vor Schlössern und Burgen aufgestellt, auf Plätzen und in Höfen. (Wien, hat einmal ein Architekturtheoretiker geschrieben, sei übrigens keine Stadt der Plätze, sondern von ihrer architektonischen Anlage her eine Stadt der Höfe, dem Klima und wohl auch der Mentalität entsprechend, nach innen gerichtet.)

Im Sommer 2014, und ich wähle hier nur ein Beispiel aus zahllosen, entstand auf dem Theaterplatz in Weimar die Bühne für das Sommertheater des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Davon zeugt das filmische fünfminütige Dokument "Aufbau der Sommertheater-Bühne für 'Reineke Fuchs'". Zu Beginn sehen wir noch das unverbaute Goethe-und-Schiller-Denkmal im Zentrum des Platzes, gestreift von den langen Schatten der Laubbäume im Lichte der Morgensonne. Nur etwa sieben Menschen haben sich über den Platz verteilt, drei Lieferwägen und ein Bus sind zu sehen. Bald werden es mehr, mehr Menschen, mehr Autos. Planen werden ausgelegt, Holz darauf gelagert. Zwei kleinere rote Kräne kommen zum Einsatz, Goethe und Schiller werden abgedeckt, aus Metallgestänge eine Tribüne mit Sitzplätzen errichtet. Die Menschen wuseln, die Schatten der Bäume werden kürzer, es wird Mittag. Ein lässig-stressiger elektronischer Ambient-Sound unterstützt das Bild akustisch. Wir bleiben dran.

Der Himmel wird hellblau, weiße Wölkchen flitzen darüber, es ist ein geschäftiger Tag in Weimar im Sommer 2014. Schatten, Sonne, Schatten. Mehr Holz ist angeliefert und aufgestellt worden, die Sitze für die Tribüne werden auf den Verstrebungen zwischen den Metallgestängen montiert. Der Sound hastet vorwärts, und wir mit ihm. Wie wird es weitergehen? Es wird dunkel, Nacht, die Häuser, die den Platz säumen, schalten ihre Außenbeleuchtung ein. Ein Platz mit weißen Schirmen erstrahlt in hellem Glanz. Finster ist es rundherum, kaum noch Menschen auf dem Platz und in den Straßen, die fix montierte Kamera hält ihre Einstellung.

Ein neuer Tag, Autos, Autos, keine Menschen. Wo bleiben die fleißigen Arbeiter mit ihren fleißigen Händen? Hier sind sie! Neue Autos, neue Menschen, es kann weitergehen. Ein roter Kran, es ist ein dritter und größerer, macht sich wichtig, er fährt sein Krandings weit aus, er hat jetzt alles im Griff. Sound, Sound, Sound, das Keyboard schichtet mit, es schenkt uns Marimba-Töne und steigert den Einsatz. Gleich wieder Nacht, Kollegen! Gelbe Doka-Platten füllen jetzt die Lücken zwischen den Holzmasten, die Bühne wird von hinten abgedichtet, Goethe und Schiller verschwinden bald ganz.

Ein neuer Tag, schon wieder, das Licht der Morgensonne blendet uns, doch wir bleiben und sehen zu, unverändert, harrend der Dinge, die sich noch ereignen mögen. Ei, ein Lieferwagen biegt schon um die Ecke! Leute, Leute, Töne, Töne. Die Kräne sind eifrige Maschinchen mit langen Greifarmen, sie robotten schon wieder. Nacht! Tag! Die Bühnenwände werden von außen mit Pfeilern gestützt. Auftritt ein kleiner blauer Kran mit Mensch oben auf der Plattform. Passanten, Voyeure, Nacht. Tag! Die Sonne wandert, der Schatten mit ihr über die Sitzplätze auf der Tribüne. Gewusel! Eifer! Riesige dunkle Schatten! Abendsonne! Mildes Licht! Nacht. Mein Herz klopft. Wieder Tag. Alles steht. Die Bühne wartet auf Reineke Fuchs. Alles ist fertig, ein kleines Machwerk, ein Getriebe, ein definierter Ort, offen für das, was kommen mag. Suspense! Ich erschlage drei Gelsen und wünsche einen schönen Sommer.

Teresa Präauer ist Autorin und lebt aktuell wieder in Iowa / USA. Ihre Bücher erscheinen im Wallstein Verlag und wurden vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Roman "Oh Schimmi" und, unter ihrer Herausgeberschaft, "Poetische Ornithologie" als Ausgabe der Neuen Rundschau im Fischer Verlag. In ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" denkt sie über die Einzelteile nach, aus denen Theater sich zusammensetzt.

 

Zuletzt schrieb Teresa Präauer in ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" über Tappen, Stapfen und deutschen Akzent in der Sonne von Iowa.

 

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