Regen tropft auf Metall

von Christian Muggenthaler

Coburg, 24. Juni 2017. Vom Schnürboden herab tropft's. Beständig, wenn auch ohne Eile, fällt Tropfen für Tropfen in einen Metalleimer hinein. Irgendwas ist undicht im Herrschaftsbereich des Herzogs zu Friedland, besser bekannt als Wallenstein, Generalissimus des Kaisers im Dreißigjährigen Krieg. Dieses Tropfen, dieser unbestechliche Rhythmus der vergehenden Zeit, ist das einzig Stetige in dieser Geschichte um Staatsraison und Landesverrat, in der sich keiner auf keinen und niemand auf nichts verlassen kann: höchstens auf die Liebe, aber die garantiert schlussendlich auch für nichts. Am Landestheater Coburg wird jetzt die Tür aufgesperrt zu Friedrich Schillers literarischem "Wallenstein"-Gemach, und das Publikum kann eintreten in einen knallharten Polit-Thriller.

Schuld eines jeden

Denn um nichts anderes handelt es sich. Regisseur Torsten Schilling vertraut der Geschichte, der Wucht der Sprache und der Unwucht des Schillerschen Personals. Alles Geschehen entspringt hier ganz den Menschen selbst, Schilling blickt konzentriert auf die Grundstrukturen und Motive der Figuren, und das reicht vollkommen. Denn sie sind nahezu allesamt seelisch gekrümmt, diese Gestalten da, und die Handlung, rhetorisch bestens geölt, rinnt an ihnen unaufhaltbar hinab wie das Wasser von der undichten Decke. So ist das mit dem Krieg wohl nicht nur bei Schiller: Keiner will wirklich schuld an ihm sein, aber jeder trägt seinen Teil dazu bei. Und raunzt und raunt nebenbei von Pflicht und Treue, während Illoyalität und Selbstsucht das Handeln bewegen.

Wallenstein4 560 Henning Rosenbusch uSchaukel-Welt der Politk in "Wallenstein" am Landestheater Coburg © Henning Rosenbusch

In dieser großflächig ablenkungsfreien, gut dreistündigen Coburger Inszenierung kommt das alles genussvoll zur Geltung, weil Schilling Schiller nichts nachwürzt. Und so sitzt er also da, der Text auf der Bühne, und fühlt, spricht, macht sich großartig. Die Bühne ist ein zusammengestürzt wirkender Saal mit rasch zusammengetragenem Sitzmobiliar, die Kostüme (Ausstattung: Gabriele Wasmuth) sind zeitlos klassisch. Eine Inszenierung, die genauo weit weg ist vom Aktualisierungs-Humtata wie von schnarchzapfigen musealen Anfällen. Der Text ist um ein rundes Drittel eingekürzt, vor allem am Anfang und am Ende wurde massiv gestrichen und nur hier tatsächlich auch deutlich abstrahiert.

Abstrahierte Fremdbestimmtheit

"Wallensteins Lager" zu Beginn wird von den drei Schauspielerinnen Eva Marianne Berger (Herzogin von Friedland), Alexandra Weis (Thekla) und Kerstin Hänel (Gräfin Terzky) mit Handpuppen kurz zusammengerafft nachgespielt, was schon insofern ganz praktisch ist, weil man diese Puppen im weiteren Verlauf der Handlung immer wieder recht schön verwendet, wenn es um die Fremdbestimmtheit der handelnden Personen geht. Das geht so weit, dass die Buttler (i.e.Verräter-)Puppe seinem Chef Wallenstein, einmal in dessen Beinkleid geraten, sehr rasch sehr konkret auf den Arsch geht. Aber Obacht: All dies geschieht sehr dezent, so dezent wie der Einsatz von Licht und Musik.

Wallenstein5 560 Henning Rosenbusch uMensch mit hellen und dunklen Facetten: Frederik Leberle als Wallenstein 
© Henning Rosenbusch

Das Publikum kann sich also weiden an der Sprache und an Schillers Einfällen. Entwürfen wie der des Liebespaares Thekla von Friedland und Max Piccolomini, die sich nur wundern können, wie sie, beide völlig aufrechten Herzens, da nur hineingeraten konnten in den Schlamassel hartgekochter Immoralität. Wunderbar beispielsweise jene Szene, in der Vater Octavio (der Überläufer als eigentlich sogar grundsympathischer Überzeugungstäter: Niklaus Scheibli) seinen entsetzten Sohn Max (überzeugend in seiner kerzengeraden, flackernden Aufrichtigkeit: Benjamin Hübner) von den Segnungen der Realpolitik überzeugen will. Die aber macht alles kaputt: Am Ende pappen Max und Thekla an der Kulissenwand wie tote Fliegen.

Bis in den Tod

Im Mittelpunkt, ganz zu Recht, Frederik Leberle als Titelfigur: Er ist von Anfang an ein Mensch mit erkennbaren lichten und dunklen Facetten der Persönlichkeit, und es ist der Zusammenbruch seines Stolzes, den man beobachten kann. Alle Handlung richtet sich nach ihm aus: zu ihm hin, von ihm weg. Dass ihm das alles viel zu groß geworden ist, macht den schlussendlichen Zusammenbruch und das finale allgemeine Ableben, in Coburg erfreulich reduziert dargestellt, logisch. Am Ende lauert sowieso immer der Tod. Nur das Wasser tropft weiter.

Wallenstein
von Friedrich Schiller
Regie: Torsten Schilling, Ausstattung: Gabriele Wasmuth, Dramaturgie: Guido Huller.
Mit: Frederik Leberle, Eva Marianne Berger, Alexandra Weis, Niklaus Scheibli, Benjamin Hübner, Kerstin Hänel, Nils Liebscher, Ingo Paulick, Stephan Mertl, Oliver Baesler, Thomas Straus.
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause.

www.landestheater-coburg.de

 

Mehr Wallenstein-Inszenierungen: Im Mai 2016 ließ Michael Thalheimer an der Schaubühne Berlin den Generalissimus düster das Schicksal anbellen, im Januar 2015 inszenierte Hasko Weber das Stück im Weimar. Und wir berichteten über Peter Steins Schiller-Marathon in der Neuköllner Kindlhalle, in der seine Schauspielregisseur-Kunst lebte, jedes einzelne Wort zu erhellen. 

 

Kritikenrundschau

"Drei Stunden packendes Theater" – Torsten Schilling zeige Schillers "Wallenstein"-Trilogie wirkungsvoll auf einen Abend zusammengezogen, so Carolin Herrmann im Coburger Tageblatt (26.6.2017). "Atmosphärisch dicht, keinesfalls niederdrückend trotz des die Seelen verheerenden Kriegsszenarios, sondern das Innere beleuchtend, reflektierend, mit eindringlichen, Ehrfurcht gebietenden Worten mahnend, sogar aufrichtend", sei der Abend. Und sprachlich klar, "so dass man mühelos folgen kann".

"Die Puppenposse zwischen Sandsäcken zum Einstieg in diesen großen Schiller-Abend am Coburger Landestheater führt uns mittenhinein in den 'Alltag' des Dreißigjährigen Krieges", schreibt Dieter Ungelenk in der Neuen Presse (26.6.2017). Er zeige uns "den Blickwinkel derer, die Geschichte mit Blut schreiben: Die Nöte des Volkes, sein Leiden, sein Sterben ist ihnen nicht mehr als Kasperletheater". Schilling lasse Schillers bildstarke, kraftvolle Sprache nicht zelebrieren, sondern atmen, die klassische Diktion klinge heutig und klar. Um die Mechanismen der Macht zu entschlüsseln, blicke Schilling "hinter die heldischen Kulissen, in den Hexenkessel der menschlichen Biochemie, wo die Emotionen brodeln".

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