Follower im Park

von Julika Bickel

Berlin, 1. Juli 2017. Durch den Matsch schieben alle gemeinsam, Veranstalter und Publikum, zwei merkwürdige Gefährte in den Stadtpark Lichtenberg. Das "Haus der Digitalen Jugend", eine Kooperation von cobratheater.cobra und dem Theater an der Parkaue, zieht in den Park ein und ernennt ihn für die kommenden zwei Wochen zum Parkaue. Park.

In einem der Wagen eröffnet Frau Guzhou ihr "People's Park Blind Date House". Einzeln tritt man hinein, man fühlt sich ein wenig wie bei einer Wahrsagerin. Durch ihre sanfte Art schafft sie es, dass man ihr bereitwillig sämtliche Fragen zur Partnerwahl beantwortet. Abschließend macht sie mit ihrer Sofortbildkamera ein Foto und überreicht einem eine Plastikblume. Die soll später beim Blind Date als Erkennungszeichen dienen.

Zwei Wochen lang finden hier im Park nun Interventionen zu Digitalität und Öffentlichkeit statt. Die Jugendclubs des Theater an der Parkaue und Lichtenberger Schüler*innen werden Performances, Klanginstallationen und Parcours zeigen. Schade und auch merkwürdig ist, dass keine Jugendlichen am Tag der Eröffnung vor Ort sind – weder unter den Veranstaltenden noch unter den Zuschauenden. Auch bei der anschließenden Premiere der Hauptveranstaltung "Die Vertreibung der Hass Wurst", die sich an Menschen ab 14 Jahren richtet, befinden sich nur Erwachsene und kleine Kinder im Publikum.

Hass im Wurstkostüm

Der interaktive Rundgang durch den Park widmet sich dem Phänomen des Hasses im Netz, der sich inszwischen längst auch auf den Straßen wiederfindet. Hass Wurst – in Anspielung an die Spottgestalt Hans Wurst – sei überall. Die im Park frisch verlegten Kabel hätten vermutlich ein Leck, der Hass könnte sich also auch auf sie stürzen und so zu Mitläufern machen, werden die Teilnehmenden von einem Erzähler gewarnt. Fünf Superheld*innen springen zu Computerspielmusik in schillernden Kostümen über die Wiese. Sie wollen Hass Wurst zurück in die Scheiße schicken, aus der er (wie sie sagen) gekommen ist.

Hass Wurst1 560 Alexander Merbeth uSuperheldin am Boden © Alexander Merbeth

Äußerst gut gelingt den Macher*innen, digitale Praktiken und Prinzipen in theatralen Formen zu konkretisieren. Theater wird zur Schnittstelle. Die Teilnehmenden werden zu Followern erklärt und in verschiedene Gruppen geteilt. Und das geht so: Alle, die einen Kaugummi erhalten, folgen der Superheldin im Schneckenkostüm durch den Park. Das heißt, sie bekommen nicht mit, was die anderen zur gleichen Zeit erleben. Auch im Netz kann man beim Surfen nicht alle Inhalte gleichzeitig konsumieren. Eine gewisse Überforderung stellt sich für die Zuschauenden und -hörenden bei den komplexen Texten, absurden Gedankengängen, ünerhaupt der Fülle an Informationen ein.

Blinddate mit Plastikblume

In vielen Szenen geht es um Grenzüberschreitungen, um den gleitenden Übergang von Privatsphäre und Öffentlichkeit. In der Performance wird es daher oft obszön und vulgär, was meistens witzig ist. Da kotzt einer schon mal auf den Rasen, die Schnecke zeigt ihren Darm und erzählt von Durchfall. Generell geht es viel um Ausscheidungen. Besonders lustig ist es, als die Schnecke eine Influencerin auf YouTube parodiert: Sie filmt sich dabei, wie sie Glitzerschleim herstellt.

Hass Wurst2 560 Alexander Merbeth uHeld oder Horrorclown? © Alexander Merbeth

Zum Finale kommen alle Gruppen wieder zusammen, um den Hass im Wurstkostüm mit verschiedenen Mitteln zu bekämpfen: im Alleingang, mit netten Worten, schließlich mit Gewalt. In der Performance geht um die Beweggründe des Internettrolls, um den Einfluss des Einzelnen auf andere, Diskussionen, die sich verselbstständigen, und um die Macht der Masse. Ohne Zögern umschmeichelt das Publikum Hass Wurst mit Lobeshymnen, als es dazu aufgefordert wird, und beschmeißt ihn beim nächsten Kommando mit Wasserbomben.

Nach der Vertreibung von Hass Wurst geht es zum Blind Date. Ein junger Mann, ebenfalls mit Plastikblume, wartet bereits vor dem Theater. Ein wenig Smalltalk über Beruf und die Dating-App Tinder, dann ist es vorbei. Frau Guzhous analoge Partnervermittlung ist auf jeden Fall persönlicher, als wenn man seine Daten auf digitale Datingplattformen eingibt. Unbedingt erfolgreicher ist sie nicht.

 

Internetchor: Die Vertreibung der Hass Wurst
Ein interaktiver Rundgang von cobratheater.cobra und Theater an der Parkaue
Konzept und künstlerische Leitung: cobratheater.cobra (Martin Grünheit, Hieu Hoang, David Rauer, Wanja van Suntum, Joshua Sassmannshausen), Ausstattung: Imke Paulick, Musik: Frieder Hepting, Video: Alexander Merbeth, Beratung: Trang Tran Thu, Olaf Nachtwey, Dramaturgie: Gina Jeske.
Mit: Birgit Berthold, Melina Borcherding, Denis Pöpping, Tim Riedel, Nina Maria Wyss.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.parkaue.de
www.cobratheatercobra.com

 

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