Liebe Deine Diktatur!

von Gabi Hift

Berlin, 6. Juli 2017. JA! Herzlich willkommen bei dieser Kritik. Schön, dass Du sie liest. Du siehst gut aus!

Affirmation! Das ist der Geist, der über "Monypolo II" von Prinzip Gonzo schwebt. Wie alle anderen war ich hier Mitspielerin in einem "Sandbox Game", kann deshalb nur einen Erlebnisbericht schicken – und den Eindruck meiner Freundin Claudia W., die mich begleitete.

Die wilde Lust an der Konkurrenz

"Monypolo II" ist die Fortsetzung von Monypolo I von 2016 und der Nachfolger von Spiel des Lebens, mit dem Prinzip Gonzo 2015 Sieger beim nachtkritik Theatertreffen wurde. Sandbox Spiele kommen aus der Computerwelt. In einem frei zugänglichen und veränderbaren Universum müssen die Spieler verschiedene Aufgaben erfüllen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Bei der Off-Theater-Klientel gibt es meist, außer dem Spaß am Zocken, noch den "Am-Heimweg-ins-Grübeln-Kommen"-Effekt. Wer sich für einen aufrechten Kämpfer gegen den Neoliberalismus hält, ist oft erschrocken über die wilde Lust an der Konkurrenz, die aus den eigenen Tiefen herausbricht.

MonypoloSpiel3 560 Prinzip GonzoDas Versprechen einer globalisierten Luxus-Welt: Bühnenbildentwurf für "Monypolo II" © Prinzip Gonzo

"Monypolo II" ist etwas anders gestrickt als die Vorgänger. Es spielt in der Zukunft und da soll es "nicht um den eigenen Erfolg, sondern um den Erfolg eines großen Ganzen gehen". Eine einzige Firma hat die ganze Welt übernommen. Kein Wettbewerb mehr. Alles ist globalisiert. Aber die Chefin dieser Firma ist gestorben. Nun soll ein neuer Kopf gefunden werden. Jeder von uns könnte es sein. Um Chef zu werden, müssen wir unser Ego ablegen, das uns in Form von Legosteinen um den Hals hängt und uns stattdessen Wertebuttons erarbeiten – aus den Departements "Herz", "Sinne", "Lunge", "Muskeln" und "Skelett". Im Herz-Raum verpartnere ich mich mit Claudia – so werden wir die doppelte Anzahl Ego-legos los. Dass ich sie heiraten kann, macht Freude, ist aber meine letzte an dem Abend.

Vor unseren Augen drückt ein silberner Jüngling aus der Muskel-Abteilung plötzlich einer jungen Frau einen Hut auf den Kopf, auf dem "Skandal" steht, behauptet, sie hätte etwas verbrochen und schleppt sie fort. Sie kriegt einen Plastikbusen umgeschnallt und muss sich in einem Stalinistischen Schaulaufen wegen eines frei erfundenen Vergehens bei allen entschuldigen. Die nächste Stunde verbringen Claudia und ich mit vergeblichen Versuchen, etwas gegen diese willkürliche Gewalt zu unternehmen. Es wird klar, dass wir in Diktatur stecken. Aber auch, dass das Spiel so konzipiert ist, dass das allen egal ist und auch sein muss.

Pop in Zeiten des Populismus?

Mir verdirbt das den Spaß. Dabei will ich normaler Weise immer gewinnen. Hier strample ich stattdessen auf dem Heimweg vom Kudamm-Karree durch den nächtlichen Tiergarten und schimpfe laut vor mich hin. "Unterkomplex", "schludrig konstruiert!" Wieso fühle ich mich wie eine verbiesterte Oberlehrerin? Bei der Siegessäule begreife ich: Affirmation: das ist Pop! Und Pop ist ein Angriff auf Altlinke – also auf mich. Pop, antiutopisch, der behauptet, dass die kapitalistische Konsumgesellschaft tiefe menschliche Sehnsüchte anspricht, ins Wesen der Menschen eingeschriebene Werte. Warhol. Business ist die beste Kunst.

Das ist ja auch nicht NUR falsch. Aber grade jetzt Pop, wo der Pop-ulismus aus allen Ecken hervorkriecht? Dieses hedonistische "die da oben machen doch ohnehin mit uns was sie wollen", bei dem sich alle ihre bunten Buttons holen, während Leute mit einem lustigen Busen lustige öffentliche Selbstkritik üben müssen? Die Opfer selber lachen drüber, brauchen keine Hilfe, wem dadurch der Spaß verdorben ist, wie mir, die ist eine sauertöpfische Spielverderberin. Es gibt keine Reaktionsmöglichkeit innerhalb des Spiels, die nicht auf der Metaebene lächerlich wären. Man wäre wie ein Zuschauer, der im Stadttheater empört über die ungerechte Behandlung Othellos, aufspränge und schriee: "Das können die doch nicht mit ihm machen!"

MonypoloSpiel2 560 Prinzip GonzoGoldfarben: die Zukunft in "Monypolo II" © Prinzip Gonzo

In düsterer, selbstgerechter Stimmung komme ich nach Hause. Da erwartet mich eine Mail von Claudia, meiner Herzensnymphe, die ich gebeten hatte: Sag mir was Alternatives zu meinem Geschimpfe. Sie schreibt: "Ich bin tatsächlich die ganze Zeit noch am Nachgrübeln, Bewegt hat's mich sehr – zu denken gibt es mir auch. Und ich weiß nicht, was ich mit der Erfahrung machen soll, dass ich gerade eine wirklich schöne Begegnung mit einer Performerin in 'Sinne' hatte und hoffte, ich könnte das Spiel umdeuten, dann aber draußen wieder die Glocke zu hören war (mit der der Fascho-muskeltyp verkündet, dass er wieder eine Unschuldige verschleppt). Das zerrt ziemlich. Ich wünsch Dir die richtigen Worte und sende eine müde, aber aufgewühlte Umarmung!"

Ihr, die ihr jünger seid als ich und nicht moralinsauer altlinks: Ihr werdet es vermutlich eher wie Claudia erleben. Ich danke Euch, dass Ihr bis hierher gelesen habt, because – ja! – you are beautiful, and I have loved you dearly, more dearly than the spoken word can tell. Fare thee well.

 

Monypolo II
von Prinzip Gonzo
Idee und künstlerische Leitung : Prinzip Gonzo (Alida Breitag, David Czesienski, Robert Hartmann, Holle Münster und Tim Tonndorf) und Thea Hoffmann-Axthelm; Austattung: Thea Hoffmann-Axthelm, Hanna Scherwinski.
Von und mit: Roland Bonjour, Alida Breitag, Holger Bülow, David Czesienski, Nora Decker, Josephine Fabian, Anna von Haebler, Robert Hartmann, Toni Jessen, David Kramer, Holle Münster, Elena Nyffeler, Hannah von Peinen, Katharina Schenk, Hanna Scherwinski, Moritz Schulze, robert Speidel, Tim Tonndorf, Maria Walser, Matthias Zeeb.
Dauer ca. 3 Stunden

www.ballhausost.de
www.prinzip-gonzo.de



Mehr über das Genre des Game-Theaters zu dem Prinzip Gonzo mit seinen "Sandbox Spielen" gehört, lesen Sie im nachtkritik.de-Lexikon.

Kommentare  
Monypolo II, Berlin: gebt ihnen ein Haus
Tolle Arbeit vom Prinzip Gonzo und seinen Mitstreitern. Gebt denen doch mal ein Haus!
Monypolo II, Berlin: mensch ärger dich nicht
auf drei etagen, in mehr als einem dutzend räumen, fast als wäre es möglich im schlafanzug in kafkas schloß persönlich einzusteigen, entwickelt dieser abend, dieses spiel seinen ganz eigenen sog. wer lust hat auf mögliche Unmöglichkeiten, und sich erfreut an begegnungen absurder art, der sei willkommen... ich hatte nicht nur viel spass, ich bin dankbar über diesen intensiven abend, und auch über dieses tüftlerteam und deren farbenfrohen einfallsreichtum.
Monypolo II, Berlin: wunderbar
Wieder ein wunderbarer Gonzo-Abend: unterhaltsam, überbordend phantasievoll, durchdacht / rund. Im Vergleich zu Monypolo I und Spiel des Lebens fällt auf, daß es emotionaler und eingängiger geworden ist. Ich habe die technischen Lösungen bei den Vorgängern (mit Punktesystem, Apps, Scoreboard) sehr gemocht, aber die low-tech Lösung mit Buttons und Legosteinen funktioniert hier auch sehr gut und nimmt auch ein bisschen Komplexität heraus.
Monypolo II, Berlin: Wow - klingt lange nach
Stimme den Vorrednern in allen Punkten zu. Ein herausragender, stimmiger Abend, tolles Ensemble. Verspielt, abwechslungsreich, progressiv und auch etwas trashig. Ein Assessment-Center durchlaufen, um Kopf der WELT zu werden. Dabei das Ego loswerden, um irgendwann vollkommen profillos regieren zu können. Was könnte ein zeitgemäßeres Spielprinzip sein?! Ja, gebt denen doch mal ein Haus!
Monypolo II, Berlin: ist die Kritik am eigenen System gescheitert?
Ich überlege jetzt schon eine Woche, der Nachhalleffekt ist also da, aber nicht nur positiv... Das Spielen hat sehr viel Spaß gemacht, das Einlassen auf diese dezidiert künstlerischen Welten mit ihren speziellen Regeln und Möglichkeiten (ich muss ja doch auch irgendwie an Signa und co denken), bereitet mir immer eine sehr große Freude.
Ich hatte leider für Monypolo 1 und Spiel des Lebens keine Karten bekommen, meine erste Begegnung mit einem Gonzo-Spiel war Umsiedeln in Schwerin - und trotz einer eher lahmen Spielgruppe war ich begeistert.
Ich kenne also leider die vorherigen technischen Lösungen nicht, war aber mit dem Legostein-Prinzip nur so halb glücklich: Die Aufgaben waren von so unterschiedlicher Natur, Dauer - so dauerte z.B. ausgerechnet Gerechtigkeit ewig -, aber eben auch Intensität, dass es vollkommen absurd war für jede (außer der Ehe und ggf. Aktionen mit anderen Mitspieler_innen) nur einen Egostein zu verlieren, auch egal wie man sich zur Sache positionierte. Oder war das jetzt schon die Kapitalismuskritik mit dem Zaunpfahl, ungleiche Möglichkeiten und so?
Dann sollte das Ego verloren und durch neue kollektive Werte ersetzt werden - auch wenn es in meinen Augen die beste Aktion war, aber was brauchen wir denn da Selbstreflexion? Ist das die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus?
Ich möchte gar nicht so negativ klingen, aber die Mischung aus tlw. zu offensichtlichen Kapitalismus-Kritikpunkten und der notwendigen(!) Vereinfachung um es spielbar zu machen, hat dem ganzen leider einiges an Tiefe genommen. Und am Ende war es durch und durch kapitalistisch: Die Entscheidung ob ich mich wirklich mit etwas auseinandersetzen will oder ob ich 'einfache Stationen' immer und immer wieder mache, um möglichst schnell viel Ego zu verlieren und zu gewinnen. Ist die Kritik jetzt also am eigenen System gescheitert? Sind die Leute mit wenige Ego(steinen) die mit dem meisten?
Gedanken bleiben viele, die Hoffnung bald wieder einen Spieleabend erleben zu können auch.
Kommentar schreiben