Kinder- und Jugendtheater fordern bessere finanzielle Ausstattung
Gravierende Folgen bei Erhöhung der Vorstellungsgage
13. Juli 2017. Eine bessere Ausstattung des Theaters für junges Publikum hat der Arbeitskreis für Kinder- und Jugendtheater Baden-Württemberg bei den Baden-Württembergischen Theatertagen gefordert. In der Pressemitteilung zum Ende des Festivals heißt es, dass die vom Deutschen Bühnenverein und der GDBA vereinbarte Anhebung der Vorstellungsgage für Gäste auf mindestens 200 Euro – genauso wie eine Anhebung der Mindestgage bei Festanstellung – zwar zu begrüßen sei, aber zu Problemen in finanziell unzureichend ausgestatteten Häusern und Ensembles des jungen Theaters führe.
Der Arbeitskreis der Kinder und Jugendtheater fordert deswegen mehr Geld für die Kinder- und Jugentheater und hat dies in einem Schreiben an den Deutschen Bühnenverein formuliert. Den Brief habe man am Wochenende in Ulm nach dem öffentlichen Podiumsgespräch persönlich an Marc Grandmontagne überreicht.
Von Winfried Tobias, einem der drei Sprecher des Arbeitskreises, heißt es dazu: "Gerade für die Kinder- und Jugendtheater mit ihren im Vergleich zum 'Abendspielplan' oft signifikant niedrigeren Personalbudgets hat die von DBV, VdO und GDBA beschlossene Erhöhung der Vorstellungsgage bei Gastverträgen gravierende Folgen - nicht nur positive, wenn eine Unterstützung von Bund, Ländern und Kommunen in dieser Sache ausbleibt."
(sik)
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Aalen / Heidelberg / Stuttgart, Juni 2017
Sehr geehrter Herr Grandmontagne, sehr geehrter Herr Khuon,
wir melden uns bei Ihnen als Sprecher*innen des Arbeitskreises Junges Theater Baden-Württemberg. Wie Sie sich vorstellen können, haben die Forderungen des ensemble netzwerk und die daraufhin verkündete Anhebung der Gast-Mindestgagen auf 200 Euro auch bei uns für einige Diskussionen gesorgt. Vielleicht können wir Ihnen mit diesem Brief zusätzliche Argumente bei den weiter zu führenden Diskussionen liefern.
Selbstverständlich befürworten wir grundsätzlich, dass Künstler*innen, die ein Studium absolviert haben, mit dem, was sie verdienen, keine existenziellen Sorgen mehr haben sollten, um sich auf ihre Kunst konzentrieren zu können. Daher befürworten wir auch eine Anhebung der Monats-Mindestgagen auf mindestens 2000 Euro.
Innerhalb unseres Arbeitskreises liegen zwei Drittel aller Schauspielergagen im Jungen Theater zwischen 1850 und 2300 Euro. Das bedeutet, dass gerade die Künstler*innen im Kinder- und Jugendtheater von einer Anhebung der Mindestgagen (und damit zusammenhängend sicher auch der Gagen für ein drittes oder viertes Jahr im Ensemble) profitieren.
Auch die Gefälle innerhalb der kommunalen Theater würden geglättet. Dass junge Schauspieler*innen in der Sparte Kinder- und Jugendtheater per se weniger verdienen als ihre gleichaltrigen, gleich ausgebildeten Kolleg*innen im Abendspielplan, ist nicht begründbar und macht es leider immer schwieriger, ein Ensemble gleicher Qualität aufzubauen bzw. zu erhalten. Und wie wichtig qualitätsvolles Kinder- und Jugendtheater in unseren Zeiten ist, hat der Künstlerische Ausschuss in Heidelberg ja deutlich unterstrichen.
Allerdings gibt es einige Probleme, die sich daraus ergeben, auf die wir hinweisen und um Ihre Hilfe bitten möchten:
Wenn das Gefälle innerhalb der kommunalen Theater einerseits eingeebnet wird bzw. werden sollte, wird auf der anderen Seite das Gefälle zwischen kommunalen und privaten Theatern steiler werden. Letztere sind von der Forderung nach 200 Euro als Mindestgastgage ausgenommen worden. Das ist zwar verständlich, aber bedeutet gleichzeitig, dass es für Schauspieler*innen deutlich weniger attraktiv wird, an Privattheatern zu spielen. Um also auch künftig qualifizierte Kolleg*innen abseits der kommunalen Bühnen zu präsentieren, werden letztendlich auch die Privattheater gezwungen sein, ihre Gagen zu erhöhen.
Die Konsequenz daraus wäre, entweder Personal abzubauen bzw. weniger Gäste zu beschäftigen oder weniger zu produzieren, wodurch naturgemäß wieder weniger Einnahmen generiert würden.
Es sei denn, der Kuchen, der aufzuteilen ist, würde größer werden. Deshalb sehen wir die Notwendigkeit, die Förderer in die Pflicht zu nehmen. Um eine Erhöhung der Mindestgagen an allen Theatern zu ermöglichen, müssen die kommunalen Träger die Etats erhöhen, denn eine Finanzierung aus den bisherigen Etats ist in Anbetracht der ohnehin schon geringen finanziellen Ausstattung der Kinder- und Jugendtheater nicht leistbar.
Deshalb möchten wir Sie dringend und herzlich bitten, Ihr Bemühen um höhere Gagen vor allem bei unseren Geldgebern zu platzieren; vor allem auch mit Blick auf kleine Häuser und Theater für ein junges Publikum. Denn wir wollen anspruchsvolles Kinder- und Jugendtheater zeigen, u.a. um den Erhalt einer offenen Gesellschaft zu sichern - und dazu brauchen wir Gagen, die den finanziellen Ansprüchen unserer Künstler*innen gerecht werden. Wir würden uns freuen, wenn Sie mit uns ins Gespräch treten würden.
Mit bestem Dank und herzlichem Gruß,
Natascha Kalmbach (Junges Theater Heidelberg) Winfried Tobias (Theater der Stadt Aalen) Christian Schönfelder (Junges Ensemble Stuttgart)
Very sad!
Ungeschriebene Verbote gibt es nicht.
Sie können moralische Gebote sein, die wir dann ungeschriebene Gesetze nennen und als solche empfinden. Aber diese tragen keinen staatsbürokratisch (also auch keinen kulturpolitisch rechtlich vertretbaren) wirksamen Gesetzescharakter.
Moralische Gebote können übertreten werde, ignoriert, bezweifelt. Und zwar am besten von denen, die sich von ihnen eingeengt fühlen und denen, die eine Einsicht in ihre moralische Zwangslage haben und sie aus irgendeinem Grund gern wieder/auch einreisen lassen würden ins Abendtheater.
Das wäre gewiss nicht so leicht wie es sein könnte ohne moralische Gebote die durch Empirie als Gesetze behauptet werden.
Aber es wäre auch nicht so schwer, wie gute Kolleg*innen für Theater unmoralisch zu finden und ungesetzlich einzustellen.
Wie sollen die Kinder- und Jugendtheater die hochqualifizierten Künstlerinnen und Künstler finden, die sie brauchen, wenn sie keine Chance haben, finanziell mitzuhalten?
Dass gute Schauspielerinnen und Schauspieler sich dafür entscheiden, ihr berufliches Leben (ob für ein paar Jahre oder für die ganze Karriere) im Kinder- und Jugendtheater zu verbringen (und nicht, weil sie hängen bleiben, sondern weil sie ihre Lebenszeit genau so verbringen möchten), darf nicht zum Nachteil sein. Ein Ensemble, das über längere Zeit zusammen ist, kann sich entwickeln. Das ist doch die Idee des deutschen Ensembletheaters. Wenn sich aber die Gagen in den Sparten und noch weniger in den freien Kinder- und Jugendtheatern nicht entwickeln, dann zeigt das eine Geringschätzung der Arbeit dieser gut ausgebildeten und erfahrenen Schauspielerinnen und Schauspieler, die dafür sorgt, dass ihre Entscheidungsfreiheit für ihre berufliche Laufbahn massiv eingeschränkt ist. Steigende Lebenshaltungskosten lassen sich nicht von Idealismus bezahlen.
Übrigens: Selbiges gilt auch für Regisseurinnen und Regisseure, Ausstatterinnen und Ausstatter - viele von ihnen arbeiten gern (auch) für die kleine Form auf der Studiobühne, die für junges Publikum oft eine Notwendigkeit ist. Die Gagen, die für Kinder- und Jugendtheaterinszenierungen gezahlt werden, sind an den meisten Häusern deutlich geringer als im Abendspielplan. Festgemacht wird das oft mit der Bühnengröße und Sparte: Studiobühne gegen große Bühne, Schauspiel gegen Musiktheater. Eine unterbezahlte Studio-Inszenierung im Kinder- und Jugendtheater (die Vorbereitungszeit ist etwas geringer, die Probenzeit hingegen kaum) nehmen freischaffende Kolleginnen und Kollegen einem der folgenden Gründe an:
1. Sie können es sich nicht leisten, abzusagen, weil sie sonst (zum Beispiel noch am Anfang der Karriere) zu wenig Arbeit hätten. Keine Entscheidungsfreiheit. Ist das der richtige Stoff/das richtige Stück/das richtige Publikum/der richtige Zeitpunkt/die richtige Konstellation ... für mich? Luxusfragen!
2. Sie können es sich leisten, zuzusagen, weil sie zwischendurch einmal eine überdurchschnittlich bezahlte Arbeit hatten. Hach, Freiheit!
Die Notwendigkeit, das Niveau im Kinder- und Jugendtheater hoch zu halten, erklärt sich jedem, der zeitgenössisches Theater für junges Publikum einmal erlebt hat. Dass dies nicht ohne finanzielle Verbesserungen in den Etats der freien und institutionellen Kinder- und Jugendtheater zu halten ist, weil entsprechend qualifizierte Künstlerinnen und Künstler engagiert werden müssen, das muss in die Köpfe und in die kulturpolitischen Debatten.
Und ja, wir leben in einem Land, in dem in den Sonntagsreden immer betont wird, wie wichtig uns die Kinder und die Jugendlichen sind, aber alle Berufe, die den Titel Kinder (-krankenschwester,-arzt*innen, Grundschullehrer*innen etc) in sich tragen, verdienen um einiges schlechter als die Dienstleister für die Erwachsenen. Da stimmt doch was nicht!!!! Wenn die Lücke zwischen den Sparten jetzt noch größer zu werden droht, dann können wir das irgendwann auch nicht mehr mit gutem Führungsstil und flacheren Hierarchien ausgleichen. Deswegen ist jetzt Hilfe angesagt!!!