Todesurteil per SMS

von Andreas Herrmann

Dresden, 30. Mai 2008. Fünf Studenten und ein Geist: Während Sven (Thomas Hof) schnell zur Sache kommen möchte, aber bei Lili (Hanka Mark) abblitzt, schnappt sich diese den expressiven Darius (Friedrich Rößiger), dem allerdings noch dessen Ex namens Jule (Charlotte Puder) nachtrauert. Nachdem unter den beiden Freundinnen die Freigabe geklärt scheint, tauscht man (bzw. Frau) die Begehrlichkeiten – natürlich nicht ohne zickige Nachwehen. Allein Philosophin Anna (Aischa-Lina Löbbert) ist ihrem baldigen Medizinmann, dem immer abwesenden Phillip (Florian Beyer), treuherzig und streitlos verbunden.

Wer nun genau was und warum studiert, spielt eigentlich keine Rolle, alle sind hin- und hergerissen vom rastlosen Leben zwischen der Angst vor Einsamkeit und Prüfungsversagen. Mehr Not ist nicht. Zwischen Lernstress und Paarungstrieb generiert eine neue Dialogkultur den Zusammenhalt und suggeriert Kommunikation: Per SMS ist jeder mit jedem überall und nirgends verbunden, unverbindliche Ping-Pong-Nachrichten rasen durch die Nächte und bringen zusammen, was nicht zusammen gehört.

Es stehen zur Auswahl die Versionen: Sex mit Reden und Sex mit Kuscheln – nur Reden mit Kuscheln ist out. Doch dann kündigt Anna ihrem Phillip eine Woche vor dessen Prüfung die sechsjährige Beziehung – natürlich schlicht per SMS – und nimmt sich dann mal den Sven, Phillips WG-Genossen. Aber nicht nur zur Brust, sondern ganz. Das kurze Glück zahlt ihr Ex ihr heim, mit seinem Freitod ...

Fünfzehn Szenen keiner Ehe
Dass die sechs Sexbeziehungen in fünfzehn Szenen keine eigentliche Story sind, gab die anwesende junge Schweizer Autorin, deren Dresdner "Lieblingsmenschen" die siebte Inszenierung des Stücks (und die dritte, die sie selbst sah) sind, gern zu. Laura de Weck, am Hamburger Schauspielhaus als Schauspielerin vollbeschäftigt, hat ihren Erstling während des Schauspielstudiums in Zürich verfasst, die eigene Uraufführung im Abschlussjahr war nur der Anfang, bis nächstes Jahr werden insgesamt zwölf Versionen von "Lieblingsmenschen" den deutschsprachigen Raum erobern.

Gustav Rueb inszeniert das Stück seiner Landsfrau am Kleinen Haus Dresden weit weniger endzeitstimmend als er könnte. Einige Szenen geraten ihm dabei fast schon zum Klamauk, der aber wiederum die offenbarte Ziellosigkeit jenseits von Prüfungsstress und Abendspaß abstrakt konterkariert. Die Stückkürze gewährt dabei genügend Platz für zerrissene Charakterstillleben.

Rueb verzichtet dabei wohltuend auf typische Klischees bezüglich der Studienrichtungen und gibt seinen Figuren dadurch mehr Raum für persönliche Profilneurosen, die sich vor allem im freien Paarungsdrang ausleben. Scheppernde Auftritte, leiser Abgang. Ein gelungener Schachzug ist dabei, Phillip – im Text nur als Dauerfreund Annas erwähnt, aber mit keiner Aussage bedacht – als eigene Rolle zu besetzen, obwohl Florian Beyer dabei nur als filigrane Randfigur durch die Szenen huschen darf.

Schizophrenie der Gleichzeitigkeit
Auch ansonsten darf man sich durchaus am Auftritt des Nachwuchssextetts vom Schauspielstudio des Hauses erfreuen: Charlotte Puder, Hanka Mark und Aischa-Lina Löbbert als die drei offensiv männertauschenden Freundinnen und die beiden Antipoden Thomas Hof und Friedrich Rößiger, natürlich lieber Täter als Opfer, dürfen sich anherrschen und auslieben.

Ausstatterin Petra Schlüter setzte eine geräumige halboffene Quader-Kombination in purem Blechcharme auf die Bühne, die von allen Seiten bestiegen und bekrochen werden kann und bei jedem Auftritt ordentlich scheppert. Mark Lim untermalt das Stück mit einem elektronischen Klangteppich, der vor allem die einsamen, düsteren Momente der SMS-Dialoge besinnlich umrahmt.

Was hingegen nicht funktioniert, ist die illuminierte Darstellung der Textnachrichten auf der strukturierten Bühnenkonstruktion. So ist das parallele Verlesen durchaus nötig – illustriert dadurch aber anschaulich die Vergewaltigung der Sprache durch den Zwang zur Kürze. Und zeigt auch die Variante der endlos scheinenden Zeitverzögerung bis zur Antwort – eine Schizophrenie der neuherrschenden Gleichzeitigkeit.

Feierwut und Werteverlust
Dennoch: Wirklich plausibel wirkt das dramatische Frühableben des verlassenen Phillip, der sich einfach eine falsche Spritze setzt und von Sven in "komischer Lage" gefunden wird, nicht. Denn eigentlich ist er, der sich von den anderen und ihrem Getue absetzt, die einzige Person, die mit sich klar zu kommen scheint. Aber was bliebe – außer einer kurzlebigen Zeitgeistmomentaufnahme – dann sonst vom Text?

So entsteht in der überaus cleanen Atmosphäre des Kleinen Hauses im sauberen, ruhigen Teil der Dresdner Neustadt ein wenig der bittersüße Beigeschmack gesellschaftlicher Unterbelichtung – während sich in Steinwurfweite die prekäre Freitagsfeierwut mit allen jugendfreien Nebenerscheinungen bis zum Morgengrauen Bahn bricht. Doch diese Lücke ist nicht de Weck anzulasten, die Dramatik der Straße ist kein primär akademisches Problem und muss sich anders ins Theater schleichen.

Und dass das Stück ein Publikumsmagnet werden wird, manifestierte sich schon in der nahezu ausverkauften Premiere mit einem überraschend jungen Publikumsschnitt, nach der sich Intendant Holk Freytag als "größter SMSer, den ich kenne" outete. Passend dazu gebar das Staatsschauspiel eine eigene Fanartikelserie, obwohl das T-Shirt mit dem Aufdruck "Lieblingsmensch" nach Stückgenuss vielleicht etwas an Wert verlieren könnte.

 

Lieblingsmenschen
von Laura de Weck
Regie: Gustav Rueb, Bühne & Kostüme: Petra Wilke, Musik: Mark Lim.
Mit: Charlotte Puder, Hanka Mark, Aischa-Lina Löbbert, Thomas Hof, Friedrich Rößiger und Florian Beyer.

www.staatsschauspiel-dresden.de

Mehr über Laura de Weck und ihr Stück, gibt es hier, wo sie im Film selbst darüber erzählt. Oder hier, wo es zu einem Porträt der Autorin und einer ausführlichen Stückkritik geht.

 

Kritikenrundschau

Laura de Wecks Stück "Lieblingsmenschen", dessen Handlung "an sich nichts Großes" sei, werfe aber "ein ernst zunehmendes Problem auf", schreibt Jacqueline Rau in der Sächsischen Zeitung (2.6.2008), "spricht es doch über die Kommunikationsgewohnheiten einer ganzen Handy-Generation." In seiner Dredsdner Inszenierung gelinge es Regisseur Gustav Rueb und seinen Schauspielern hervorragend, den "SMS-Verkehr spielerisch ins Geschehen einfließen zu lassen." Die Schauspielstudenten spielten ihre Rollen "frisch und herzlich, einfühlsam wie aus dem eigenen Leben gegriffen."

In "Lieblingsmenschen" greife Laura de Weck "ordentlich in die Klischeekiste, ohne gleich unrealistisch zu werden", meint Norbert Seidel in den Dresdner Neuesten Nachrichten (2.6.2008). "Dieser Eindruck mag aber auch von Regisseur Gustav Rueb gestützt werden, der das dem Stück und jedem studentischen Leben innewohnende Dilemma zumindest so stimmungsvoll inszeniert, dass man über einige Unstimmigkeiten und Plattitüden schnell hinwegsieht." Dass die "vielversprechenden jungen Darsteller kein bisschen aus der Bahn" geworfen würden, bestätigt für Seidel in schöner Dialektik die Vermutung, dass "de Wecks Debüt-Figuren in solchen Untiefen umherschippern, die einen guten Schauspieler wohl eher noch anspornen als lahm legen, jedoch im Text keineswegs als Charaktere gelten können." Das Ganze mache "recht viel Spaß, speziell in einigen mit guten, kurz angebundenen Gags besetzten Gesprächen", es sei aber "im letzten Schluss nicht wirklich ernst zu nehmen" und gehöre "vielleicht auch eher auf eine Studentenbühne."

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