Presseschau vom 13. August 2017 – Darja Stocker schreibt im Merkur Blog über Sexismus während ihrer Zeit als Studentin am Studiengang Szenisches Schreiben der Berliner UdK

"Und was hat das mit Sexismus zu tun?"

"Und was hat das mit Sexismus zu tun?"

13. August 2017. Die Online-Ausgabe des Merkur widmet sich in den letzten Wochen dem Thema Sexismus an Hochschulen. Einer der Texte stammt von der Dramatikerin Darja Stocker, die ab 2006 an der Berliner UdK Szenisches Schreiben studierte und von erschütternden Erfahrungen während der Zeit und auch danach an Theatern berichtet.

"Nach der bestandenen Aufnahme-Prüfung in Berlin war ich eingeladen zur Abschlussparty des vorherigen Jahrgangs, die Luft des Studiums zu schnuppern", schreibt Darja Stocker im Merkur-Blog. Der jüngere der beiden zukünftigen Professoren hing zwischen Schauspielschülerinnen an der Bar. "In dem Moment, in dem ich zu ihm herübersah, machte er eine schildkrötenhafte Kopfbewegung und begann mit einer der Schauspielschülerinnen zu knutschen." Stocker schreibt, dass sie die Szene ignorierte, sich damit erstmal nicht beschäftigen wollte. Auch weil er den Ruf hatte, ein guter Dramaturgie-Prof zu sein "und deswegen war ich hier".

Bei den Witzen im Seminar lachte sie anfangs noch mit. "Bis ich merke, dass es nicht gern gesehen wird, wenn man selbst entscheidet, was ein Witz ist und was ernst." Nach dem ersten Kennenlernen in den Text-Besprechungs-Seminaren dann: "Leute, die beleidigt werden. Diskussionen, die aus dem Ruder laufen. Brüllen. Fertigmachen. Rhetorische Fragen stellen, eine genüssliche, stupide Stille entstehen lassen. Dann das Verstummen tadeln."

"Angefahren werden die Unsichersten, die noch nichts im CV haben. Die offen sind und sagen, dass sie eine schwierige Familie oder Depressionen haben." Auch junge Männer, "zwei davon verlassen die Uni im ersten Jahr. Einer bleibt und leidet an starken Depressionen." Die Klasse zählt irgendwann nur noch 4 Personen.

"Da ich bereits am Theater arbeitete und es während des Studiums weiterhin tue, fühle mich privilegiert und daher nicht angreifbar und denke, ich müsse diese Rolle spielen, für die anderen, die noch nichts haben, kein Stück, keinen Verlag, keinen Preis. Wenn jemand den Mund aufmachen muss, dann ich. Dem monarchischen Gehabe der Profs, ihren rhetorischen Fragen, ihrer Bestätigungssucht, stelle ich eine kalte Arroganz entgegen. Oder Fleiß. Niemand soll mir vorwerfen, ich wolle nicht studieren! (Dies wird uns ständig vorgeworfen.)“ Dieser kleine Kampf sei jedoch nicht nur den Professoren ein Dorn im Auge gewesen, sondern auch den Fans und Komplizen der Professoren. "Ich wirke arrogant. Es bilden sich Fronten."

Dass einer der Professoren Verhältnisse zu Studentinnen hatte, bestätigt sich Jahre später. Die vermuteten Verhältnisse und Knutschereien sind zuvor nichts Handfestes, was man bemängeln könnte, erinnert sich Stocker. "Außerdem sind nicht wir selbst betroffen, meines Erachtens hat mich keiner der Dozenten je angemacht. Also gehen wir nicht zur Frauenbeauftragten. Stattdessen schreiben wir in unserem Brief Dinge wie 'entmutigt und behindert statt ermutigt und gefördert zu werden.' 'Leute eingeschüchtert, hierarchisiert, abhängig gemacht.' (...) Am Ende klingt alles für Außenstehende schwer nachvollziehbar. Und genau das ist das Problem."

Als Reaktion höre ihnen der Präsident der Universität zwar aufmerksam zu. Doch er ist nicht zuständig und leitet alles dem Dekan weiter, "der uns erklärt, dass wir eben die berlinerische Art der beiden Herren nicht verstünden." Und der Dekan vertröste damit, dass "die Jungs" bald pensioniert seien. "Er stellt uns, die Aufmüpfigen, die Sensiblen, für zwei Jahre von der Universität frei, bis die neue Leitung komme. Wir müssen warten, bis die Vergangenheit endlich zu Ende sei, wir seien nun mal irgendwie zu früh eingetroffen, vor unserer Zeit sozusagen, das passe jetzt so halt nicht mehr zusammen."

Ihr Zwischen-Fazit: "Lange dachte ich, eine solche personenzentrierte Archaik, wie ich sie erlebte, sei heute dann doch eine Ausnahme. Ob das stimmt, weiß ich nicht, ich habe dazu nur eine einzige, erzwungene Feldforschung gemacht. Die subtileren Formen von Diskriminierung, wie sie in vielen Texten von Kolleg_Innen beschrieben werden, ist jedoch mindestens genauso reich an Konsequenzen."

In den letzten beiden Jahren des Studiums habe es dann noch eine Ahnung von Auswirkungen versteckterer Machtverhältnisse gegeben, schreibt Stocker weiter. Und: "Die Debatte um Rollenmuster und Sexismus am Theater, in der Literatur, an Schreibschulen kann meiner Meinung nach nicht geführt werden, ohne Parallelen zu ziehen zu weiteren Kämpfen über die Sektionen hinweg. Ohne dass die Debatte ihren Schwung durch das ständige Mitnennen anderen Anliegen verliert, glaube ich, dass das System der Männerbünde und -förderungen weitreichende Konsequenzen im gesamten Kulturbetrieb hat."

Als Vision für die Theater schlägt Stocker vor, das Wort Freiheit nochmals neu zu denken. "Gemeinsam Räume schaffen, in denen ein Austausch möglich und von denen her nach außen kommuniziert werden kann. Mittels Texten, Stücken, Manifesten. Die Suche nach einer mehrstimmigen, mitbestimmenden Sprache. Eine Sprache, die sich nicht hinter Geschichten über 'die Anderen' versteckt, sondern von sich und uns selbst, von den Verhältnissen im Hier und Jetzt berichtet, die Widersprüche sichtbar macht und Machtverhältnissen eine Absage erteilt. Eine Sprache, die Alternativen, Utopien kreiert."

(sik)

 

Zum Thema: Die Dramatikerin Anne Rabe hat zusammen mit Darja Stocker studiert und weist Stockers Vorwürfe gegen das Institut entschieden zurück. Zur Entgegnung.

Auch Oliver Bukowski, Professor im Studiengang in der von Darja Stocker reflektierten Zeit, wehrt sich gegen die Anschuldigungen.

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