Aus Liebe zur Wiederholung

von Martin Pesl

Semmering, 17. August 2017. Am Alpenpass zwischen Niederösterreich und der Steiermark bietet der Kultursommer Semmering Konzerte, Lesungen und Klassiker. Uraufführungen standen ursprünglich nicht auf dem Programm – bis Otto Brusatti das einzige Theaterstück des Komponisten Anton von Webern ausgrub. 2016 brachte Brusatti den Text mit dem nicht gerade sommerfrischen Titel "Tot" im Rahmen des Festivals als Stationentheater zur Uraufführung. Die Sensation war so perfekt, dass das Leitungsteam aus Florian Krumpöck und Nina Sengstschmid sie nicht mehr missen wollte.

Natürlich biss man also an, als Friederike Mayröcker dem "Tot"-Regisseur einen Brief schrieb und sich "auch sowas" von ihm wünschte. Auch Mayröcker ist keine Dramatikerin, wenngleich sie zahlreiche Hörspiele verfasst hat. In erster Linie ist die 92-jährige Österreichs Grande Dame der Lyrik, auch ihre Prosa ist keine erzählende, sondern zeichnet sich durch poetische Betrachtungsströme aus. In dem Textkonvolut "OPER! – Eine poetische Komposition für die Bühne" versammelt Mayröcker Material, das sie vor einem Jahr herumliegen hatte und das wohl auch in ihr 2018 erscheinendes neues Buch Eingang finden wird.

Schlafen, Träumen, Namedropping

Oper ist "OPER!" also schon mal keine, aber auch kein Theaterstück. Nun ist Otto Brusatti auch eigentlich kein Regisseur, sondern Musikwissenschaftler und bekannter Radiomoderator. Dementsprechend ist diese Prestige-"Uraufführung" im Kurhaus durchsetzt von einem Mix aus Ratlosigkeit gegenüber dem Text und der Gewissheit, welch große Ehre es ist, ihn verwenden zu dürfen.

OPER1 280 Barbara Amplatz uSchauspieler Bernhard Majcen und Tänzerin Maria Moncheva © Barbara Amplatz Vom Schlafen und Träumen handelt er, von Müdigkeit und Schwäche, vom Lesen und Schreiben. Er ist auch voll von Erinnerungen und Alltag und strotzt vor diffusem Namedropping: Max Ernst und Jacques Derrida werden genannt, Klaus Ammann und Daniel Spoerri, ja sogar die Autorin und Nachtkritik.de-Kolumnistin Teresa Präauer kommt vor.

Brusatti bat Mayröcker, ihre Zeilen in den Studios von Radio Ö1 einzusprechen. Eine mit Beats unterlegte Version der Aufnahme hört das Publikum schon, während es in einem Salon mit großen Fenstern und einem Blick auf bewaldete Berge Platz nimmt. Objekte, auf die im Text Bezug genommen werden, sind rund um die Musiker spärlich im Raum verteilt: ein Baumstumpf mit Axt, Vasen mit verwelkten Blumen, Tücher. Eine kurz erwähnte Ente ist als rollende Holztigerente verkörpert, ein Ameisenbär als Kuscheltierversion seiner selbst. Allmählich übertönen die Instrumente des vierköpfigen Live-Ensembles Mischwerk die Aufnahme, die Tänzerin und Akrobatin Maria Moncheva tanzt herein, etwas später der Schauspieler Bernhard Majcen.

Sympathie den Lesenden

Und dann frönen alle ihres gelernten Handwerks, mit klarer Rollenverteilung: Moncheva muss betörender Körper und Objekt der Begierde sein, während Majcen vor allem Stimme ist – eine mächtige, gelehrte und eitle Stimme wie die des Regisseurs aus dem Radio, aber fast zu wuchtig für den kleinen Raum. Manche Textpassagen hört man zuerst in Majcens Interpretation, dann vom Band in Mayröckers Lesung. Das ist soweit schlüssig, denn die Autorin selbst liebt die Wiederholung, die Paraphrase, wenn sie etwa schreibt: "Wer hatte sich verborgen hinter der Person in meinem Traum (...), ich meine, welche Person meines Wachzustands verbarg sich hinter der Traumgestalt von heute Nacht (...)". Nur gehören die Sympathien so eben stets dem ermüdet bescheidenen Rhythmus der Lesenden und nicht dem kalkuliert pompösen Spiel.

Denn Bühnentauglichkeit verleiht diesen Worten auch die geschulteste Interpretation nicht. Taucht doch einmal irgendwo szenisches Potenzial auf, wird es auf die plumpest mögliche Art genutzt. Im Text steht: "Habe die Kusskrankheit", und Majcen busselt mit Verve ein paar Menschen in der ersten Reihe ab. Indes profiliert sich mühelos das Ensemble Mischwerk, das eine große Bandbreite von Klassik und Neuer Musik über den Kirchenchor bis zum Schunkelschlager präsentiert. Im besten Falle betrachte man den Abend als Mischwerk-Konzert.

Ich glaub, mich knutscht ein Ameisenbär

Schließlich muss noch, um das Versprechen des "Stationentheaters" zu rechtfertigen, das gesamte Publikum zehn Minuten vor Schluss in den Nebenraum übersiedeln. Wie ein Akt des Protests (und doch mit bewundernswert würdevollem Ernst) setzt sich Bernhard Majcen daraufhin den Plüschameisenbär auf den Kopf. Die dritte Station erfolgt dann nach dem Applaus. "Teigling auf Mittagstisch", endet das Manuskript, also bietet Regisseur Brusatti dem Publikum beim Hinausgehen Nockerln an. "Ist kein Muss", erklärt er gnädig. "Schmeckt auch nach nichts." Na gut, dann eben nicht.

 

OPER!
Eine poetische Komposition für die Bühne von Friederike Mayröcker
Uraufführung
Inszenierung: Otto Brusatti, Musik: Mischwerk
Mit: Bernhard Majcen (Schauspiel), Maria Moncheva (Tanz), Friederike Mayröcker (Stimme vom Band) und dem Ensemble Mischwerk: Helmut Stippich, Maria Stippich, Nikolai Tunkowitsch, Reinhard Uhl
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.kultursommer-semmering.at

 

Kritikenrundschau

Die darstellerische Aufbereitung von Friedrike Mayröckers Zeilen sei gewiss nicht einfach, so Michael Wurmitzer in der Wiener Tageszeitung Der Standard (21.8.2017) Doch mancher Einfall von Regisseur Otto Brusatti falle recht semioriginell aus: "zum Beispiel, dort, wo es heißt, 'ein junger Passant trägt Entenjunges im Arm', Schauspieler Bernhard Majcen ratternd eine hölzerne Tigerente auf Rollen herumziehen zu lassen. Bei der 'habe die Kusskrankheit' drückt Majcen dem Publikum Bussis auf die Wangen. Maria Moncheva verkörpert das schreibende Ich tänzerisch. Zu ebener Erde und in einem von der Decke hängenden Ring vollzieht sie ein Schauturnen, klemmt sich auch bunte Tülltüchlein an den Körper. Das zu Sehende bereichert das zu Hörende mal mehr und mal weniger."

Grundsätzlich überzeugt der Abend "als in sich stimmiges Gesamtkunstwerk" das größte Österreichische Regionalblatt Kleine Zeitung (21.8.2017), "in dem Musik und Text einander befeuern und sich in ungeahnte Höhen schrauben." Es gehöre schon was dazu, "Sätze wie den folgenden auf der Bühne zu realisieren: 'Bin verdorrt bin verdorben dennoch Wiszbegierde. Zärtlichkeit deines Anblicks. Ich weisz nicht unvorstellbares Ereignis Laubfrosch v. Burka, des abends, fragte er mich 'bist einsam?' antwortete ich 'wie du', Stoszgebet Wasser, auf deine Mühle ein, Zungenkusz.' Brusatti schafft das über weite Strecken mithilfe von Andeutungen, Requisiten und dringend nötigen Pausen zwischen den Worten."

"In den Salons des Kurhauses Semmering gerät diese wahrhafte Komposition der Autorin zu einer faszinierenden Symbiose aus Sprache, Musik, Tanz und szenischer Darstellung," so Karina Fibich im Radio NÖ vom ORF (8.2017). In diesem ungewöhnlichen Stück wird nicht gegen die Gesellschaft rebelliert, sondern gegen einen Teil des eigenen Selbst, einen Teil, der immer verwundbarer wird. Es beschreibt autobiografisch einen Aufstand und zugleich das Sich-Zurückziehen als Schutz vor dem Alter, vor den Erinnerungen, vor der eigenen Vergänglichkeit. Die Sprachkünstlerin entwirft in eindrucksvollen Wortgemälden ein feinnerviges Universum der Gerüche, Farben und Sinnesimpressionen."

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