Terror als Horror

von Jens Fischer

Oldenburg, 23. August 2017. Lehrer Gunnar sieht aus wie verpeilter Bücherwurm. Prahlt aber damit, Sex mit seinen Schülerinnen zu haben. Das sei ihr inzwischen auch egal, schnattert seine biederbunt herausgeputzte Gattin – und bebt dabei vor Empörung. Und schon sind wir mittendrin. "Szene einer Ehe", sagt Gunnar, sei eines von diesen "Beziehungsdramen, in denen ich mich behaglich suhlen kann". Gefahrlos aus der Schlüssellochperspektive des Film- oder Theaterzuschauers anderen beim Durchleben des eigenen Elends zuschauen. Es trifft sich, dass mit Oldenburgs Schauspielchef Peter Hailer ein Regisseur "Utøya" von Edoardo Erba inszeniert, der bereits Erfahrung mit solchen Eheterrorstücken hat.

Der Stücktitel lässt anderes erwarten. Die meisten dürfte das Stichwort "Utøya" an einen empathielosen Narziss gemahnen, der die Welt in eine christlich gemeinte Hölle zurückbomben wollte, in der Moscheen abgerissen, Ausländer deportiert, blonde Norweger gezüchtet werden, Frauen brav am Herd stehen und Homosexualität verboten ist. Um ewigen Ruhm zu ernten, wählte der selbst ernannte Tempelritter Breivik den Terror als theatralen Akt, der Aufmerksamkeit generiert und das Publikum in Angst und Schrecken zurücklässt. Bücher, Filme, Wissenschaft und Theater haben sich mit dem Fall beschäftigt. Meistens stand der Täter als Visionär seiner Tat und dystopischer Anti-Held im Mittelpunkt. Aber wer waren, was dachten die Opfer, ihre Eltern, die eingesetzten Beamten?

Aus Sicht der unterschiedlich Betroffenen

Diesen Perspektivwechsel verspricht das von Peter Hailer auf einer schlichten Holzbretterbühne servierte Stück von Edoardo Erba. Es mischt Gunnars Szenen seiner Ehe mit den ebenso schwierigen Szenen der Geschwisterliebe von Inga und Petter sowie peinvollen Anbaggerszenen eines ältlichen Polizisten mit einer jungen Kollegin. Dass Erba mehr als Figurenklischees entwickelt hat, kann aber leider nicht behauptet werden. Außerdem vermag nur Franziska Werner als Inga eine dezent mehrschichtige Rollengestaltung abzuliefern und mit ihrem Partner Fabian Kulp den Abend mit etwas Seelenfeuer zu erhellen.

Utoya 2 560 Stephan WalzlDas "Utøya"-Personal unter Kollektiv-Schock Franziska Werner (Inga), Matthias Kleinert (Gunnar),
Janine Kreß (Malin), Thomas Birklein (Alf), Helen Wendt (Unni) © Stephan Walzl

Wie im Horrorfilm wird erst einmal Alltagsidylle gezeigt, bis das Böse immer näher kommt und die Katastrophe initiiert. Die Polizei muss zum Einsatz ausrücken, in dem Massenmörder erkennen die Geschwister ihren Nachbarn, und Gunnar und Gattin bangen um die gemeinsame Tochter, die auf Utøya von Konsumwahn und Smartphonesucht geheilt werden sollte. Aber diese Bezüge sind so schlicht konstruiert wie in steif dröger Art inszeniert. Noch schlimmer: Die Terror- und Rechtsradikalismusdebatte verkommt zur spannungsfördernden Folie der verbalen Pärchen-Balgerei. So ist es schwierig, ihr als Rahmung noch das gesellschaftliche Klima einzuschreiben, in dem ein solches Attentat gedeihen konnte.

Einer von uns?

Die Breivik-Biografie der norwegischen Journalistin Åsne Seierstads ist "Einer von uns" betitelt, was als These im Stück zitiert wird. Milo Rau knüpfte dort schon ein Jahr nach dem Massaker an und entdramatisierte einen Rechtfertigungsmonolog Breiviks, um zu zeigen, dass dort nicht nur Allgemeingut der Rechten und Islamophobiker formuliert ist, sondern Commonsense des konservativen Mainstreams – eine mehrheitsfähige Geisteshaltung.

Wieviel Breivik steckt in uns allen? Das will auch Erba zeigen. Aber was fügt er als Beweis an? Auf die Frage, wer die Anschläge verübt habe, poltert Bruder Petter: "Was weiß ich? Die Terroristen. Der Islam. Die eben." Gunnars Gattin Malin hat "immer gesagt, man lebt besser hier in Bergen. Zu viele Ausländer in Oslo. Zu viel Chaos." Polizist Alf höhnt über die Utøya-Jugendlichen, dass sie jetzt Spaß tanken, damit sie später, "wenn sie groß sind, den Negern fröhlich die Grenzen sperrangelweit aufreißen können."

Das ist so plump geschrieben, dass es nicht ansatzweise für den Fromm'schen autoritären Charakter taugt. Und dann biegt Erba die Paargeschichtchen auch noch in Richtung Happy End. Und Hailer biegt kräftig mit. "Utøya" erweist sich als schlechtes Fernsehfilmdrehbuch. Nichts fürs Theater. Das ja eigentlich deutlich mehr kann, als brandaktuelle Themen auf dem Szenen-einer-Ehe-Boulevard zu verplempern.

Utøya
von Edoardo Erba
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Peter Hailer, Bühne: Dirk Becker, Kostüme: Britta Leonhardt, Sounddesign: Matthias Mohr.
Mit: Janine Kreß, Matthias Kleinert, Helen Wendt, Thomas Birklein, Franziska Werner, Fabian Kulp.
Dauer: 1 Stunden 20 Minuten, keine Pause

staatstheater.de

 

Kritikenrundschau

"Das szenische Gefüge ist geschickt gestrickt, und Regisseur Peter Hailer legt es darauf an, dass die Szenen einander auch überlappen", gibt Michael Laages im Deutschlandfunk (24.8.2017) zu Protokoll. Erbas Stück lasse teilnehmen an einer Debatte darüber, wie fremd der Terror denn wirklich ist; "und ob nicht in jedem neuen Angriff durch einen radikalisierten Islamisten auch ein Echo heimisch-europäischen Selbstverständnisses mitschwingt", so Laages. "Die Oldenburger Inszenierung arbeitet schlüssig mit dem Raum von Dirk Becker: Spiel-Areal, Saal-Reihen und Türen ... das Ensemble ist ständig in Bewegung zwischen draußen und drinnen, als würden wir, das Publikum, gerade ins Theater kommen und auf Erkenntnis hoffen. Die aber gibt's nur beim Blick in den Spiegel."

Die "konzentrierte" Regie sorge für flüssige Übergänge zwischen den Szenen "und jongliert gut mit Emotionen", schreibt Reinhard Tschapke in der Nordwest-Zeitung (25.8.2017). Das Stück von Eduardo Erba sei "oft bedrückend und manchmal hart, aber nie langweilig. Es wird gewiss wirken und auf anderen Bühnen nachgespielt."

Kommentare  
Utoya, Oldenburg: Stück zu banal
Auch fast 48 Stunden nach der Premiere komme ich zu keinem anderen Ergebnis: Wirklich gute Schauspielerinnen und Schauspieler in einer guten Inszenierung einer ziemlich schlechten Textvorlage! Man sollte als Theater den Mut haben, das Angebot einer Deutschsprachigen Erstaufführung abzulehnen, wenn ein Text oder ein Stück zu banal ist - gerade bei einem so brisanten, wichtigen sowie ernsten Thema. Fehlende Italienischkentnisse bei mir lassen noch etwas Platz für die Option, dass die Übersetzung des Originals diesem Stück Kraft, Größe und Bedeutung genommen hat.
Kommentar schreiben