Fashion oder Fascho?

von Simone Kaempf

Berlin, 20. September 2017. Ein Polit-Populist verspricht mehr Jobs, plädiert für bessere Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und mehr Geld für die eigenen Streitkräfte. Seine Partei stellt ihn tatsächlich als Kandidat auf, erfolgreich. Triumphierend zieht er ins Weiße Haus ein und bringt es fertig, allen Versprechungen zum Trotz am Ende ein paar Banker und Industrielle noch reicher zu machen und den Rest der Gesellschaft noch ärmer. Würde man den Namen Buzz Windrip in Sinclair Lewis' Roman "It Can't Happen Here", also "Bei uns ist das nicht möglich", durch Donald Trump ersetzen, würde streckenweise gar nicht auffallen, dass die Geschichte eine Fiktion aus dem Jahr 1936 ist.

Der Faschismus ist das, was in Lewis' Aufstiegs-Roman als "nicht möglich" erscheint: das Abdriften Amerikas nach einer überraschenden Machtübernahme in ein autoritäres Regime. Angeführt von einem populistischen Charismatiker, der weiß, wie man das Volk verführt und verblendet. Bald scharrt er eine schwarz gekleidete Leibgarde um sich und erklärt Mexiko den Krieg. Dabei ist es nicht so, dass er keinen Gegenspieler hätte: Der liberale Intellektuelle und Journalist Doremus Jessup lehnt sich in seinen Leitartikeln gegen Windrip auf, hat aber in dem repressiven System keine Chance und wird schließlich interniert.

it cant happen here 5376 560 Arno Declair uRaubtier-like – Felix Goeser als Populist an der Rampe © Arno Declair

Auftritt: der Populist

Der Populist und der Intellektuelle, zwei Stimmen, zwei Pole einer Demokratie am Scheideweg. Um die Figuren Windrip und Jessup baut Christopher Rüping in den Kammerspielen des Deutschen Theaters seine Saisonauftakt-Inszenierung, die den Roman vor allem an jenen Stellen ausleuchtet, an denen zum Volk gesprochen wird. Oder genauer: ins Publikum als Adressaten. Rüping mischt diese verkappten Polit-Reden wirkungsvoll mit den Mitteln des Entertainment und der Volksfestkultur. Ein musikalischer Soundgeber verstärkt die Stimmungen: Matze Pröllochs untermalt quasi als weitere Hauptperson am Schlagzeug suggestiv bedrohliche Szenen. Sein Trommelwirbel steigert sich aggressiv, wenn Windrup im Bühnen-Nebel erstmals auftritt: eine Silhouette, halb Popstar, halb schwarzer Mann.

Felix Goeser spielt mit vollem Rampen-Einsatz einen exaltierten Zyniker, der selbstironisch und launig fragt: Ist das hier Fashion oder Fascho? Erklärt dann mit voller Überzeugungskraft sein Konzept eines starken, großen Landes. Nimmt in rhetorischen Kunstgriffen die Zweifel an ihm selbst vorweg, reißt immer wieder Witze, von deren Niveau aus der autoritäre Gestus richtig trifft. Oder er röhrt rockstarreif ins Mikro, um seine Programmparolen so hirnnarkotisierend wie wirkungsvoll an den Mann zu bringen, bis ihm das Publikum den Szenenapplaus gewährt.

Wie blass dagegen der Intellektuelle! "Wir müssen zusammen auf die Straße gehen", appelliert Camill Jammal brav ins Publikum. In ein biederes Amish-Kostüm gesteckt buhlt er um die Gunst des Publikums – fair ist das natürlich nicht, die Stimme der Vernunft bleibt von Anfang an farblos und ohne Chancen, aber sei's drum.

Erst Hotdogs, dann Notstand

So spielerisch der 1985 geborene Rüping, 2015 mit seinem Stuttgarter Fest zum Theatertreffen geladen und nun zum dritten Mal fürs DT inszenierend, seine Arbeit anlegt, so sehr will sie auch ins Drastische, zielt auf die Mechanismen des öffentlichen Sprechens. Deswegen richten sich die Spieler auch immer wieder ans Publikum. Oder sie laden dreißig Zuschauer auf die Bühne zu einer Hotdog-Party ein, um Windrips Wahlsieg zu feiern, der sich volksnah gibt und unter die Leute mischt. Wenn die Stimmung dann so richtig entspannt ist, tritt der Präsidenten-Chefberater ans Mikrofon, um wie aus dem Nichts den Notstand auszurufen und 126 Kongressabgeordnete zu verhaften.

So manche Szene drehen die Schauspieler ziemlich hemdsärmelig ins Komische. Der Musiker etwa bekommt eine Wehrmacht-artige Uniform verpasst, mit leichtem Tigerprint-Design und dem Satz "Jetzt sehen Sie endlich wie ein richtiger Mensch aus." Die komische Erspielung klammert aber den düsteren Ernst nie aus, nimmt ihn sich gerade zur Folie, um die Geschichte weiterzuerzählen – in Sprüngen, collagehaft, aber auch vielschichtig und weitergedacht. Der Präsident wird abgesetzt, seine Berater kommen nacheinander an die Macht wie in einer Bananenrepublik, einer schlimmer als der andere. Formal zerfleddert der Abend zum Ende hin – und doch geht einem unter die Haut, wie die Dynamik dieser unguten politischen Entwicklung sichtbar wird.

In Berlin harrt man dieser Tage auf den Neustart des Berliner Ensembles unter Oliver Reese und auf dessen erste Premieren. Rüpings "It Can't Happen Here" als Saison-Eröffnung am Deutschen Theater wirkte im Vorwege nicht wie die aufmerksamkeitsfesselnde Arbeit, auf die alle mit Erwartung schauen. Doch dem Roman gewinnen der Regisseur und die Schauspieler trotz aller Übersättigung mit täglichen Trump-News, vier Tage vor der Bundestagswahl, eine nichts verharmlosende Erzählung darüber ab, wie Politiker zum Volk sprechen. Und damit durchkommen.

 

It Can't Happen Here
nach dem Roman von Sinclair Lewis
Regie: Christopher Rüping, Bühne: Julian Marbach, Kostüme: Lene Schwind, Musik: Christoph Hart, Licht: Thomas Langguth, Dramaturgie: John von Düffel.
Mit: Camill Jammal, Wiebke Mollenhauer, Felix Goeser, Michael Goldberg, Benjamin Lillie, Oberst Haik, Matze Pröllochs.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

In einer Umdrehung der Roman-Perspektive gehe der Blick 'von der anderen Seite des großen Wassers' auf uns und unsere Demokratie. "Auf ihre Fragilität, auf die Verführbarkeit jedes Einzelnen", schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (21.9.2017). "Was muss denn noch passieren, dass wir aufstehen? Die Inszenierung meint das wörtlich, sie ist wie ein Faustschlag, und ob man ihm ausweicht oder sich von ihm treffen lässt, hat jeder für sich zu klären." Nur dem "flüchtigen Blick mag dieser Abend wie eine schale Satire vorkommen".

Dem flüchtigen Blick mag der Abend wie eine schale Satire vorkommen. – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/28452146 ©2017
Dem flüchtigen Blick mag der Abend wie eine schale Satire vorkommen. – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/28452146 ©2017

"Die Inszenierung am DT steht prototypisch für das Totalversagen der kulturellen Linken, die inmitten des bedrohlichsten Aufschwungs der Rechten seit Langem nichts Besseres zu tun hat, als sich selbst zu beweihräuchern", poltert Christian Baron vom Neuen Deutschland (22.9.2017). So platt funktioniere politisches Theater in Zeiten des Rechtsrucks: "Dem Betrieb fällt nichts anderes ein, als alle AfD-Sympathisanten automatisch zu brummdummen Nazis zu erklären, denen nur mit Hohn zu begegnen ist." Während der gesamten zweieinhalb Stunden benenne Rüpings Inszenierung das Publikum als Opfer. Es reiche Rüping, zwei Pappkameraden als Verführte auszustellen und ansonsten nur den irren Innenraum der Macht zu zeigen.

Simon Strauss schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.9.2017) von einer "vogelfreien Bearbeitung" die Sinclair Lewis’ Untergangsroman "unter dem Einfluss" von Rüpings "Übervater" Nicolas Stemann "rabiat auf die Jetztzeit" übertrage. Nach Rüping sei die "faschistische Wende" in "greifbare Nähe gerückt". Es handele sich bei dieser Inszenierung um eine "hirnlose Parabel-Poserei", um "vulgäre Theaterwerbung". Wenn "das Ganze nicht so bescheuert wäre, müsste man Ulrich Khuon, den gutmütigen Leiter des Hauses, fragen, ob er sich die als Spielzeitmotto beschworene 'Zukunft' wirklich so vorstellt".

Christopher Rüping inszeniere "It Can't Happen Here" als rattenfängerische Wahlkampfshow, in der ausgesucht dämliche Polit-Dilettanten mit Extrem-Parolen auch auf den hiesigen Rechtsruck zurückverweisen, findet Christine Wahl im Tagesspiegel (30.9.2017). "Für Mechanismen und Rhetorikzerlegung interessiert sich der Abend nicht. Sein ausdrückliches Programm ist die Oberfläche, die Farce, wie man sie zu diesem Sujet schon allzu häufig sah auf den Theaterbühnen."

Die Politiker würden im Laufe des Abends "mehr und mehr zu Kasperlefiguren", moniert Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (10.10.2017). Noch nicht mal als Satire tauge diese Überspitzung, so weit sei sie von jeglicher Realität entfernt. "Szenische Einfälle wie die bekannte Merkel-Raute oder der ach so sächselnde Wutbürger tragen auch nicht gerade zur Auseinandersetzung mit Inhalten bei. So bleibt der Abend über weite Strecken wie der Wahlkampf von Buzz Windrip: eine Wohlfühlveranstaltung, bei der die Politik draußen bleibt."

Kommentare  
It Can't Happen Here, Berlin: Kern kommt zu kurz
Dem mehr als 430 Seiten dicken, im Oktober 1935 erschienen Roman merkt man zwar an manchen Stellen an, dass er mit heißer Nadel gestrickt ist. Dennoch möchte ich eine eindeutige Leseempfehlung aussprechen: „It can´t happen here/Das ist bei uns nicht möglich“ ist ein wichtiges Buch über Liberale, die zunächst zögerlich-herablassend, dann nur noch ohnmächtig zuschauen, wie die Gewaltenteilung ausgehebelt, die Demokratie abgeschafft und die Gesellschaft gleichgeschaltet wird.

Für Christopher Rüpings Abend, den er in den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszenierte, gilt diese Empfehlung nur mit Einschränkung. Er hat eine etwas mehr als zweistündige Popversion eingerichtet, in der viel gesungen, noch mehr Schlagzeug gespielt wird (Matze Pröllochs) und fantasievolle Tiger-Kostüme getragen werden. Vor allem Camill Jammal (als Journalist Doremus Jessup), Wiebke Mollenhauer (in einer Doppelrolle als seine Tochter Sissy und deren hier Sächsisch sprechender Verlobter Julian, der in flachem Running-Gag zum Justin wird) und Benjamin Lillie (als Oberst Haik) ist anzumerken, wie viel Freude ihnen die Proben zu diesem Stück gemacht haben.

Der Abend ist durchaus unterhaltsam, aber der Kern des Romans, das Einknicken der liberalen Gesellschaft, kommt hier zu kurz. Aus dem Verlesen des 15-Punkte-Manifests von Wahlsieger Windrip wird ein musikalische Nummernrevue. Felix Goeser spielt den Volkstribun sehr blass und ohne den nötigen aasigen Charme. Die Gleichschaltung wird mit einem kurzen, aber durchaus erwähnenswerten Regieeinfall abgehakt: das Publikum wird mit Hot Dogs auf die Bühne gelockt. Das kleine Grüppchen, das der Einladung folgte, verschwindet anschließend hinter der Eisernen Wand. Als sie einzeln wieder auf ihren Platz dürfen, referiert Jessup (Jammal), welches angesehene Mitglied der Gesellschaft hier gerade liquidiert wird.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2017/09/20/it-cant-happen-here-christopher-ruepings-pop-version-eines-polit-romans/
It Can't Happen Here, Berlin: unglaublich gut
oder wir sagen es einfach mal so wie es war. nämlich unglaublich gut. ausbalanciert zwischen tragik und komik, unterhaltung und abgrund... politisches theater... fünf schauspieler und ein schlagzeuger auf der bühne, unterschiedlich verschieden, aber alle machen gemeinsame sache. einfach hingehen. ich hatte ein bisschen den glauben an eine gute berliner theatersaison nach dem BE-hype und VB-diss aufgegeben, it cant happen hat mir diesen glauben (vorläufig) zurückgegeben.
It Can't Happen Here, Berlin: Nero-Verschnitt
Rüping kommt mit der Politsatire als Shownummer um Längen besser zurecht als mit der warnenden Ebene des Romans. Jammals Jessup bleibt blass, blutleer, weil sein Regisseur mit dieser Figur nichts anzufangen weiß. Und so ist sein narratives und inszenatorisches Pulver verschossen, wenn die dystopische Geschichte eigentlich erst beginnt. Die Folge ist ein irritierendes (nicht im positiven Sinne) Potpourri aus nicht zusammen passenden Szenen, die jeglichen roten Faden vermissen lassen. So ist das nächste, was wir von Goeser sehen, ein panisch zappelnder Paranoiker, der schnell entsorgt wird. Kaum an der macht, verwandelt sich Goldbergs Sarason zum albernen Nero-Verschnitt, der ärgerlicherweise aussieht wie ein rassistisches Klischeebild eines afrikanischen Königs (eine erschreckend mangelnde Sensibilität, die sich kurz darauf in Jessups entwürdigend homophoben Ausfällen spiegelt, die Jammal vollkommen ungebrochen servieren darf). Auch er ist schnell weg, um am Ende Benjamin Lillies General Haik Platz zu machen, der in einer schmissigen Deutsch-Pop-Nummer seinen Zynismus mit effektheischender „Ehrlichkeit“ vermittelt und damit zu so manchem unreflektierten Lächeln im Publikum führt. Ja ja, so sind sie, die dummen Leute, die sich so manipulieren lassen. Man selbst ist natürlich keiner von denen.

Das erschütterndste an dieser Inszenierung ist nicht ihr Stoff – sondern die naive, oberflächliche, effektverliebte Herangehensweise, die mit dem, was sie hier zu beschreiben sucht, mehr gemein hat, als es dem Regisseur – und den Zuschauer*innen – lieb sein kann. Despotismus und Faschismus, auch und gerade in der Maske des „(Rechts-)Populismus“, werden der Lächerlichkeit preisgegeben, die Verführbarkeit der Massen dagegen so gut wie gar nicht vorgeführt. Rüping erfreut sich am Naheliegenden, einer lärmenden Satire über den Show-Charakter moderner Politik, treibt die Lachhaftigkeit des Trumpismus auf eine Spitze, die schaudern macht und ihre Gefährlichkeit trotz eingeschobener – und unfassbar öde abgespulter – KZ-Szenen schnell vergessen macht. Am Ende hat man sich amüsiert und ist eher noch mehr davon überzeugt, das könne hier nicht passieren. Die Verharmlosung dessen, wovon hier die Rede ist, als erschreckend zu bezeichnen, ist selbst eine Untertreibung. zu sehenden ist durchaus als Wenn das Deutsche Theater seine Spielzeit mit einer scharfen politischen Stellungsnahme eröffnen wollte, ist das mächtig schiefgegangen. Stattdessen hat die eigentlich überkommen glaubende Spaßgesellschaft ihr hässliches Haupt aus dem goldenen Sarg erhoben. Statt sie aufzureißen, schließt dieser Abend die Augen und geht sich selbst auf den Leim. Hauptsache, wir hatten Spaß und durften uns unserer eigenen Überlegenheit versichern. wer zuletzt lacht, interessiert da nicht.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/09/21/7344/
It Can't Happen Here, Berlin: hinreißend
Ich lese den Kommentar von Sascha Krieger und bin erstaunt: meiner Meinung nach haarscharf vorbei. In der Vorstellung vom 29.12. wurde gar nichts der Lächerlichkeit preisgegeben, und in der effektverliebten Herangehensweise liegt die Verführbarkeit. Spielfreudige, ungeheuer musikalische Schauspieler schaffen gerade in der ersten Hälfte eine unterhaltsame und kluge Show, die gerade zeigt, daß man den Populismus nicht unbedingt mit Rhetorik und guten Absichten stellen kann. Nehmt euch und uns doch nicht so schrecklich ernst, wir sind doch keine Faschisten, wir wollen doch nur, was alle hier im Grunde auch wollen, oder?
Man ist amüsiert und ein bisschen schämt man sich, weil es halt alles so gut funktioniert. Und natürlich ist ungefähr absehbar, was passieren wird, aber der Erzählbogen bleibt erhalten und endet im furiosen Schlussmonolog von Benjamin Lillie. Keiner erschießt den Diktator, zu viel Mühe...
Der für mich hinreißendste Theaterabend seit langem, großes Lob auch der Musik. Langanhaltender, frenetischer Applaus.
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