Alles außer Pathos

von Frauke Adrians

Berlin, 28. September 2017. "Schwimme, der schwimmen kann!", höhnt Franz Moor und weiß, in dieser Disziplin ist er allen über: Er trägt nämlich Neopren-Anzug. In dem flachen Wasserbecken, das die Bühne des Theaters RambaZamba bedeckt, ist das ein echter Vorteil. Überhaupt: In der "Räuber"-Inszenierung von Jacob Höhne, dem neuen RambaZamba-Intendanten, ist Franz in seinem Element. Auch wenn im Spielzeitheft anlässlich dieser Saisonauftakt-Premiere zeitaktuell korrekt vom Gegeneinander "der Irren, der Unvernünftigen" und "der pseudoliberalen, kapitalistischen Gesellschaft" die Rede ist: Im Grunde geht es hier um zwei Arten von Gewalt. Beim fischigen Franz im Becken ist sie kalt, zynisch, hochgeschlossen; bei seinem Bruder Karl und dessen Räuberbande brutal, maßlos, buchstäblich nackt.

Beide Varianten setzen die Mitglieder des integrativen RambaZamba-Ensembles grandios in Szene. So, wie Pascal Kunze die Kanaille Franz spielt, ist der ungeliebte kleine Bruder auf beklemmende Weise überzeugend: rührend linkisch und lügnerisch böse, besserwisserisch dozierend und übereifrig plappernd; ein Zerrissener mit einer Gestik, die zugleich fahrig und großspurig ist und nie zur Ruhe kommt. Wer diesen Theaterabend gesehen hat, dem wird es schwerfallen, sich Franz Moor jemals wieder anders vorzustellen.

Rauber RambaZamba 4 560 Sarien Viesser uUnter Bedrängnis: Amalia (Juliana Götze) bei Franz Moor (Pascal Kunze) © Sarien Visser

Ähnliches gilt für Amalia. Eine der unglaubwürdigsten und ödesten Frauengestalten, seit es Theater gibt, weckt in Juliana Götzes Darstellung endlich einmal Mitgefühl. Ihre Amalia ist stark und verloren zugleich – eine wirklich tragische Gestalt. Wie sich das Drama zwischen dieser Amalia und diesem Franz entfaltet, das allein wäre schon einen Theaterabend wert. Erst recht, wenn noch der eigenwillig besetzte Graf von Moor hinzutritt: Ein Schauspielerinnensextett macht aus seinem Part eine Art griechischen Chor, klagend und unheilverkündend und doch mit einer gehörigen Dosis Situationskomik ausgerüstet. Wer hätte gedacht, dass in dem vor sich hinsterbenden Alten so viel weibliche Energie steckt.

Brunnen in die Unterwelt

Dieser Chor bietet im Übrigen geballte Theaterprominenz: Almut Zilcher vom Deutschen Theater hat sich eingefunden. Antonia Bill, bis vor Kurzem eine der Protagonistinnen an Claus Peymanns Berliner Ensemble, ist ebenso dabei wie die große DEFA-Schauspielerin Blanche Kommerell; dazu Claudia Burckhardt, Johanna Peine und RambaZamba-Gründerin Gisela Höhne. Neu-Intendant Jacob Höhne setzt – wie schon seine Mutter Gisela – auf strahlkräftige Gäste, ohne dass sich diese in der Produktion dann in den Vordergrund spielen würden. Die Balance gelingt wunderbar. Für das Bühnenbild zeichnen sich Installationskünstler Thomas Bo Nilsson und Julian Eicke verantwortlich, die erst kürzlich Ödipus und Antigone von Ersan Mondtag am Gorki Theater ausstatteten.

Rauber RambaZamba 3 560 Sarien Viesser uGraf von Moor als Chor: mit Gisela Höhne, Blanche Kommerell, Almut Zilcher, Johanna Peine, Antonia Bill, Claudia Burkhard © Sarien Visser

Und was für ein Bühnenbild das ist! Das Wasserbecken, aus dem die vordere Hälfte eines überdimensionalen steigenden Rappen emporragt wie eine allzu große Brunnenfigur, bildet die Kulisse für das vorgeblich geordnete höfische Leben im Hause Moor. Eine Etage tiefer, mit vollem Blick auf die Hoden des schwarzen Hengstes, brodelt dampfig die orgiastische Unterwelt: das Reich der Räuber.

Was dort geschieht, erfährt das Publikum nur via Videoeinspielung. Es gibt eine oder zwei zu viele davon an diesem Abend, sie zeigen Nacktheit, animalische Szenen in Nahaufnahme oder im Ungefähren, nicht nur, wenn der zügellose Spiegelberg genüsslich vom Nonnenschänden erzählt. Was aber vor allem im Gedächtnis bleibt, sind Gesichter: der vor Wut brüllende Mund und die vor Entsetzen weitaufgerissenen Augen des Karl von Moor (Jonas Sippel), der erkennt, mit was für einer Bande er sich da verbrüdert hat; und die porzellanweiße Unschuldsmiene des Spiegelberg (Zora Schemm), der den Räubern mit demagogischer Gründlichkeit Mut! einhämmert und Tötet sie alle! meint.

Schiller neu hören

Die RambaZamba-Schauspieler haben es nicht leicht mit Schillers Text, sie eignen ihn sich anders an, als der Schulunterricht lehrt, teilen Sätze eigenwillig ein, wiederholen und lassen aus und zwingen das Publikum dazu, bei Schiller mal wieder genau hinzuhören. Dieses Ensemble kann alles außer Pathos – und das tut den "Räubern" ausgesprochen gut.

Die letzte Szene bringt endlich alle Darsteller live auf der Bühne und klingt anders, aber auch nicht hoffnungsvoller, aus als im Original. Neue Erkenntnisse zum Stück? Nicht unbedingt. Gutes Theater? Und wie.

 

Die Räuber
nach Friedrich Schiller
Regie: Jacob Höhne, Bühne: Thomas Bo Nilsson und Julian Eicke, Kostüm: Beatrix Brandler, Dramaturgie: Kristina Ohmen, Musik: Leo Solter, Video: Jacob Höhne und Sarien Visser.
Mit: Jonas Sippel (Karl Moor), Pascal Kunze (Franz Moor), Juliana Götze (Amalia von Edelreich), Zora Schemm (Spiegelberg) und in weiteren Rollen: Debrecina Arega, Christian Behrend, Dorothee Blum, Lioba Breitsprecher, Heiko Fechner, Sven Hakenes, Moritz Höhne, Hans-Harald Janke, Jan-Patrick Kern, Franziska Kleinert, Jennifer Lau, Dirk Nadler, Joachim Neumann, Sascha Perthel, Hieu Pham, Rita Seredßus, Aaron Smith, Sebastian Urbanski, Nele Winkler, Michael Wittsack, Gäste: Antonia Bill, Claudia Burckhardt, Gisela Höhne, Blanche Kommerell, Johanna Peine und Almut Zilcher (Chor: Graf von Moor).
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.rambazamba-theater.de

 

Kritikenrundschau

"So düster und so traurig wie 'Die Räuber', die Jacob Höhne am Theater RambaZamba in der Kulturbrauerei inszeniert hat, war bisher keine andere Premiere der noch jungen Spielzeit", schreibt Katrin Bettina Müller in der taz (2.10.2017). "Selten sah man die 'Räuber' so festgekeilt an jenem Ort außerhalb der Gesellschaft, an den sie am Anfang des Dramas durch pure Verleumdung geschoben werden." Zu Neu-Intendant Jacob Höhnes Plänen gehöre, sich ein größeres Publikum zu erschließen, sich mehr mit Stadttheatern zu vernetzen. Und wegzukommen von den Image, dass im Theater mit Behinderten das immer die netten, lustigen Kerle sind. "In seinen 'Räubern' setzt er das sehr programmatisch um."

Gunnar Decker berichtet im Neuen Deutschland (6.10.2017): "Jacob Höhnes Regie setzt eine gute Tradition des RambaZamba-Theaters mit seinen – geistig oder auch körperlich auf unterschiedlichste Weise – behinderten Schauspielern fort: Er macht kein Behindertentheater. Maßstäbe sind das Stück, der Text, die Kunst. Da sind sie sich hier alle einig; es gilt, die eigenen Handicaps in einen Vorzug verwandeln. Das ist mühsam, aber lohnt immer." Die Inszenierung zeige einen "Clash der Welten", schreibt der Kritiker. "Die rational optimierte Welt in Gestalt von Franz Moor, die eine besondere Art von Verrücktheit züchtet, trifft auf die irrationalen Elemente (das Leben, die Gefühle!), jene ewigen Störenfriede, die man weder kaufen, noch mit Gewalt zu etwas zwingen kann."

 

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