Der Soundtrack zur Sehnsucht

von Tim Slagman

28. September 2017. Amerika schwitzt unter dem Wellblechdach der temporär gezimmerten Hütten, um die herum David Marton seine Abenteurer kreisen lässt. Stein und Mörtel bilden als gigantische Wandbilder die allzu nahen Grenzen eines Bühnenraums, in dem sie nach Freiheit suchen, sich ihre Freiheit erzwingen wollen.

1950 schrieb Jack Kerouac seinen Roman, sieben Jahre später wurde der Text publiziert, der heute als eines der zentralen Dokumente der "Beat Generation" gilt: niedergeschlagen, erst vom Krieg, dann von der Heimat. Aber trotzdem voll im Rhythmus.

"Wohinnen gehest du, Amerika, des Nachts in deinem funkelnden Wagen?", fragt die Übersetzung von Thomas Lindquist, die Marton mit Christine Milz für die Inszenierung bearbeitet hat. Amerika einigermaßen fassungslos zu befragen, ist natürlich gerade sehr angesagt; es spricht für Milz und Marton, dass sie sich einer Antwort enthalten, wie sich ja auch Kerouac einer Antwort enthält und stattdessen Sal Paradise als sein Alter Ego aufbrechen lässt von New York nach Denver und nach San Francisco und bis Mexiko City, um die Mythen dieses Heimatlandes beim Wort zu nehmen und, falls das scheitern sollte, einfach seine eigenen dazu zu basteln. Eine Reise voller Ekstase und Entbehrung tritt er an, Weite will er erfahren, der Enge entfliehen.

OnTheRoad 2 560 DavidBaltzer uUnterwegs in München: Thomas Schmauser, Paul Brody, Hassan Akkouch, Jelena Kuljić, Julia Riedler, Michael Wilhelmi, Daniel Dorsch © David Baltzer

Doch vor dieser schillernden Ambivalenz der Vorlage, auch vor deren Mut zum Pathos, kapituliert Marton. Der Sturz aus dem Sternenhimmel, die Vertreibung aus dem Garten Eden, bekommt Fallhöhe ja nur dann, wenn die Ekstase zuvor erreicht, ausgekostet, durchschritten wurde.

Stattdessen erfragen sieben Darsteller diesen nächtlichen Weg Amerikas in einem schrillen, penetranten Babysprache-Didi-da-Stakkato als adressierten sie das Puppenkind in seinem Wagen, den sie gerade gemeinsam über die Bühne schieben. An anderer Stelle macht Jelena Kuljić aus dem Beatnik-Traum von San Francisco und den Köstlichkeiten von Fisherman‘s Wharf einen Rezitativ-Rap, leblos, abgehackt. In technisch virtuosen Variationen begleiten Daniel Dorsch am Keyboard, Michael Wilhelmi am Klavier und Paul Brody an der Trompete einige der flächigen Textpassagen, ihr Jazz entschleunigt sich manchmal bis in die leichten, synkopischen Dissonanzen der Neuen Musik hinein.

Das verwirrte Glück des Rausches

Der Soundtrack zur Sehnsucht, der Soundtrack gegen die Stasis, sicher. Nur die Lust, die Gier, der Wahnsinn tilgt sich so aus den wollüstigen, gierigen, irren Ideen, während sie ausgesprochen werden. Dann wieder stehen Musik und Text ganz für sich, ohne für sich für etwas stehen zu können. Lange herrscht eine Konfusion, die nicht verwechselt werden sollte mit einem Universum offener Möglichkeiten oder dem verwirrten Glück des Rausches.

Dafür gibt es immerhin, und nach und nach schält sich dieses Konzept immer deutlicher heraus: den Kater. In einer Geste, die Anfang und Ende der Inszenierung verbindet, reißt Thomas Schmauser in seiner letzten Premiere an den Kammerspielen immer wieder ruckartig ein Glas vom Tisch, dessen letzte Tropfen doch schon beim ersten Ruck verschüttet wurden: der Zwang zum Rausch. Die Redundanz. Die Lächerlichkeit. Julia Riedler, die sonst meist eine ironische Distanz zu dem Begehren und dem Leid hält, von dem sie spricht, wirft sich mit ganz unironisch schmerzverzerrtem Gesicht in eine gesungene Anklage, in der sie wohl Camille ist oder vielleicht doch Marylou oder eher alle die Frauen zusammen, die Sal und vor allem sein Begleiter, der von Sal angehimmelte Dean Moriarty, unterwegs probiert und benutzt haben.

OnTheRoad 1 560 DavidBaltzer uDas Manuskript vor der Zerstörung © David Baltzer

Dann wird eine lange Papierrolle – das erste Manuskript von Kerouac entstand auf einer solchen – kollektiv in Fetzen gerissen und unter die Klamotten gestopft wie Baumwolle, während die Windmaschine heult: Die Arbeit bei der Baumwollernte ist es schließlich, die Sal auf einer seiner Reisen so richtig fertig macht. Und dann gibt es ganz simple, berührende Augenblicke, in denen dieses Textflächen-Musiktheater beinahe klassisch erzählt, in denen vor allem Riedler und Schmauser die Posen aufgeben, die Weichheit ihrer Bewegungen zurückholen: Sal wartet auf den Bus, der ihn aus Hollywood fahren soll, und wieder einmal beginnt ein Streit.

Über den zweiten Teil des Abends legt sich so eine Finsternis, die mit der Lichtsetzung nichts zu tun hat. Als Dean, der heilige Mitreisende, verschwindet und den kranken, fiebernden Sal in Mexiko zurücklässt, ist der Roman noch nicht, wohl aber die Inszenierung zu Ende. Der Preis der Freiheit wurde gezahlt von den Menschenkonstrukten darin, aber die Welt hielt ihren Teil des Handels nicht ein.

 

On the Road
von Jack Kerouac
Textfassung von Christine Milz und David Marton nach der Übersetzung von Thomas Lindquist
Inszenierung: David Marton, Bühne: Amber Vandenhoeck, David Marton, Kostüme: Pola Kardum, Video: Kevin Barz, Licht: Henning Streck, Dramaturgie: Christine Milz, Christoph Gurk.
Mit: Daniel Dorsch, Hassan Akkouch, Jelena Kuljić, Julia Riedler, Michael Wilhelmi, Paul Brody, Thomas Schmauser.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.muenchner-kammerspiele.de

 

Kritikenrundschau

Martons Ansatz sei zwar konventionell, Sprechtheater im üblichen Sinne, aber dennoch keineswegs gediegen, schreibt Annette Walter in der taz (4.10.2017). Wort und Musik vermischen sich virtuos. Textpassagen aus dem Roman, die alle Darsteller rezitieren, wechseln sich mit raffiniert arrangierten Jazzsongs ab, es sei fast eine Art Musical. Was den Abend so besonders macht: "Man bekommt als ZuschauerIn ein Gefühl für den ruhelosen Geist von Kerouacs Helden. (...) Es ist ein Lebensgefühl, das sich dem Kapitalismus entziehen will und all dessen Werte radikal negiert." Der Konflikt des Anti-Helden werde erlebbar macht und lasse mitfühlen lässt, wie ihn seine Lebensgier und seine Furchtlosigkeit letztendlich aufreiben, aber ihm auch Momente vollkommenen Glücks schenken.

"Betont improvisatorisch und entschleunigt unterlaufen die sieben Schauspieler und Musiker alle Erwartungen von Roadmovie-Wildheit, Rausch- und Befreiungseuphorie. Was eine Enttäuschung und bisweilen sogar einschläfernd ist", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (30.9.2017). In erster Linie sei der Abend eine Art Jam-Session mit variantenreich schönem, teils nachtschwarz elegischen Jazz. "Die sehr musikalischen Performer teilen sich Textpassagen und zeigen, was ihnen beim Impro-Workshop alles dazu eingefallen ist."

"Eine Nostalgieshow aus den amerikanischen Fifties als allzu rasant abgenudeltes Turbo-Event", sah Hannes S. Macher vom Donaukurier (30.9.2017). "Jazz, Bebop, Blues – den Whiskey nicht zu vergessen – und intensives Bühnenspiel, eigentlich eine prima Kombination." Und doch sei dieses Crossover leider nur halb gelungen, da der Regisseur alles viel zu hektisch abschnurren lasse. "Zwischen Kerouacs atemlos präsentierten Impressionen hätte wenigstens die Musik Ruhepausen zur Kontemplation setzen müssen. Aber auch hier leider nur Tempo und Gehetze."

Eine "stimmige Installation aus Klang, Sprache, Bewegung", erlebte dagegen Michael Schleicher von der Oberbayerische Volkszeitung (30.9.2017). "Der Abend ist scheinbar lässig improvisiert, gern mal schnoddrig – und dennoch von den sieben Schauspielern und Musikern präzise und fein austariert." In einer Melange aus Suchen und Sehnsucht, Bewegung und Stagnation, Frust und Feigheit siedele Marton seine Inszenierung an, die nur an wenigen Stellen straffer hätte sein müssen.

Als 'Theatermusik ohne Theater', beschreibt Mathias Hejny in der Münchner Abendzeitung (29.9.2017) die Aufführung. Martons Inszenierung sei vor allem eine hübsche Klangwolke, die, abgesehen von Bebop-Elementen, unverbindlich bleibe. Ein Stück Literatur, das nicht zuletzt wegen seiner klaren und unmissverständlichen Sprache bedeutend geworden sei, gerinne auf der Bühne des Schauspielhauses zu von Bedeutung befreitem Gelaber.

"Überladene Szenen, in denen der eingeübte Improvisations-Duktus des Kollektivs nahezu klebrig wirkt, gibt es einige (...) dann wieder, wenn der Fokus auf Einzelnen liegt, stille Überraschungen", schreibt K. Erik Franzen in der Frankfurter Rundschau (4.10.2017). "Martons Inszenierung ist ästhetisch weniger gewagt als vorangegangene Arbeiten: Ist dem depressiven Blick auf die Freiheit der Suche ein Verlust von Leichtigkeit geschuldet?"

 

Kommentare  
On the road, München: durchschaubar
Och Menno. Wo war denn da Video? Was soll denn da Dramaturgie? Das können die Schauspieler und der Regisseur allein mit den Musikern. Atmosphärisch ja gut, aber wie sich das anbiedert an angeblich zeitgenössisches Theater. Wie leicht zu durchschauen und immer noch viel viel zu wenig an diesem Ort.
On the Road, München: Ohne Mut
Die Frage "Was soll denn da Dramaturgie?" gefällt mir. Das Stück hatte keine Dramaturgie. Ein Dramaturg eines so ambitionierten Theaters, das ja bei anhaltender Diskussion sein Profil schärfen muss, hätte auch einmal sagen können: "Mehr Mut!" oder "Mehr Hervorhebungen!" oder ähnlich. Aber nein. Oder prallte alles am Regisseur David Marton ab? Schon das Bühnenbild schien mir einfallslos, zu simpel, auch wenn gerade das gezeigt werden sollte.
On the Road, München: spannend
Sehr spannender Theaterabend!
Ab dem ersten Lied von Jelena Kuljic hat mich die Stimmung des Stücks gepackt und die Begeisterung hat, vielleicht mit 1-2 Durchhängern, bis zum Schluss angehalten. Der Dicht gewebte Teppich aus Klang, abwechslungsreich interpretiertem Text, ausdrucksstarken Szenen, parallelen Bühnenhandlungen, fand ich emotional und intellektuell sehr ansprechend.
On the Road, München: rasant
Einen Roman für die Theaterbühne zu inszenieren ist eine besondere Herausforderung. Allzu leicht wird die Story lediglich erzählt, statt szenisch dargestellt. Noch schwieriger dürfte es sein ein „Road-Movie“ mit den vielen wechselnden Orten und Stimmungen zu spielen. David Marton ist an den Kammerspielen mit seinem Ensemble ein guter Kompromiss gelungen. Die Truppe aus tollen Schauspielern und Musikern lässt die Suche nach einem Lebensentwurf jenseits des amerikanischen Traums in vielen kleinen Szenen glaubwürdig erleben. Das Auf und Ab einer solchen Reise durch Amerika in den 50ziger Jahren mit dem Auto, per Greyhound-Bus oder als Tramper, die verschiedenen Begegnungen mit Menschen, das Beziehungsgeflecht in der kleinen Reisegruppe - Liebe, Eifersucht, Hass, Verzweiflung, aber auch Hoffnung und Mitgefühl - alles findet Ausdruck in der rasanten Inszenierung. Dann auch wieder ganz vertraute Situationen. Selbst in dieser Aussteigergruppe löst die Geburt eines Kindes ganz normales „Glucken-Verhalten“ aus.
Einige Szenen werden mir besonders in Erinnerung bleiben: Der Wechsel vom turbulenten Treiben in einen Schwarz-Weiß-Modus, indem die Truppe im grellen Spotlight zusammensteht und wunderbar harmonisch wirkt. Die mühsame Arbeit auf den Baumwollfeldern - genial dargestellt mit Papierrolle und Windmaschine. Und natürlich der Jazz. Er drückt die Gefühle und Gedanken der Suchenden am besten aus, wobei auch „Heilserwartungen“ durch Anklänge von Barockmusik anklingen. Besonders toll - nimmt man dem Musiker die Trompete aus dem Mund, fängt er an über sein Leben zu erzählen.
Am Schluss wird alle Hoffnung eines besseren Lebens auf die exotische Fremde projeziert. Mexiko wird für den weißen Aussteiger das promised land.
Unterhaltsames und sehr spannendes Theater mit vielen Anregungen für lange Gespräche im Blauen Haus.
On the Road, München: Trompete
Ohmeingott, Mister Panter - ich hoffe doch nicht, dass man dem Trompeter - zu welchem Zweck immer - die Trompete AUS dem Mund nehmen muss!
On the Road, München: Ohhh
Ohhh weh, dieser wirklich wirklich schlechte Witz tut weh. (@Probespiel)
On the road, München: Maschinentakt
Viele sind erst gar nicht gekommen; einige, nicht sofort, aber später, gleich wieder gegangen; am Ende alle. Ein mausgrauer Hinterhof, stockiges Mauerwerk, Wellblechbaracke, gestampfter Lehmboden: Kein Broadway-Amerika. Denen, die geblieben sind - sie hocken, als warteten sie darauf, abgeholt, mitgenommen zu werden von dieser Inszenierung, um irgendwo, in irgendeiner Unterhaltung anzukommen - zeigt sich kein Geschehen auf der Bühne: Man könnte jegliches Agieren dort oben beliebig umschichten wie die Phrasen des Jazz, ohne dass es einer merkt.
Aber wer unterwegs ist, dem ist einerlei, woher er kommt, wohin er geht.
Bloß nicht innehalten, im Treiben bleiben, in der Erwartung, der Hoffnung. Es ist derselbe Maschinentakt, der sich als Freiheit tarnt. Merkt auch keiner.
So ist der Höhepunkt bereits nach einer Stunde erklommen in dieser fulminanten, ja brachialen und nur scheinbaren Kakophonie, die alles verspricht und nichts mehr hält.
Und nun fiebert man mit und wünscht, die dort oben mögen bitte durchhalten: Kaltes Licht wirft nun triste Schatten, Wind zerfetzt letzte Worte, der Apfelkuchen, vom Helden die ganze Zeit über nicht angerührt, schmettert zu Boden, egal, Schlussgesang und bravouröser Applaus.
Kurzes Unterwegssein - hier gibt es U-Bahn - schon daheim.
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