Dem Volk aufs Maul geschaut

von Andreas Thamm

Hof, 7. Oktober 2017. Als die Zuschauer den Saal betreten, sind die Schauspieler schon ins Gespräch vertieft, Kaffeetassen in den Händen. Wobei "Gespräch" nicht ganz richtig ist. Wer ihren Aussagen über Politik und Gesellschaft und Gott-und-die-Welt zuhört, vernimmt eifriges Phrasendreschen, grundiert im Hier, nicht im revolutionären Frankreich damals.

Regisseur Malte C. Lachmann und das Hofer Ensemble haben im Sommer 2017 Feldforschung betrieben. Auf den Straßen der oberfränkischen Kleinstadt befragten sie das Hofer Volk zu den großen Themen. Fragen wie "Ist Töten für die eigenen Ideale gerechtfertigt?" oder "Wofür würdest du sterben?" Die Ergebnisse der Befragung hat Lachmann in Büchners "Dantons Tod" integriert. Wobei "integriert" auch nicht ganz richtig ist: Die Kaffeetassen-Variationen unterbrechen und strukturieren das Stück. Und dehnen es auf über zweieinhalb Stunden Länge.

DantonsTod 3 560 H Dietz Fotografie xDer Einzelne im Windschatten der Pixel-Masse: Volker Ringe (Robespierre) und Ensemble
© H. Dietz Fotografie

Büchner schrieb "Dantons Tod" gute 40 Jahre nach der Französischen Revolution. Der Text lebt von pathosbebenden Monologen, für die teilweise Originalreden der Revolutionäre verwendete wurden. Lachmann gibt dem Publikum die historischen Figuren, angezeigt durch schwarzweißes Kostüm über hautfarbener Einheitskleidung. Den schwarzweiß gestreiften Jakobinern um Robespierre stehen die ebenfalls schwarzweißgesteiften Anhänger Dantons gegenüber. Als dritte Instanz: Das Volk, anonymisiert mittels Masken, Gesichter wie vom Computer verpixelt.

"Das Nichts ist bald mein Asyl"

Revolutionäre sind sie beide, Danton und Robespierre, maßgeblich verantwortlich für den Terreur. Nur dass ersterer das Morden des zweiten nun nicht mehr erträgt. Hochverrat, findet Robespierre, und fordert Dantons Kopf. Die schwarz auf weiß beschriebenen Tafeln, die das Bühnenbild bestimmen, verwandeln sich zum Ende in Guillotinen, die Instrumente des Henkers. Danton stöhnt: "Das Nichts ist bald mein Asyl. Das Leben ist mir zur Last."

Es ist ein großer Genuss, zu sehen, wie sich die beiden grundverschiedenen Persönlichkeiten der historischen Figuren im Schauspiel ausdrücken. Einerseits der Kopfmensch und "Blutmessias" Robespierre, Volker Ringe. Kaum, dass er sich einen Ausbruch gönnen würde, starr in der Körpersprache, geschlossene Beine und innerlich dennoch bedrohlich lodernd. Die Revolution ist noch nicht vorbei. "Die Tugend muss durch den Schrecken herrschen."

Auf der anderen Seite der Hedonist Danton: "Es gibt nur Genussmenschen, grobe und feine." Dominique Bals' laut-leises, sprunghaftes, unberechenbares, dynamisches Spiel illustriert die innere Zerfressenheit zwischen dem Traum von einer besseren Gesellschaft und überbordender Müdigkeit. Danton mag nicht mehr und fühlt sich genötigt, immer wieder zu betonen, nein, er sei nicht erschöpft. Der Angeklagte muss die Widerstände seines Selbst aushalten, Todesssehnsucht und Empörung. Und mit ihm, die ebenfalls eingekerkerten Camille und Lacroix, denen Verzweiflung und Wut zusetzen wie Gift.

DantonsTod 1 560 H Dietz Fotografie xDie blutigen Redner der "Terreur": Volker Ringe (Robespierre) und Oliver Hildebrandt (St. Just) mit Marina Schmitz (Julie) © H. Dietz Fotografie

Und wenn Danton sich den Hals wund schreit, und wenn es um das Schreien an sich geht, im Angesicht der nahenden Vollstreckung des Todesurteils, wird all die Vergeblichkeit dieses Widerstands greifbar. Auf der so streng und kalt schwarzweißen Bühne leuchtet jedes Wort umso greller blutig rot. Gerade in der inszenatorischen Verfremdung wird der Irrsinn des Geschehens deutlich und Zuschauer entlassen mit der so banalen wie drängenden Frage: Was war da bitte eigentlich los? "Ihr wollt Brot", ruft Danton dem Volk von der schwarzen Empore zu, "und sie werfen euch Köpfe hin."

Guillotinen-Gesellschaft versus Ellenbogen-Gesellschaft

Und was heißt das für uns heute? Dieser Forschungsfrage will Lachmann gerecht werden, ohne das Stück an sich mit Modernismen zu markieren. Deswegen die Interview-Antworten, die das Drama nicht direkt kommentieren, aber einen von dessen Sujets angeregten Kontext liefern. Was dadurch entsteht, ist eine weitere Ebene der Kontrastierung: Einerseits die aufgeladene, strotzende Sprache der Franzosen, andererseits das Straßen-Blabla der Hofer, das jedem so ungemütlich bekannt vorkommen muss: "Politiker sind ja auch nur Menschen...", "Wir leben in einer reinen Ellenbogengesellschaft." Und so weiter.

Vielleicht hätte man hier mehr kristallisieren müssen, mehr Redundanzen, die alles so verschwommen machen, beseitigen sollen. Damit weniger der Eindruck der Erhebung eines Volksmeinung einsteht und die sprachliche und gedanklichen Perlen der Sammlung deutlicher werden: "Du kannst immer sagen, wenn du stirbst, das war für meine Ideale. Und trotzdem bist du hin." So ist das.

 

Dantons Tod
von Georg Büchner
Regie: Malte C. Lachmann, Bühne und Kostüme: Ursula Gaisböck, Dramaturgie: Thomas Schindler, Lothar Krause.
Mit: Dominique Bals, Jörg Bregenzer, Volker Ringe, Oliver Hildebrandt, Ralf Hocke, Peter Kampschulte, Marco Stickel, Marina Schmitz, Kathrin Horodynski, Peggy Bachmann.
Dauer: 2 Stunden 35 Minuten

www.theater-hof.de

 

Kommentare  
Dantons Tod, Hof: eine Schippe zu viel
War in der Premiere und muss sagen, dass ich der Idee mit den eingebauten Stimmen der Hofer Bevölkerung etwas zwiespältig gegenüber stehe. An sich super interessant und spannend was die Bevölkerung über Moral und die Gesellschaft denkt, allerdings wäre diese Art der Feldforschung bei einem anderen Stück besser aufgehoben. Das hatte so einen reflektierenden Charakter, da aber Danton aus so wahnsinnig vielen Monologen besteht, die eh schon von Natur aus reflektierend sind, war das mir persönlich eine Schippe zu viel. Trotzdem halte ich Malte Lachmann für sehr talentiert und schätze die Qualität die dieses vermeintlich kleine Haus besitzt sehr und hoffe auf erneute Inszenierungen von Herrn Lachmann in Hof
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