Der kuratorische Akt

von Theresa Luise Gindlstrasser

11. Oktober 2017. Kuratieren? Lateinisch "curare" heißt "sich sorgen um". Der Berliner Theaterstreit ist umfassender als die Frage: Chris Dercon – ja, nein, vielleicht, ein bisschen. Und doch entzündet er sich am Begriff des "Kurators", des Sich-Sorgenden. Aber was tun denn die Menschen, wenn sie kuratieren? Ist's sorglose Selbstbedienung am künstlerischen Potential, mutwillige Prekarisierung von Arbeitsstrukturen, Negieren von Macht- und Repräsentations-Fragen zu einem blinden Fleck und ein unkritisches Verhältnis zur Globalisierung und also Hegemonialisierung von Theater – oder doch dieses Sich-sorgen-um?

Cover EmptyStagesPerforming Urgency

Das "Kuratieren", also die Art und Weise des "Sorgens", ist seit den 90ern bereits einem umfangreichen Prozess der Selbstreflexivität ausgesetzt. Weniger werkorientiert, erfährt hier das Prozesshafte eine Aufwertung, wird das Ausstellen zur Ausstellung ohne Ausgestelltem. Diesen performativen Turn des Kuratierens versucht der vierte und letzte Band der von Florian Malzacher herausgegebenen Reihe "Performing Urgency" für die szenischen Künste nachzuvollziehen. Titel: "Empty Stages, Crowded Flats. Performativity as Curatorial Strategy".

Seit 2015 wurde vom europäischen Netzwerk "House on Fire" halbjährlich ein englischsprachiger Titel publiziert. Die zehn am Netzwerk beteiligten Häuser bzw. Festivals haben seit 2012 mit EU-Mitteln die Produktion und Präsentation von "politically engaged theatre" unterstützt. Neben den knapp 90 künstlerischen Projekten wurden außerdem diskursive Formate realisiert und, eben, vier schicke Bücher publiziert.

Herangehensweisen

Weil sich "House on Fire" einer Befeuerung der Beziehung von Kunst und Politik verschrieben hat, startete der erste Titel "Performing Urgency #1. Not just a Mirror. Looking for the Political Theatre of Today" mit einer Bestandsaufnahme. Was hier an Herangehensweise etabliert wurde, blieb über die Bände hinweg beibehalten. Interviews, theoretische Texte und Projektbeschreibungen von Künstler*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Kurator*innen und Dramaturg*innen (die unterschiedlich distanzierte oder involvierte Rollen gegenüber den jeweiligen Projekten einnehmen) umkreisen das jeweiligen Thema. Immer ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Ausgehend von der These, dass die zeitgenössische Krise der Repräsentation im Feld der Demokratie in einem, jedoch nie näher erläuterten, Verhältnis zur andauernden Krise der Repräsentations-Maschine par excellence, dem Theater, stünde, konzentriert sich die Reihe "Performing Urgency" auf das Potential von Theater als einem politischen Raum. Europäische Theaterprojekte als Antwort auf globale Probleme. Raum, relationale Ästhetik und Partizipation, das sind demnach die Schlagworte. Folgerichtig liegt im zweiten Teil ein Schwerpunkt auf dem Begriff der Institution, im dritten folgt das Publikum.

Auswahl als performativer Akt

Der vierte und die Reihe abschließende Band wendet die erörterten "Techniken der Teilhabe" nun auf Verfahrensweisen von Institutionen an, im Fachsimpelei-Sprech: "performative curating". Harald Szeemann, der Über-Kurator, verglich seine Arbeit einst mit der eines Intendanten. "Performativity as Curatorial Strategy" versucht den Umkehrschluss: Dass die Programmierung von Häusern durch Kurator*innen mehr oder anders geartet sein kann, weil die bloße Auswahl von verschiedenen Produktionen selbst einen performativen Akt darstellt. Es geht folglich um "choreographierte Ausstellungen, immaterielle Museen, Theater des Verhandelns und diskursive Marathons". Von Christine Peters, Forced Entertainment, deufert&plischke, Matthias Lilienthal, Boris Charmatz, Joanna Warsza (Mitherausgeberin der #4) und vielen anderen.

Ausgelagertes Kurtieren

20 "Case Studies" sind es insgesamt. Angefangen mit der Ausstellung "Anti-Illusion: Procedures/Materials" von 1969 (mit einem Text von Beatrice von Bismarck), über einen Sprung in die frühen 2000er und einem Ausflug zu Malzachers gemeinsam mit Anne Faucheret, Veronica Kaup-Hasler und Kira Kirsch kuratiertem Marathon-Diskussions-Format "Truth Is Concrete" beim Steirischen Herbst 2012 (mit einem Text von Maayan Sheleff) bis zu "Make It Work – Le Théâtre des Négociations", einem "Pre-Enactment" der UN-Klimakonferenz 2015. Kurze Zusammenfassungen am Ende jedes Berichts bemühen sich um Einordnung ins übergeordnete Thema.

Über das Festival "Return to Sender" schreibt die Kuratorin, Dramaturgin und Dokumentarfilme-Macherin Nedjma Hadj Benchelabi: "It allowed a temporary space for a new narrative." Gefördert durch "House on Fire", bespielte "Return to Sender" im März 2015 fast zwei Wochen lang das HAU in Berlin. Das "Performative" am kuratorischen Prozess bestand in der Auslagerung der kuratorischen Autorität an sechs ausgewählte Künstler*innen aus Afrika.

Bouchra Ouizguen, Faustin Linyekula, Boyzie Cekwana, Adham Hafez, Panaibra Canda und Adissu Demissie präsentierten eigene Arbeiten und programmierten jeweils eine*n Künstler*in aus ihrem jeweiligen Herkunftsland. Dergestalt sollte der koloniale Blick auf Afrika ausgeschalten und eine postkoloniale Relektüre der Berliner Konferenz ermöglicht werden: 1884 zerteilten europäische Mächte den afrikanischen Kontinent nach kolonialen Gelüsten. Den hierarchischen Blick von außen verabschiedete das Festival in seiner Konzeption: Return to sender!

Kunst als Relation

"Performativ" und "Kuratieren", das sind gleich zwei inflationär gebrauchte und derzeit aggressiv diskutierte Begriffe. Im Kontext der Reihe "Performing Urgency" steht "Kurator*in" jedenfalls nicht als Schimpfwort. Vielmehr als Chiffre für das Selbstreflexiv-Werden der Institutionen und die Realisation von Kunst als Relation zwischen Publikum und Künstler*innen, Institution und Projekt, Gesellschaft und Kunst. Zwei den Projektbeschreibungen vorangestellte Essays von Shannon Jackson und Mit-Herausgeber Florian Malzacher präsentieren einen unverkrampften Umgang mit dem Begriff des Performativen und seinen beiden Rezeptionssträngen, dem sprachphilosophischen und dem alltagssprachlichen. "Performative Curating", das wäre demnach: "adapting 'theatre-like' strategies and techniques to enable 'reality-making' situations".

Da klingt die Frage nach der Wirksamkeit von "politically engaged theatre" oder Kunst im allgemeinen an. Ist doch auch schon im Titel die Rede von "strategy". Ob eine Auflistung von ausgewählten Beispielen eine Strategie ergibt, das mag bezweifelt werden. Dass aber die Auswahl sich selbst einem kuratorischen Akt verdankt, das macht den Band zu einer "reality-making situation". Wobei das, was "politically engaged theatre" genannt wird, sich immer auch von einem spezifischen Demokratieverständnis her ergibt. Teilhabe ist das Schlagwort, nicht Repräsentation.       

Empty Stages, Crowded Flats. Performativity as Curatorial Strategy
Performing Urgency #4
Hrsg.: Florian Malzacher, Joanna Warsza
Alexander Verlag 2017, 176 Seiten, 14,90 Euro

 

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