Der einzige Unterschied

von Sabine Leucht

München, 12. Oktober 2017. In der Bildenden Kunst heißt es Appropriation Art; im Tanz ist die möglichst exakte Rekonstruktion ein Mittel zur Bewahrung des kulturellen Erbes und hat ihren Grund darin, dass das Original nicht mehr greifbar ist. Bei Anna-Sophie Mahlers Musiktheaterinszenierung nach Josef ("Sepp") Bierbichlers autobiografisch gefärbtem Roman "Mittelreich" ist das anders. Sie ist noch immer an den Münchner Kammerspielen zu sehen, wo Mahlers einstige Regieassistentin Anta Helena Recke nun eine Kopie davon hergestellt hat: genau bis ins Detail jedes scheinbar zufälligen Schnaufers oder Seitenblicks! Zur Ursprungsinszenierung gibt nur einen einzigen Unterschied: Alle Schauspieler, alle Musiker – ja überhaupt alle Beteiligten an der "neuen" Produktion sind schwarz.

Es geht um den weißen Blick

Erinnerungen an drei Generationen einer bayerischen Wirtshausfamilie, zwei Weltkriege und die dazugehörigen Flüchtlingswellen werden musikalisch getriggert; außerdem handelt die Geschichte von einer Handvoll ins eigene Leid verkapselten Seelen. Die Hautfarbe der Darsteller erfüllt hier keine authentische Repräsentationsaufgabe und soll auch nicht egal sein. Sie will irritieren, die Inszenierung will Geste sein. Denn Recke, selbst Afrodeutsche, hat bei ihrer Arbeit in den letzten Jahren immer nur Weiße auf der Bühne gesehen und will nun das Selbstverständnis der weißen Mehrheitsgesellschaft erschüttern, die sich für die Norm hält und "ihre" Themen für universal. Der Umkehrschluss: Schwarz ist die Abweichung und also defizitär.

mittelreich2017 3 560 c judith buss uv.l.n.r.: Isabelle Redfern, Ernest Allan Hausmann, Yosemeh Adjei, Jerry Hoffmann, Moses Leo
© Judith Buss

In einem aktuellen Beitrag in der Zeitschrift Theater heute schreibt die Münchnerin gar vom "Unvermögen der weißen Imagination, sich einen schwarzen Körper jenseits von Prekariat, Armut, Not, Exotik oder Flucht vorzustellen". Die längst nicht mehr zum Spiegel der Gesellschaft taugende relative Homogenität der meisten deutschen Stadt- und Staatstheaterensembles ist bekannt.

Doch schon im Ballett oder in der Oper sieht es ganz anders aus, ohne dass jemand automatisch Elend assoziiert. Und allein in München wird nur wenige Tage nach der Zweit- und zugleich letzten Vorstellung von "Mittelreich" 2 das Spielart-Festival wieder mit so vielen Hautfarben wie Vorstößen zur aktiven Gestaltung ästhetisch-politischer Realität aufwarten. Reckes in diversen Vorabinterviews geäußerten Sätze über die Hoffnung, die im Stück verhandelten Themen würden automatisch neue Assoziationsräume öffnen, wenn sie nur "durch schwarze Körper hindurchgingen", mutet vor diesem Hintergrund ein wenig naiv an. Wenn nicht gar alarmierend: schon klar, dass ihre Arbeit den weißen Blick thematisiert. Aber wie sehr hat sie ihn bereits selbst internalisiert und äußere Merkmale mit externen Zuschreibungen zu unauflöslichen Bündeln verschnürt?

Verfremdungseffekt wird neutralisiert

Macht man also irgendetwas falsch, wenn man in "Mittelreich" keine "schwarzen Körper", sondern einfach Menschen sieht? Man spürt sie zwar, die Stellen, an denen man zusammenzucken sollte. Gleich beim Brahms-Requiem zu Beginn ("Selig sind, die da Leid tragen..."), wenn Isabelle Redfern als Seewirts-Mutter sagt: "Das sind doch ganz andere Leute, diese Flüchtlinge. Die passen doch nicht hierher!" – oder als Semi, der jüngste Familienspross, sich zum Sauschlachten mit Kalk bestäubt oder bei der Schilderung des Missbrauchs durch einen Priester dessen "fettes weißes Fleisch" benennt (wie es beides auch Steven Scharf im Original schon tat). Selbst wenn man da wirklich einmal zusammenzuckt, öffnet sich auf Dauer keine "andere Ebene darunter" zu Sklaverei, Kolonisation und rassistischen Gräueltaten. Bierbichlers Geschichte, gespickt mit Vergewaltigungen, verzweifelter Liebe zur Mutter, väterlicher Verantwortungsdesertion und einer ganzen Kindergruppe im Gas hat ja an sich schon sehr viele Untiefen. Und ist – auch weil Mahler schon viel Bayerisch-Saftiges dem suggestiv Artifiziellen geopfert hat – auch universell genug, um den beabsichtigten Verfremdungseffekt zu neutralisieren.

Als Kopie ist der Abend teils verblüffend gut: Moses Leo sieht man mit Steven Scharfs Handbewegungen den Sturm beschwören und (genau auf dieselbe Weise wie er) den Kopf neigen. Victor Asamoah trifft haargenau den Ton und das Idiom, das Jochen Noch dem Ostpreußenflüchtling Victor gegeben hat. Und Yosemeh Adjei imitiert die spöttisch-divenhafte Haltung wie den starken Akzent des Australiers Damian Rebgetz. Das musikalische Können ist in dieser "Schwarzkopie" (Recke) heterogener als im Original – Adjei und Redfern sind ausgebildete Sänger – das schauspielerische kann insgesamt nicht ganz mithalten. Es ist aber auch schwierig, sich zu zeigen, wenn die einzige Aufgabe in der Piraterie der schöpferischen Leistung eines anderen besteht. Der Atmosphäre des Abends ist abträglich, dass der Chorgesang aus dem Off kommt und auf der Bühne nur Chor-Statisten stehen, weil es offenbar keinen rein schwarzen Chor in Deutschland gibt, der sich mit dem europäischen Kunstlied befasst. Dafür war das Publikum divers wie selten.

Mittelreich
nach dem gleichnamigen Roman von Josef Bierbichler
Kopie der Inszenierung von Anna-Sophie Mahler
Regie: Anta Helena Recke nach Anna-Sophie Maler, Bühne: Duri Bischoff, Kostüme: Pascale Martin, Musikalische Leitung "Mittelreich" 1: Bendix Dethleffsen, "Mittelreich" 2: Prisca Mbawala-Dernbach, Dramaturgie "Mittelreich" 1: Johanna Höhmann, "Mittelreich" 2: Julian Warner.
Mit: Ernest Allan Hausmann, Isabelle Redfern, Jerry Hoffmann, Moses Leo, Victor Asamoah, Yosemeh Adjei; am Flügel: Miriel Cutino Torres, Romy Camerun, Pauke: Jan Burkamp, Choraufnahme: Junges Vokalensemble München, Chorleitung: Julia Selina Blank.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.muenchner-kammerspiele.de

 

Mehr zu Anta Helena Recke und ihrem Prinzip SchwarzkopiePresseschau vom 13. Oktober 2017 – Der Freitag interviewt die Münchner Regisseurin Anta Helena Recke zu ihrem Remake von Anna-Sophie Mahlers "Mittelreich" an den Kammerspielen

 

Kritikenrundschau

"Für das Bühnengeschehen völlig irrelevant" sei die Hautfarbe der Darsteller*innen, schreibt Eva-Elisabeth Fischer in der Süddeutschen Zeitung (14.10.2017). "Denn eine ähnliche Familiensaga um Schuld, Verdrängung, Missbrauch, Flüchtlingsproblematik und Erbstreitigkeiten wäre (…) wohl überall vorstellbar." Vor allem aber kranke Reckes Re-Inszenierung an den Akteuren, "weshalb sich eigentlich jede weitere Diskussion erübrigt", so Fischer: "Auf der ganzen Linie schlechtes Laientheater zu inszenieren, das nun aber ist wirklich diskriminierend."

"Man kann einen modernen farbigen Film mittels Fernbedienung in einen schwarz-weissen verwandeln; dass man dadurch auch die Zeit und die Atmosphäre des Films und um einen selber herum ändert, bleibt eine Illusion", schreibt Bernd Noack in der Neuen Zürcher Zeitung (14.10.2017). "Wenn man nun im Theater aus Weiss Schwarz macht, erzielt man einen ähnlichen Effekt: die Umkehrung der Wirklichkeit – ohne wirkliche Wirkung." Das zweite "Mittelreich" bleibe eine gedanklich überanstrengte Spielerei mit nicht einleuchtendem Rollentausch, "deren kulturpolitischer Anspruch und Protest als aufgepfropft engagierte Behauptung über der bekannten Szene schwebt und tatsächlich zum eher zweifelhaften Vergleich zwischen der weissen und schwarzen Truppe herausfordert", so Noack: "Wäre da nicht dieses Ensemble, das völlig abgesehen von der Hautfarbe ein hervorragendes ist. Dessen Leistung wurde ärgerlich verschenkt!"

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.10.2017) fragt Teresa Grenzmann:  Wer eigentlich genau am Ende dieses "kuriosen Theaterabends" so "lautstark gefeiert" worden sei: Der Autor Bierbichler, die Regisseurin Mahler oder die "Theatermacherin" Anta Helena Recke für ihr "legales 'Appropriation'-Plagiat"? In München werde eine "vollkommen überflüssige Disziplin" zelebriert: "die Schauspielkunst der minutiösen Imitation einer Momentaufnahme". Die "erklärte Radikalität", mit der Recke "durch die (beinahe) detailgetreue Übernahme fertiger Inszenierungen unter Auswechslung aller 'weißen' Darsteller und Musiker" auf Rassismus und fehlende Integration aufmerksam machen wolle, rücke dabei in den Hintergrund. Weil ein Publikum gar nicht so "selbstreflexiv" sein könne, dass es sich selbst dabei zuschaue, wie "Schauspieler Y die Rolle des Z interpretiert, indem er Schauspieler X imitiert, während dieser die Rolle des Z interpretiert".

Auf Spiegel online (24.10.2017) kritisiert Matthias Dell, dass die Kritiker den Abend gar nicht verstanden haben, "nicht verstehen wollten, nicht verstehen konnten." Denn die Kritiken haben "ihr eigenes Unverständnis umgehend Reckes Inszenierung in Rechnung gestellt. Etwa: dass die Menschen auf der Bühne 'so schwarz' ja gar nicht seien". Ein anderer Lapsus "war die automatische Assoziation, dass schwarze Schauspieler auf der Bühne nur als 'Flüchtlinge' gedacht werden können, dass da also 'Fremde' einen 'deutschen', 'bayrischen' Stoff darbieten." Dass die in München zur Welt gekommene und aufgewachsene Regisseurin mit dieser bayerischen "Seewirt"-Welt aus Bierbichlers Roman vertraut ist, verschwinde völlig in der Blindheit, mit der die Kritik nur auf Reckes Hautfarbe starre. "Schwarz allein reicht nicht", hieß es in einer Kritik, Und Dell fragt: "Wie kann man so einen Unsinn schreiben und dann auch noch davon ausgehen, man wüsste irgendwas über Rassismus?" Weiter heißt es: "Es ist eine spannende Frage, was in den Rezensionen gestanden hätte, wären die Redaktionen auf die Idee gekommen, Kunstkritikerinnen in Reckes avanciertes Projekt zu schicken. Die hätten vermutlich nicht wie der Ochs vorm Scheunentor gestanden, weil Konzeptkunst in ihrem Fach eine Geschichte hat, weil Reckes Idee in der Linie von Arbeiten der 'Appropriation Art' steht, von Elaine Sturtevant oder Sherrie Levine."

 

 

 

 

Kommentare  
Mittelreich, München: des Kaisers neue Kleider
Und wo genau liegt jetzt der Mehrwert oder der Erkenntnisgewinn? Außer dass wieder einmal die gesamte Theaterblase auf diesen Witz hereinfällt, Lilienthal sich ins Fäustchen lacht, dass die Presse wieder in Scharen berichtet - und es doch nichts anderes ist als eine Umbesetzung, die außer hohlen Sprüchen nicht viel mehr zu bieten hat. Gab es gestern für Nachtkritik nichts Spannenderes zu entdecken? (Und wartet nur ab, nächstes Jahr wird die gleiche Inszenierung bei Dercon mit Geflüchteten gezeigt - wiederum als "Premiere" natürlich!)
Mittelreich, München: berufliche Benachteiligung
Ja, und um zu ihrem Präsenzrecht auch auf deutschen Bühnen zu kommen, müssen Schwarze Weiße komplett kopieren?
Und eine "schwarze" Regie-Assistentin muss das Werk ihrer einstigen Chefin komplett correct kopieren, um selbst Chefin über eine Inszenierung sein zu können???
Und das fand Matthias Lilienthal eine gute Idee?
Oder Herr von Blomberg? - Dann wäre doch die bessere dramaturgische Idee gewesen, beide Inszenierungen simultan nebeneinander aufzuführen, wenn es darum gegangen wäre, berufliche Benachteiligung und ihren Unsinn vorführen zu wollen-

(...)
Mittelreich, München: reaktionär
ich stell mir gerade vor - ähnlich wie @julia - die nächste inszenierung mit chinesen (...) und beliebig so weiter ...

WAS ist dann der "neuwert"? "rassen" in ihrer unterschiedlichkeit mit einander zu vergleichen/konkurrieren lassen? ich finde diese idee reaktionär, wenn nicht subtil rassistisch! und WER möchte sich dies - dieser "idee" folgend wirklich anschauen und DAZU seine gedanken und gefühle formulieren?
Mittelreich, München: Fernziel
(...) Früher wurden Spieler nicht engagiert, weil sie schwarz waren, heute bekommen sie den Job, weil sie es sind. Das Ergebnis ist ein anderes, der Vorgang der gleiche. Ich befürchte, wir haben erst einen wünschenswerten Zustand erreicht, wenn man nicht mehr fragt, warum bloß Schwarze auf der Bühne stehen und eine Regieidee dahinter vermutet, sondern dass allen klar ist, hier stehen schlicht die besten Schauspieler auf der Bühne. Ich halte es für falsch, wenn Hautfarbe (egal, ob weiß, schwarz, gestreift oder gepunktet) darüber entscheidet, ob jemand eingestellt oder besetzt wird. Das ist doch das gleiche, als wäre er nicht besetzt worden, wegen eben dieser! Wir müssen endlich dahin kommen, über die Qualität von Spielern zu reden. In der Oper beispielsweise singen die Sänger, die für die Partie am geeignetsten sind, da fragt niemand nach Pass, Staatszugehörigkeit oder Herkunft. Das muss die Zukunft sein!
Mittelreich, München: standing ovations
...@Julia: tatsächlich hätt"e es für die Nachtkritik nichts besseres zu entedecken gegeben als die "Re-Iszenierung" von "Mittelreich"!

Das war ein extrem berührender und signalsetztender Abend!
Leider hat Sabine Leucht ihn offensichtlich überhaupt nicht verstanden, bzw. sich mit allen Sinnen dagegen geweigert, den sehr verständlichen Ansatz dieser Inszenierung zu überhaupt aufzugreifen. Erstaunlich für eine Kritikerin, von der man den Eindruck hat, dass sie in ihrer Kritik mehr ihre wissenschaftliche Studiertheit unter Beweis stellen will, anstatt dem Abend in irgendeiner Weise gerecht zu werden.
Diese Kritik ist das beste Beispiel dafür dass dieser Abend mehr als notwendig ist! Ein Abend, der in der Theaterlandschaft vor allem ein Zeichen dafür setzt, dass es keinen Grund dafür gibt, dass schwarze Schauspieler nicht in jedem Theaterensemble vorhanden sind.
Nicht um den Gastarbeiter, den Amerikaner oder den Pizzaboten zu spielen, sondern um ebenfalls ein "Hamlet" zu sein, ein "Prinz von Homburg", eine "Julia", eine "Nora"...
Das ist an der Shakespeare Comapany in London beispielsweise eine Selbstverständlichkeit. Was im da Vordergrund steht ist vor allem die Qualität und Kunst der Schauspieler, Hautfarbe und Herkunft egal!
Was das angeht hängt die deutsche Theaterlandschaft extrem und mittlerweile fast beschämend hinterher.
Wenn man nachfragt, wird vor allem die Angst um die Zuschauerzahlen angeführt. Aber hat das Theater nicht einen kulturellen Bildungsauftrag?
Sind diese nicht dazu aufgerufen, Zeichen zu setzen, mutig zu sein?
Die meisten Theater machen sich stark gegen rechte Gesinnung und Ausländerferindlichkeit, aber wäre es nicht das schlichteste und effektivste Zeichen Ensemble einfach so multikulti zu gestalten, wie unsere Gesellschaft mittlerweile aussieht?
Alle Schauspieler die vorgestern auf der Bühne standen sind in Deutschland aufgewachsen, leben hier, und geben, wenn man sie fragt, Thüringen oder Hamburg als Herkunft an, haben hier gelernt, studiert, aber dennoch gehören sie zumindest in der Sparte Theater und Fernsehen immer noch nicht zur Normalität!
In dem Experiment "Mittelreich 2" konnte man erleben, dass in diesem Falle eine sehr deutsche Geschichte genauso gut funktioniert, auch wenn es nicht klassisch "typbesetzt" ist.
Etwas woran sich sowohl die deutsche Theaterlandschaft als auch die deutsche Fernsehlandschaft ein Beispiel nehmen sollten.
Wenn es etwas zu kritisieren gab an dem Abend, dann dass dem ausnahmslos sehr guten Ensemble trotz Kopie-Idee nicht mehr Freiheit zur eigenen Interpretation gelassen wurde, innerhalb der kopierten Form von Text, Bühnenbild, Kostüm, etc...
Was das angeht, lässt sich die Übersetzung von "Appropiration Art" aufs Theater in der hier gezeigten Heransgehensweise hinterfragen, denn die Arbeit mit lebendigen Material sollte andere Möglichkeiten haben, da sie mit mehr viel mehr Vielschichtigkeit einhergeht...
Nichtsdestotrotz ein mutiger und gelungener Versuch ein Zeichen zu setzen.

De Facto war das Publkum von dem Abend mehr als begeistert, es gab standing Ovations - eine Tatsache, den die Nachkritik ausser Acht gelassen hat.
Aber wie gesagt, man hat eh den Eindruck, dass hier jemand einfach nicht bereit war, sich wirklich einzulassen, fast ein wenig bockig ... was für eine Grundlage um danach eine Kritik zu schreiben... schade und etwas peinlich!
Mittelreich, München: Bezug?
Ich finde diese Kritik enttäuschend. Scheinbar hat sich der Kritiker kaum mit dem Theaterabend auseinandergesetzt. Sie schwebt im Vergleich mit der Originalinszenierung, geht jedoch nicht auf mögliche Intentionen von Recke ein, sondern versucht Sie ausschließlich zu "entlarven".
Man spürt wie sich diese Kritik förmlich gegen diesen wichtigen Versuch wehrt.

Leider nicht aufschlussreich genug.
Mittelreich, München: die eine Sache
@5 Ein Londoner Konzeptabend, bei dem Ihnen dann auch egal ist, wie er gemacht ist, Hauptsache, Sie haben die e i n e Sache verstanden.
Mittelreich, München: radikale Infragestellung
@Julia: Es ist gut und richtig, dass wir auf Nachtkritik etwas über diese Arbeit lesen können. Ganz offensichtlich findet hier etwas im Theater statt, was unabhängig vom konkreten Erfolg eine radikale Infragestellung des gesamten Sprechtheaterbetriebs in diesem Land darstellt. Darüber muss dieser Betrieb - zu dem auch die Kritik gehört - diskutieren und streiten: Das kann er hassen, blöd finden oder künstlerisch irrelevant. Totschweigen darf er es nicht.
Mittelreich, München: keine freiwillige Veränderung
Der gute Bernd Noack hat es begriffen: wo ist der Unterschied? Genau,es gibt keinen. Wieso ist es aber Realität,dass die Ensembles landauf landab schwarze schauspielerInnen in der Regel „nur“ für explizit schwarze Rollen holen? Als Gäste, wohlgemerkt. Wieso sind die wunderbaren schauspielerInnen, deren Fähigkeiten hier so gelobt werden,nirgendwo fest engagiert? Von alleine wird sich das nicht ändern, wie Noack es suggeriert, da kann sich die Gesellschaft so viel wandeln, wie sie will. Theater sind und bleiben auf absehbare Zeit in weißer Hand, um es mal zugespitzt zu formulieren und das hat Folgen für die Auswahl der Ensembles .
Als Beispiel sei zum hundertsten Mal darauf hingewiesen,
Dass z.b. auch SchauspielerInnen mit Migrationshintergrund noch immer nicht angemessen repräsentiert werden in den Ensembles. Daran erkennt man, meine ich, wie langsam die Mühlen der Stadttheater mahlen und dass es keineswegs damit getan ist, das Problem einmal zu formulieren und dann abzuwarten. Und bloß, weil es inzwischen hier und da einen Araber oder eine Türkin oder eine Deutsche mit iranischen Wurzeln in ein Ensemble schaffen( zählt mal nach,schaut mal wirklich nach), kann man noch lange nicht von einem Wandel reden. Meine These: Es wird keine freiwillige Veränderung geben.
Mittelreich, München: was wäre wenn
Wenn man sich ganz viel Mühe gibt und richtig anstrengt, um eine Idee nicht zu verstehen, dann kommt am Ende so eine ärgerliche, ja fast bösartige Kritik heraus, wie die von Sabine Leucht. Soweit ich das recherchieren kann, stehen dort in München fast ausnahmslos deutsche Schauspieler und Schauspielerinnen auf der Bühne und sie erzählen eine deutsche, ja sogar ein bayrische Geschichte, von einer in München geborenen jungen, deutschen Regisseurin, die eine Kopie einer Inszenierung erarbeitet hat, die um nur einen Aspekt verändert wurde. So what?! Es ist eine „was wäre wenn“ Situation. Was wäre, wenn man mal die Hautfarbe tatsächlich außen vor ließe und alle alles spielen dürften? - Für mich geht es darum: Kann Samia Dauenhauer aus Bad Hersfeld ein deutsches Gretchen sein? Oder kann Anja Herden aus Bielefeld Mutter Wolffen im Biberpelz spielen? Und meine Antwort ist: Ja! Das können sie beide, trotz ihrer Hautfarbe. Also fangt endlich damit an sie auch so zu besetzen, ganz ohne theoretischen Überbau, der sie auf Themen wie Kolonialismus und Sklaverei festlegt.

Steht da wirklich in der Kritik Anta Helena Recke solle einmal überprüfen, in wieweit sie selber den „weißen Blick“ internalisiert hätte, nur weil sie in „Theater heute“ meint, viele Weiße können sich „schwarze Körper“ nur in Zusammenhang mit Flucht und Armut und Ähnlichem vorstellen? Und zugleich stellt Frau Leucht fest: Selbst wenn man da wirklich mal einmal zusammenzuckt (gemeint sind sensible Stellen im Text, die sich auf die Hautfarbe beziehen könnten), öffnet sich auf Dauer keine „andere Ebene darunter“ zu Skalverei, Kolonisation und rassistischen Gräultaten.“ - Wie noch mal?! Die Kritikerin ist also auf der Suche nach einer Ebene zu Skaverei, Kolonisation und rassistischen Gräultaten, wenn deutsche Schauspieler eine bayrische Geschichte erzählen?! Vielleicht sollte die Kritikerin dann besser an sich selber überprüfen, in wie fern sie einen weißen Blick auf „farbige“ Darsteller/innen bereits selbst internalisiert und äußere Merkmale mit externen Zuschreibungen zu unauflöslichen Bündeln verschnürt hat, so wie sie es gerne Anta Helena Recke vorwerfen möchte!

Sind deutsche Darsteller und Darstellerinnen mit einer „anderen“ Hautfarbe nun tatsächlich in der Dauerpflicht Geschichten über Sklaverei zu erzählen, wenn sie einen urbayrischen Roman auf der Bühne nachspielen? - Nein. Natürlich nicht. Sie haben genauso ein Recht darauf ihre deutschen Biographien mit einem solchen Medium, einer solchen Geschichte zu erzählen, wie alle anderen „Deutschen“ auch.

Liebe Anta, ich mag deine Idee und ich hoffe, dass es dir tatsächlich eines Tages gelingt eine Schwarzkopie von einem Tatort zu produzieren. Das fände ich persönlich ganz toll und ich freue mich schon jetzt auf dieses Erlebnis. Möge man dir noch viele Engagements als junge, „afrodeutsche“ (ich fange an dies Wort zu hassen) Regisseurin geben, denn so viele junge Talente in dem Bereich haben wir ja nicht. (Mir fallen jetzt gerade eben nicht gleich ein Dutzend „afrodeutsche“ weibliche Regisseurinnen ein.) Ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute auf deinem weiteren Weg und hoffe, dies bleibt nicht deine einzige Arbeit an den Münchner Kammerspielen und ähnlichen Häusern.

Ganz lieber Gruß

Dein

Martin Baucks
Mittelreich, München: nullkommanull
Kann diese Diskussion über die Hautfarbe nicht nachvollziehen. In der Oper, in den Opernchören ist das längst kein Thema.
Was ich allerdings als absurd empfinde sind Engagements an Theatern nach Quote, egal ob nach Hautfarbe, Religion, Sexualität oder Geschlecht.
Achja, eine "Schwarzkopie" von Inszenierungen, (warum dann nicht noch eine "Gelbkopie" oder "Rotkopie" ? ), interessiert mich persönlich nullkommanull.
Mittelreich, München: Entfremdung
Eva-Elisabeth Fischer (SZ) und Bernd Noack (NZZ), die immer so pointiert und gewitzt arbeitenden Kritiker*innen, werden hier an die Grenzen ihrer Sprache gebracht. So schreibt Fischer: „Dass man über die Farbschattierungen der Darsteller nachdenkt, hat mit zweierlei zu tun: Einerseits stellt sich ziemlich schnell heraus, dass deren Hautfarbe für das Bühnengeschehen völlig irrelevant ist. [...] Vor allem aber krankt diese Aufführung an den Akteuren, weshalb sich eigentlich jede weitere Diskussion erübrigt.“ Die Rezensentin denkt also über die Hautfarbe der Schauspieler*innen nach, weil, „zweierlei“, einerseits die Hautfarbe für das Stück „irrelevant“ sei, und andererseits die Schauspieler*innen mit dieser Hautfarbe das Stück „krank“ machten. Wie soll das zu verstehen sein? Was hier – verklausuliert, vielleicht unbewusst – argumentiert wird, ist, dass die Hautfarbe dann passend gewesen wäre, wenn sie eine Relevanz, also vermutlich eine zeichenhafte Bedeutung gehabt hätte (was immer das bedeuten mag); und dass dieses Ensemble eine Krankheit mit auf die Bühne bringt. Ja, der Denkprozess wird gerade erst deswegen in Gang gesetzt, weil hier Irrelevanz und Krankheit erfahrbar werden. Ist das nicht eine Bankrotterklärung des eigenen Sehens und Denkens? Bei Bernd Noack wiederum heißt es: „Man kann einen modernen farbigen Film mittels Fernbedienung in einen schwarz-weissen verwandeln; [...] Wenn man nun im Theater aus Weiss Schwarz macht, erzielt man einen ähnlichen Effekt: die Umkehrung der Wirklichkeit – ohne wirkliche Wirkung.“ Welche Version von „Mittelreich“ wäre hier denn die „farbige“? Was genau ist „die Umkehrung der Wirklichkeit ohne wirkliche Wirkung“ und ist das nicht auch Aufgabe der Kunst? Der Verweis auf Film und auf Farbwechsel ist allerdings wirklich spannend, weil er zwei Verweise aufmacht: Einerseits denjenigen auf Hitchcocks „Psycho“, das Ende der Neunziger von Gus van Sant in ein farbiges Shot-by-shot-Remake verwandelt wurde; später hat dann Steven Soderbergh beide Fassungen geremixt. Es handelt sich also um ein schwarz-weißes Original, dem Farbe gegeben wurde. Aber der Farbentzug und damit Reduzierung auf Graustufen erinnern andererseits auch an die Zusammenarbeit von Albert Oehlen und Heimo Zobernig in Wien 1994: Der eine hängt seine Bilder, der andere sorgt mit einer Lichtmanipulation dafür, dass deren Farben nicht richtig sichtbar sind. In der Frieze heißt es dazu im Zuge einer Oehlen-Werkschau 2004 (das einzige, was ich im Moment finde, und es ist zudem besser, als ich es beschreiben könnte): „This room illuminated by bright red fluorescent lights nullifies the chromatic scope of the works exhibited within, which all appear to have been painted in black and white (or, more precisely, in red and greyish purple), thus reducing the paintings to mere images of their former selves.” Die Bilder werden also durch einen bestimmten künstlerischen Zugriff von außen zu Bildern ihrer selbst. Wenn Recke sich nun an dieser Stelle künstlerischer Strategien aus anderen Künsten bedient, ist das offenbar für das Feuilleton nicht fassbar, das über die eigene Form stolpert. Für mich steht mit diesen ersten Reaktionen allerdings nun noch eine andere Vokabel im Raum, auf die seltsamerweise in diesem ganzen bairischen Zusammenhang nicht hingewiesen wurde: Die Münchnerin Recke stellt auch das Moment der Verfremdung in einer unerwarteten Wendung neu zur Debatte. Brecht hatte in München bekanntermaßen „Das Leben Eduards des Zweiten“ auf die Bühne gebracht, und (ich zitiere hier den Spiegel, weil ich meine Bücher nicht alle zur Hand habe und Sonntag ist) und fragte Karl Valentin: „Was machen die Soldaten in der Schlacht?“ Valentin: „Angst ham s', blaß san s.“ Brecht „ließ die Schauspieler kalkweiß schminken“, Recke stellt in Zeiten von Blackfacing- und Kniefall-Debatte mit „Mittelreich“ eine theatrale Geste aus, die hohen, ja höchsten künstlerischen Ansprüchen genügt. Was ist denn damit?
Mittelreich, München: Gesten ausstellen
#12:Ich hab das nicht gesehen, aber eine theatrale Geste "ausstellen" ist etwas anderes als eine Geste oder Theater. Ich weiß jetzt nicht, ob Verfremdungs-Effekt und das Ausstellen von theatralen Gesten zwangsläufig ein und dasselbe sind???
Schade, dass solche einfachen praktischen Zusammenarbeiten zur auch kleinsten Interpretations-Sache wie Brecht/Valentin nicht mehr funktionieren. - Warum eigentlich nicht???
Mittelreich, München: Remake als Kunstgriff?
@ (12) bernhard siebert: "Recke stellt in Zeiten von Blackfacing- und Kniefall-Debatte mit „Mittelreich“ eine theatrale Geste aus, die hohen, ja höchsten künstlerischen Ansprüchen genügt. Was ist denn damit?"
Wo oder was ist die theatrale Geste? Wo oder was ist die Kunst bei dieser Nachinszenierung von Frau Recke?
Wenn ich in Alabama "Onkel Wanja" sehe, alles dunkelhäutige Schauspieler, oder wenn mir das japanische Laientheater aus Düsseldorf ein Kroetz-Stuck zeigt: warum soll mich das stören, wo liegt darin die hohe Kunst oder die theatrale Geste?
In den 90er Jahren hatte ich das Glück "Negerangst" von der niederländischen Gruppe SUVER NUVER auf Kampnagel zu sehen. ("1994 Suver Nuver speelt Negerangst" auf youtube als Ausschnitt.)
Und nun soll mir 2017 ein Remake als Kunstgriff untergeschoben werden. Nein, Danke.
Mittelreich, München: Kritik überhört die gestellte Frage
Vielleicht ist ja auch einfach die Wortschöpfung „Schwarzkopie“ irritierend, denn Recke hat ja nicht eine originalgetreue Kopie erschaffen, sondern eine um einen Aspekt, einen sehr zentralen Aspekt veränderte „Kopie“. Im Grunde spielen „schwarze“ Darsteller die Rollen von weißen Darstellern nach. Sie imitieren nicht Weiße, sondern sie spielen die von ihnen kreierten weißen Rollen nach. Demnach ist es genau genommen eine Imitation und keine Kopie. Eine Imitation, die laut Recke wert darauf legt nicht zu parodieren, denn ansonsten wäre es wahrscheinlich ein rassistischer Ansatz. Es ist der Versuch etwas so Selbstverständliches wie Whiteness als soziale Konstruktion sichtbar zu machen. Der scheint mir auch auf der Ebene der Kritik gelungen, denn bis her hat keiner der Kritiker, ausnahmslos Weiße, dies sei hier bemerkt, kritisch auf seine Whiteness reflektiert, sondern immer nur kritisch auf die „Farbigkeit“ der Darsteller, wobei die eigene Hautfarbe in der Reflexion außen vor blieb, obwohl überdeutlich zu sehen war, dass dies der einzige ausgetauschte Aspekt der Imitation war. Vereinfacht gesagt, es wurde die Frage gestellt: Seit ihr euch eigentlich ebenso darüber bewusst, dass ihr weiß seid, so wie wir uns bewusst darüber sind „schwarz“ zu sein? Kennt ihr die Folgen eurer eigenen Hautfarbe, die euch nicht diskriminiert, weil es nicht das Erste ist, was an euch wahrgenommen wird? Diese elementare Frage wird in der Kritik ausgeklammert, obwohl sie schon lange nicht mehr deutlicher gestellt wurde, wie dort an den Kammerspielen. Das ist befremdlich. Darüber hinaus einen Verfremdungseffekt zu erwarten, wenn „schwarze“ Darsteller weiße Rollen spielen, ist wirklich makaber. Wie gesagt, es sind fast allesamt deutsche Darsteller die dort spielen, mit deutschen, ja sogar bayrischen Biographien. Sie unterscheiden sich nur in einem Aspekt und der wurde hier auf eine ganz neue Art in beide Richtungen transparent. Dass das heute noch so einen reflexartigen Kulturschock erzeugen kann, ist schon erstaunlich.

Anja Herden ist eine schwarze Schauspielerin am Volkstheater in Wien und sie stammt aus Bielefeld, ist dort geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist weiß und hat schlesische Wurzeln. Man darf davon ausgehen, dass sich Frau Herden den einen oder anderen Gedanken zu Heimatvertriebenen und schlesischen Flüchtlingen gemacht hat. Darf sie nun diese familiäre Prägung auch in eine Theaterproduktion wie „Mittelreich“ einbringen, in der es ja auch um schlesische Flüchtlinge geht, ja oder nein? Oder ist dies auf Grund ihrer Hautfarbe unmöglich dort aufzutreten, weil Weiße in ihr nie die Nachfahrin einer Mutter mit schlesischen Wurzeln erkennen könnten? - Auch wenn diese Frage durch Reckes „Schwarzkopie“ noch nicht beantwortet wurde, so steht sie doch im Raum.
Mittelreich, München: Kopie und Original vertauschen
Ohne die Aufführung gesehen zu haben, stellt sich mir die Frage, ob es denn reicht, eine in Reckes Sprachgebrauch "schwarzkopierte" Inszenierung zu sehen, um als weiße/r Zuschauer/in "den problematischen Schein-Universalismus weißer Körper auf deutschen Bühnen entlarven" zu können, wie sie in Theater heute schreibt, oder gar nachvollziehen zu können, wie sich ein/e schwarze/r Zuschauer/in hierzulande in einer x-beliebigen weiß besetzten Aufführung fühlt? Wenn Recke beschreibt, dass "schwarze Körper in Europa grundsätzlich als deplatziert gelesen" werden, dann wird das durch die Umbesetzung einer Inszenierung wie "Mittelreich" nachgerade potenziert, indem die schwarzen Darsteller als Abweichung von den weißen Originalen in der Kopie eingesetzt werden, und vermutlich wird sich kein/e weiße/r Zuschauer/in deswegen weniger als universelles Subjekt fühlen.
Um den Gedanken zu verfolgen, sollten die Kammerspiele mindestens mal eine schwarz besetzte Inszenierung (die gibt es dort allerdings auch nicht) mit weißen Doubles kopieren. Oder einfach mal schwarze Schauspieler fest engagieren.
Mittelreich, München: Whiteness als Privileg
@16

Da beschreiben Sie ganz genau das Problem. Es ging um die Desillusionierung von Whiteness als soziale Konstruktion. Aber Weiße lassen sich eben nicht so leicht über ihr Privileg weiß zu sein desillusionieren. Dazu sind die Privilegien einfach zu komfortabel.
Mittelreich, München: lieber Besitzverhältnisse hinterfragen
Wenn ich wo hin reise oder mich wo häuslich einrichte, wo "schwarze" oder traditionell gegendtypisch "farbige" Menschen die absolute Regel sind, ist meine mittel- bis ost-europäisch verwurzelte Whiteness garantiert das allererste was von denen an mir wahrgenommen wird. Es wäre absurd, wäre es nicht so, weil immer das hervorstechendste Merkmal beim Sehen als erstes wahrgenommen wird. Und das weiß ich auch, wenn ich gar nicht da hin reise, sondern mir nur vorstelle, ich täte das. Ist das nun mein Privileg, dass ich mir solcher Dinge bewusst bin oder muss ich in die Kammerspiel-Lehre, um zeitgemäß politsch korrekt fühlen zu können? Wer oder was genau hindert denn die Regie-Imitatorin, mit bayerischen dunkel- bis schwarzhäutigen Darstellern vollkommen eigene Rollen eigen zu kreieren? Etwa der Josef Bierbichler? "Whiteness" ist ebenso wenig eine soziale Konstruktion wie "Blackness", auch wenn das immer öfter Menschen gern so hätten, weil das eventuell bequemer ist, als unnachgiebig nach den globalen Besitzverhältnissen und ihren sozialen Folgen für Bevölkerungen zu fragen. Den heutigen.
Die überschminkte Whiteness oder Blackness oder wat immer -ess, ist allerdings eine soziale Konstruktion und soziale Konstruktionen kann man nach ihrer Sinnhaftigkeit befragen. Kann aber auch rauskommen, dass sie einigermaßen sinnlos ist und nur einem Zweck diente...
Mittelreich, München: nicht Dakar
@18

München ist nicht Dakar.
Mittelreich, München: stimmt!
#19: Ich wollte es ja nicht glauben!, aber habe extra auf der Karte nachgesehen- was soll ich sagen?: Stimmt.
Mittelreich, München: ortstypisch
@18

Sie schreiben: "Wenn ich wo hin reise oder mich wo häuslich einrichte, wo "schwarze" oder traditionell gegendtypisch "farbige" Menschen die absolute Regel sind, ist meine mittel- bis ost-europäisch verwurzelte Whiteness garantiert das allererste was von denen an mir wahrgenommen wird. Es wäre absurd, wäre es nicht so, weil immer das hervorstechendste Merkmal beim Sehen als erstes wahrgenommen wird. Und das weiß ich auch, wenn ich gar nicht da hin reise, sondern mir nur vorstelle, ich täte das."

Und da liegen sie mehrfach falsch. Ich lebe als weisser Mann in einer hauptsaechlich schwarzen Gesellschaft.

1. Was eine hervorstechende Eigenschaft ist, veraendert sich sehr schnell und es ist keineswegs selbstverstaendlich, dass die Hautfarbe da eine besondere Rolle spielt. Das ist ihr eigener Filter. Ich finde zum Beispiel grosse Ohren (wie sie alte Maenner am Stammtisch in Deutschland und hier oft haben) ein hervorstechendes physisches Merkmal, Noch schneller fallen mir allerdings emotionale und charakterliche Eigenschaften auf. Und ueber beides wird die Hautfarbe sehr oft komplett vergessen.
2. Je mehr Zeit wir miteinander verbringen, desto weniger wichtig ist Hautfarbe - und desto mehr stoert man sich an Menschen, denen etwas was so unbedeutendes wie Hautfarbe genuegt um einen Menschen erstmal als 'nicht ortstypisch' einzusortieren. Damit verspielt man die Moeglichkeit, sich miteinander auseinanderzusetzen und damit verliert man viele Perspektiven. Ausserdem beleidigt man andauernd Menschen ohne dass das noetig waere. Eine viel wichtigere Unterscheidung ist 'Arschloch oder kein Arschloch' oder von mir aus auch 'witzig oder nicht witzig'.
3. Dass Sie glauben, ihre Vorstellungskraft sei so gut, dass Sie nicht einmal in der Situation sein muessten in einem anderen Kulturkreis zu sein um diesen auch nur ansatzweise zu verstehen, ist naiv. Dass sie dabei dazu noch uebersehen, dass da auch Menschen aus ihrem eigenen Kulturkreis auf der Buehne stehen, ist doppelt schade.
4. Ich bin als Bayer 'ortsuntypisch' gross. Es ist meine hervorstechende Eigenschaft. Auch wenn kaum ein Bayer so gross ist wie ich, wuerden ihnen meine Groesse auf der Buehne kaum eine Erwaehnung in ihrer Kritik (oder dem Kommentar darauf) wert sein.
Mittelreich, München: ortsuntypisch
Sie haben ja so unwahrscheinlich recht, rechter geht es ja kaum noch! - Sie haben vielleicht in meinem Kommentar auch nur überlesen/sehen: "das allererste", was wahrgenommen wird. Wenn ich irgendwen, irgendwo und irgendwann zum allerersten Mal sehe, sehe ich eben nur das hervorstechendste Merkmal... Und das ist etwas vollkommen normales. Ich sehe zu allererst die ortsuntypische Hautfarbe und danach die Riesenohren oder dergleichen Charakteristika und erst zuletzt vergesse ich alles Aussehen über dem, was ich von seinem Innenleben weiß - Und wie es danach, nach dem allerersten Eindruck weitergehen kann, sollte und wie es in aller Regel- wenn diese nicht gerade durch kriegerische Einmischung von außen unterbrochen wird, weitergeht, beschreiben Sie selbst doch sehr anschaulich ganz ohne die hier besprochene Inszenierung! - Man muss allerdings Leuten auch zugestehen, dass sie eventuell jemanden einmal irgendwo, irgendwann und irgendwie zum ersten Mal sehen und ihnen dann auch die Zeit lassen, mehr als einen allerersten Eindruck zu gewinnen von einem anderen, in und aus welchem Kulturkreis immer... Nicht jeder bewegt sich als Kulturtourist durch die Welt.

Ich freue mich, dass Sie mich offenbar sehr viel besser kennen als ich mich selbst und ganz ohne mich zu kennen bereits wissen, was mir in einer Kritik oder in einem Kommentar auf eine Kritik wert sein könnte, erwähnt zu werden! - Herzlichen Glückwunsch zur Telegenie! - Ich hoffe also für Sie, dass Sie sich mit Ihrer ganzen ortsuntypischen bayerischen Größe weder besonders gerade halten noch besonders krumm legen auf einer Bühne, wenn Sie da was machen. Es könnte ansonsten sein, dass mir Ihre Größe doch eine Bemerkung wert wäre, geriete ich in ihre Vorstellung...
Mittelreich, München: 2x
Ich kann nicht verstehen, dass eine zweimalige Aufführung, die anscheinend nur von KritikerInnen und einer hohen Anzahl von Besuchern mit Frei-, Ermässigungskarten, was das Gerede soll.
Eine weitere Exotisierung?
Mittelreich, Theatertreffen: Ambivalenz
Die Stärke des Abends besteht in seiner Ambivalenz: Sie macht deutlich, wie dünn und substanzlos die oberflächlichen Rollenzuschreibungen sind, wie leicht es uns fällt, Schauspieler*innen of Colour Figuren spielen zu sehen, welche das Prädikat „of Colour“ eben nicht haben, wie selbstverständlich es also sein müsste, solche Darsteller*innen alltäglich auf deutschen Bühnen zu sehen. Er belegt aber eben auch, wie tief die rassistisch grundierten Vorurteile und Erwartungsmuster denn doch gehen. Denn wenn diese berührt werden, wie in den erwähnten Momenten, bricht die vermeintliche und empfundene „Ungewöhnlichkeit“ des Unterfangens wieder deutlich zutage. Zumal noch eine weitere Ebene hinzutritt: Die Tatsache, dass Recke ihre Spieler*innen ihre weißen Kolleg*innen bis ins letzte Detail nachahmen lässt (das geht so weit, dass Adjei den kanadischen Akzent von Damian Rebgetz imitiert), ist ein machtvoller Kommentar zur Dominanz einer nach wie vor klar weißen Weltsicht. Dass der Chor stumm bleibt, die (weißen) Stimmen hier vom Band kommen, schlägt in dieselbe Kerbe. Die „Schwarzen“ dürfen gern ihre Geschichten erzählen und sichern, aber „unsere“? Sind sie dann nicht eine billige Kopie? Dass die Tatsache, dass hier vor allem imitiert wird, die Schauspieler*innen also nicht nur in ihre Rollen schlüpfen, sondern zudem noch ihre Kolleg*innen als zweite Rollenebene hinzufügen müssen, nur selten auffällt, widerlegt im Übrigen zudem die Behauptung, es gäbe kaum großartige Schauspieler*innen of Colour im deutschsprachigen Raum. Und so ist vielleicht das Erstaunliche, wie gut (in ihren positiven wie schwächeren Aspekten – mehr dazu in der Rezension zu Mahlers Inszenierung), der Abend als Theater zu funktionieren scheint. Dass ein Großteil des Publikums ihn vor allem nach der Qualität der Inszenierung und der Wirkung der erzählten Geschichte beurteilt, ist ein gutes Zeichen. Und ein Auftrag für die Zukunft. An Theater, Regisseur*innen – vor allem aber auch das zahlende Publikum.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/05/19/alles-gleich-alles-anders/
Mittelreich, Theatertreffen: billige Kopie?
#24 @Sascha Krieger ... Ihren Beitrag musste ich zweimal lesen und habe Ihre Aussage immer noch nicht verstanden. Allerdings dachte ich sofort, warum nicht die "The Saga of an American Family" (bekannter als Fernsehserie "Roots" in den 70er Jahren) nur von nichtschwarzen Schaupielern spielen zu lassen. Gäbe es dann auch einen Erkenntnisgewinn? Oder wäre das ein Sakrileg oder ein billige Kopie, weil nur Schwarze "ihre" Geschichte erzählen dürfen?
Mittelreich, Theatertreffen: seltsam
Bei der Pop-Formation „Boney M“ wusste niemand, dass die eigentlichen Akteure gar nicht singen, sondern sich hinter ihnen eine weiße, deutsche Stimme verbarg. In der Inszenierung von Recke ist es ein offenes Geheimniss, dass die Rollen nicht wirklich von den schwarzen Schauspielern*innen entwickelt wurden. Ob es die Sache deshalb wirklich besser macht? Wohl kaum. Denn so klug die Sache auch zunächst daher kommt, in der Durchführung mangelt es sehr. Sicherlich ist es ein feiner Trick, um Whiteness sichtbar zu machen, eine Schwarzkopie zu erstellen. Nur dürften die wenigsten Zuschauer zeitnah beide Aufführungen, das Original und die Kopie gesehen haben. Und von daher macht es wenig Sinn, die schwarzen Schauspieler*innen in ein „weißes Korsett“ zu stecken, denn niemand hat wirklich eine Vergleichsmöglichkeit, wenn nicht beide Inszenierungen zugleich angeboten werden an zwei verschiedenen Abenden. Und dabei geht es nicht um eine Leistungshow, welche Gruppe spielt besser, sondern lediglich um einen Wirkungsvergleich. Kann man den nicht vollziehen, muss sich niemand der Bühnenkünstler durch die detailgenaue Umbesetzung oder Nachinszenierung durchquälen. Es ist so gesehen sinnlos und löst im Kopf nur falsche Konstrukte aus. Als ob je irgendjemand denken würde, außer ein paar Dummköpfe, dass schwarze Darsteller*innen auf Grund ihrer Hautfarbe anders oder gar schlechter spielen würden und man das Gegenteil erst beweisen müsse. Dafür hat man nun doch zu viele gute schwarze Schauspieler*innen auf der Bühne und im Film gesehen.

Wenn überhaupt, ginge es darum, ob Schwarze eine weiße Geschichte wirklich anders erzählen. Und vor diese Frage schob Recke von Anfang an einen Riegel, in dem sie eine exakte Kopie erstellen ließ. Doch ohne eine vergleichende Aufführung hätte man die Darsteller*innen auch gleich ihre eigenen Rollen entwickeln lassen können, in eigenen Kostümen und einem eigenen Bühnenbild durch einen selbstständigen Regiezugriff der jungen Regisseurin. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann die Unselbstständigkeit der Regie. Sie griff zu dem Naheliegenden und nahm nicht wirklich eine neue Setzung vor. Es ist keine eigenständige künstlerische Arbeit. Jemand hat eine schon am vorherigen Theatertreffen prämierte Aufführung kopiert, um einen winzigen Aspekt verändert und somit politisch aufgeladen, in einer eh schon gesellschaftlich politisch aufgeladen Gesamtsituation und ist wiederrum eingeladen worden. Die Rechnung ist aufgegangen. Wäre sie bewusst gemacht worden, dürfte man von einem perfiden Marketingtrick sprechen.
Es gab so viele Möglichkeiten zu einer sogenannten Schwarzkopie, wenn Anta Helena Recke tatsächlich etwas Eigenes entwickelt hätte. Sie hätte beispielsweise den „Götz von Berlichingen.“ in der Inszenierung mit Heinrich George rekonstruieren können oder deutsche Durchhaltefilme wie „Münchhausen“ oder „Quacks der Bruchpilot“ oder oder oder...

Alles käme in Frage, was zunächst einmal nach einer sehr starken, weißen und deutschen Geschichte riecht. Und wahrscheinlich, wenn es sich um einen Stoff gehandelt hätte, den alle präsent im Kopf haben, wären ganz andere Momente der Gefährdung von farbigen Schauspieler*innen in ihren Rollen sichtbar geworden, frei nach dem Motto, die unterscheiden sich ja wirklich nicht von „uns“ und sind genauso fehlerbehaftet oder großartig wie „wir“, um es einmal salopp zu formulieren. Aber auch diese Erkenntnis braucht es nicht wirklich mehr. Es ist eine Spielerei, eine schöne, kleine Idee, die nun vom Markt zu etwas Großem aufgeblasen wurde, wahrscheinlich nicht zum Vorteil der jungen Regisseurin. Es sagt sehr viel über die Mechanismen am Theater aus, weniger über die Aufführung.

Denn alle wissen, dass die Wahl auf „Mittelreich“ fiel, weil sie, Anta Helena Recke dort bei selbiger Inszenierung assistierte, weil es das Bühnbild und die Kostüme schon gab und so kaum Kosten für eine erste Inszenierung einer Assistentin entstanden sind. Eine Ausstattung wurde sozusagen erfolgreich zweimal verkauft. Eine doch leicht perfide, verdächtige Situation für ein Haus, dass gerne mit ausgefeilten Konzeptionen brillieren möchte. Hier kratzt man nur an der Oberfläche, denn es wurde nicht gezielt nach einem Stoff, einer Inszenierung oder einem Film gesucht, der einen echten Mehrwert, echte Reibung als Schwarzkopie erzeugen könnte. Es fehlt die Brisanz, die wirkliche Zuspitzung, das Risiko. Stattdessen nährt man sich parasitär an seinem eigenen Wirtskörper. Schon seltsam, dieser Vorgang. Und natürlich erreicht man wieder nur die falsche Zielgruppe, auch wenn es schön ist, dass man ein sehr diverses Publikum anlockt, wen will man von all denen denn noch von seinen Thesen überzeugen, der/die nicht schon längst überzeugt sind. Da schafft man sich wiederum nur seinen eigenen Resonanz- und Echoraum und erhält den zu erwartenden Applaus. Heißt das denn schlußendlich: Weiße gehen nur zu weißen Veranstaltungen und umgekehrt? - Was für ein trauriges Bild, falls sich jede Gemeinde nur selber applaudiert.
Mittelreich, Theatertreffen: Zustimmung
Vielen Dank, Herr Baucks! Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen!
Mittelreich, Theatertreffen: Heftpflaster
Stimme #26 in vielem zu. Dennoch war Reckes Abend eben wegen seines Schwarzkopie-Aspekts spannender als die Mahler-Inszenierung, von der ich nach wie vor nicht erkennen, warum sie "bemerkenswert" sein soll. Guter Durchschnitt allenfalls.

Well, jedenfalls gebühren Recke und Lilienthal das Verdienst, so ein Konzept gedacht und gemacht zu haben. Diese Arbeit so zu haben und darüber zu diskutieren, scheint mir dem Anliegen einer Veränderung von Bewusstsein und Wirklichkeit, dienlich zu sein. Es wird noch viel zu tun und zu sagen sein. Aber wir kommen voran.

Es ist ja auch immer die Frage, woher man gedanklich/biografisch kommmt, wenn es darum geht, wie aufschlussreich etc. ein Abend sein kann. Mich jedenfalls erwischten die braunen Heftpflaster, die die Kammerspiele im Foyer verteilten vollkommen: Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, dass Heftplaster ""hautfarben"" sind. Danke, liebe Kammerspiele. Kleine, aber feine Aktion am Rande.
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