Mittelreich - An den Münchner Kammerspielen kopiert Anta Helena Recke Anna-Sophie Mahlers Inszenierung von Josef Bierbichlers Roman mit rein schwarzer Besetzung
Der einzige Unterschied
von Sabine Leucht
München, 12. Oktober 2017. In der Bildenden Kunst heißt es Appropriation Art; im Tanz ist die möglichst exakte Rekonstruktion ein Mittel zur Bewahrung des kulturellen Erbes und hat ihren Grund darin, dass das Original nicht mehr greifbar ist. Bei Anna-Sophie Mahlers Musiktheaterinszenierung nach Josef ("Sepp") Bierbichlers autobiografisch gefärbtem Roman "Mittelreich" ist das anders. Sie ist noch immer an den Münchner Kammerspielen zu sehen, wo Mahlers einstige Regieassistentin Anta Helena Recke nun eine Kopie davon hergestellt hat: genau bis ins Detail jedes scheinbar zufälligen Schnaufers oder Seitenblicks! Zur Ursprungsinszenierung gibt nur einen einzigen Unterschied: Alle Schauspieler, alle Musiker – ja überhaupt alle Beteiligten an der "neuen" Produktion sind schwarz.
Es geht um den weißen Blick
Erinnerungen an drei Generationen einer bayerischen Wirtshausfamilie, zwei Weltkriege und die dazugehörigen Flüchtlingswellen werden musikalisch getriggert; außerdem handelt die Geschichte von einer Handvoll ins eigene Leid verkapselten Seelen. Die Hautfarbe der Darsteller erfüllt hier keine authentische Repräsentationsaufgabe und soll auch nicht egal sein. Sie will irritieren, die Inszenierung will Geste sein. Denn Recke, selbst Afrodeutsche, hat bei ihrer Arbeit in den letzten Jahren immer nur Weiße auf der Bühne gesehen und will nun das Selbstverständnis der weißen Mehrheitsgesellschaft erschüttern, die sich für die Norm hält und "ihre" Themen für universal. Der Umkehrschluss: Schwarz ist die Abweichung und also defizitär.
In einem aktuellen Beitrag in der Zeitschrift Theater heute schreibt die Münchnerin gar vom "Unvermögen der weißen Imagination, sich einen schwarzen Körper jenseits von Prekariat, Armut, Not, Exotik oder Flucht vorzustellen". Die längst nicht mehr zum Spiegel der Gesellschaft taugende relative Homogenität der meisten deutschen Stadt- und Staatstheaterensembles ist bekannt.
Doch schon im Ballett oder in der Oper sieht es ganz anders aus, ohne dass jemand automatisch Elend assoziiert. Und allein in München wird nur wenige Tage nach der Zweit- und zugleich letzten Vorstellung von "Mittelreich" 2 das Spielart-Festival wieder mit so vielen Hautfarben wie Vorstößen zur aktiven Gestaltung ästhetisch-politischer Realität aufwarten. Reckes in diversen Vorabinterviews geäußerten Sätze über die Hoffnung, die im Stück verhandelten Themen würden automatisch neue Assoziationsräume öffnen, wenn sie nur "durch schwarze Körper hindurchgingen", mutet vor diesem Hintergrund ein wenig naiv an. Wenn nicht gar alarmierend: schon klar, dass ihre Arbeit den weißen Blick thematisiert. Aber wie sehr hat sie ihn bereits selbst internalisiert und äußere Merkmale mit externen Zuschreibungen zu unauflöslichen Bündeln verschnürt?
Verfremdungseffekt wird neutralisiert
Macht man also irgendetwas falsch, wenn man in "Mittelreich" keine "schwarzen Körper", sondern einfach Menschen sieht? Man spürt sie zwar, die Stellen, an denen man zusammenzucken sollte. Gleich beim Brahms-Requiem zu Beginn ("Selig sind, die da Leid tragen..."), wenn Isabelle Redfern als Seewirts-Mutter sagt: "Das sind doch ganz andere Leute, diese Flüchtlinge. Die passen doch nicht hierher!" – oder als Semi, der jüngste Familienspross, sich zum Sauschlachten mit Kalk bestäubt oder bei der Schilderung des Missbrauchs durch einen Priester dessen "fettes weißes Fleisch" benennt (wie es beides auch Steven Scharf im Original schon tat). Selbst wenn man da wirklich einmal zusammenzuckt, öffnet sich auf Dauer keine "andere Ebene darunter" zu Sklaverei, Kolonisation und rassistischen Gräueltaten. Bierbichlers Geschichte, gespickt mit Vergewaltigungen, verzweifelter Liebe zur Mutter, väterlicher Verantwortungsdesertion und einer ganzen Kindergruppe im Gas hat ja an sich schon sehr viele Untiefen. Und ist – auch weil Mahler schon viel Bayerisch-Saftiges dem suggestiv Artifiziellen geopfert hat – auch universell genug, um den beabsichtigten Verfremdungseffekt zu neutralisieren.
Als Kopie ist der Abend teils verblüffend gut: Moses Leo sieht man mit Steven Scharfs Handbewegungen den Sturm beschwören und (genau auf dieselbe Weise wie er) den Kopf neigen. Victor Asamoah trifft haargenau den Ton und das Idiom, das Jochen Noch dem Ostpreußenflüchtling Victor gegeben hat. Und Yosemeh Adjei imitiert die spöttisch-divenhafte Haltung wie den starken Akzent des Australiers Damian Rebgetz. Das musikalische Können ist in dieser "Schwarzkopie" (Recke) heterogener als im Original – Adjei und Redfern sind ausgebildete Sänger – das schauspielerische kann insgesamt nicht ganz mithalten. Es ist aber auch schwierig, sich zu zeigen, wenn die einzige Aufgabe in der Piraterie der schöpferischen Leistung eines anderen besteht. Der Atmosphäre des Abends ist abträglich, dass der Chorgesang aus dem Off kommt und auf der Bühne nur Chor-Statisten stehen, weil es offenbar keinen rein schwarzen Chor in Deutschland gibt, der sich mit dem europäischen Kunstlied befasst. Dafür war das Publikum divers wie selten.
Mittelreich
nach dem gleichnamigen Roman von Josef Bierbichler
Kopie der Inszenierung von Anna-Sophie Mahler
Regie: Anta Helena Recke nach Anna-Sophie Maler, Bühne: Duri Bischoff, Kostüme: Pascale Martin, Musikalische Leitung "Mittelreich" 1: Bendix Dethleffsen, "Mittelreich" 2: Prisca Mbawala-Dernbach, Dramaturgie "Mittelreich" 1: Johanna Höhmann, "Mittelreich" 2: Julian Warner.
Mit: Ernest Allan Hausmann, Isabelle Redfern, Jerry Hoffmann, Moses Leo, Victor Asamoah, Yosemeh Adjei; am Flügel: Miriel Cutino Torres, Romy Camerun, Pauke: Jan Burkamp, Choraufnahme: Junges Vokalensemble München, Chorleitung: Julia Selina Blank.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.muenchner-kammerspiele.de
Mehr zu Anta Helena Recke und ihrem Prinzip Schwarzkopie: Presseschau vom 13. Oktober 2017 – Der Freitag interviewt die Münchner Regisseurin Anta Helena Recke zu ihrem Remake von Anna-Sophie Mahlers "Mittelreich" an den Kammerspielen
"Für das Bühnengeschehen völlig irrelevant" sei die Hautfarbe der Darsteller*innen, schreibt Eva-Elisabeth Fischer in der Süddeutschen Zeitung (14.10.2017). "Denn eine ähnliche Familiensaga um Schuld, Verdrängung, Missbrauch, Flüchtlingsproblematik und Erbstreitigkeiten wäre (…) wohl überall vorstellbar." Vor allem aber kranke Reckes Re-Inszenierung an den Akteuren, "weshalb sich eigentlich jede weitere Diskussion erübrigt", so Fischer: "Auf der ganzen Linie schlechtes Laientheater zu inszenieren, das nun aber ist wirklich diskriminierend."
"Man kann einen modernen farbigen Film mittels Fernbedienung in einen schwarz-weissen verwandeln; dass man dadurch auch die Zeit und die Atmosphäre des Films und um einen selber herum ändert, bleibt eine Illusion", schreibt Bernd Noack in der Neuen Zürcher Zeitung (14.10.2017). "Wenn man nun im Theater aus Weiss Schwarz macht, erzielt man einen ähnlichen Effekt: die Umkehrung der Wirklichkeit – ohne wirkliche Wirkung." Das zweite "Mittelreich" bleibe eine gedanklich überanstrengte Spielerei mit nicht einleuchtendem Rollentausch, "deren kulturpolitischer Anspruch und Protest als aufgepfropft engagierte Behauptung über der bekannten Szene schwebt und tatsächlich zum eher zweifelhaften Vergleich zwischen der weissen und schwarzen Truppe herausfordert", so Noack: "Wäre da nicht dieses Ensemble, das völlig abgesehen von der Hautfarbe ein hervorragendes ist. Dessen Leistung wurde ärgerlich verschenkt!"
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.10.2017) fragt Teresa Grenzmann: Wer eigentlich genau am Ende dieses "kuriosen Theaterabends" so "lautstark gefeiert" worden sei: Der Autor Bierbichler, die Regisseurin Mahler oder die "Theatermacherin" Anta Helena Recke für ihr "legales 'Appropriation'-Plagiat"? In München werde eine "vollkommen überflüssige Disziplin" zelebriert: "die Schauspielkunst der minutiösen Imitation einer Momentaufnahme". Die "erklärte Radikalität", mit der Recke "durch die (beinahe) detailgetreue Übernahme fertiger Inszenierungen unter Auswechslung aller 'weißen' Darsteller und Musiker" auf Rassismus und fehlende Integration aufmerksam machen wolle, rücke dabei in den Hintergrund. Weil ein Publikum gar nicht so "selbstreflexiv" sein könne, dass es sich selbst dabei zuschaue, wie "Schauspieler Y die Rolle des Z interpretiert, indem er Schauspieler X imitiert, während dieser die Rolle des Z interpretiert".
Auf Spiegel online (24.10.2017) kritisiert Matthias Dell, dass die Kritiker den Abend gar nicht verstanden haben, "nicht verstehen wollten, nicht verstehen konnten." Denn die Kritiken haben "ihr eigenes Unverständnis umgehend Reckes Inszenierung in Rechnung gestellt. Etwa: dass die Menschen auf der Bühne 'so schwarz' ja gar nicht seien". Ein anderer Lapsus "war die automatische Assoziation, dass schwarze Schauspieler auf der Bühne nur als 'Flüchtlinge' gedacht werden können, dass da also 'Fremde' einen 'deutschen', 'bayrischen' Stoff darbieten." Dass die in München zur Welt gekommene und aufgewachsene Regisseurin mit dieser bayerischen "Seewirt"-Welt aus Bierbichlers Roman vertraut ist, verschwinde völlig in der Blindheit, mit der die Kritik nur auf Reckes Hautfarbe starre. "Schwarz allein reicht nicht", hieß es in einer Kritik, Und Dell fragt: "Wie kann man so einen Unsinn schreiben und dann auch noch davon ausgehen, man wüsste irgendwas über Rassismus?" Weiter heißt es: "Es ist eine spannende Frage, was in den Rezensionen gestanden hätte, wären die Redaktionen auf die Idee gekommen, Kunstkritikerinnen in Reckes avanciertes Projekt zu schicken. Die hätten vermutlich nicht wie der Ochs vorm Scheunentor gestanden, weil Konzeptkunst in ihrem Fach eine Geschichte hat, weil Reckes Idee in der Linie von Arbeiten der 'Appropriation Art' steht, von Elaine Sturtevant oder Sherrie Levine."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 12. Oktober 2024 Sanierung des Theaters Krefeld soll 154 Mio. Euro kosten
- 12. Oktober 2024 Theater an der Rott: Weiterhin keine Bundesförderung
- 11. Oktober 2024 Theater Ansbach: Großes Haus bleibt bis 2026 geschlossen
- 10. Oktober 2024 Berlin: Neue Teamleitung fürs GRIPS Theater ab 2025
- 10. Oktober 2024 Literaturnobelpreis für Han Kang
- 08. Oktober 2024 euro-scene Leipzig: Kritik an Einladung palästinensischer Produktion
- 05. Oktober 2024 Zürich: Klage gegen Theater Neumarkt wird nicht verfolgt
- 04. Oktober 2024 Interimsintendanz für Volksbühne Berlin gefunden
neueste kommentare >
-
Woyzeck, Wiesbaden Zum Glück
-
Leserkritik Alle meine Männer, Rendsburg
-
Eines langen Tages Reise, Bochum Mehr als die übliche Instantkost
-
Blue Skies, Hamburg Verharmlosend
-
Bark of Millions, Berlin Ein wissender Jubel
-
Frei, Bremen Aufwachsen bei Väterchen Stalin
-
Woyzeck, Wiesbaden Kein Boomer hat diktiert
-
Woyzeck, Wiesbaden Kindergartenbunt
-
Woyzeck, Wiesbaden Altbacken
-
Glaube, Geld, Krieg..., Berlin Einfach erzählen
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Und eine "schwarze" Regie-Assistentin muss das Werk ihrer einstigen Chefin komplett correct kopieren, um selbst Chefin über eine Inszenierung sein zu können???
Und das fand Matthias Lilienthal eine gute Idee?
Oder Herr von Blomberg? - Dann wäre doch die bessere dramaturgische Idee gewesen, beide Inszenierungen simultan nebeneinander aufzuführen, wenn es darum gegangen wäre, berufliche Benachteiligung und ihren Unsinn vorführen zu wollen-
(...)
WAS ist dann der "neuwert"? "rassen" in ihrer unterschiedlichkeit mit einander zu vergleichen/konkurrieren lassen? ich finde diese idee reaktionär, wenn nicht subtil rassistisch! und WER möchte sich dies - dieser "idee" folgend wirklich anschauen und DAZU seine gedanken und gefühle formulieren?
Das war ein extrem berührender und signalsetztender Abend!
Leider hat Sabine Leucht ihn offensichtlich überhaupt nicht verstanden, bzw. sich mit allen Sinnen dagegen geweigert, den sehr verständlichen Ansatz dieser Inszenierung zu überhaupt aufzugreifen. Erstaunlich für eine Kritikerin, von der man den Eindruck hat, dass sie in ihrer Kritik mehr ihre wissenschaftliche Studiertheit unter Beweis stellen will, anstatt dem Abend in irgendeiner Weise gerecht zu werden.
Diese Kritik ist das beste Beispiel dafür dass dieser Abend mehr als notwendig ist! Ein Abend, der in der Theaterlandschaft vor allem ein Zeichen dafür setzt, dass es keinen Grund dafür gibt, dass schwarze Schauspieler nicht in jedem Theaterensemble vorhanden sind.
Nicht um den Gastarbeiter, den Amerikaner oder den Pizzaboten zu spielen, sondern um ebenfalls ein "Hamlet" zu sein, ein "Prinz von Homburg", eine "Julia", eine "Nora"...
Das ist an der Shakespeare Comapany in London beispielsweise eine Selbstverständlichkeit. Was im da Vordergrund steht ist vor allem die Qualität und Kunst der Schauspieler, Hautfarbe und Herkunft egal!
Was das angeht hängt die deutsche Theaterlandschaft extrem und mittlerweile fast beschämend hinterher.
Wenn man nachfragt, wird vor allem die Angst um die Zuschauerzahlen angeführt. Aber hat das Theater nicht einen kulturellen Bildungsauftrag?
Sind diese nicht dazu aufgerufen, Zeichen zu setzen, mutig zu sein?
Die meisten Theater machen sich stark gegen rechte Gesinnung und Ausländerferindlichkeit, aber wäre es nicht das schlichteste und effektivste Zeichen Ensemble einfach so multikulti zu gestalten, wie unsere Gesellschaft mittlerweile aussieht?
Alle Schauspieler die vorgestern auf der Bühne standen sind in Deutschland aufgewachsen, leben hier, und geben, wenn man sie fragt, Thüringen oder Hamburg als Herkunft an, haben hier gelernt, studiert, aber dennoch gehören sie zumindest in der Sparte Theater und Fernsehen immer noch nicht zur Normalität!
In dem Experiment "Mittelreich 2" konnte man erleben, dass in diesem Falle eine sehr deutsche Geschichte genauso gut funktioniert, auch wenn es nicht klassisch "typbesetzt" ist.
Etwas woran sich sowohl die deutsche Theaterlandschaft als auch die deutsche Fernsehlandschaft ein Beispiel nehmen sollten.
Wenn es etwas zu kritisieren gab an dem Abend, dann dass dem ausnahmslos sehr guten Ensemble trotz Kopie-Idee nicht mehr Freiheit zur eigenen Interpretation gelassen wurde, innerhalb der kopierten Form von Text, Bühnenbild, Kostüm, etc...
Was das angeht, lässt sich die Übersetzung von "Appropiration Art" aufs Theater in der hier gezeigten Heransgehensweise hinterfragen, denn die Arbeit mit lebendigen Material sollte andere Möglichkeiten haben, da sie mit mehr viel mehr Vielschichtigkeit einhergeht...
Nichtsdestotrotz ein mutiger und gelungener Versuch ein Zeichen zu setzen.
De Facto war das Publkum von dem Abend mehr als begeistert, es gab standing Ovations - eine Tatsache, den die Nachkritik ausser Acht gelassen hat.
Aber wie gesagt, man hat eh den Eindruck, dass hier jemand einfach nicht bereit war, sich wirklich einzulassen, fast ein wenig bockig ... was für eine Grundlage um danach eine Kritik zu schreiben... schade und etwas peinlich!
Man spürt wie sich diese Kritik förmlich gegen diesen wichtigen Versuch wehrt.
Leider nicht aufschlussreich genug.
Als Beispiel sei zum hundertsten Mal darauf hingewiesen,
Dass z.b. auch SchauspielerInnen mit Migrationshintergrund noch immer nicht angemessen repräsentiert werden in den Ensembles. Daran erkennt man, meine ich, wie langsam die Mühlen der Stadttheater mahlen und dass es keineswegs damit getan ist, das Problem einmal zu formulieren und dann abzuwarten. Und bloß, weil es inzwischen hier und da einen Araber oder eine Türkin oder eine Deutsche mit iranischen Wurzeln in ein Ensemble schaffen( zählt mal nach,schaut mal wirklich nach), kann man noch lange nicht von einem Wandel reden. Meine These: Es wird keine freiwillige Veränderung geben.
Steht da wirklich in der Kritik Anta Helena Recke solle einmal überprüfen, in wieweit sie selber den „weißen Blick“ internalisiert hätte, nur weil sie in „Theater heute“ meint, viele Weiße können sich „schwarze Körper“ nur in Zusammenhang mit Flucht und Armut und Ähnlichem vorstellen? Und zugleich stellt Frau Leucht fest: Selbst wenn man da wirklich mal einmal zusammenzuckt (gemeint sind sensible Stellen im Text, die sich auf die Hautfarbe beziehen könnten), öffnet sich auf Dauer keine „andere Ebene darunter“ zu Skalverei, Kolonisation und rassistischen Gräultaten.“ - Wie noch mal?! Die Kritikerin ist also auf der Suche nach einer Ebene zu Skaverei, Kolonisation und rassistischen Gräultaten, wenn deutsche Schauspieler eine bayrische Geschichte erzählen?! Vielleicht sollte die Kritikerin dann besser an sich selber überprüfen, in wie fern sie einen weißen Blick auf „farbige“ Darsteller/innen bereits selbst internalisiert und äußere Merkmale mit externen Zuschreibungen zu unauflöslichen Bündeln verschnürt hat, so wie sie es gerne Anta Helena Recke vorwerfen möchte!
Sind deutsche Darsteller und Darstellerinnen mit einer „anderen“ Hautfarbe nun tatsächlich in der Dauerpflicht Geschichten über Sklaverei zu erzählen, wenn sie einen urbayrischen Roman auf der Bühne nachspielen? - Nein. Natürlich nicht. Sie haben genauso ein Recht darauf ihre deutschen Biographien mit einem solchen Medium, einer solchen Geschichte zu erzählen, wie alle anderen „Deutschen“ auch.
Liebe Anta, ich mag deine Idee und ich hoffe, dass es dir tatsächlich eines Tages gelingt eine Schwarzkopie von einem Tatort zu produzieren. Das fände ich persönlich ganz toll und ich freue mich schon jetzt auf dieses Erlebnis. Möge man dir noch viele Engagements als junge, „afrodeutsche“ (ich fange an dies Wort zu hassen) Regisseurin geben, denn so viele junge Talente in dem Bereich haben wir ja nicht. (Mir fallen jetzt gerade eben nicht gleich ein Dutzend „afrodeutsche“ weibliche Regisseurinnen ein.) Ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute auf deinem weiteren Weg und hoffe, dies bleibt nicht deine einzige Arbeit an den Münchner Kammerspielen und ähnlichen Häusern.
Ganz lieber Gruß
Dein
Martin Baucks
Was ich allerdings als absurd empfinde sind Engagements an Theatern nach Quote, egal ob nach Hautfarbe, Religion, Sexualität oder Geschlecht.
Achja, eine "Schwarzkopie" von Inszenierungen, (warum dann nicht noch eine "Gelbkopie" oder "Rotkopie" ? ), interessiert mich persönlich nullkommanull.
Schade, dass solche einfachen praktischen Zusammenarbeiten zur auch kleinsten Interpretations-Sache wie Brecht/Valentin nicht mehr funktionieren. - Warum eigentlich nicht???
Wo oder was ist die theatrale Geste? Wo oder was ist die Kunst bei dieser Nachinszenierung von Frau Recke?
Wenn ich in Alabama "Onkel Wanja" sehe, alles dunkelhäutige Schauspieler, oder wenn mir das japanische Laientheater aus Düsseldorf ein Kroetz-Stuck zeigt: warum soll mich das stören, wo liegt darin die hohe Kunst oder die theatrale Geste?
In den 90er Jahren hatte ich das Glück "Negerangst" von der niederländischen Gruppe SUVER NUVER auf Kampnagel zu sehen. ("1994 Suver Nuver speelt Negerangst" auf youtube als Ausschnitt.)
Und nun soll mir 2017 ein Remake als Kunstgriff untergeschoben werden. Nein, Danke.
Anja Herden ist eine schwarze Schauspielerin am Volkstheater in Wien und sie stammt aus Bielefeld, ist dort geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist weiß und hat schlesische Wurzeln. Man darf davon ausgehen, dass sich Frau Herden den einen oder anderen Gedanken zu Heimatvertriebenen und schlesischen Flüchtlingen gemacht hat. Darf sie nun diese familiäre Prägung auch in eine Theaterproduktion wie „Mittelreich“ einbringen, in der es ja auch um schlesische Flüchtlinge geht, ja oder nein? Oder ist dies auf Grund ihrer Hautfarbe unmöglich dort aufzutreten, weil Weiße in ihr nie die Nachfahrin einer Mutter mit schlesischen Wurzeln erkennen könnten? - Auch wenn diese Frage durch Reckes „Schwarzkopie“ noch nicht beantwortet wurde, so steht sie doch im Raum.
Um den Gedanken zu verfolgen, sollten die Kammerspiele mindestens mal eine schwarz besetzte Inszenierung (die gibt es dort allerdings auch nicht) mit weißen Doubles kopieren. Oder einfach mal schwarze Schauspieler fest engagieren.
Da beschreiben Sie ganz genau das Problem. Es ging um die Desillusionierung von Whiteness als soziale Konstruktion. Aber Weiße lassen sich eben nicht so leicht über ihr Privileg weiß zu sein desillusionieren. Dazu sind die Privilegien einfach zu komfortabel.
Die überschminkte Whiteness oder Blackness oder wat immer -ess, ist allerdings eine soziale Konstruktion und soziale Konstruktionen kann man nach ihrer Sinnhaftigkeit befragen. Kann aber auch rauskommen, dass sie einigermaßen sinnlos ist und nur einem Zweck diente...
München ist nicht Dakar.
Sie schreiben: "Wenn ich wo hin reise oder mich wo häuslich einrichte, wo "schwarze" oder traditionell gegendtypisch "farbige" Menschen die absolute Regel sind, ist meine mittel- bis ost-europäisch verwurzelte Whiteness garantiert das allererste was von denen an mir wahrgenommen wird. Es wäre absurd, wäre es nicht so, weil immer das hervorstechendste Merkmal beim Sehen als erstes wahrgenommen wird. Und das weiß ich auch, wenn ich gar nicht da hin reise, sondern mir nur vorstelle, ich täte das."
Und da liegen sie mehrfach falsch. Ich lebe als weisser Mann in einer hauptsaechlich schwarzen Gesellschaft.
1. Was eine hervorstechende Eigenschaft ist, veraendert sich sehr schnell und es ist keineswegs selbstverstaendlich, dass die Hautfarbe da eine besondere Rolle spielt. Das ist ihr eigener Filter. Ich finde zum Beispiel grosse Ohren (wie sie alte Maenner am Stammtisch in Deutschland und hier oft haben) ein hervorstechendes physisches Merkmal, Noch schneller fallen mir allerdings emotionale und charakterliche Eigenschaften auf. Und ueber beides wird die Hautfarbe sehr oft komplett vergessen.
2. Je mehr Zeit wir miteinander verbringen, desto weniger wichtig ist Hautfarbe - und desto mehr stoert man sich an Menschen, denen etwas was so unbedeutendes wie Hautfarbe genuegt um einen Menschen erstmal als 'nicht ortstypisch' einzusortieren. Damit verspielt man die Moeglichkeit, sich miteinander auseinanderzusetzen und damit verliert man viele Perspektiven. Ausserdem beleidigt man andauernd Menschen ohne dass das noetig waere. Eine viel wichtigere Unterscheidung ist 'Arschloch oder kein Arschloch' oder von mir aus auch 'witzig oder nicht witzig'.
3. Dass Sie glauben, ihre Vorstellungskraft sei so gut, dass Sie nicht einmal in der Situation sein muessten in einem anderen Kulturkreis zu sein um diesen auch nur ansatzweise zu verstehen, ist naiv. Dass sie dabei dazu noch uebersehen, dass da auch Menschen aus ihrem eigenen Kulturkreis auf der Buehne stehen, ist doppelt schade.
4. Ich bin als Bayer 'ortsuntypisch' gross. Es ist meine hervorstechende Eigenschaft. Auch wenn kaum ein Bayer so gross ist wie ich, wuerden ihnen meine Groesse auf der Buehne kaum eine Erwaehnung in ihrer Kritik (oder dem Kommentar darauf) wert sein.
Ich freue mich, dass Sie mich offenbar sehr viel besser kennen als ich mich selbst und ganz ohne mich zu kennen bereits wissen, was mir in einer Kritik oder in einem Kommentar auf eine Kritik wert sein könnte, erwähnt zu werden! - Herzlichen Glückwunsch zur Telegenie! - Ich hoffe also für Sie, dass Sie sich mit Ihrer ganzen ortsuntypischen bayerischen Größe weder besonders gerade halten noch besonders krumm legen auf einer Bühne, wenn Sie da was machen. Es könnte ansonsten sein, dass mir Ihre Größe doch eine Bemerkung wert wäre, geriete ich in ihre Vorstellung...
Eine weitere Exotisierung?
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/05/19/alles-gleich-alles-anders/
Wenn überhaupt, ginge es darum, ob Schwarze eine weiße Geschichte wirklich anders erzählen. Und vor diese Frage schob Recke von Anfang an einen Riegel, in dem sie eine exakte Kopie erstellen ließ. Doch ohne eine vergleichende Aufführung hätte man die Darsteller*innen auch gleich ihre eigenen Rollen entwickeln lassen können, in eigenen Kostümen und einem eigenen Bühnenbild durch einen selbstständigen Regiezugriff der jungen Regisseurin. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann die Unselbstständigkeit der Regie. Sie griff zu dem Naheliegenden und nahm nicht wirklich eine neue Setzung vor. Es ist keine eigenständige künstlerische Arbeit. Jemand hat eine schon am vorherigen Theatertreffen prämierte Aufführung kopiert, um einen winzigen Aspekt verändert und somit politisch aufgeladen, in einer eh schon gesellschaftlich politisch aufgeladen Gesamtsituation und ist wiederrum eingeladen worden. Die Rechnung ist aufgegangen. Wäre sie bewusst gemacht worden, dürfte man von einem perfiden Marketingtrick sprechen.
Es gab so viele Möglichkeiten zu einer sogenannten Schwarzkopie, wenn Anta Helena Recke tatsächlich etwas Eigenes entwickelt hätte. Sie hätte beispielsweise den „Götz von Berlichingen.“ in der Inszenierung mit Heinrich George rekonstruieren können oder deutsche Durchhaltefilme wie „Münchhausen“ oder „Quacks der Bruchpilot“ oder oder oder...
Alles käme in Frage, was zunächst einmal nach einer sehr starken, weißen und deutschen Geschichte riecht. Und wahrscheinlich, wenn es sich um einen Stoff gehandelt hätte, den alle präsent im Kopf haben, wären ganz andere Momente der Gefährdung von farbigen Schauspieler*innen in ihren Rollen sichtbar geworden, frei nach dem Motto, die unterscheiden sich ja wirklich nicht von „uns“ und sind genauso fehlerbehaftet oder großartig wie „wir“, um es einmal salopp zu formulieren. Aber auch diese Erkenntnis braucht es nicht wirklich mehr. Es ist eine Spielerei, eine schöne, kleine Idee, die nun vom Markt zu etwas Großem aufgeblasen wurde, wahrscheinlich nicht zum Vorteil der jungen Regisseurin. Es sagt sehr viel über die Mechanismen am Theater aus, weniger über die Aufführung.
Denn alle wissen, dass die Wahl auf „Mittelreich“ fiel, weil sie, Anta Helena Recke dort bei selbiger Inszenierung assistierte, weil es das Bühnbild und die Kostüme schon gab und so kaum Kosten für eine erste Inszenierung einer Assistentin entstanden sind. Eine Ausstattung wurde sozusagen erfolgreich zweimal verkauft. Eine doch leicht perfide, verdächtige Situation für ein Haus, dass gerne mit ausgefeilten Konzeptionen brillieren möchte. Hier kratzt man nur an der Oberfläche, denn es wurde nicht gezielt nach einem Stoff, einer Inszenierung oder einem Film gesucht, der einen echten Mehrwert, echte Reibung als Schwarzkopie erzeugen könnte. Es fehlt die Brisanz, die wirkliche Zuspitzung, das Risiko. Stattdessen nährt man sich parasitär an seinem eigenen Wirtskörper. Schon seltsam, dieser Vorgang. Und natürlich erreicht man wieder nur die falsche Zielgruppe, auch wenn es schön ist, dass man ein sehr diverses Publikum anlockt, wen will man von all denen denn noch von seinen Thesen überzeugen, der/die nicht schon längst überzeugt sind. Da schafft man sich wiederum nur seinen eigenen Resonanz- und Echoraum und erhält den zu erwartenden Applaus. Heißt das denn schlußendlich: Weiße gehen nur zu weißen Veranstaltungen und umgekehrt? - Was für ein trauriges Bild, falls sich jede Gemeinde nur selber applaudiert.
Well, jedenfalls gebühren Recke und Lilienthal das Verdienst, so ein Konzept gedacht und gemacht zu haben. Diese Arbeit so zu haben und darüber zu diskutieren, scheint mir dem Anliegen einer Veränderung von Bewusstsein und Wirklichkeit, dienlich zu sein. Es wird noch viel zu tun und zu sagen sein. Aber wir kommen voran.
Es ist ja auch immer die Frage, woher man gedanklich/biografisch kommmt, wenn es darum geht, wie aufschlussreich etc. ein Abend sein kann. Mich jedenfalls erwischten die braunen Heftpflaster, die die Kammerspiele im Foyer verteilten vollkommen: Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, dass Heftplaster ""hautfarben"" sind. Danke, liebe Kammerspiele. Kleine, aber feine Aktion am Rande.