Wo Blut und Honig fließen

von Falk Schreiber

Hamburg, 13. Oktober 2017. Die direkte Übersetzung des türkischen Wortes "Konak" lautet "Villa" oder "Herrenhaus", im übertragenen Sinne versteht man darunter aber auch "Herberge": einen Ort, an dem der Fremde willkommen ist. Eine solche Herberge hat das Wiener Theaterkollektiv God's Entertainment in eine Halle des Hamburger Kulturzentrums Kampnagel gebaut: ein bosnisches Dorf, mit Moschee, Kirche, Lädchen, Kaffeehaus. Hübsch hier. Aber auch ein wenig ereignisarm. Im Theater wird (ausgerechnet) Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" gegeben, angeblich ein Gastspiel von den Münchner Kammerspielen, vielleicht wird das interessant? Ausverkauft, schade.

God's Entertainment sind zum Spielzeiteröffnungsfestival "Openhaus – Strategien für eine migrantpolitische Gesellschaft" auf Kampnagel eingeladen, bei dem "neue Perspektiven auf die Gegenwart im 'Zeitalter der Migration'" aufgezeigt werden sollen. In der theatralen Installation "Convakatary Konak" beziehen sie sich grob auf den 1945 erschienenen Roman "Wesire und Konsuln", in dem der jugoslawische Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić das Leben in der osmanisch verwalteten bosnischen Kleinstadt Travnik schilderte.

Der Balkan ist bei Andrić der Ort, an dem Ost und West, islamische Welt und Europa ineinander übergehen, und so wird man in "Convakatary Konak" auch begrüßt: "Willkommen hier, wo Blut und Honig fließen, wo weder Orient noch Okzident ist". Blut und Honig, das verweist einerseits auf die Schönheit der Landschaft und auf die Sinnesfreude der Bevölkerung, andererseits aber auch auf die Grausamkeiten, die die Region seit Jahrhunderten prägen. Andrićs Travnik mag ein multikultureller Ort gewesen sein, in dem unterschiedliche Ethnien und Religionen auf kleinstem Raum miteinander auskamen, ein Idyll war es nicht.

Wie bei Signa

Wenn man sich in den Gebäuden ein wenig genauer umschaut, fällt auf, dass bei aller Freundlichkeit der Bewohner die Idylle auch hier brüchig ist. Im Lädchen gibt es "frische Ideologien": Nationalismus, Katholizismus, Esoterik. Besonders frisch ist das bei Licht betrachtet zwar nicht, aber immerhin werden die Weltanschauungen mit gewinnendem Lächeln angeboten. Im Museum stellt der (allem Anschein nach fiktive) Künstler Aleksander Nikolic "Nationale Identitäten durch die Körper der Fremden" aus – lebende Skulpturen, eine singt ergriffen eine Hymne, eine andere steht in verkrampfter Siegerpose da. Und im Kaffeehaus laufen herzblutige Balkanweisen, zu denen sich ein halbnackter Mann einen Rückspiegel in den Arsch schiebt.

ConvataryK 560 FalkSchreiber xFrische Ideologien auf dem Marktplatz von Convakatary Konak © Falk Schreiber

Das Konzept erinnert an die ausgeklügelten Horror-Parcours der dänisch-österreichischen Gruppe Signa, allerdings fehlt bei God's Entertainment die Dringlichkeit. Das Publikum drückt sich zwischen den Häusern rum, schaut mal hierhin, mal dorthin, verpasst im Zweifel die gerade andernorts stattfindenden performativen Miniaturen und steht die meiste Zeit der ständig feucht wischenden und zunehmend genervten Putzkraft im Weg. Wer sich zurückziehen möchte, hat die Möglichkeit, sich der Interaktion zu verweigern, aber wer mehr von dem Abend möchte, hat ein Problem, Andockpunkte zu finden. Auf lange Sicht fühlt man sich in "Convakatary Konak", als ob man auf einer Party eingeladen wäre, bei der man niemanden kennt, und weder Gastgeber noch andere Gäste interessieren sich nennenswert für einen. Und spätestens als Gemüse, Fischstäbchen und Wein gereicht werden, ordnet sich das Publikum ohnehin in Grüppchen und verliert den Anschluss ans Stück.

Der Balkan, das sind die anderen

Dabei hat der Abend sehr wohl einiges zu bieten. Die Beschreibung des Balkans als dunkler Hinterhof Europas, der je nach Perspektive woanders verortet wird: Für Slowenien beginnt der Balkan hinter der kroatischen Grenze, für Deutschland in den südöstlichen Vierteln Wiens, für Frankreich in Deutschland und fürs Brexit-Großbritannien im undurchschaubaren, zerstrittenen Rest-Europa. Der Balkan, das sind die anderen, die Gewalttätigen, die Sänger und Säufer, vor denen man Angst hat: Inhaltlich ist das eine durchaus scharfe Schlussfolgerung, die das mythisch raunende Balkanbild Mitteleuropas als Projektion kenntlich macht, eine Schlussfolgerung, auf der sich aufbauen ließe, wenn sich das Stück nicht in der Folge wieder im Angerissenen, Ungefähren verlieren würde.

Vielleicht will es aber auch anders als politisch gefasst werden, mit Freud nämlich – immerhin sind God's Entertainment aus Wien. Ein nackter Mann schmiert sich mit Zuckerwasser ein und wird genüsslich abgeleckt, auf einen breiten Bauch werden Filmaufnahmen einer zerstörten Stadt projiziert, ein Mann kauert in einem Käfig, eine Frau knetet sich die Brüste, und irgendwann wird Heinrich Heines Gedicht "Der Asra" rezitiert. "Täglich ging die wunderschöne / Sultanstochter auf und nieder / Um die Abendzeit am Springbrunn / Wo die weißen Wasser plätschern." Ost und West, Liebe und Ideologie, Gewalt und Gemütlichkeit, ist der Balkan doch nur so zu begreifen? Nach 70 Minuten ist die eigentliche Performance vorbei, es folgt eine Ansage: "Wer bleiben will, der bleibt. Bitte bleibt. Und trinkt." Wahrscheinlich ist das ernst gemeint: "Bitte bleibt." Aber man sollte sich nicht zu sehr auf die weinselige Gemütlichkeit verlassen, weil hinter ihr die Gewalt lauern kann. Und hinter der Idylle lauert der Krieg.

Convakatary Konak
Von und mit God's Entertainment
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten und länger, keine Pause

www.gods-entertainment.org
www.kampnagel.de

 

mehr nachtkritiken