Kunst sucht Kampf

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 13. Oktober 2017. Cowboys (und Cowgirls) sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Zwar sitzen die Fäuste nach wie vor so locker wie die Colts, aber das schaut verdächtig nach leerer Routine aus, so wie das Hin- und Herschubsen des Glases entlang der Theke. In Wirklichkeit hängen diese Leutlein herum im Saloon und bejammern ihre Existenz. "Mein Job als Museumswächter ist absurd, in philosophischem Sinne", klagt einer. Andere haben Eheprobleme. Und dann erst die Sache mit den außer Sicht geratenen Zielen im Leben ... Frust zwischen den Schwingtüren. Man zitiert und diskutiert gerne pessimistische Sager von Henry Thoreau. "Siehst Du das auch so, oder anders, und warum?" So gehen harte Western-Menschen heutzutage miteinander um, "echt achtsam füreinander".

Also: Sinn muss her. Ein großes Ziel. Der Barkeeper (Bence Mezei) hat eine Vision für die Frustwuchteln. Kunst, Tanzkunst ist gefragt zur Rettung der Welt und des eigenen auf Schmalspurgeleise gezwängten Seelenvehikels. Aufbruch nach Bagdad, zum psychohygienischen Friedensstiften! Das Thema im 50. Steirischen Herbst ist "Where Are We Now?". In diese Standortbestimmung im weitesten Sinn passte die tollkühne Produktion "Pursuit of Happiness" bestens hinein. Sind wir nicht tief im Inneren davon überzeugt, dass uns die Kunst deutlich näherbringt ans Glück? Gehören nicht die Tänzer, also gerade die wortlosen Körperkünstler, zu den lautesten und von sich überzeugtesten Sprechern für eine bessere Welt? In so manchem Tanz-Festival bekommt man ihren Missionseifer mit Inbrunst vorgeführt.

Selbstironische Tänzer*innen

Und jetzt das. Da kommen Kelly Copper und Pavol Liska, als Nature Theater of Oklahoma professionelle Querdenker nicht nur einer amerikanischen Lebenssicht. Sie taten sich zusammen mit der EnKnapGroup, Sloweniens einziger fester Compagnie für zeitgenössischen Tanz. Das sind sechs Tänzer, die bereit sind, über ihren eigenen Schatten zu springen. Sie machten ein Stück, das darauf hinausläuft, die Vergeblichkeit allen künstlerischen Tuns – und des tänzerischen besonders – krass auszumalen. Ein Abend, der überquillt vor Selbstironie. Die ist sonst nicht gerade die Stärke der Tanzszene.

PursuitofHappiness1 560 Andrej Lamut uDie Welt als Saloon © Andrej Lamut

Sobald sie draußen sind aus der Enge des Saloons, werden diese Kämpfer in eigener Glückssache quicklebendig. Das Mittel zum Zweck hat die Buchstaben RB, Red Bull, der potenzielle Zaubertrank "für Nato-Soldaten und einheimische Rebellen". RB ist eben ein besonderer Saft. Er verleiht zwar nicht so unmittelbar Flügel, wie es die Werbung weltweit suggeriert, schenkt aber Sicherheit. Wo RB-Dosen transportiert oder gestapelt werden, dort schießt man nicht. Aus Selbsterhaltungstrieb. So sieht es für ganz kurze Zeit aus, als ob die Tänzer die verfeindeten Soldaten in Bagdad tatsächlich zum Paartanz verführen können. Die hartgesottenen Kämpfer entdecken sogar ihre gleichgeschlechtliche Liebesfähigkeit. Doch dann: Drohnen kommen zum Einsatz, und die sind weder von Red Bull gesteuert noch auf choreographische Kunst programmiert. Es folgt ein mörderischer Showdown im Kugelhagel. Totalkapitulation der Kunst. Nichts anderes war zu erwarten.

Großes Kabarett

Trotzdem selten so gelacht über tiefschwarzen Humor. "Pursuit of Happiness" lebt vom Text, in dem jeder neue Satz den vorangegangenen ad absurdum führt. Das Stück kommt nicht schnell in Fahrt, denn zuerst gilt es ja für die Protagonisten, "den dicken Eintopf der Leere auszulöffeln". Aber dann gewinnt die Aufführung an Rasanz und (selbst)ironischer Schärfe. Satire pur, Pointe folgt auf Pointe. Man könnte das auch auf Kabarettbühnen präsentieren, aber die sind eher zu klein für so viel Turbulenz.

Das Nature Theater of Oklahoma war beim Steirischen Herbst auch und vor allem in ein anderes Projekt involviert. Kelly Copper und Pavol Liska sind nämlich die Regisseure einer Verfilmung des Romans "Wir Kinder der Toten". In Kapellen, im obersteirischen Mürztal, ist man das angegangen, mit dreihundert Laiendarstellern aus der Region. Warum gerade dort? Elfriede Jelinek ist in der Nähe, im Weiler Krampen, geboren worden. In ihrem Gespensterroman "in der Art der gothic novel" sind manche Orte wiederzuerkennen. "Die Steiermark hasse ich am allerwenigsten" hat die Schriftstellerin in einem Interview für den dickleibigen Herbst-Almanach verraten. Nun denn, der Steirische Herbst hat die Gunst genutzt. Im Herbst 2018 kommt der Film in die Kinos.

Pursuit of Happiness
Nature Theater of Oklahoma (US) & EnKnapGroup (SI)
Konzept, Text und Regie: Kelly Copper, Pavol Liska, Lichtdesign: Luka Curk, Kostümentwurf: Katarina Škaper, Kostüme: Atelje d.o.o.
Mit: Luke Thomas Dunne, Ida Hellsten, Bence Mezei, Jeffrey Schoenaers, Ana Štefanec, Lada Petrovski Ternovšek.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.steirischerherbst.at

 

Kritikenrundschau

Helmut Ploebst schreibt in der Wiener Zeitung Der Standard (online 15.10.2017): Das Regieduo Copper/Liska lasse die Tanztruppe sich selbst spielen in der Rolle von "Kultur-Amerikanern", die so täten, als seien "sie in eine superironische Westernpersiflage hineingeraten". Auf den Arm genommen werden alle, vor allem aber Tänzer in Bagdad, Tänzer und Tanz überhaupt, die Steirer und mehr. "Pursuit of Happiness" schwinge sich als "burlesker Klamauk" auf, dessen "populäre Form strapaziert wird, bis ihr die Nähte platzen". Die "queeren Bagdad-Cowboys" produzierten einen "Hurrazynismus", mit dem "ganz große Verlogenheiten in populistischen Narrativen aufgeblattelt" würden. Diese Satire wische "den Schmierfilm des sogenannten 'guten Geschmacks' gnadenlos weg".

"Mit welcher Leichtigkeit die Performance eine bittere Analyse der Verfasstheit des amerikanischen Traums auf der einen Seite und von künstlerischen Ambitionen in Zeiten politischen Siechtums auf der anderen abgibt", so "CH" in der Kronenzeitung (17-10.2017), "ist unterhaltsam, pointiert und schlichtweg grandios."

"Ein packender, würdiger Abschluß des Festivals, das heuer seine 50. Ausgabe feierte", so Martin Behr in den Salzburger Nachrichten (16.10.2017).Das Stück präsentierte sich aus Sicht des Kritikers als "ebenso intelligente wie rotzfreche Tour de Force in Sachen Glücksuche." Den Spielern wird Ironie, Eindringlichkeit und hohe Perfektion bescheinigt.

 

Kommentare  
Pursuit of Happiness, Graz: Großer Abend!
Sah die Aufführung in Graz. Über die zutreffende NK - Kritik hinaus ist das ein Hinweis an diejenigen einer freie Tanz- und Theaterszene, die denken mit Krieg, Flucht und Vertreibung u.ä. lassen sich hübsche Anträge zusammenschmieden, oder in Art - Camps die von der Industrie gesponsort werden liesse sich unbeinflußt arbeiten.
Eine Arbeit die böse auf die eigene Szene blickt - und dabei in 60 Minuten mehr Humor entfacht, als die Berliner Tanzszene im ganzen Jahr.
Im HAU wird das demnächst dann durch Umarmung abgefeiert werden, statt sich mal selbst zu hinterfragen.
Aber eigentlich wurscht - ein grosser Abend, 50 Minuten kalkulierte Insider Langeweile und Befindlichkeit - dann die wohl beste Stunde Tanztheater (im wahrtsen Sinne des Wortes), seit langem. Und die beste Arbeit des Nature Theatre seit Life and Times 1 & 2. Pavol & Kelly - you rock! En Knap - a) sehr gute Tänzer/Innen b) sehr gute Darsteller/Innen
Bravo. und c) eine amerikanische Gruppe die eine slowenische Gruppe gesponsort von Red Bull zwischen die Frontlinien im Irak schickt, um dort Truppenunterhaltung mit Konzepttanz zu machen - da muss man erst einmal drauf kommen.
Berlin - Check it out.
Pursuit of Happiness, Graz: perfider Heidenspaß
Das gezeigte „Geschehen“ ist mechanisierte Wiederholung, die ihren Sinn längst verloren hat, weil sich das „Streben nach Glück“ totgelaufen hat, es nicht mehr von der Welt als nachzufolgende Schablone gesehen wird, eben nicht zum Glück geführt hat, sondern zu ganz anderem. Vorgetragen wird das Ganze im zitateschwangeren Über-Pathos, den man von Liska/Copper kennt. Zitateschwanger ist das, irgendwo zwischen Seifenoper, Hollywoodschnulze und Broadway-Musical verortet. Höchste Künstlichkeit, Propaganda-Instrumentarium einer Überhöhung des „Amerikanischen Traums“, die sich längst von jeglicher Realität emanzipiert hat, weil es ihr dort besser geht, wo sie konsumierbar und damit käuflich ist. Und so ist Amerika in einem „permanenten Selbsthilfemodus“ gelandet, wie es eine Figur von sich sagt. Pure Show, die ihr Showsein, als letztes Element der Selbstbehauptung vor sich herträgt.

Geht es auch anders? Kann Kunst vielleicht mehr? Zum Beispiel, den Weltfrieden herstellen?. Das fragt Bence Mezei, der den Barkeeper gibt und sich irgendwann als Kopf der EnKnapGroup zu erkennen gibt. Der dem Publikum eine Filmidee pitcht – denn die Realität ist als Experimentierfeld viiel zu anstrengend. Und gefährlich. Dieses in groteskester Hyper-Eindeutigkeit auszuspielen, ist die Prämisse des zweiten Teils. Da reisen die Tänzer*innen nach Bagdad, um durch ihre Kunst den Krieg zwischen NATO-Truppen und dschihadistischen Kämpfern zu beenden. Sie stellen sich aufs Schlachtfelt und tanzen. Das was Mezei, der in diesem Haptteil den einzigen Erzähler gibt, als „wahre Apotheose der Kunstform“ bezeichnet. was das Publikum dagegen sieht, ist ein alberner Volkstanz zu ebenso süßlich banalen Folk-Klängen. Schärfer wurden Arroganz und Hybris von Kunst nur selten persifliert und entlarvt. Da bleibt das hysterische Lachen im Halse stecken.

Aufgeputscht von österreischischer Energiebrause, die einen besseren Job macht, zumindest vorübergehend Frieden zu stiften, bringt man in einer wahnwitzigen Mission die Kombattanten zum homoerotischen Paartanz, bevor die kalte Effizienz des modernen Drohnenkriegs die Vision brutal zerstört. Da fliegen die Federboas und der bunte Kopfschmuck herum, spritzt das Blut in Konfettiform – eine absurde, bitterböse und hochkomische Satire auf künstlerische Selbstüberhebung. Die sich am Ende komplett ad absurdum führt. Da wirbt der überlebende Truppenchef um den Friedensnobelpreis und will seine Lebensgeschichte ans Publikum verkaufen – nicht hier, sondern später bei Curry 36. Da sind Copper und Liska schon schamloser und bieten ihre T-Shirts gleich am Ausgang feil. Die schamlose Kommerzialisierung der Kunst macht auch hier nicht halt. Das kann man, so man so miesepetrig sein will, zynisch nennen, weil es den Kulturpessimismus ungefiltert auf die Spitze treibt. Oder man erlebt einen unverschämten Heidenspaß von satirischer Schärfe, unverschämter Übertreibuung und wild anarchischer Selbstdekonstruktion, denn selbstironisch ist dieser Oklahoma-Abend wie alle seine Vorgänger. Und das macht es so schwer, ihn zu kritisieren. Copper und Liska sind eben mindestens so perfide wie ihr Protagonist. Streben nach Glück? Quatsch. Oder na ja, vielleicht so ein ganz kleines bisschen.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/11/19/mal-eben-kurz-die-welt-retten/
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