Romeo und Julia – Pinar Karabulut begeistert am Schauspiel Köln mit Shakespeares berühmter Liebesgeschichte
Kälter als der Tod
von Martin Krumbholz
Köln, 14. Oktober 2017. Es geht gleich im Tanzclub los, im Berghain sozusagen – darauf verweist vielleicht die Bühne von Bettina Pommer, eine Zimmerflucht aus Plexiglas mit Drehtüren, an denen man sich wunderbar die Nasen anschlagen kann. Alle Figuren des Stücks tanzen zu lauter Technomusik allein vor sich hin, grotesk maskiert: "There is only the dance." Fest im Hause Capulet.
Zartester Enthusiasmus
Ort der Begegnung zwischen Julia und Romeo, sie mit langer feuerroter Perücke, er blond. Es muss schnell gehen, denn in dieser Tragödie geht alles schnell, das sich Verlieben, das Heiraten, der Vollzug der Ehe bis zum Lerchenklang, der Abschied, die Intrige, die Gegen-Intrige, das Missverständnis, der Tod.
"Romeo und Julia" handelt ein bisschen von der Liebe, vor allem aber vom Tod, und es ist erstaunlich, mit welcher Konsequenz die junge Regisseurin Pinar Karabulut das Thema angeht, ohne Schnörkel, anscheinend auch ohne Erschrecken vor der Eiseskälte einer Welt, in der die Hitze dieser Leidenschaft erstarrt wie ein Stückchen Blei in einer Wasserschüssel.
Erstaunlich, mit welcher Klarheit die Geschichte sich erzählt, erstaunlich auch, wieviel der Regisseurin zu jeder einzelnen der neun Figuren einfällt. Bei dem Paar im Zentrum versteht sich das vielleicht noch von selbst, vor allem ist Kristin Steffen eine Entdeckung an diesem Abend, eine Schauspielerin, die tatsächlich für knapp vierzehn durchgehen könnte, die den zartesten Enthusiasmus so überzeugend spielt wie die kraftvollen Energie-Eruptionen zwischendurch, mit und ohne Perücke. Jeder Romeo hat es schwer gegen jede Julia, die ja auch einfach die bessere Rolle ist, so auch hier Thomas Brandt – er zieht sich sehr achtbar aus der Affäre.
Gespenstische Zeugen der Liebe
Weniger selbstverständlich dagegen die Sorgfalt, die Karabulut allen anderen Figuren angedeihen lässt, ohne dem Missverständnis zu verfallen, es handele sich hier um Staffage oder Kulissenwerk. So etwas gibt es bei Shakespeare nicht. Zunächst fällt Nikolaus Benda als Tybalt auf, der eifersüchtige Neffe der Capulets, der aus Ressentiment mit dem Morden beginnt, der auch, wie alle anderen, im unaufdringlichen, aber eindringlichen Video herumgeistert, als gespenstischer Zeuge einer Liebe, die er nicht begreift, die sozusagen zu hoch für ihn ist, der am liebsten gleich loswüten, losschlagen würde: Großartig, wie er dieses "Aber ruhig!" sich selbst zuruft – so plausibel hat man diesen Burschen noch nicht gesehen. Er besäße "nicht ein einziges erkennbares menschliches Gefühl", sagt Tybalt in der Übersetzung von Gesine Danckwart über sich selbst: ein zweiter Edmund oder Jago.
Dann Mercutio, meistens nicht viel mehr als eine Zotenbombe, ein Scharfmacher wie Tybalt, nur mit deutlich mehr Sex-Appeal. Hier bei Simon Kirsch begreift man auf einmal, dass es die pure Todesangst ist, die diesen eloquenten Jungen antreibt, und er hat ja recht, er wird als erster fallen, mit einer kaum nennenswerten Wunde, die "aber reicht", um ihn konstatieren zu lassen: "Ich bin abgegessen" (wunderbar), im Zweikampf mit Tybalt, den Karabulut ohne blöde Degen, aber mit einem satten Popsong unterlegt an der Rampe inszeniert. (Harold Bloom meint, Mercutio würde aus dem Spiel genommen, damit aus "Romeo und Julia" überhaupt eine Tragödie werden könne, womit der schlaue alte Amerikaner wahrscheinlich recht hat, vielleicht aber auch nicht.)
Lauter Todesengel
Dann Yvon Jansen als Lady Capulet, ein Monster auf High Heels, ohne die geringste Empathie für ihr kleines Mädchen, eine Upperclass-Maschine – tolle Erfindung, dass sie einmal mit einer Krone auftritt, herrisch und kalt, Mann im Hause und Frau zugleich. Schließlich die Amme und Bruder Lorenzo, die oft als komödiantisches Traumpaar beschrieben werden und es hier bei Sabine Waibel und Benjamin Höppner auch sind, sie in ihrem knappen roten Minirock und er mit seinen kitschigen Heiligenbildchen auf der Kutte – das sind also die Gutmenschen im Stück, die sich auch mal einen Flirt gönnen, er die Ruhe selbst, sie ein flatterndes Nervenbündel.
Und dabei können sie doch nicht vergessen machen, dass zum Beispiel der Mönch den fatalen Einfall mit Julias Scheintod hatte – auch diese liebenswert harmlosen Zeitgenossen sind letztlich Todesengel, wie eben alle. Wie sogar Romeos Nebenbuhler Paris (Mohamed Achour) und Romeos Begleiter Benvolio (Nicolas Lehni), ebenfalls bei aller Kürze ihrer Rollen einprägsam ausgeführte Figuren. Womit tatsächlich alle Beteiligten genannt sind. Ein exzeptioneller Beitrag zum Saisonstart!
Romeo und Julia
von William Shakespeare
Übersetzung von Gesine Danckwart
Regie: Pinar Karabulut, Bühne: Bettina Pommer, Kostüme: Teresa Vergho, Musik: Daniel Murena, Video: Leon Landsberg, Licht: Michael Frank, Kampfchoreografie: Carsten Stausberg, Dramaturgie: Nina Rühmeier.
Mit: Thomas Brandt, Kristin Steffen, Yvon Jansen, Nikolaus Benda, Simon Kirsch, Nicolas Lehni, Benjamin Höppner, Sabine Waibel, Mohamed Achour.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause
www.schauspielkoeln.de
Kritikenrundschau
Christian Bos schreibt im Kölner Stadt-Anzeiger (online 16.10.2017): Thomas Brandts Romeo sei ein hormongeschubster Hitzkopf, in Liebesdingen jedoch eine liebenswerte Knalltüte, Kristin Steffens Julia der "aktivere Teil dieser blutjungen Beziehung" mit hoher Keifkompetenz und zusammen seien die beiden "eine Wucht". Dennoch vermisse man gelegentlich die "aufbrausende Dynamik" aus Karabuluts Regieassistentinen-Zeit, das sei im riesigen Depot 1 schwierig. Die Schauspieler machten ihre Sache "durchweg gut", Simon Kirsch als Mercutio und Nikolaus Benda als Tybalt seien "geradezu Idealbesetzungen". Die beste Szene: wenn Benjamin Höppners Bruder Lorenzo und Sabine Waibels Amme "hemmungs- und hilflos miteinander flirten".
Ein Anonymus schreibt auf Koeln.de (online 16.10.2017): An "wunderbaren Einfällen" mangele es Karabulut bei ihrem "grandiosen Einstand" auf der großen Bühne. Thomas Brandt und Kristin Steffen seien ein "wunderbares, zartes Liebespaar". Stracks und konsequent steuere die Geschichte in dieser Inszenierung auf ihr dramatisches Ende zu. Den Selbstmord Juliens erspare Karabulut dem Publikum.
"Mal flirrt sie wie eine Elfe, dann kokettiert sie wie eine Stripperin", schreibt Axel Hill die Schauspielerin Kirstin Steffen (als Julia) in der Kölnischen Rundschau (16.10.2017). Die Schauspielerin widme sich ihrer Figur mit einer Verve, Ungestüm und Leidenschaf, wie man sie wahrscheinlich nur mit Mitte Zwanzig empfinden könne und habe für ihre Leistung einen Einzelapplaus verdient. Aber auch Regisseurin Pinar Karabulut habe "(fast) alles richtig gemacht."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 22. April 2024 Intendanz-Trio leitet ab 2025 das Nationaltheater Weimar
- 22. April 2024 Jens Harzer wechselt 2025 nach Berlin
- 21. April 2024 Grabbe-Förderpreis an Henriette Seier
- 17. April 2024 Autor und Regisseur René Pollesch in Berlin beigesetzt
- 17. April 2024 London: Die Sieger der Olivier Awards 2024
- 17. April 2024 Dresden: Mäzen Bernhard von Loeffelholz verstorben
- 15. April 2024 Würzburg: Intendant Markus Trabusch geht
- 15. April 2024 Französischer Kulturorden für Elfriede Jelinek
neueste kommentare >
-
Besuch der alten Dame, Dresden Blutleer
-
Intendanz Weimar Österreich
-
Medienschau Alexander Scheer Mit Verlaub
-
Deutschlandmärchen, Berlin Sehenswert
-
Intendanz Weimar Empfehlung
-
Zauberberg, Weimar Zumutung
-
FIND-Eröffnung, Berlin Klares Profil
-
Kolumne Slevogt Verantwortungsgefühl
-
Medienschau Alexander Scheer Tief im Herzen
-
Theaterbrief Istanbul Aufführungszahl
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Schon die erste Szene gibt den Ton vor: hinter Plexiglas zucken die Figuren zu Techno-Beats, nach und nach lernen wir sie kennen: Yvon Jansen als Lady Capulet, eine schrille Schreckschraube, deren „Julia“-Kommandos aus dem Off ahnen lassen, mit wie strenger Hand sie ihre Tochter hin- und herschubst, Sabine Waibel als Amme, die zwischen den Fronten zu vermitteln versucht, Simon Kirsch als Mercutio, dessen homoerotische Facetten hier deutlich in den Mittelpunkt gestellt werden, vor allem aber Kristin Steffen als Julia mit roter Perücke und ihr blonder Romeo Thomas Brandt.
Thomas Brandt als Romeo
Es ist erstaunlich, wie frisch Karabulut und ihr Ensemble die jahrhundertealte Shakespeare-Tragödie von „Romeo und Julia“ spielen, die sonst oft ziemlich abgedroschen wirkt. Leitmotivisch ist die Inszenierung von Popsongs unterlegt, wie Zombies schleichen die Figuren, die Romeo und Julia ins Totenreich vorausgingen, in Zeitlupe an den Plexiglas-Spiegeln vorbei.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/03/29/romeo-und-julia-pinar-karabulut-schauspiel-koln-theater-kritik/