Roboter-Spiele

von Elisabeth Maier

Aalen, 14. Oktober 2017. Der Wissenschaftler Faust versinkt im Farbenrausch. Hilflos strampelt sich der Mensch in einem Glaskasten ab, den der kanadische Filmemacher Marek Pluciennik in immer neue Farben taucht. Dreiecke und Striche flirren über die farbige Fläche. Wie ein hilfloser Käfer klebt Faust-Schauspielerin Kristine Walther an der matten Acrylglasscheibe. Im Sog goldgelben Lichts verzerrt sich ihr Gesicht zur Fratze. Unentwegt kämpft der Körper ums Weiterkommen. Doch am Ende bleibt nichts als ein diffuser Schatten von dem, was einst den Menschen ausmachte.

Hightech? Kleiderständer!

Mit verstörenden Bildern wie diesem setzt Regisseur und Klangkünstler Marko Timlin im "Faustexperiment" des Theaters Aalen auf eine multimediale Schock-Therapie. Zumindest visuell geht das ambitionierte Konzept auf, eine multimediale Neu-Interpretation von Johann Wolfgang von Goethes "Faust" durch Erich Fromms sozialpsychologisches Werk "Haben oder Sein" zu wagen. Dass die Textfassung allzu kurz geraten ist und über ein "Best of" aus Goethes Zitatenschatz, gespickt mit Fromms Lebensweisheiten, selten hinauskommt, ist ein dickes Manko dieser formal umso bemerkenswerteren Regiearbeit.

Das Faustexperiment 560 PeterSchlipf uMensch und Maschine: Kristine Walther, Roboter © Peter Schlipf

Mit Timlin und Pluciennik hat Co-Regisseur und Intendant Tonio Kleinknecht ein innovatives Team um sich geschart, das Theater als mediales Gesamtkunstwerk denkt. Andreas Stelzer und Markus Knödler, die an der Hochschule Aalen Maschinenbau studieren, haben mit ihrem Professor Ulrich Klauck Roboter gebaut und programmiert, die Faust ganz in ihren Bann ziehen. Da flitzt eine schwarze Kiste auf Rädern über die Bühne und drängt Faust ins Abseits. Die technische Spiellust der jungen Maschinenbauer ist deutlich zu spüren. Doch das System ist hoch anfällig. Vor Beginn bittet der Theaterchef die Zuschauer, alle Handys auszuschalten, "weil sonst die Roboter verrücktspielen". Diese Lust am technischen Abenteuer steckt an.

Dennoch verliert das Regieteam die Grenzen des Fortschritts nicht aus dem Blick. Den gelben Arm der zweiten Maschine, die ihr das Leben erleichtern soll, betrachtet Kristine Walther mit ironischer Distanz. Obwohl ihr leidenschaftlicher Blick puren Glauben an die Technik spiegelt, benutzt sie das geniale Konstrukt auch mal als Kleiderständer. Plötzlich hängt da der Gehrock des Gelehrten. Stefanie Frey hat Kostüme geschaffen, die zeitlos sind und die zugleich historische Mode zitieren. Selbstbewusst hinterfragt die Spielerin Walther das Diktat der digitalen Welt. Ihre Figur will raus.

Kultur? Natur? Beides!

Doch just, als sie die Spritze zum Suizid ansetzen will, kommt Mephisto ins Spiel. Der teuflische Verführer lässt sie erkennen, "was die Welt im Innersten zusammenhält". Die Antwort darauf findet der Tänzer Georgio Convertito mit seiner kraftvoll-mitreißenden Choreografie. Im ruhigen Bewegungsfluss, im Einklang von Natur und Kultur, findet der Mensch sein Gleichgewicht wieder. Mit seiner Kraft erlöst der Tänzer den vom Technikrausch verstörten Faust, der in einem Kerker aus Plastikfolie gefangen ist und zitternd auf dem Boden kauert.

Das Faustexperiment 560a PeterSchlipf uGras, das aus der Technik wächst © Peter Schlipf

Was dem Text an Tiefe fehlt, fangen Kristine Walther und Georgio Convertito durch radikale Körperlichkeit auf. Marko Timlin verortet das "Faustexperiment" in einer geheimnisvollen Medienlandschaft, die den Menschen als Spielball der Maschine zeigt. Und doch siegt am Ende die Utopie. Diskurse über ethische Fragen der Technik und des blinden Konsums, die Erich Fromm in "Haben und Sein" anstößt, werden in dem faszinierenden Medienexperiment leider nicht mal angekratzt. Aus dem fahrbaren Roboter, der Faust buchstäblich an die Wand gedrängt hat, wächst am Ende grünes Gras. In diesem gnadenlos kitschigen Sinnbild der Natur finden Faust und der Tänzer zueinander. Ein schöner Schluss, auch wenn die Antworten auf die großen Fragen des 21. Jahrhunderts wahrlich nicht so einfach sind.

 

Das Faustexperiment. Ein multimediales Theaterstück für eine humane technologische Gesellschaft
von Tonio Kleinknecht und Marko Timlin sehr frei nach Johann Wolfgang von Goethe
Regie, Bühne, Klang: Marco Timlin, Videoprojektionen: Marek Pluciennik, Roboterbau und Programmierung: Professor Ulrich Klauck, Andreas Stelzer, Markus Knödler, Dramaturgie und Co-Regie: Tonio Kleinknecht, Theaterpädagogik: Anne Klöcker, Kostüm: Stefanie Freitag, Bühne, Licht und Ton: Frederic Wahl (Leitung), Holger Friedrich, Martin Obele, Heinz Rieger und Nicolai Stanislowski.
Mit: Georgio Convertito, Kristine Walther.
Spieldauer: 1 Stunde, keine Pause

www.theateraalen.de

 

Kritikenrundschau

Ansgar König schreibt in der Schwäbischen Zeitung (online 15.10.2017): Als "Verstehhilfe" für Goethes "Faust" tauge das "multimediale Theaterstück für eine humane technologische Gesellschaft sehr frei nach Goethe" nur bedingt. Die Regisseure versuchten mit "mächtiger Bildsprache" die "Kernthemen aus Goethes 'Faust' wenn nicht zu lösen, dann wenigstens zu kommentieren". Insgesamt glücke das Experiment trotz aller Widersprüche: ein "sehenswerter und kurzweiliger Kommentar zu den Problemen im Spannungsfeld Mensch/Maschine oder Gefühl/Vernunft".

"Ein empfehlenswertes Faustexperiment im digitalen Zeitalter. Ein sinnvolles Plädoyer für das gefährdete Mensch-Sein", schreibt Wolfgang Nussbaumer in der Schwäbischen Post (16.10.2017). MIt dem geglückten Einsatz der visuellen, akkustischen und von Studenten der Hochschule alen entwickelten robotechnischen Mittel ist ihnen im ZUsammenspiel mit ihrer überzeugend analogoen "Faustin" eine respktable Annäherung an den Mythos und zugleich dessen Fortschreibung geglückt.

 

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