Ein herrliches Weib stolpert

von Gabi Hift

Berlin, 25. Oktober 2017. Ich muss was gestehen. Ich habe der Redaktion vorgespiegelt, ich könne "Highness" von Melanie Jame Wolf unvoreingenommen kritisieren. In Wirklichkeit war ich befangen. "Highness" ist der zweite Teil einer Trilogie über archetypische Frauenrollen: die Hure, die Queen, die alte Vettel, deren ersten Teil, "Mira Fuchs", ich schon gesehen hatte. Damals, im Juni, hat sie sich gleich beim Auftritt splitterfasernackt ausgezogen, groß, üppig, alabasterweißer Körper, schwarzes Haar, phantastische Brüste, hat gefragt "Do you wanna dance?" Ihre kleine rote Zungenspitze kam zwischen den Zähnen raus. Der Tanz war ein Lap Dance. Sie kommt aus Melbourne, hat dort jahrelang als Stripperin gearbeitet. Wie ein Riesen-Cowgirl der Postmoderne ist sie auf meinem Schoß geritten, die Knie haben mir gezittert. Eine performative, postkoloniale lecture demonstration von einer queeren, sexpositiven Expertin des Alltags. Was mich angeht: Ich war verliebt.

Den König spielen die anderen

"Savage amusement" nennt sich ihre production company, und ein wildes, ein wüstes Vergnügen war "Mira Fuchs" wirklich. Diesmal gibt es mehr als nur sie und ihren Luxuskörper. Einen mit weißen Tüchern ausgehängten Raum, zwei Tänzer im weißen Tennisdress, cool mit schönem ironischen Bewegungsrepertoire: Louise Trueheart und Jos McKain. Dann wird SIE aufgedeckt, die Queen, ein Rieseninsekt in einem mit Blumenornamenten bedruckten Ganzkörperbody, ein schönes Raubtier auf Kothurnen, auch das Gesicht steckt hinter der Strumpfmaske, keine Augen, das Wesen ist blind. In einem Schattenspiel wird sie als Königin mit riesiger Watteperücke eingekleidet. Die Kostüme sind schön und witzig (Veronika Schneider) und Melanie Jame Wolf beherrscht die Körpersprache der Königin perfekt - sie biegt, hält, setzt und erhebt sich majestätisch.

HIGHNESS 560 SamSmith uMelanie Jame Wolf im königlichen Ganzkörperanzug von "Highness" © Sam Smith

Aber während sie in "Mira Fuchs" mit ihrer erotischen Macht alle in Untertanen verwandelte, hat sie hier, als Königin, leider keinerlei Macht. Am Theater sagt man: Den König spielen die anderen. Eine reale Königin wird als Trägerin jahrhundertealter Staatsmacht geboren, das Volk weiß das und Theater muss das spürbar machen. Ein paar hübsch getanzte Verbeugungen und Rückwärtsgänge der Diener, wie man sie hier sieht, genügen nicht. Auf allen Flächen erscheinen Bilder der Königin (Video: Sam Smith); sie läuft mit einer Leinwand herum, versucht sich in eine Projektion ihrer selbst einzukleiden. Ein kluges Bild, aber danach kommen nur noch Szenen, in denen man sieht, dass es eine Königin auch nicht leicht hat – eine Weisheit aus Gazetten beim Zahnarzt.

Wie kommt sie überhaupt auf die Idee, dass Königinnen ein gutes weibliches Rollenbild abgeben könnten? Melanie Jame Wolfs Persona ist die High femme – das ist eine sehr, sehr feminin auftretende Frau, die ihre Weiblichkeit performt und übertreibt, ähnlich einer Drag Queen (sic!), nur dass das Geschlecht, das die High femme hochkünstlich erzeugt, zufällig ihrem biologischen Geschlecht entspricht.

Highness 560 MarthaGlenn uProjektionsfläche Königin: Melanie Jame Wolf, Louise Trueheart, hinten: Jos McKain © Martha Glenn

Das ist schillernd und theatral, unterwirft sich nicht der Zuschreibung von außen, ist eine selbsterschaffene Rolle, die auf alle Erwartungen pfeift, Teil eines sexpositiven Feminismus, wie es ihn in Deutschland kaum gibt, von dem wir froh sein können, wenn wir ihn importieren können. Nur mit real existierenden Königinnen hat das leider nichts gemeinsam, die dürfen ihre Weiblichkeit ja gerade nicht ausstellen und ihre Macht beruht nicht auf einer Performance, schon gar nicht einer selbst entwickelten.

#me too

Gerade jetzt, wo wir Frauen mal wieder, zum gefühlt hunderttausendsten Mal drauf hinweisen müssen, dass Männer sexuelle Übergriffe dazu benutzen um Frauen klein zu halten, wäre es so schön gewesen, Modelle für stolze sexuelle Körper zu sehen. Beispiele von Spielen, die nicht nur abwehren müssen, sondern Kontra geben, sich nicht in soziale Unterdrückung und Entwürdigung, ummünzen lassen. In "Mira Fuchs" war das wunderbar gelungen. Die Königinnen, die mit Lady Di und einem "This was no ordinary love" – also einer Opferpersona – enden, erfüllen diese Hoffnung leider nicht.

Vielleicht ist das aber auch zu hart und entspringt meiner enttäuschten Verliebtheit. Auf jeden Fall kann man Wolfs herrlichen Körper bewundern, der mit Bravour jegliche Balance hält. Sie anzusehen, wie sie geht, steht, sich dreht, ist auf jeden Fall Genuss, sie ist eine schillernde Schönheit, ein Glanz. Der Geist allerdings stolpert diesmal – über ein holpriges Konzept.

 

Highness
von Melanie Jame Wolf
Texte, Choreografie, Video, Performance: Melanie Jame Wolf, Video, Set: Sam Smith, Kostüme: Veronika Schneider, Sounddesign: Annika Henderson, Savage Amusement, Künstlerische Beratung: Sharon Smith, Produktion: björn&björn.
Mit: Melanie Jame Wolf, Louise Trueheart, Jos McKain.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

sophiensaele.com

 

Kritikenrundschau

"Melanie Jame Wolf lässt in 'Highness' in den Sophienesaelen die Queens über Rollenzuweisungen (hinab) stürzen", schreibt Alexandra Hennig auf tanzraumberlin.de (1.11.2017). Wolf kenne sich aus mit Überhöhung und "weiß, dass der Sturz Teil der Verabredung ist." Sie entlarve in ihre Arbeit Rollen- und Machtzuschreibungen und habe Female Drag "die feierliche Aneignung und positive Übertreibung des 'Weiblichen' perfektioniert: mein Hintern, meine Kurven, mein Gesicht, meine Lippen, meine Vagina – in your face." Ist es also konsequent, wenn in "Highness" – dem zweiten Teil ihrer Trilogie zur Frau als Hure – die Fallhöhe zum ganzen Motiv werde? "Bis zu Letzt bleibt es seltsam unentschieden, ob die futuristische Queen im floralen, hautengen Ganzkörperanzug mit den extremen, kantigen Schultern, auf übertriebenen High-Heels, ohne Gesicht – ob diese Power Ranger-Queen nun das Phantom der Rächerin oder der Geplagten ist." Fazit: "'Highness' ist eine schillernde aber nachdenklich stimmende Performance mit Female Drag, die keine König*innen-Vorbilder schafft, sondern die (allzu) alte Geschichten wiederholt."

 

mehr nachtkritiken