Und es ward Licht

von Esther Slevogt

Dresden, 30. Oktober 2017. Er ist wieder da, der Theaterraum, der 1911 so etwas wie der Urknall der Theatermoderne war: der Bühnen- und Lichtraum für den Großen Saal des Festspielhauses in Dresden Hellerau; ein Theaterraum, dessen Begrenzung nur aus einem schwer definierbaren leuchtenden Material zu bestehen scheint, das dem Raum etwas Übernatürliches, beinahe Schwebendes verleiht. Drei Künstler haben diesen Bühnenraum wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt: der Schweizer Bühnenbildner Adolphe Appia (1862-1928), der deutschen Architekt Heinrich Tessenow (1876-1950) und der russisch-deutsche Maler und Lichtkünstler Alexander von Salzmann (1874-1934). Und zwar für die Hellerauer Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus des Schweizer Musikpädagogen und Komponisten Émile Jaques-Dalcroze (1865-1950).

Doch schon 1914 musste Dalcroze seine Schule schließen, 1938 wurde erst eine Polizeikaserne daraus, später war hier die SS untergebracht. 1945 zog die Rote Armee ein und erst 1994 wieder aus. Siebzig Jahre lang wurde die Gartenstadt Hellerau, einst ein Reformprojekt zur Erziehung des besseren Menschen und der Herstellung besserer Kunst, also militärisch genutzt. Seit 1996 ist Hellerau wieder ein Ort für Kultur, wurden die an der Grenze des Baufälligen angelangten berühmten Gebäude sukzessive wieder hergestellt, die – längst vor Weimar, wo 1919 das Bauhaus gegründet wurde – ein Labor der Moderne, eine Zukunftswerkstatt beherbergten. 

Festspielhaus1913 560 KingsCollegeLondon PublicDomain uReformprojekt für die Besserung von Mensch und Kunst: Das Festspielhaus Hellerau im Jahr 1913
© Kings College London

 

Ausgeklügelter Raum aus Licht

Zwei Jahre hat es gedauert, nicht zuletzt auch zwei Jahre Tüftelei durch das Team um Héctor Solari, Claire Kuschnig und Gabriele Gorgas, bis der epochale Theaterraum in Hellerau rekonstruiert war. Für die Rekonstruktion mussten unter anderem über 5000 Glühbirnen samt Fassungen und Kabeln gesucht und in Weißrussland gefunden werden: In der EU sind Glühbirnen dieser Energieeffizienzklasse seit 2009 verboten und werden nicht mehr produziert. Nur gegen heutige Brandschutzbestimmungen war kein Ankommen, und so fand man eine andere Lösung für den einst in Wachs getränkten Stoff, der den Saal (und die dahinter sich befindende ausgeklügelte Beleuchtung aus den zentral dimmbaren Glühbirnen) wie eine Haut aus Licht umschloss.

Das Raumerlebnis muss für die Zeitgenossen von 1911 überwältigend gewesen sein. Damals waren Theater- und Bühnenräume immer noch wesentlich vom barocken Theaterkonzept geprägt: von seiner pompösen Repräsentationskultur, seinen mechanischen Tricks, den perspektivisch mit bemalten Prospekten auf einen Fluchtpunkt hin gebauten Guckkastenbühnen und dem ornamentbeladenen Zuschauerraum als Gegenüber. Hier nun war die architektonische Trennung von Bühne und Zuschauerraum aufgehoben. Alle, Zuschauer wie Spieler, waren von der gleichen von innen illuminierten Wandbespannung umgeben. Es gab keinen Fluchtpunkt, die Figuren warfen keine Schatten. Die Bühne markierte ein Modulsystem aus Holzpodesten, das einer abstrakten Hügellandschaft glich und trotz seiner fast geheimnislosen Präsenz verborgene Möglichkeiten für Auf- und Abtritte bot. Alles war im gleichen diffusen Cremeton gehalten, so dass auch die Konturen der Holzpodeste sich in diesem Raum aus Licht fast verloren. Virtual Reality à la 1911.

Ergebnis eines technologischen Paradigmenwechsels

Damals gehörte die Elektrizität erst wenige Jahrzehnte zum Alltag – etwa so lange, wie ihn heute Computer und digitale Technologien erst prägen. So stößt die Revolution der Theatermittel, die der Hellerauer Bühnenraum markiert, auch noch einmal grundsätzlich darauf, was technologische Entwicklungen für das Theater bedeuten können. Denn so plötzlich vom elektrischen Licht beleuchtet, wirkten gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Theaterdekorationen nur noch wie das, was sie eigentlich waren: bemalte Pappe. Neue, von der Architektur gedachte Bühnenbilder wurden nötig, um weiterhin wirksame Bildillusionen zu erzeugen – und Adolphe Appia ist ein Pionier dieser vom Licht und der Architektur her gedachten abstrakten Bühnenräume. Aber auch insgesamt ließ die durch die Industrialisierung sich automatisierende Welt die Illusionsmaschine Theater und ihre mechanische Trickkiste damals plötzlich alt aussehen, wurde die alte Tante Theater genauso unter Veränderungsdruck gesetzt wie heute durch die Digitalisierung.

Appia 560 EstherSlevogt uRevolutionär: Adolphe Appias Theaterraum in Hellerau (mit Requisiten aus dem Stück "Model" von Richard Siegal, das hier im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zur Rekonstruktion gastierte) © sle

 

Erschütterte Grundlagen

Die Theater-Techies jener Jahre hießen Carl Lautenschläger, Königlich Bayerischer Hoftheatermaschinist in München, Mariano Fortuny, Licht und Beleuchtungsexperte eines gräflichen Privattheaters in Paris, und schließlich Hugo Bähr, der am Hoftheater in Dresden ganz neue elektrische Lichttechniken für das Theater entwickelte – bei ihm hatte u.a. auch Adolphe Appia gelernt. Sie schufen die technischen Voraussetzungen für die künstlerische Avantgarde, die um 1900 die Theatermittel für das 20. Jahrhundert neu erfand, und am Ende auch die Seelen bis in ihre Abgründe ausleuchtete.

Einer der Radikalsten unter diesen Techies war der in Tiflis geborene Alexander von Salzmann. Ursprünglich war er Maler gewesen. Doch hatte die Elektrizität für ihn die Grundlagen seiner Kunst erschüttert, und er begann, sich mit Licht, Elektrizität und ihrer Dienstbarmachung für die Kunstform zu befassen, die auch Richard Wagner als einzig den komplexen Anforderungen seiner Zeit entsprechende befunden hatte: das Theater eben. Noch später wurde von Salzmann Mystiker, was wieder eine andere Geschichte ist. Jetzt aber muss man erst einmal nach Dresden fahren, um diesen Theaterraum zu sehen, der seine wesentliche Wirkung dem unglaublichen Licht verdankt, das von einer subtilen seriellen Anordnung der 5000 hinter einer Stoffbespannung verborgenen Glühbirnen produziert wird. Heute noch ist er so modern und magisch wie vor über hundert Jahren.

 

Rekonstruktion der Zukunft – Raum. Licht. Bewegung. Utopie
Adolphe Appia, Alexander von Salzmann und Émile Jacques Dalcroze
Team der Bühnenrekonstruktion: Kai Kaden, Tobias Blasberg, Falk Dittrich, Dirk Heymann u.a.
Historische Recherchen: Héctor Solari, Claire Kuschnig, Gabriele Gorgas.

www.hellerau.org

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Kommentare  
Appias Theaterraum: Danke
Danke für die anschauliche Beschreibung, ein temporäer Sehnsuchtsort.
Appias Theaterraum: Vergangenheit als Utopie
danke für diesen beitrag.

ich kann ihn auch als philosophischen text lesen, der einfluß - die entwicklung - der technik auf das leben und die damit verbundenen veränderungen bzw. deren (neue/veränderte) möglichkeiten.

"Für die Rekonstruktion mussten unter anderem über 5000 Glühbirnen samt Fassungen und Kabeln gesucht und in Weißrussland gefunden werden: In der EU sind Glühbirnen dieser Energieeffizienzklasse seit 2009 verboten und werden nicht mehr produziert. Nur gegen heutige Brandschutzbestimmungen war kein Ankommen ..."

sehr schön - und erwähnensert, dass ein weg gefunden wurde, um dieses projekt zu ermöglichen und damit das beste aus der "vergangenheit" als utopie für gegenwart und zukunft zu bewahren.

für mich ein plädoyer des erhaltens echter werte - auch gegen einen BELIEBIGEN zukunftswahn, der die zerstörung von erhaltenswerten in kauf nimmt (...)
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