"Ich gehe nicht weg"

Breslau / Krakau, 8. November 2017. Seit die PiS-Partei 2015 in Polen die Macht übernahm, krempelt sie die polnische Kulturszene um. Eines der Opfer: Regisseur Jan Klata, der zwischen Januar 2013 und August 2017 Intendant des Stary Teatr in Krakau war.

Interview von Iwona Uberman

 

Breslau / Krakau, 8. November 2017. Das Gespräch mit Jan Klata über den "guten Wechsel" und die Zukunft des polnischen Theaters fand am Rande des Theaterfestivals Dialog-Wrocław statt.

Jan Klata 280 StaryTeatr uJan Klata © Stary Teatr nachtkritik.de: Als die PiS-Partei 2015 gewählt wurde, war ihr Schlagwort der "gute Wechsel" – alles sollte besser werden. Passiert ist das Gegenteil. Warum?

Jan Klata: Es ist ein Wechsel um des Wechsels willen, wobei unsere Regierenden von der Partei, die sich absurderweise "Recht und Gerechtigkeit" nennt, keine Idee haben, womit sie das ersetzen sollen, was es bisher gab. Das passiert nicht nur in der Kultur, sondern überall: von den Araber-Gestüten, den besten in Europa, über den polnischen Urwald bis zum Gesundheitswesen, wo es gerade einen Hungerstreik der Ärzte gibt. Die Aktivitäten der PiS zerstören die Kontinuität der institutionellen Politik eines Staates und das Funktionieren einer Gesellschaft.

Inwiefern?

Das sind Veränderungen, wie man sie nach einer Revolution einführt. Es gibt jedoch keine Indizien dafür, dass Polen vor den letzten Parlamentswahlen kein unabhängiges, funktionierendes Land war oder nach 1989, nach dem Sieg von Solidarność, ein Staat war, den man ablehnen und ganz neu aufbauen müsste. Deshalb finde ich die Diagnose der PiS falsch. Dazu kommt eine miserable Umsetzung. Etwa im Fall des Stary Teatr, das seit 1781 existiert. Selbst die kommunistischen Machthaber haben, wenn sie einen Intendanten wegen einer umstrittenen Inszenierung entließen – es gab ja auch in den 70er und 80er Jahren hervorragende Aufführungen, die der Regierung nicht passten –, bei der Wahl eines Nachfolgers immer die Meinung des Ensembles berücksichtigt.

Seitdem die PiS Partei im Herbst 2015 die Regierung übernahm, gab es in Ihrem Theater keine Eklats wie im Teatr Polski in Breslau wegen einer Jelinek-Inszenierung oder im Teatr Powszechny in Warschau wegen "Klątwa" ("Der Fluch"). Der Spielplan des Stary umfasste viele polnische Werke, Aufführungen über polnische Geschichte und internationale Klassik. So ein Programm müsste der PiS doch eigentlich gefallen.

Wenn die PiS sich rational verhalten würde – ja. Aber wir haben es hier mit einer Bewegung zu tun, die sich als Ziel gesetzt hat, den Staat auf den Kopf zu stellen, ohne zu wissen, wie man ihn neu aufbauen möchte. Sie versuchen es nicht einmal zu verheimlichen. Aus politischen Gründen wollen sie die bisherigen Eliten austauschen und Künstler wie Krzysztof Warlikowski, Olga Tokarczuk und Andrzej Stasiuk loswerden, obwohl sie niemanden haben, der sie ersetzen könnte. Der Kulturminister fährt eine Niederlage nach der anderen ein. Die jüngste Katastrophe ist die allmähliche Zerstörung des polnischen Filmsystems. Magdalena Sroka wurde entlassen, die Direktorin des Polski Instytut Sztuki Filmowej, sie, der zu verdanken war, dass polnische Filme in den letzten Jahren weltweit Erfolge feierten.

Auch Ihre Nachfolge gestaltet sich chaotisch. Dabei war bekannt, dass Ihr Vertrag im Sommer 2017 ausläuft, es gab also genügend Zeit, um jemanden für Ihren Posten zu finden.

Die Absicht der neuen Regierung war, mich gleich nach ihrem Antritt zu entlassen. Dieser Plan platzte, weil sich ein beliebter Schauspieler, den sie als neuen Intendanten wollten, als früherer Geheimdienstinformant herausstellte. Seitdem hatten sie fast zwei Jahre Zeit, einen neuen Kandidaten zu finden. Das Narodowy Stary Teatr ist dem Ministerium für Kultur und Nationales Erbe unterstellt, Minister Gliński hätte deshalb einfach einen neuen Intendanten ernennen können. Oder den jetzigen Vertrag verlängern, wie es am Teatr Narodowy in Warschau geschah.

Stary Teatr 560 Maatex uDas Stary Teatr in Krakau © Maatex

Warum hat man stattdessen mit einer Entscheidung bis März 2017 gewartet, um dann eine Ausschreibung anzukündigen, die ziemlich schnell und turbulent verlief?

Ich kann es nicht anders erklären, als dass der "gute Wechsel" nichts auf eine sinnvolle Weise durchführen kann. Die Ausschreibung, die drei Monate vor Spielzeitende stattfand, wurde durch fast alle potenziellen seriösen Kandidaten boykottiert, mit Ausnahme von einer Person. Man vermutete, dass das Ministerium einen Bewerber hat, für den sie jedoch keine Verantwortung übernehmen möchte und deshalb entschied, sich hinter einer Kommission zu verstecken, die diese Auswahl trifft. Als Gewinner der Ausschreibung wurde ein organisatorisch-künstlerisches Duo benannt.

Als Intendanten: Marek Mikos, der bisher den lokalen TV-Sender in Kielce führte und keine Erfahrung in der Leitung eines Theaters hat. Und als künstlerischen Leiter: Michael Gieleta, einen in Polen fast unbekannten Opern- und Theaterregisseur, der seit Jahren im Ausland lebt und arbeitet und fast keine Berufserfahrung mit polnischen Bühnen besitzt.

Als Minister Gliński den Medien den Ausgang der Ausschreibung verkündete, sagte er, dass Michael Gieleta der berühmteste polnische Regisseur in der Welt wäre. Entweder meinte er das zynisch oder er hat einen schlechten Überblick der Theaterlandschaft. Ich denke, es war Zynismus, weil die PiS kein Interesse an der Entwicklung der Kultur in Polen hat. Sie spricht nur zu ihren Wählern, lebt in einer alternativen Wirklichkeit, ein eigener Planet, mit eigenen Gravitationsregeln, anderen Handlungsprinzipien. In Polen geht nur ein kleiner Teil der Gesellschaft ins Theater, die PiS interessiert sich nicht für sie. Das Theater selbst ist dafür gut, es bei Wahlen als Schreckgespenst zu benutzen, da es angeblich antipolnisch und aufrührerisch ist. Wenn man die Umfragen betrachtet, ist diese Strategie erfolgreich. Als die Schauspieler des Stary Teatr den Kulturminister um einen Gesprächstermin baten, schrien PiS-nahe Medien sofort auf: Keinen Schritt zurück, Herr Minister!

hamlet3 560 thomas aurin uJan Klatas "Hamlet"-Inszenierung in Bochum 2013 © Thomas Aurin

Wie sich die Lage mit dem Stary Teatr weiter entwickelt hat, ist bekannt: Kaum war der Vertrag mit dem neuen Intendanten unterschrieben, verkündete dieser, dass er seinen Partner Gieleta nicht einstellen wird.

Der in Wirklichkeit der Hauptkandidat war!

Das von Gieleta bei der Ausschreibung präsentierte Programm wird nicht umgesetzt, man hat das Ensemble brüskiert und nicht zur offiziellen Eröffnung des neuen Stary Teatr eingeladen. Wie geht es weiter?

Bis Ende Dezember läuft der Spielplan so, wie ich ihn festgelegt habe. Der neue Intendant versucht, Gespräche mit Regisseuren zu führen, aber die Mehrheit der polnischen Regisseure hat sich vor Kurzem in der Gilde Polnischer Regisseure und Regisseurinnen organisiert und bekanntgegeben, dass sie nicht im Stary Teatr arbeiten werden wegen der Art und Weise, wie dort der Wechsel durchgeführt wurde. Es finden keine Proben zu neuen Inszenierungen statt, das Theater funktioniert nur abends und unsere Aufführungen sind überbucht. Alle sind sich darüber im Klaren, dass dies unser Abschied ist.

Apropos Abschied: Ihre Inszenierung "Die Hochzeit" wird begeistert gefeiert mit einem Applaus, dem man mit dem vergleichen könnte, den Frank Castorf für seine "Faust"-Abschiedsinszenierung an der Volksbühne erhielt.

Frank Castorf hatte für mich entscheidende künstlerische Bedeutung. Als die Volksbühne mit den "Webern" in Polen gastierte, war ich absolut fasziniert. Wenn irgendwelche Inszenierungen tatsächlich einen Einfluss auf meine Regiehandschrift haben, sind das die Arbeiten von Frank Castorf und Tadeusz Kantor.

Trailer zu "Die Hochzeit" (Wesele) © Stary Teatr

Werden Sie jetzt verstärkt im Ausland arbeiten, etwa in Deutschland? Ihre Bochumer Inszenierung "Verbrechen und Strafe" nach Dostojewski wurde von der Jury des Berliner Theatertreffens diskutiert.

Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits ist es in Polen tatsächlich sehr eng geworden, es fehlt Luft zum Atmen. Wir führen dieses Gespräch während des Festivals Dialog Wrocław, dem der Kulturminister den Zuschuss strich.

Und dies nur 18 Tage vor dem Beginn des Festivals!

Es war ein Wunder, dass man das Programm retten konnte. Ich bin den ausländischen Zuschauern, Künstlern und Institutionen wie dem Goethe Institut, dem Gorki Theater Berlin, Les ballets C de la B & NT Gent, der Toneelgroep Amsterdam und vielen anderen sehr dankbar, die das Festival unterstützten. Für uns war die Teilnahme am Dialog in Wrocław sehr wichtig, weil es uns de facto schon nicht mehr gab.

Um die Kosten zu drosseln, reiste das Publikum vom Dialog Wrocław zu Ihrem "Volksfeind" nach Krakau mit Bussen an.

Theaterzuschauer aus Breslau, einer Stadt, in der das Teatr Polski schon durch den Kulturminister zerschlagen wurde, kamen nach Krakau, in eine Stadt, wo das Stary Teatr gerade zerstört wird. Morgen fahren wir zu einem anderen Festival, dem das Kulturministerium die Zuschüsse verweigert hat, zum Festival Prapremier in Bydgoszcz, und spielen dort "Die Hochzeit". Es wird immer enger, aber es ist gerade das, was die PiS-Politiker wollen. Sie wollen, dass wir das Land verlassen, weil wir "Linke und Verräter" sind. Ich gehe nicht weg.

Volksfeind Wrog ludu MHueckel u"Ein Volksfeind" (Wrog ludu) © M. Hueckel

Warum?

Ich habe drei Töchter, Teenager, und werde sie nicht zwingen zu packen. Sie wollen die Welt verbessern und wollen es gerade von Polen aus tun. Ich muss es ihnen ermöglichen, ich kann nicht davonlaufen. Ob ich im Ausland arbeiten werde? Ja. Ich werde überhaupt mehr inszenieren als in den letzteren Jahren. Als Intendant konnte ich es nur selten tun, weil ich für ein großes Ensemble verantwortlich war.  Was Deutschland angeht, die Erinnerungen an die Arbeit mit so außergewöhnlichen Schauspielern wie Jana Schulz oder Dimitrij Schaad, der mein Hamlet war, sind fantastisch. Sie gehören zu meinen großartigsten Erlebnissen als Regisseur überhaupt. Aber zurzeit plane ich eine Premiere in Prag, im Februar mache ich dort "Maß für Maß" von Shakespeare.

Und in Polen?

Ich werde im Nowy Teatr bei Krzysztof Warlikowski arbeiten und im Teatr Powszechny bei Pawel Łysak, der ein sehr mutiger Intendant ist, ich habe schon früher bei ihm in Bydgoszcz inszeniert. Es ist mir wichtig, den Kontakt zum polnischen Publikum nicht zu verlieren. Ich spüre es stark hier in Breslau, wo meine Inszenierungen am Teatr Polski wegen des "guten Wechsels" nicht mehr gezeigt werden. Die Begeisterung der Breslauer Zuschauer, die zu uns zum "Volksfeind" nach Krakau gekommen sind, war enorm. Man sieht, dass die Leute unsere Inszenierungen sehen wollen und darauf warten, dass wir uns durch das Theater mit dieser Wirklichkeit auseinandersetzen.

Wie geht es weiter mit dem polnischen Theater?

Wenn die PiS die nächsten regionalen Wahlen für die Selbstverwaltungen nicht gewinnt, gibt es Hoffnung für das polnische Theater. Falls sie gewinnt, bedeutet dies das Ende des freien, künstlerischen Theaters in Polen. Zurzeit hat die Regierung direkten Einfluss auf das Teatr Narodowy und die Opera Narodowa in Warschau sowie das Narodowy Stary Teatr in Krakau und indirekten Einfluss auf einige Theater, die sie mitfinanziert. Sie versucht auch, durch ökonomische Zensur Einfluss auf Programme von Festivals auszuüben. Die Wahlen für Selbstverwaltungen im Herbst 2018 bedeuten Sein oder Nichtsein für das Theater in Polen.

Gibt es Hoffnung?

Bis jetzt gibt es in keiner Stadt in Polen, die mehr als 200.000 Einwohner hat, einen PiS-Bürgermeister. Das bedeutet, dass die Theater dort noch Handlungsfreiheit hatten, die regionalen Theater waren frei. Bis jetzt. Ob es so bleibt – wir werden sehen.


Mehr über die schwierige Situation in Polen im nachtkritik-Lexikon. Wie Klata aus dem ultrakonservativen Lager unter Druck gesetzt wird, beschrieben wir im Dezember 2013.

Wie das polnische Theater von der PiS-Kulturpolitik betroffen ist beschrieb Anna R. Burzyńska im Februar 2016.

 

 

Kommentare  
Inteview Jan Klata: Solidarität wäre Klacks
Danke für diesen Beitrag! Und dieser Beitrag (https://forumdialog.eu/2017/11/05/heute-gibt-es-etwas-an-dem-man-sich-reiben-kann/) ist übrigens auch lesenswert.
Aus deutscher Sicht: was kann man tun? Von Berlin aus wäre es eigentlich ein Klacks, Solidarität zu üben. Mit dem Berlin-Brandenburg-Ticket kommt man bis Stettin, es gibt am Wochenende den 'Kulturzug' nach Breslau (für 19 EUR!). Aber dennoch scheint vielen Polen weit weg. Absurd!
Interview Klata: Vergleich mit Deutschland
"Zurzeit hat die Regierung direkten Einfluss auf das Teatr Narodowy und die Opera Narodowa in Warschau sowie das Narodowy Stary Teatr in Krakau und indirekten Einfluss auf einige Theater, die sie mitfinanziert."

in deutschland braucht man dazu keine PiS

"Selbst die kommunistischen Machthaber haben, wenn sie einen Intendanten wegen einer umstrittenen Inszenierung entließen – es gab ja auch in den 70er und 80er Jahren hervorragende Aufführungen, die der Regierung nicht passten –, bei der Wahl eines Nachfolgers immer die Meinung des Ensembles berücksichtigt."

^Seit 2015 wird die deutsche Kulturszene umgekrempelt. Eines der Opfer: die volksbühne am rosa-luxemburg-platz und frank castorf^

liebe nachtkritik, die sonstigen gemeinsamkeiten bzw. auch unterschiede bedürfen der hohen schule der dialektik, welche ihr ja nach meiner erkenntnis zu weitführend findet.

ps. fragt doch mal bei pollesch nach, warum er zukünftig öfter in polen inszenieren möchte (kleiner tip: dort wird mit offenen karten auf dem tisch gespielt ... und die zusammenhänge sind überschaubar)
Interview Klata: bissiger Kommentar
#1

"aus deutscher sicht" muß er erst mal eingesperrt werden ... soweit mein bissiger kommentar zu "solidarität"
Interview Klata: unerträglich
@marie: Sie sind ja schon bislang hauptsächlich durch zusammengegoogelte Fremdtexte aufgefallen, die irgendwie, zumeist ziemlich unpassend in Ihre Kommentare reinkopiert wurden. Es war auch daher schon klar, daß Zusammenhänge und Logik hin und wieder Opfer Ihres Bedürfnisses, möglichst lange Kommentare zu schreiben werden. Hier aber wird Ihre allgemeine Ahnungslosigkeit und Ihr Fanatismus, jedes aber auch jedes Thema in den Volksbühnen-Zusammenhang zu stellen, unerträglich.

Weder in Deutschland, noch in Polen wurde Jan Klata verhaftet. Die Freiheit der Kunst ist in Deutschland relativ ungefährdet. Wir erleben derzeit einen von der Bundeskulturstiftung finanzierten Sturm auf den Reichstag. Wow.

Ich freue mich über Beiträge zur Situation in Polen, weil sie ungleich beunruhigender ist, und die Theaterwelt in Deutschland m.E. ihre ewige Nabelschau mal unterbrechen dürfte (wobei ja anzuerkennen ist, daß polnische Künstler in Deutschland umfassend arbeiten und z.B. das Gorki hier ja auch gerade entsprechende Veranstaltungen macht). Und da kommen Sie und versuchen das wieder in den kleinstmöglichen, kommunalen Zusammenhang zu drehen. Früher hieß es: wenn man keine Ahnung hat, einfach mal still sein.
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