Das einsame Lachen des Dramaturgen

von Wolfgang Behrens

7. November 2017. Als ich noch ein Kritiker war, habe ich einmal auf bösartige Weise einen Dramaturgen bloßgestellt. Eigentlich war es gar kein richtiger Dramaturg, sondern ein Autor, aber der Autor hatte im bewussten Fall eine genuin dramaturgische Aufgabe übernommen: Er hatte aus Bertolt Brechts Romanfragment "Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar" eine Bühnenfassung erstellt. Nun war es nicht etwa so, dass ich den zum Dramaturgen gewordenen Autor deswegen schalt, weil er seinen Job schlecht gemacht hätte. Nein, infam, wie ich war (ich war ja Kritiker!), zerrte ich ihn dort ins Rampenlicht, wo er sich mit Recht im Schutze der Anonymität wähnen durfte: im Publikum.

17 Kolumne behrens k 3PWitzig, Witzig

Ich hatte den Autor nämlich während der Premiere jener Brecht-Inszenierung in den Zuschauerreihen erspäht, und da die (gelinde gesagt: sperrige) Aufführung es zuließ, die Aufmerksamkeit schweifen zu lassen, beobachtete ich ihn unbarmherzig. Und schnürte meine Beobachtungen in folgende missgünstige Schlusspassage meiner damaligen Rezension: "Wer keine Textkenntnis hat, dürfte sie sich durch diesen Abend kaum erwerben können. Ein Herr in der zweiten Reihe freilich hat seine Hausaufgaben gemacht: Ihm entgehen die bösen Brecht'schen Pointen nicht, und er gluckst bei ihnen wissend in sich hinein. 'Man muss einmal bestochen haben, um sich selber ordentlich bestechen lassen zu können.' Köstlich. Oder: 'Ein Händler muss auf den Gedanken gekommen sein, dass man aus einem Menschen mehr herausholen kann als nur die Gedärme.' Witzig, witzig. Der Lacher ist der Autor Lothar Trolle, der die Textfassung für die Aufführung erstellt hat. Da der Text am Rest der Zuschauer nahezu ungehört vorbeirauscht, bleibt er mit seinem Lachen ziemlich allein."

Auditive Überprüfung

Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen, gibt es zwar bei Franz Kafka (nämlich hier), in der Realität indes eher selten. Lachen ist eine gesellige Tätigkeit, und auf jemanden den Blick zu lenken, der alleine lacht – und das womöglich auf auffällige Weise –, ist eine Gemeinheit. Von dem Kritiker, der die obigen Zeilen schrieb, möchte ich mich distanzieren. Zumal ich von mir selbst weiß, dass ich durchaus kein unauffälliger Lacher bin. Schon öfters wurde mir nach Aufführungen grinsend beschieden: "Ich habe Dich lachen gehört!" Und kürzlich wies mich ein Freund darauf hin, dass er mich bzw. mein Lachen in der Tonspur der aufgezeichneten Antrittsvorlesung von Rainald Goetz zur Heiner-Müller-Gastprofessur verortet habe. Ich habe das zuerst – instinktiv auf Selbstschutz bedacht – heftig bestritten, musste dann aber bei der auditiven Überprüfung klein beigeben. Der da so dumm rumlacht, das bin ich.

Keiner lacht mit

Heute würde ich also keinen einsamen Lacher mehr aufspießen. Zugegeben, mir mangelt es jetzt auch an Gelegenheit, denn mittlerweile bin ich ja kein Kritiker mehr, sondern Dramaturg. Als solcher fürchte ich nun selbst, dass demnächst in irgendeiner Nachtkritik steht: "Niemand lachte, nur der Produktionsdramaturg Wolfgang Behrens kicherte allen vernehmlich vor sich hin!" Und was das Schlimmste ist: Dieses Szenario ist in keiner Weise abwegig. Tatsächlich sitze ich nun in manchen Vorstellungen und ertappe mich dabei, alleine über irgendetwas zu lachen. Weil eine Schauspielerin etwas ein klein bisschen anders spielt als bei den Proben, weil ein Schauspieler einen kleinen neuen Text improvisiert oder weil mir eine vereinbarte Pointe besonders präzise erscheint (und sich trotzdem vielleicht als schlechte Pointe erweist, denn es lacht ja keiner mit).

Ja, Du hast es gerafft, Mann!

Der Produktionsprozess hat deutliche Spuren in meinem Lachverhalten hinterlassen – und ab und zu verdächtige ich mich gar selbst, überhaupt nur zu lachen, um den Schauspieler*innen die Rückmeldung zu geben: Hey, hier sitzt euer Dramaturg und zeigt, dass er's gecheckt hat … (was mich dann wieder fatal an jenes einst besuchte Jazz-Konzert erinnert, bei dem ein Zuschauer plötzlich in kolossales Lachen ausbrach, dass er künstlich solange aufrecht erhielt, bis der Pianist ihm wissend zunickte: "Ja, du hast es gerafft, Mann! Und ich habe bemerkt, dass du's bemerkt hast!")

Heute empfinde ich dem glucksenden Lothar Trolle von damals gegenüber große Empathie. Er hat gelacht, weil er eine Geschichte mit der Aufführung hatte. Weil er sie besser kannte als wir anderen. Es war das einsame Lachen des Dramaturgen.

 

Wolfgang Behrens, Jahrgang 1970, ist seit dieser Spielzeit Dramaturg am Staatstheater Wiesbaden. Zuvor war er Redakteur bei nachtkritik.de. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in Berlin. Für seine Kolumne "Als ich noch ein Kritiker war" wühlt er u.a. in seinem reichen Theateranekdotenschatz.

 

Zuletzt schrieb Wolfgang Behrens, wie er eben noch Kritiker, sich plötzlich als Dramaturg wiederfand.

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Kommentare  
Kolumne Behrens: wie Trolle
" Er hat gelacht, weil er eine Geschichte mit der Aufführung hatte. Weil er sie besser kannte als wir anderen."

das ist ja das dilemma mit dem (nicht)KENNEN von geschichte(n) für die kritiker (und journalisten) - jedoch kommt selten ein text wie "als ich keine ahnung hatte, von dem was ich damals schrieb" ...

die kenner von geschichte(n) jedoch haben damals schon gewußt, wie ihre kritik von 2009 einzuordnen war, doch trolle ist ein sehr höflicher mensch - er würde keine zeile DAZU verschwenden.

ps. und da dachte ich doch immer, dass trolle DRAMATIKER und nicht dramaturg ist ... aber sie kennen sich ja ganz langsam immer etwas besser aus? lachen sie (wie trolle) auch manchmal über ihre eigenen texte?
Kolumne Behrens: manchmal aus Mitleid
Liebe marie, ja, na klar ist Lothar Trolle Dramatiker, aber das steht im ersten Absatz der obigen Kolumne auch drin, wenn ich mich recht entsinne.
Die Frage, ob ich manchmal über meine eigenen Texte lache, ist natürlich sehr indiskret, denn wenn ich sie einfach bejahte, käme das megaeitel rüber. Tatsächlich ist es so, dass ich beim Schreiben eines Textes nie lachen muss. Es ist aber schon vorgekommen, dass ich beim Lesen eines älteren Textes von mir lachen musste (das ist jetzt doppelt eitel: Der Mann liest also seine eigenen Texte; und lacht über sie). Warum auch immer: Das Lachen kann die Folge einer ausgelösten Erinnerung sein, oder ich hatte eine Pointe vergessen und mich nun über ihr Funktionieren gefreut - und vielleicht lache ich manchmal auch nur aus Mitleid.
Kolumne Behrens: Entschuldigung
lieber wolfgang behrens, ich mache mir wohl im gegensatz zu ihnen wenig gedanken über meine außen-/fremdwahrnehmung und meine kommunikation entspringt nicht der diplomatie, sondern (teilweise) einer provokanten ironie, welche ich wohl zu intensiv praktiziert habe (u.a. z.b. mit trolle), da mich vor allem sowas wie "ehrlichkeit" dabei interessiert - welche ja nicht gratis serviert und erwartet werden kann.

ich würde mich freuen, wenn sie entschuldigen könnten, dass ich mich für die von ihnen empfundene "indiskretion" nicht entschuldige. auch würde ich "eitelkeit" differenzierter und immer in dem entsprechenden kontext betrachten. (eitelkeit mit würde und machtlosigkeit gepaart ist etwas völlig anderes als die pure eitelkeit der macht um ihrer selbst willen).

lachen ist ein sehr guter grund, für die ewig unvollkommenen versuche von aufklärung, kraft dafür zu finden und sie immer weiter zu betreiben. doch das ist eine erkenntnis des älter werdens und wohl auch das einzig gute daran - eine art demütige "eitelkeit" ...

freundlichst marie
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