Das halbe Leid - Fürs Schauspielhaus Hamburg organisieren Signa eine zwölfstündige Empathie-Schulung
Wer ist mein Mentor?
von Michael Laages
Hamburg, 16. November 2017. Womöglich hatte sich Maxim Gorki ja so das "Nachtasyl" vorgestellt – Menschen am Rand der Gesellschaft, Untergegangene und Untergeher, auf engstem Raum und unter armseligsten Bedingungen aufeinander geworfen, bis schlimmstenfalls Blut fließt oder Füße verbrüht werden. Und vielleicht fühlt sich so ja heute auch eine jener Notunterkünfte für Geflüchtete an, 100 Familien in einer dörflichen Turnhalle, mehrstöckige Betten nebeneinander gepfercht, und die Grenze zwischen den Privatsphären ist ein windschief gehängtes Bettlaken. Das ist nun unsere Welt, wenn wir in Hamburg Leiden lernen wollen; bei und unter Anleitung von Signa, dem so außergewöhnlichen Performance-Team, dessen deutsche Karriere nach aufsehenerregenden Lebenswelt-Erfindungen in Dänemark von Köln aus unter anderem über Leipzig und Berlin nach Wien zu den Festwochen führte – dann neulich nach Mannheim zu den Schillertagen und mittlerweile zum dritten Mal auch nach Hamburg und ans Deutsche Schauspielhaus.
Beziehungsweise gerade dahin dann eben doch nicht – Signa sind spezialisiert auf Außenspielstätten, für "Das halbe Leid" jetzt ist eine leere Fabrikhalle, mittlerweile von Hamburger Behörden umgenutzt, zum Erlebnisort geworden für eine zwölfstündige Empathieschulung. "Das halbe Leid" ist ein fiktiver Verein aus "Mitleidenden", Menschen übervoll von gutem Willen (und gerade darum oft besonders hilflos), und wir werden zu Teilnehmern eines Kurses dieses Vereins. Uns selber, den eigenen Habitus, geben wir dafür an der Garderobe ab. Genauer: im Spind – ausgewählt durch einen von 30 "Leidenden" (also von Signa gecasteten Darstellern, die uns echtes Leiden zeigen, vielleicht auch nur vorspielen), legen wir bei unserem speziellen "Mentor" die Klamotten ins Depot und bekommen von ihm welche aus dem Fundus des Vereins. Ihm oder ihr, unseren leidenden Mentoren, sollen wir äußerlich ähnlich werden, um näher heran zu kommen an die Art und das Wesens des speziellen Leidens, das er/sie verkörpert.
Mein Mentor war "Blondi", ein (eben!) blondierter schwuler Junkie-Stricher, 26 und (im Spiel?) ziemlich krank. Keine Zukunft, nirgends … er träumt von Lea – so hätte er sein Kind genannt, wenn er eins bekommen hätte. Er schreibt seine Geschichten auf, in ruppiger, kleiner Schrift in ein Schulheft. Er zeichnet Alptraumbilder dazu.
Liebesgaben für Dolores
Als "Blondi 4", einer von drei Kurs-Teilnehmern, die er für seine Vier-Bett-Burg ausgewählt hat, gehe ich von nun an durch den Abend: höre der Geschichte meines Mentors in körperlich-psychischem Kontakt-Training zu, Kontakt-Training, bei dem alle Kurs-Teilnehmer den Mentor mit Hand und Wort stützen. Erlebe bei noch einem Besuch in der Therapiehölle andere Mentoren, die einander unter Anleitung eines ziemlich finstren Folterknechts ziemlich schlimme Sachen an die Köpfe werfen; mit uns, den "Kursisten", als Echoraum, als Bande, über die die Mentoren spielen. Auch "Dolores" kommt ins Spiel: die fiktive, fetischartige Göttin des Schmerzes, die alle Mentoren sehnsüchtig herbei beschwören als fundamentalsten aller Alpträume. Eine unserer Aufgaben: Liebesgaben basteln für Dolores und für die Mentoren. "Dolor" ist Latein und heißt Schmerz, "dolores" sind die Schmerzen – Signa kann auch ganz schön bildungsbürgerlich agieren. Geschenkt.
Gegen Mitternacht sind die eher theoriehaltigen Kurse vorüber; so gestählt richten wir uns mit den Mentoren in den Schlafsaal-Ecken ein; Männlein im unteren, Weiblein im oberen Saal der Industriebrache. Jetzt beginnt wirkliche Magie – denn von überall her tönt's, singt's und schrillt's. Kreischende Frauen im Stockwerk drüber, keifende Männergruppen, die kleine Bandenkämpfe simulieren; darüber klimpert das berühmte Reeperbahn-Lied aus der Spieluhr, auf einer weiteren Tonspur gibt's erst Prokofjews "Peter und der Wolf" und dann echtes Wolfsgeheul. Stundenlang. Wir liegen in kargen Betten, und an Schlaf ist kaum zu denken: überall und immerzu Menschlich-Allzumenschliches, voller Sehnsucht, voller Gewalt; Stöhnen aus Schmerz oder Lust. Mein Mentor wird sehr zart.
Kannst Du Mitleid?
Plötzlich, gegen drei, dröhnt der Zerberus mit dem Stalinisten-Ton von vorher durch die Bettenreihen: "Aufsteh'n! Vortrag!" … Wer dem Befehl folgt, bekommt Neonazi-Gebelfer zu hören und schlafende Tiere zu sehen. Später, zum Frühstück um halb sechs, gehört mein Mentor auch zum Küchenteam und gibt sich extra Mühe … erstaunlich weit weg ist mittlerweile die eigentlich nahe liegende Frage, was hier noch Theater ist und was schon Leben. Das ist ja immer der wichtigste Risiko- und Knackpunkt in den Arbeiten von Signa – können wir die Verabredung darüber vergessen, dass wir im Theater sind; eröffnet die Einfühlung mit dem Mentor vielleicht tatsächlich die Option für den Persönlichkeitstausch … könnten wir vielleicht wirklich Empathie für ein Alter Ego entwickeln? Obwohl das behauptete Leid immer größer ist als das typische eigene: Suff, Drogen, Krankheit, Klapse, Knast, Kriminalität, Schauder, Schrecken überall – "dolores" eben.
Signa kommen weit mit dieser Arbeit; auch weil sie anders vorgehen als meistens. Oft drifteten wir, die Versuchskaninchen, bei ihnen durch ein Labyrinth sich ständig wiederholender Szenerien, und wir waren mit der Entschlüsselung abstrakt und traumatisch vorfabulierter Formeln beschäftigt. Durch die Bindung an die Mentoren und deren Geschichten werden wir, das Publikum, diesmal deutlicher auf uns selbst zurück geworfen – und die eigene Sehnsucht nach, aber auch Unfähigkeit zu echtem Mitleid.
Nur zur Erinnerung: Compassion, Mitleid war der politische Zentralbegriff für Persönlichkeiten wie John F. Kennedy und Willy Brandt. Wie lange ist das her … es ist aber wieder genug Leiden in der Welt, unendlich viel mehr sogar als vor 50 und ein paar Jahren. Innerlich stumm und gedankenlos werden die "Teilnehmerinnen und Teilnehmer" von "Das halbe Leid" vielleicht nicht mehr daran vorbei schauen und vorbeigehen. Wer weiß schon, wer von den schrägen Vögeln in der Fußgängerzone ein Mentor, mein Mentor sein könnte …
Das halbe Leid
Konzept Signa Köstler
Regie: Signa und Arthur Köstler, Bühne: Signa Köstler, Olivia Schröder, Camilla Lönbirk, Kostüme: Tristan Kold und Signa Köstler, Technisches Design, Sound und Medien: Arthur Köstler und Simon Steinhorst, Dramaturgie: Sibylle Meier.
Mit: Amana Babaei Vieira, Georg Bütow, Asger Degnbol, Navid Rashid Farrokhi, Kai Friebus, Erich Goldmann, Imke Grabe, Benjamin Hassmann, Zenzi Huber, Flora Janewa, Saskia Kaufmann, Thor Albin Kjaer, Dominik Klingberg, Tristan Kold, Tom Korn, Arthur Köstler, Signa Köstler, Renè Marvin Kuhnke, Jan Liefhold, Camilla Lönbirk, Frederik von Lüttichau, Evi Meinardus, Simon Salem Müller, Wanja Neite, Chiara Nicolaisen, Joanna Noga, Sonja Pikart, Fabian Raith, Christopher Ramm, Sofie Ruffing, Julian Sark, Benedicte Skjalholt, Johanna Sarah Schmidt, Antonio Schmidt, Markus Schmon, Andreas Schneiders, Olivia Schröder, Raphael Souza Sá, Viktoria Steiber, Simon Steinhorst, Luisa Taraz, Lorenz Vetter, Marie S. Zwinzscher; "guest stars" Jonas Preben Jörgensen, Steven Reinert, Helga Sieler, Ivana Sokola, Mareike Wenzel.
Dauer: 12 Stunden
www.schauspielhaus.de
"Das komplexe Signa-Paralleluniversum von Signa und Arthur Köstler mit seinen über 40 Performern hat mich fest im Griff", resümiert Sven Ingold in der Welt (18.11.2017) seine Erfahrung des 12-Stunden-Experiments. "Die Illusion ist perfekt und – ich leide mit. Oder ist auch das nur eine Illusion?"
"Dieses Theaterstück macht etwas mit jedem, der dabei ist", schreibt Heinrich Oehmsen im Hamburger Abendblatt (18.11.2017). "Wer demnächst vor einem Lebensmittelmarkt einen Obdachlosen lagern sieht, wird vielleicht mit anderem Blick auf ihn schauen – weil er in dieser Nacht eine Ahnung davon bekommen hat, was es bedeutet, auf der Straße zu leben."
"Das waren aufrüttelnde, sogar lebensverändernde zwölf Stunden", gibt Daniel Kaiser im NDR (18.11.2017) zu Protokoll. "Nach nur einer Nacht in der Obdachlosenunterkunft-Attrappe sehe ich die Menschen, die in den Fußgängerzonen auf dem Boden sitzen und unter Brücken zelten, anders. Aber auch die Mechanismen und die Motivation von Mitleid erscheinen neu."
"'Furcht und Mitleid zu erregen' sei der Zweck des Theaters, so meinte schon Gotthold E. Lessing. Mitleid im Theater – so verstand der damalige Dramaturg des Hamburger Nationaltheaters seinen Aristoteles – sei 'geteiltes Leid', und zwar mit den vom Schicksal aus der Bahn Geworfenen." Man greife nicht zu weit, wenn man die neue Signa-Arbeit in diesen Zusammenhang stelle. Aber Bernhard Doppler vom Wiener Standard (29.11.2017) bereitete die Nacht des Elends auch "komödiantisches Vergnügen: das Verwildern und Herausfallen aus der Mitte der Gesellschaft!" Nicht nur an Gorkis Nachtasyl müsse man denken, auch Puccinis zugiger La Bohème-Dachboden sei gar nicht so fern.
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(Liebe*r Anne T, Michael Laages' Aufzählung kommt ja nicht mit Vollständigkeits-Anspruch daher – trotzdem danke für Ihre Ergänzung! Mit freundlichem Gruß, sd/Redaktion)
"The Dorine Chaikin Institute", Premiere: 17.11.2007 (https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=674:the-dorine-chaikin-institute-signa-macht-die-zuschauer-zum-patienten-und-therapiert-sie&catid=196&Itemid=100476)
WIR HUNDE / US DOGS 2016
SÖHNE & SÖHNE 2015
FEBERHAVNEN 2015
VENTESTEDET 2014
SCHWARZE AUGEN, MARIA 2013
CLUB INFERNO 2013
BLEIER RESEARCH, INC. 2011
DAS EHEMALIGE HAUS 2011
DIE HUNDSPROZESSE 2011
SALÒ 2010
GERMANIA SONG 2009
DIE HADES FRAKTUR 2009
THE DORINE CHAIKIN TRILOGY 2007-2008
THE GAMES 2003-2008
DIE ERSCHEINUNGEN DER MARTHA RUBIN
2007-2008SEVEN TALES OF MISERY 2006
THE SILVANA EXPERIMENTS 2006
THE BLACK ROSE TRICK 2005
SECRET GIRL 2004
57 BEDS 2004
NIGHT FINDER 2003
TWINLIFE PROJECT 2001-2002
All Signa's projects: http://signa.dk/projects?pid=103805
Zudem möchte ich anmerken, dass der eigentliche Skandal, wie bei den meisten SIGNA-Arbeiten, darin liegt, dass ein Großteil der (meist unerfahrenenen) Performer*innen eine lächerlich gerine Vergütung für eine sehr lange Probenzeit und 28 Vorstellungen erhält.
Wenn ich mich als Zuschauer*in bei "Das halbe Leid" darüber echauffieren kann, dass die Leidenden nur einen Tagessatz von 10 Euro erhalten, mir in meiner eigenen Empathiefähigkeit nur allzu gut gefalle, aber nicht die Produktionsweise dieses Duos, die der des Vereins "Das halbe Leid e.V." m.E. entspricht, kritisiere, läuft etwas schief.
Shoutout im übrigen an das Deutsche SchauSpielHaus, das nun schon zum dritten Mal eine solch unfaire Produktion in Auftrag gegeben hat.
wie ich es -wie auch diverse KritikerInnen- bei meiner ersten SIGNA-Uraufführung unter dem Namen "Sheriff 2" getan habe.Auch die diversen NachtkritikerInnen sind davon keineswegs ausgenommen ! Ich für meinen Teil tue mich schon schwer mit Ihrer Aussage, daß es sich größtenteils um meist unerfahrene Performer handelt. Stimmt dies denn ?? Für Kurt oder "Sheriff", Andreas Schneiders, meinen Mentoren, stimmt dies ganz sicher nicht, und so geht bzw. ging es mir von Mal zu Mal, daß ich nämlich immer wieder auf dieses auch selten angesprochene SIGNAPHÄNOMEN stieß, irgendwie doch wieder auf Bekannte zu stoßen, gleichsam aber in einem anderen Leben, die zudem auch sofort mit dem neuen Namen angesprochen werden wollten gemäß impliziter Spielvereinbarung, und doch: bei einigen Akteuren mit einer regelrechten, ja, WIEDERSEHENSFREUDE ! Und es sind viele solcher bekannten "Reinkanationen" unterwegs, so daß hier zunächst erst einmal festzuhalten ist, daß sehr wohl so manch gestandener Schauspieler immer wieder gerne bei SIGNA mitmacht, ruft manchmal, ein kleiner Seitenhieb an Lore, auch der VERAFAKE. Und so muß ich zur Kritik von Heinrich Oehmsen auch hinzusetzen, der mit mir beim Sheriff weilte, ich bin der trockene Alkoholiker aus seiner Kritik,
daß mein Vertrauen zu Andreas Schneiders schon einen gehörigen Vorlauf gehabt hat und ich bereits bei der Wahl durch die Mentoren hoffte. von ihm ausgewählt zu werden, was dann auch geschah. Ich habe schlichtweg das Gefühl, daß viele der Beteiligten schlichtweg überglücklich sind, bei einer SIGNA-Produktion dabei zu sein, und so würde ich , "Nachtasyl" fiel als Stichwort, SIGNA ganz ernsthaft eher in der Traditionslinie des Moskauer Künstlertheaters verorten
(siehe dazu die Kritik von Robert Musil vom 22.4.1921 -ua. zum "Nachtasyl"); Geld ist dabei nicht alles, die Lebensform scheint zu zählen, mit Musils Worten etwa: DIE MÖGLICHKEIT VON ANDERSSEINKÖNNEN ! NICHT DAS ZU SEIN SCHLUssENDLICH, WAS MAN GETAN HAT !!
(Schrein der Maria Marena) nur Gullifische produzierte; auch unterliefen mir in § 6 und 8 zahlreiche Schnitzer: "Lotte" spreche ich mit "Lore" an, bei "Reinkarnation" fällt mir das "r" vor die Füße und ich spreche, sachlich falsch, von einem Fellinizitat, dabei geht es bei diesem Satz um Emir Kusturicas Reaktion, als dieser "Amarcord" (noch so ein Fehler) sah.
Schwamm drüber ! Ich werde mich an einer eingehenderen Antwort auf Ihren Einwurf noch versuchen, allerdings kann ich jetzt bereits ein wenig umreißen, daß ich Ihren Befund nicht ganz teile und auch nicht so recht weiß, woran sie den konkret festmachen. Ich weiß nur, daß derlei Einwände anläßlich der Nachbesprechungen zu "Schwarze Augen, Maria" und "Söhne und Söhne" sehr wohl zu vernehmen waren sowohl im jeweiligen Forum als auch in Einzelgesprächen; zu "Das halbe Leid"
(aus konzeptionellen Gründen ??) scheint eine solche Nachbesprechung leider (!) nicht vorgesehen zu sein, obschon ich diese als eröffnend-kontrovers
erlebte, was in den Nachtkritikthreads oftmals auf der Strecke bleibt (was kürzlich Michael Laages ja auch beklagte, wobei, in einem anderen Thread Falk Schreiber, ein anderer Nachtkritiker aber auch Verständnis dafür äußerte, daß die jeweiligen Kursisten ihnen jeweils so wertvolle Erfahrungen gemacht haben mögen, daß sie diese vor threadkurzer Berührung zu schützen suchen wohlmöglich) im übrigen. Wenn Sie sich das Interview vornehmen, das Sie hier zum Thema "Immersion" , geführt mit Thomas Oberender, auf NK finden können, werden Sie darin auch eine Passage finden, die vor Gefahren warnt (und vermutlich in eine ähnliche Richtung deutet wie Ihr Einwand). Kennen Sie den Film
"Go for Gold !" (Lucian Segura, 1997) ? An diesen mußte ich, als ich Ihre Zeilen las, sofort denken, jener Abenteuertrip mit tumben Spanientouristen und Jeff Gold (Lars Rudolph) als Fake-Reiseleiter, der die zunächst völlig adrenalinsprühende Gruppe zum (abenteuerlichen) Müllbergklettern (von Beridor) auf eine Müllhalde führt zunächst, zu einer realen Anlandung von Flüchtlingen aus Marokko hiernach, welche die Gruppe als phantastisch arrangiert goutiert und bereit ist, Aufpreise zu bezahlen, zum Beispiel zur finalen "Toro-Oake-
Nacht" mit fast tödlichem Ausgang für eine Touristin. Ich komme beim nächsten Eintrag darauf zurück..
Da ich an diesem Tag (auch) frei habe, werde ich, wenn nicht arg etwas dazwischenkommt, auch vor Ort sein. Wenn Sie Ihre Frage dort vor-
bringen, können Sie recht einfach dafür sorgen, daß sie Thema wird.
Ich werde mich trotzdem in ein paar Tagen noch einmal gesondert mit Ihrer "Nervenreizthese" beschäftigen; ab dem 29.11. erweitert sich der Pool derjenigen, die "Das halbe Leid" erfahren haben, dann ja schrittweise erheblich (und es tauchen dann möglicherweise neue Gesichtspunkte auf beziehungsweise auch Fallbeispiele für die eine oder andere These); es ist ja dann am Ende schon irgendwie komisch, daß dann zB. 56-84 Sheriffs unterwegs sein werden, wieder auf der Straße des Alltages ...
was sich die diversen "PerformerInnen" da immer wieder über Monate abverlangen, und so liegen Sie meineserachtens mit der Aussage auch goldrichtig, daß das Wertvolle und auch Wundervolle sich an den Abenden und in den Nächten selbst abspielt, ohne jede Frage, und so ist es mir immer ergangen !
auch, daß so ein Nachgespräch schwerlich Früchte trägt, wenn es jene, wie ich sie nenne, Kristallisationsmomente der Erfahrung verdichteter Situationen unter Aktivierung und Eröffnung vergangener und kommender Lebensalter, der Zentrierung im Hier und Jetzt und dem freundlichen, immer wieder neu motivierenden Imperativ "Werde situativ !" nicht gegeben hat, und auch nicht den Schauder hier und da, sich vielleicht gemäß Paragraph 109 b (siehe Franz Kafka "Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg) doch nur gleichsam (aktionistisch) zu entlarven dann und wann. Es geht bei diesen Nachgesprächen, mir jedenfalls, nicht nur um Gespräche bzw. Fragen mit/an dem/das Produktionsteam, obschon ich mich über das eine oder andere Augenpaar schlicht freue; ich habe ja sogar Freundschaften geschlossen, die über mehrere Jahre mittlerweile bestehen, welche auf derlei Gespräche über SIGNA zurückzuführen sind bzw. auf die Wahrnehmung von WELT im Anschluß an eine Installation ! Was ich meinerseits ergänzen möchte, auf die Möglichkeit zu verweisen, auf diverse Seiten einzelner Performer zu gehen (Idil Land Boss, welche dieses Mal nicht dabei ist, Marie S. Zwinzscher, Luiza Taraz und Steven Reinert , um nur einige gut gebaute Seiten zu nennen), um einerseits der Vielfalt der Einflüsse nachzuspüren, der Zuflüsse und aber auch Ausflüsse des STROMES SIGNA, welche sich dort über drei Monate zu einem energetischen Phänomen verdichten, aber auch ein wenig der Tatsache, was es für diese je einzeln bedeutet, aus so vielen Gesichtswinkeln zugleich heraus zu lernen, aber auch enge künstlerische Kontakte aufzubauen, welche dann auch kleinere Projekte betrifft, die so vorbereitet werden. "Psychomantie", "Triangulierung" oder jetzt aktuell
Peter Freunds Theorie fallen nicht vom Himmel, und natürlich versammelt hier die Gruppe ua. auch das, was bei Ihnen dann "bildungsbürgerlich" heißt, und die Gruppe lernt und lernt.
http://derstandard.at/2000068651487/Signas-Das-halbe-Leid-Mitgefuehl-lernen-beim-Keller-Reini
https://www.kreiszeitung.de/kultur/deutsche-schauspielhaus-hamburg-zeigt-halbe-leid-industrie-mitleids-9382758.html
(Danke für den Hinweis! d. Red.)
19 Uhr) entwickeln. Jedenfalls folgte seinerzeit, im Januar/Februar
2016 auf das "Söhne und Söhne"-Zuschauerforum, das gerade zum Thema
"Traumata aus der Erfahrung mit einer Diktatur" anläßlich der Installation meineserachtens außerordentlich beeindruckend verlief, nicht minder freilich hinsichtlich der besagten "Möglichkeit, anders sein und leben zu können", einen Keim von "Gegenwelt" aufspürend , ebenfalls ein
"HERZZENTRUM" (ich denke, es war Nr.8, im "Pink Palace" ! auf der Reeperbahn) statt, was ich späterhin für eine annährend ideale Fortsetzung meiner persönlichen Theatererfahrungen ansah (und bis zum heutigen Tag auch ansehe).
Der Kontrast zwischen Assoziationen und Verortungen wie "Moskauer Künstlertheater", "Group Theatre" und "Actors Studio" auf der einen Seite und dem Diktum letztendlich Herrn Schreibers "Das ist Theater aus der Mottenkiste", zwischen der offensichtlichen (fast verzweifelt wirkenden , Falk Schreiber-Umschreibung "Kritik als Eiertanz"-"Die Gefahr, statt einer Analyse einen Text zu liefern im Stile "Mein schönstes Ferienerlebnis"" ) Suche nach professioneller Distanz (unter Verwendung der Begriffe "Angefaßtsein" bzw. "Übergriffigkeit") und beinahe schon wieder verdächtig "gefühlsfolkloristisch" wirkender Kritik im Sinne puren Begeisterseins ("Das hat mein Leben verändert"-Stil) ist einfach zu groß, um nicht diskussionswürdig zu erscheinen; und eine Produktion, die dergleichen Kontraste aufzumachen versteht, kann das sehr wohl als Plus für sich verbuchen, denn natürlich steht nicht zuletzt auch einmal, wenn der Fokus auf die Mitfühlenden der KritikerInnenbranche zurückfällt, an irgendeiner Stelle eine Erörterung darüber an, ob nicht (auch) das Kritikenschreiben recht altbacken ausfallen kann, ja, ob das Kritikenschreiben mit der Theaterformenentwicklung überhaupt hat Schritt halten können. Was können wir als LeserInnen mit Sätzen wie "Empathie als politische Strategie freilich ist für Signa-Verhältnisse ein fast schon ernüchternd unterkomplexes Konzept, zumal es den Fokus nimmt von der Gruppe der Mitleidenden, der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Vereins.", letztlich anfangen ?
Aus weniger therapeutischer als vielmehr philosophischer Perspektive
kann ich diesen Satz von der scheinbaren Unterkomplexität eines Konzeptes "Empathie", ob nun mit dem Zusatz "als politische Strategie" oder nicht, schlichtweg kaum verstehen (siehe Scheler, Sturma, De Souasa etcpp.), allerdings sind wir ja noch nicht einmal annährend dazu gezwungen, dieses Konzept als das offizielle Konzept der Nacht überhaupt anzunehmen (ebensowenig wie beispielsweise, frei nach dem, was ich zum "Heuvolk" schrieb, "Sternzeichen Nachtasyl, Aszendent Augenhöhe", wie ich in etwa an "Das halbe Leid" herangehen würde). Sowohl die durch § 20 verlinkte Besprechung des "Abends" als auch Falk Schreibers beispielsweise gehen für meine Begriffe zu sehr ins (vermeintlich) Klaustrophobische des Settings, mögen sie auch individuell genau so "funktioniert" haben, die jeweiligen Nächte , ohne das Gegengewicht dazu genauso stark hervortreten zu lassen, daß Leidende und Mitleidende nämlich dort noch allemal weniger traumatisierende Verhältnisse auffinden, als den Verhältnissen direkt auf der Straße ausgesetzt zu sein , wodurch nämlich, gerade analysierend, zutage träte, wie an dieser Stelle gegenseitige Abhängigkeitsverhältnisse von Leidenden und Mitleidenden, zu gemeinsamen Vorteil !?!, wie von einer "Dogville-" und einer "Manderlaygruppe" (Filme von Lars von Trier, welche ua. nahelagen, da in dieser Halle seinerzeit die "Theaterfabrik Barmbek" "Dogville" auflegte, mit Judith Rosmair als Grace und Benno Fürmann als Thomas Edison), eine spannende Stabilität in etwa als die Suggestion einer Parallelaktion zur "Gesellschaftlichen Mitte" wirkend, ausprägen.
Das, was diesen Abend und/oder diese Nacht dann zusätzlich so stark macht, ist die phänomenologische Dichte und breit aufgestellte Front nur scheinbar (durch das "Ergebnis") sehr ähnlich aussehender "Schicksalsgeschichten", welche zum Glück in den (epischeren) "Als ob"-Parts mitgeliefert werden. Zu Bea würde ich noch gerne sagen, daß sich für meine Begriffe die Assoziation "Hinz und Kunzt" bei weitem besser erschließt als "Bahnhofsmission" ..
(waren Sie überhaupt in einem (oder mehreren) der SIGNA-Abende ??), aber die Assoziation "Hinz und Kunzt" (oder in Kiel "Hempels-Straßenmagazin, in Rostock "Der Strohhalm" , beinahe wundere ich mich, im Kiosk des Vereines keine dieser Blätter als Presseauslage gesehen zu haben, oder übersah ich das beim Kauf meiner Zahnbürste ??) möchte ich an dieser Stelle schon deswegen ein wenig untermauern, da ich sie aus dem Grunde für naheliegender halte, weil die ZeitungsverkäuferInnen hierbei als Dienstleister auftreten, und es nicht (so sehr) zu jener vom Verein auch angemahnten "Herablassung des Gebenden" kommt, eher zu einem möglichen und keineswegs so gefährlichen Einblick in die Lebensverhältnisse auf der Straße. Wie viele mögen, etwas salopp, bereits von IHRER/ IHREM StraßenmagazinsverkäuferIN reden ?? Ich will das an dieser Stelle nicht zu weit ausführen; das betrifft ua. auch das Thema, ob sich SIGNA-Abende vor- und/oder nachbereiten lassen (ich sage: Ja ! Aber eben nicht durch etwaige "Rollenphantasien", die ich von außen in die Produktion hineinzutragen versuche, sondern von den "Zeichen" her, die aus der Produktion hervorgehen -sei es Altenwerder, sei es Asklepios in Ochsenzoll etcpp., seien es Orte (vor allem), die aus dem Alltag dann gleichsam zu SIGNA-REFERENZORTEN werden -ich kenne für mich so einige- !!). Eine Nachbereitung liegt nämlich tatsächlich sehr nahe:
DER ETWAS ANDERE STADTRUNDGANG MIT CHRIS UND HARALD, etwa 2-stündig, der von Hinz und Kunzt aus für HH angeboten wird; es gibt dazu regelmäßige Termine, aus "Hinz und Kunzt" erfahrbar !
gegeben; auch für mich ist das so ein Punkt, von "Prekäre Institutionen" am nächsten Montag einmal abgesehen, mich wieder verstärkt anderen Theaterereignissen zuzuwenden, dem Herzzentrum X
zum Beispiel. Der Rahmen, um quasi auch ein wenig mit der Sache abzuschließen, war gestern letztlich dann doch garnicht so unpassend
(obschon die Nachgespräche an den jeweiligen Spielorten mir persönlich gewiß noch einmal näher gingen, zumal es bei dem einen oder anderen Häppchen dann auch die Möglichkeit gab, nicht nur mit
Klara Sohn , sondern dann mit Marie S. Zwinzscher zu reden, um ein Beispiel zu nennen, das ich bewußt wähle, weil bei "Söhne und Söhne" die Sterbesimulation zu den Kristallisationspunkten gehörte: "Wer hat an der Uhr gedreht" und Augen !, Augen !!, und weil ich bei "Wir Hunde" in Wien dann so müde war letztlich, daß ich gerade zu dieser Akteurin nicht mehr vordrang; soetwas hätte ich dann wohl etwa im Gespräch erinnert), wie gesagt: um abzuschließen (von meinem rein persönlichen Vergnügen bei der Nachbereitung einmal abgesehen; gewiß werde ich besagte Stadtführung einmal mitmachen, so wie ich gestern, ich entdeckte dies am Samstag, dann auch in der Januarausgabe von "Hinz und Kunzt" einen Erlebnisbericht zur Installation von Annabel Trautwein las (Seiten 44 bis 47). Jetzt sind die Bärte von Peter Freund, Joe und Schippe wieder ab, der Neue, Gaze und Dima haben zur Sprache zurückgefunden und allesamt zu ihren "Klarnamen" und wirklichen Körpergrößen. Für mich wird diese Sache tatsächlich mit dem "VERAFAKE" irgendwie verbunden bleiben, ich besuchte die erste und die letzte "Vorstellung", da meine Mentoren tatsächlich Sheriff und Blondie waren, zumal dann "Wirklichkeit" auch noch zum Schreibthema beim PC-Patrick wurde. Wie heißt es in den "Schwärmern":
"Wir sind nichts Wirkliches ... ." Wohlgemerkt: Ich kann derjenigen und demjenigen, der diese SIGNA-Sache innig aufnahm, das Drama von Robert Musil nur wärmstens empfehlen von "Man ist nie so sehr bei sich, als wie man sich verliert" bis "Wir streiten uns nicht der Unterschiede wegen, die Ähnlichkeiten sind das Gräusliche" (sinngemäß zitiert); der Weg vom VERAFAKE über das Erleben Blondies als Mentor bishin zum Monte Verita (Otto Groß , siehe dazu das Buch von Hans Neuenfels zu den "Schwärmern") könnte zur nächsten SIGNA-Sache führen ... .