God oder Good?

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 17. November 2017. Eine kleine Freiheitsstatue war das Willkommensgeschenk in der neuen Welt. Jetzt steht sie herum, neben den Campingsessel. Ein Ding, mit dem der alte Mendel Singer nichts anfangen kann, so wie sich diese neue Welt für ihn überhaupt anfühlt, als ob er in den falschen Film geraten wäre. Aber diesen Film namens "American Dream" dreht er sich selbst immer weiter, indem er nicht denkt, sondern stur beharrt. Joseph Roths Roman "Hiob" wird gern im Theater gespielt. An dem Stoff lässt sich über Migration und Integration nachdenken, übers Anpassen und Sich-Arrangieren mit neuen Lebenssituationen. Hiob alias Mendel Singer ist das Musterbeispiel für einen, der in alten Denkmustern hängen bleibt, lieber einsteckt als sich öffnet. Keine sympathische Figur. Mendel verdient nur begrenzt Mitleid.

Im Grazer Schauspielhaus geht es András Dömötör grundsätzlich an, weniger erzählerisch als biblisch, und ist auf die notwendige Überprüfung welchen-Gottesbilds-auch-immer aus – die sich Mendel mit seiner selbstgestrickten Dogmatik vom "alltäglichen gewöhnlichen armen Juden" zu ersparen hofft. Vom konkreten Judentum ist hier nur noch Mendels dicke Pelzmütze eines Chassiden übrig, der Abend interessiert sich allgemeiner für einen fälschlich religiös begründeten Fundamentalismus, personifiziert im schwächlichen Patriarchen. Dömötör hat eine ganze Reihe von Nebenfiguren gestrichen, sie alle mimt andeutungsweise Elmira Bahrami, changierend zwischen Erzählerin, Stichwortbringerin und Bühnenmusikerin.

Im Wolkenkratzer-Wunderland

Statt dem Schtetl ein Zelt und Campingklappstühle. Eine Zwischen- oder Durchgangswelt, aus der man schleunigst hinaus sollte. Nur Mendel, der "dumme Lehrer von dummen Kindern", sagt von sich selbst: "Ich bin zu träge für das Neue." Die Familie zerfleddert, aber aus den Zentrifugalkräften macht András Dömötör wenig. Das lässt die Zuschauer einen Akt lang ziemlich kalt, weil die Personenbezüge nur oberflächlich herausgearbeitet sind. Bis zur Pause zieht sich's gewaltig.

Hiob2 560 Lupi Spuma uLost in the American Dream: das "Hiob"-Ensemble © Lupi Spuma

Als Astronaut landet Mac (das sprichwörtliche Wesen von einem anderen Stern) und überbringt die Einladung des nach Amerika ausgewanderten Sohns Schemarjah/Sam. Ein Wolkenkratzer fliegt herunter wie eine Rakete im Rückwärtsgang. Der wird bestaunt, und alle Familienmitglieder außer Mendel drängen hinein. Drinnen werden sie zu Protagonisten in reinem recht witzigen Live-Video, ein Cartoon der grellbunten amerikanischen Welt. Mendel beobachtet's mit Kopfschütteln. "Good" oder "God" – ob das zweite "o" in der Leuchtschrift am Wolkenkratzer funktioniert oder nicht, das ist die Frage. Mendel will nur einen Vokal sehen.

Finaler Rollentausch

Viele plausible Ansätze und praktikable szenische Lösungen sieht man an dem Abend, doch sie werden schauspielerisch nicht wirklich getragen. Im Ensemble sind weder übergroßes Charisma noch Sprechkultur beheimatet. Die Schauspieler ihrerseits wirken ziemlich auf sich gestellt, und es zeigt sich, dass Joseph Roths Sätze dann doch mehr sein sollten als Phrasen zu einem szenischen Setting.

Von einem Rollentausch ist noch zu berichten. Im ersten Teil spielt Florian Köhler den jungen Mendel und Franz Solar den behinderten Sohn Menuchim. Im Amerika-Akt ist Solar der verloren-hilflose Mendel, und Florian Köhler taucht in letzter Minute als Menuchim auf. Das Deus-ex-machina-Finale, die Rettung Mendels für die Sache Gottes, ist im Roman und auf der Bühne gleich heikel. Erstaunlicherweise erzeugt der Regisseur, gelingt den beiden Darstellern gerade da hohe Glaubwürdigkeit. Mit konzentrierte Ruhe erzählt Menuchim von seinem Schicksal, von seiner Heilung. Und mit sanften, übervorsichtigen Händen ergreift Mendel (Solar hat ihn zuvor mit schnarrender Stimme als skurriles Faktotum gezeichnet) von seinem verloren geglaubten Sohn wieder Besitz. Das hat choreographische Intensität, da ist Mendel plötzlich Mensch. Ähnlich genaue Schauspieler-Arbeit hätte man in den zwei vorangegangenen Stunden gerne gesehen.

Hiob
Nach dem Roman von Joseph Roth, Theaterfassung von Koen Tachelet
Regie: András Dömötör, Bühne und Kostüme: Eszter Kalman, Video: Eva Taskovics, Musik: Elmira Bahrami, Tamás Matkó, Licht: Viktor Fellegi, Dramaturgie: Elisabeth Geyer.
Mit: Florian Köhler, Franz Solar, Susanne Konstanze Weber, Raphael Muff, Tamara Semzov, Ferdinand Seebacher, Fredrik Jan Hofmann, Elmira Bahrami.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.schauspielhaus-graz.com

 

Kritikenrundschau

András Dömötör "hat sich etwas verhoben, wenn auch ambitionierte Ansätze vorhanden sind", diagnostiziert Christian Ude in der Kleinen Zeitung (19.11.2017). Momente, die nachklingen, seien leider rar. In der ersten Hälfte griffen durchaus gewisse Elemente der Inszenierung. "Ein erstaunlich zu Leben erwecktes Highlight: die Flucht des Sohnes Schemarjah (...), auch der live produzierte Soundtrack sorgt immer wieder für interessante Stimmungen. Man lässt sich gerne und aufmerksam auf die Figuren ein – und wird dann durch den Rollentausch Florian Köhler-Franz Solar etwas ratlos in die Pause entlassen", so Ude: "Danach, in Amerika, driftet der Abend in die Klischeekiste ab und langweilt als auch ästhetisch unpassende TV-Dramedy. Man wähnt sich fast bei einem Trash-Format des Privatfernsehens, allerdings ohne eine Fernbedienung in der Hand zu halten."

"András Dömötör scheint aber nur einen etwas zu unentschiedenen Umgang mit dem Stück gefunden zu haben", schreibt Colette M. Schmidt in Der Standard (20.11.2017). Dabei gebe es "poetische Zugänge, die auch im Bühnenbild von Eszter Kálmán manifest werden". Ab der Ankunft in Amerika nehme der Abend aber "ein holpriges Tempo auf, das bittere Momente, wie den Abschied vom kranken Kind, vergessen lässt", so Schmidt: "Videoeinspielungen der Dialoge vor comichaften Hintergründen töten die feinen Zwischentöne. Man hätte auch weniger plakativ begriffen, dass das Schtetl und New York zwei Welten sind."

 

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