Mitten in der irren Gegenwart

von Eva Biringer

Wien, 18. November 2017. Was wollen uns diese Zwerge mit dem FDP-gelben Bart und den kruppstahlblauen Augen sagen? Etwa, dass in der neo-kapitalistischen Vorgartenhölle niemand eine weiße Weste trägt? Erst stehen sie still, wandern dann über die Bühne, wie von einem unsichtbaren Spieler gelenkte Schachfiguren. Ausgedacht hat sich dieses herrlich obskure Bühnenbild Florian Lösche. Dazu gehört auch ein Eisbecken, aus dem Joachim Meyerhoff als Doktor Stockmann zu Beginn des Stücks in aller Frische auftaucht (Mens sana in corpore sano, Sie wissen schon). Vor allem aber ist dieses Bühnenbild eine Eislaufbahn. Alle Darsteller, mit Ausnahme des Ehepaars Stockmann, gleiten mehr oder weniger talentiert auf Schlittschuhen durch ihre Bühnenexistenz. Gespielt wird Henrik Ibsens "Volksfeind", geschrieben 1882, uraufgeführt ein Jahr später, nun aufs Entschiedenste modernisiert von Frank-Patrick Steckel. Seine Tochter Jette Steckel führt Regie, zum Glück.

Glyphosat, Paradise Papers, Abgasskandal

Es ist nämlich so: Hier war viel guter Wille am Werk. Der bereits im norwegischen Original angelegte Konflikt zwischen Ethik, Profit und Moral wird bei Steckel senior und der Dramaturgin Anika Steinhoff zugespitzt zu einer, Vorsicht: unbequemen Lehrstunde in Sachen Weltuntergang. Anlass ist des Doktors Entdeckung, dass die örtliche Badeanstalt mit vergiftetem Wasser hantiert, das zu allem Überfluss auch noch aus jener Quelle stammt, in die Stockmanns Schwiegervater Morten Kiil (Ignaz Kirchner als stockschwingender Kapitalist der alten Schule) die Abfälle seiner Lederfabrik entsorgt. Wie es sich für einen ehrenhaften Mann gehört, will Stockmann die Sache publik machen, obwohl sein Bruder Peter als Bürgermeister kurz vor der nächsten Wahl steht. Gedruckt werden soll der Umweltskandal schwarz auf weiß im auflagenstarken "Volksboten". Bedauerlicherweise sind die Absichten von dessen Mitarbeiter weitaus weniger ehrenwert als vermutet.

EinVolksfeind1 560 Georg Soulek uHinter den sieben Bergen oder mitten unter uns? Joachim Meyerhoff alias Volksfeind Tomas Stockmann und Mirco Kreibich als sein bürgermeisternder Bruder Peter © Georg Soulek

Spätestens da sind wir mitten drin in der irren Gegenwart. Glyphosathorror, Paradise Papers, Abgasskandal und aus der Vergangenheit grüßt die fiktive Erin Brokovich, alles genüsslich breitgetreten von der sogenannten Lügenpresse. Dem Theaterurgestein Frank-Patrick Steckel (Regisseur, Dramatiker, vormals Intendant) reicht das nicht. In seiner Version wird aus Ibsens "Mikroorganismen" das in vielen Lederprodukten enthaltene hexavalente Chrom und der titelgebende Volksfeind eine weitaus weniger ambivalente, da unzweifelhaft auf der richtigen Seite stehende Figur als im Original. Natürlich passiert da auch sprachlich einiges (Stockmanns Söhne werden zu boys und leiden an Glutenunverträglichkeit, die Lügenpresse wirtschaftet nach dem Motto bad news sell), ebenso in der Figurenkonstellation. Vollzeitmama Kathrin Stockmann wird zur resoluten Ärztin, die Dorothee Hartinger hemdsärmelig, aber uninspiriert spielt, und ihre Tochter Petra eine Kunststudentin (sympathisch-vertrottelt: Irina Sulaver).

Schattenspiele eines Demagogen

Kunst studieren wollte die 1982 geborene Jette Steckel nicht, Journalismus schon. Vor ihrer Tätigkeit als Regisseurin engagierte sie sich bei Greenpeace, daran, dass ihr die Umwelt noch immer am Herzen liegt, besteht kein Zweifel. Dass ihr "Volksfeind", anders als die Vorablektüre vermuten ließ, die meiste Zeit nicht wirkt wie ein Worst-of aus Katastrophenmeldungen einschlägiger Nachtrichtenkanäle, liegt am gewohnt originellen Regiezugriff der Berlinerin. Dieses Mal mit weniger musikalischem Einsatz (am Klavier und am Verstärker: Friederike Bernhardt) als etwa bei ihrer ebenfalls am Burgtheater gezeigten "Antigone".

EinVolksfeind3 560 Georg Soulek uGruppenbild mit Volksfeind: Joachim Meyerhoff, Phillip Bauer, Irina Sulaver, Wenzel Witura, Dorothee Hartinger, dahinter: Ignaz Kirchner © Georg Soulek

Tatsächlich bleibt in dieser Hinsicht nur jene Szene in Erinnerung, in der Familie Stockmann um den Abendbrottisch tanzt, irgendwas mit change singend, was an den Protestsongcontest des Radiosenders FM4 erinnert.

Theatersaal voller Arschlöcher

Mehr als zu hören gibt es zu schauen, angefangen von Sibylle Wallums flirrenden Showmaster-Kostümen, über Schattenspiele eines Demagogen, bis hin zu den längsten Zigaretten der Welt. Über textliche Längen helfen die Darsteller hinweg, allen voran das Journaillentrio Ole Lagerpusch, Peter Knaack und Matthias Mosbach sowie Mirco Kreibich als Bürgermeister. Kaum vorstellbar, aber mit seinem Eislaufsolo gleitetschlittertläuft der auf Kufen moonwalkende Kreibich sogar dem personifizierten Soloperformer Joachim Meyerhoff kurzzeitig den Rang ab.

Allerdings nur so lang, bis dieser am Ende des Stücks wie gewohnt aus seiner Rolle fällt und sich in persönlicher Ansprache und bei brennendem Saallicht an den "riesigen Theatersaal voller Arschlöcher" wendet, also an uns alle. Es folgt dann, und hier packt Ibsen-Erneuerer Frank-Patrick Steckel noch mal richtig fest zu, der seltsam-rührselige Schluss, an dem Morten Kiil beim Anblick seiner Enkel reumütig beschließt, in die Sanierung der verseuchten Quelle zu investieren. Die Zwerge haben sich bereits in Stellung gebracht. Und die Zwerge, das sind natürlich wir.

 

Ein Volksfeind
von Henrik Ibsen
In einer deutschen Neufassung von Frank-Patrick Steckel
Regie: Jette Steckel, Bühnenbild: Florian Lösche, Kostüme: Sibylle Wallum, Musik: Friederike Bernhardt, Video: Zaza Rusadze, Licht: Norbert Joachim, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Joachim Meyerhoff, Dorothee Hartinger, Irina Sulaver, Wenzel Englerth, Ferdinand List, Wenzel Witura, Phillip Bauer, Florian Benner, Stanislaus Hauer, Mirco Kreibich, Ignaz Kirchner, Ole Lagerpusch, Peter Knaack, Matthias Mosbach.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.burgtheater.at

 
Kritikenrundschau
Jette Steckel hat das Drama in ein ökologisches Pamphlet verwandelt. Ein kurioses Stück Weltverbesserung, das aus famosen Schauspielern grüne Dampfplauderer macht - derstandard.at/2000068087373/Ein-Volksfeind-im-BurgtheaterIbsen-Liturgie-fuer-Gruen-ApostelJette Steckel hat das Drama in ein ökologisches Pamphlet verwandelt. Ein kurioses Stück Weltverbesserung, das aus famosen Schauspielern grüne Dampfplauderer macht - derstandard.at/2000068087373/Ein-Volksfeind-im-BurgtheaterIbsen-Liturgie-fuer-Gruen-Apostel

Jette Steckel verwandle das Drama in ein ökologisches Pamphlet, "ein kurioses Stück Weltverbesserung, das aus famosen Schauspielern grüne Dampfplauderer macht", heißt es in der Unterzeile von Ronald Pohls Kritik im Standard (19.11.2017). Ibsens Egozentriker entstehe als Grün-Apostel im gut wattierten Öko-Gewand komplett neu, das sei liebenswürdig gedacht, "zielt an der Ibsen‘schen Vorlage aber meilenweit vorbei". Fazit: "So einfach will uns Jette Steckel nicht davonkommen lassen, (...) aber die Neuausrichtung des 'Volksfeindes' als vulgär-ökologisches Kraft- und Saftstück fruchte leider nicht."

Der erhobene Zeigefinger, mit dem Jette Steckel Ibsens hoch moralisches Drama präsentierte, "erinnert tatsächlich an penetrantere Versuche, die Kleinen zu belehren und zu besseren Weltbürgern zu machen", schreibt Norbert Mayer in der Presse (20.11.2017). "Leider entwickelt dieses gut gemeinte Unternehmen dann doch zu wenig Spannung, um Ibsens Furor zu genügen." Ein Staraufgebot der Burg verliere sich in dieser Zwergenversion. Peter Knaack, Olge Lagerpusch, Matthias Mosbach, drei an sich versierte Charakterköpfe des Hauses, müssen hier extrem platte Karikaturen der Medienwelt spielen. Ignaz Kirchner als Lederfabrikant Kiil habe einen großartigen Auftritt – "ein teuflisch guter Kapitalist gewinnt der Weltverbesserung seiner Erben eine positive Bilanz ab. Das ist der Treppenwitz dieser Inszenierung."

Mit ei­nem be­ein­dru­cken­den Auf­tritt von Joa­chim Mey­er­hoff beginne der Abend, so Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20.11.2017). Als Stockmann taucher er nackt und prus­tend aus ei­nem Pool auf. "Doch von nun an geht’s berg­ab. Berg­ab vor al­lem mit dem Ver­trau­en in die Vor­stel­lungs­kraft des Pu­bli­kums." Über kurz oder lang lau­fen al­le Be­tei­lig­ten Schlitt­schuh auf dem glat­ten Par­kett der Stadt­po­li­tik – "und das kann die Re­gis­seu­rin nicht me­ta­pho­risch durch Cha­rak­ter­füh­rung aus­deu­ten, nein, die zwei Da­men und min­des­tens fünf der sechs Her­ren zie­hen zu­min­dest zeit­wei­se Eis­lauf­schu­he an." Alles werde in dieser Inszenierung vorgekaut. "Auf den ge­senk­ten Büh­nen­vor­hang wer­den dann noch zu gu­ter Letzt Bil­der ak­tu­el­ler Flut­ka­ta­stro­phen pro­ji­ziert. Dan­ke, end­lich, end­lich ver­ste­hen es auch wir Geis­tes­zwer­ge!"

"Ziemlich gut" findet Thomas Trenkler vom Kurier (20.11.2017) das Stück. Aber es sei eben auch genau das gewesen, was es anprangere: "manipulativ und Zusammenhänge verdrehend". Trotz des sicher hehren Ansinnens bleibe ein fahler Nachgeschmack. "Befremdlich wirkt zudem die Kritik von oben herab über die heimische Innenpolitik und das Wahlverhalten." Keiner der Beteiligten (weder des Leading Teams, noch der Schauspieler in den tragenden Rollen) stamme aus Österreich; aber nicht die menschenverachtende Radikalität der AfD werde gegeißelt, sondern der Besuch einer Burgtheatervorstellung von Heinz-Christian Strache. "Die Einstellungen der rechtspopulistischen Grinsekatze sollen keineswegs verteidigt werden; aber da verkommt Theater zur Plattitüde. Die Besucher sind nicht unbedingt Volltrotteln. Und sie reagieren auf Versuche von Gehirnwäsche leicht gereizt."

Es mute seltsam an, dass das Stück zwar neu geschrieben, aber nicht wirklich aktualisiert worden sei. "Die Provinzjournalisten etwa sind genauso altmodisch gezeichnet wie im Original; dass man sie nicht ernst nehmen kann, wird unterstrichen dadurch, dass sie wie Clowns geschminkt sind und sich auch so verhalten", schreibt Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (22.11.2017). Auf Fragen wie 'Warum geht alles so unfassbar in die falsche Richtung?' Oder: 'Wie konnte es passieren, dass wir alle solche Arschlöcher geworden sind?', die Meyerhoff in Stockmanns Rede hält, entgegnet Kralicek: "Die Peinlichkeit dieses Auftritts ist atemberaubend. Besser wär’s gewesen, man hätte sich solche Fragen bei den Proben gestellt und dann auf der Bühne nach Antworten gesucht". Der Abend sei "hilflos".

 

 

Kommentare  
Ein Volksfeind, Wien: Stimmung in der Bude
Ich fand die Inszenierung auch nicht in allen Punkten gelungen. Aber so schlecht, wie die Nachtkritik tut, war sie wirklich nicht.

Der Badearzt Stockman aus Steckels behutsam modernisierender Neufassung ist ein wesentlich differenzierter argumentierender und handelnder Kopf, der zum Sympathieträger taugt und nicht als tragikomischer Held mit dem Kopf gegen die Wand rennt und untergeht.

Aber auch Steckels Stockman ist in seinem Widerstand natürlich nicht erfolgreich. Wie ein Zwerg wirkt er inmitten der überlebensgroßen norwegischen Zipfelmützen-Trolle auf Florian Lösches Bühne. Sie lassen als Volksmenge den Aufruf, gemeinsam das Kurbad zu stürmen, regungslos über sich ergehen und drängen Stockmann schließlich von der Bühne. Er kapituliert und lässt seinen Frust am Publikum aus, das den ganzen Abend nur mit „amüsierter Apathie“ an sich vorüberziehen lasse. Kein Vergleich mit früher, als es im Burgtheater noch zu regelrechten Tumulten kam, mosert Meyerhoff in einem kurzen Seitenhieb auf die legendäre „Heldenplatz“-Premiere 1988.

Für einen kurzen Moment war mal richtig Stimmung in der Bude. Bis dahin verlief der Abend tatsächlich sehr wohltemperiert, so lassen sich vor allem die ersten anderthalb Stunden bis zur Pause zusammenfassen. Angesichts des explizit politischen Anspruchs, den Vater und Tochter Steckel in Vorberichten und im Programmheft betonten, war dies doch überraschend. Aber zu keiner Zeit brannte die Luft so wie in Thomas Ostermeiers "Volksfeind"-Publikumsgesprächen im 4. Akt (sowohl an der Schaubühne als auch bei den von 3sat dokumentierten Gastspielen).

Komplette Kritik: http://www.daskulturblog.com/2017/11/19/ein-volksfeind-vater-und-tochter-steckel-aktualisieren-ibsens-klassiker-am-burgtheater
Ein Volksfeind, Wien: Man in the Mirror
dieses "irgendwas mit change" war Man in the Mirror von Michael Jackson
Ein Volksfeind, Wien: Nachfrage
"...Kaum vorstellbar, aber mit seinem Eislaufsolo gleitetschlittertläuft der auf Kufen moonwalkende Kreibich sogar dem personifizierten Soloperformer Joachim Meyerhoff kurzzeitig den Rang ab..." was , bitte , ist daran "kaum vorstellbar" ?
Ein Volksfeind, Wien: Kreibich & Bernhardt
Was Herr Kreibich und Frau Bernhardt da nach der Pause abfeuern ist mein Highlight des Jahres. Überhaupt, selten so gute Musik an der Burg gehört...
Ein Volksfeind, Wien: Missionsstück
Aus Ibsens ambivalenten Figuren wurde eine polemische Schwarz-Weiss-Zeichnung mit missionarischem Eifer in einer schrillen Show, die gegen Ende noch dazu wirr und peinlich wird.
Ein Volksfeind, Wien: Tanz auf dem Vulkan Erde
DIE GANZE MENGE schreit: Ja, ja, ja! Er ist ein Volksfeind! Er hasst sein Land! Er hasst das Volk!
Ich war (noch) nicht in Wien und wollte mich eigentlich auch nicht äußern, aber nun erscheint es doch so, als würde hier die Kritikenrundschau das Kunstwerk erst komplett machen. Alles werde in dieser Inszenierung vorgekaut, schreibt Martin Lhotzky in der FAZ: "Auf den gesenkten Bühnenvorhang werden dann noch zu guter Letzt Bilder aktueller Flutkatastrophen projiziert. Danke, endlich, endlich verstehen es auch wir Geisteszwerge!"
Und für Wolfgang Kralicek ist in der SZ die Frage ‘Warum geht alles so unfassbar in die falsche Richtung?‘ nur „atemberaubend“ peinlich.
Sie sind unhintergehbar, die Jungs vom „Volksboten“: Och, schon wieder schmutziges Wasser und Klima, hatten wir doch erst vorige Woche. Nee, heute keene soziale Ungleichheit, das taugt nich mal fürn Wahlkampf.
Aber komisch, Sex läuft irgendwie immer: Heute machen wir Sexismus; Harvey Weinstein lässt sich zum Geburtstag einen blasen, igitt, igitt. Morgen dann Flüchtlinge, die sich prostituieren, dazwischen Me-too-Betroffenenberichte, möglichst detailgenau, schlimm!
Und irgendwann mal wieder Putin, der Lump hat auch gar keine Werte!
Liebe Steckels, das Katharsis-Konzept hat ausgedient, Peter Sloderdijk beschrieb schon vor 35 Jahren wortreich den Triumph des aufgeklärten Zynismus. Wir Charakterzwerge haben alles kapiert, aber wir wollen auf dem Vulkan Erde weitertanzen wie bisher!
Ein Volksfeind, Wien: #6
Wie kommt denn Fräulein Steckel nach Wien ?
Mit Ökostrom ? Oder ist sie umweltbewusst dorthingezogen um da zu arbeiten ? Und die Gäste , die an der Produktion beteiligt sind ? Alle gemeinsam mit dem Bus ? Was ist mit dem ökologischen Fußabdruck der Produktion?
Volksfeind, Wien: Kein F, Sie P!
#7: Welche Fragen Sie immer diesbezüglich stellen und was immer Sie von der Frau halten: Jette Steckel ist in ihrem Alter und mit Kindern ganz sicher kein "Fräulein", Sie P...!

Wer hat denn da heute Dienst, dass das durch den Codex commentarensis geht?
Volksfeind, Wien: Sintflut
Katastrophe Sintflut
@7 Hallo Peter,
ich glaube nicht, dass es den Steckels um ein „vulgär-ökologisches Kraft- und Saftstück“ ging, wie Ronald Pohl vom Wiener Standard meinte. Es geht eher mit den Worten von Tomas Stockmann darum, „dass alle unseren geistigen Lebensquellen vergiftet sind, und dass unsere ganze bürgerliche Gesellschaft auf dem verpesteten Grund der Lüge ruht.“ Was in ihm einen alttestamentarischen Zorn entfacht. Das auf dem gesenkten Bühnenvorhang sehe ich weniger als ökologische Metapher, denn als Sintflut, die das Land ruiniert und das Volk verdientermaßen ausrottet.
Eine kathartische Haltung wäre zu fragen, wie wir uns ändern müssen, die erwartbare, den Spieß umzudrehen: Ihr seid auch Verpester, ihr seid auch Lügner.
Aus meiner Sicht hätte statt Gartenzwergen ein konsequenter Slim-Fit-Style die Inszenierung prägen sollen. Im Spiegel vom 21.10.2017 hat der ‚überzeugte Europäer‘ Sebastian Kurz sein Austrian-First-Konzept vorgestellt: Außengrenzschutz, aber keine Sozialunion. Viele seiner Landsleute folgen ihm in der Vorstellung, dass Österreich zum Berg Ararat wird und der Sintflut entgeht. Falls einer Arche Noah erlaubt wird anzulegen, dürfen auch ein paar Resettlement-Migranten dabei sein.
Volksfeind, Wien: Gefasel
Weiß hier überhaupt irgendwer, was er schreibt? Gestandene Regie-Frauen werden von "Peters" zu "Fräulein"s abgewertet, bloß, weil man etwas an ihrer Arbeit oder ihren Vätern auszusetzen hat und dann wird hier von nahezu testamentarischen Sintfluten und in Österreichs Spiegeln kurz anlegenden Archen Noahs gefaselt, wo JEDER weiß, dass die Arche Noahs ein aus MA-Oh-AMpapier (nicht Milramgram-) gefaltetes Schiff auf einer umgekippten Mugg ist, unter dem ein wütender Wohone wohnt! - Keine Ahnung hat hier wer vom wirklichen, richtigen Leben - nix als aufgeblasene Theater-Zwerge! - Haw - ähm Wau!
Volksfeind, Wien: moralinsauer
selten sooo schlechtes theater gesehen.. moralinsauer.. selbst ansonsten gute schauspieler schafft frau steckel spielend zu versenken.. in peinliches aufsagtheater.. nur sie hat die ach so gemeine welt verstanden und sie muss es via hohlkopp meyerhoff auch den tölpeln im zuschauerraum erklären.. (...)
Derniere Volksfeind, Burgtheater: Vorbild Tomas
Vorbild Tomas - Derniere in Wien
In großer Hitze – und schlimm, schlimm, mit dem Flieger angereist – habe ich am 28.06.2019 die letzte, sehr gut besuchte VOLKSFEIND-Vorstellung am Burgtheater gesehen. Das Personal musste sich bis zur Pause erst warmlaufen, die dadurch eingeläutet wurde, dass Joachim Meyerhoff als Badearzt Tomas Stockmann mit seiner Familie um den abendlichen Esstisch tanzt: „I'm starting with the man in the mirror / I'm asking him to change his ways / And no message could have been any clearer / If you want to make the world a better place / Take a look at yourself, and then make a change.”
Im zweiten Teil kam erst das grandiose Pirouetten-Plädoyer für das Heilbad von Mirco Kreibich als Bürgermeister Peter Stockmann, dem der Badearzt Joachim Meyerhoff die Notwendigkeit einer Kehrtwende ganz ohne alle Kunstfertigkeit entgegensetzte: Weg von der auf kurzfristige Gewinnerzielung orientierten Ressourcen-Vernichtung hin zu „einer dem Wohl der Allgemeinheit verpflichteten Zukunft“, wie es Frank-Patrick Steckel in seiner „Anmerkung zur Bearbeitung“ im Programmheft formuliert.
Die Inszenierung gipfelte in der immer eindringlicheren Rede des Badearztes an die „kompakte Majorität“, die als eine Schar von Plastik-Gartenzwergen ganz offensichtlich für derlei Botschaften taub war, als Reaktion jedoch den Badearzt von der Bühne manövriert.
Beim Publikum angekommen, hat Joachim Meyerhoff zu leichtes Spiel, dieses zum Aufstehen und einer 180-Grad-Drehung zu bewegen. Ja, ich bin sitzen geblieben, aber auch ja, ich habe mir ‚nachhaltig‘ vorgenommen, das, was mir richtig und ‚wahr‘ erscheint, energischer zu vertreten, mich aus falschen Kontexten zu lösen und weniger zu konsumieren. Sicher eine Gefahr für den eigenen Komfort, aber Frank-Patrick Steckel bietet in seiner Anmerkung Hölderlin als Hilfe an: „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch“. (Konnte Michael Jackson sich ändern und war Friedrich Hölderlin in seinem Tübinger Turmzimmer gerettet?)
Immerhin, die Aufführung endete mit Standing Ovations.
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