König Ubu # Am Königsweg - Am Mülheimer Theater an der Ruhr verschneidet Philipp Preuss überzeugend Elfriede Jelinek und Alfred Jarry
Der aufgeschnittene Bauch des Herrschers
von Friederike Felbeck
Mülheim an der Ruhr, 18. November 2017. Der Regisseur Philipp Preuss ist in seinem Element. Seine zweite Inszenierung für das Theater an der Ruhr siedelt an der Schnittstelle zwischen Performance und Bildender Kunst und verschränkt kongenial das brandaktuelle Stück "Am Königsweg" von Elfriede Jelinek mit dem Klassiker "König Ubu" von Alfred Jarry. Schon einmal kreuzte Philipp Preuss Elfriede Jelinek mit einem Klassiker: Am Schlosstheater Moers trafen sich so Aischylos "Prometheus" und "Kein Licht".
Soziale Medien, Konsum, vermeintliche Teilhabe
Die Mülheimer Liaison der Porträts von zwei autoritären Herrschern ist dem Regisseur Philip Preuss und dem Dramaturgen Helmut Schäfer mehr als gelungen. Die Textfassung ist raffiniert, schlüssig und verbindet sich zu einem neuen Ganzen. Die Textcluster Jelineks und die Szenen von Alfred Jarry werden auf vier Schauspieler und eine Schauspielerin verteilt. Preuss und Schäfer schneiden den mächtigen Bauch eines totalitäten Herrschers der Moderne auf.
Denn äußerlich gibt er nicht mehr den Diktator, sondern ist weichgespült und verbarrikadiert hinter strahlendem Reichtum, Alleskönnertum und Grandezza. Seine Instrumente sind die der perfekten Verhüllung: durch soziale Medien, Konsum und vermeintliche demokratische Teilhabe. Und so wählen die Schauspieler in Mülheim auch nur, um ihre Wahlzettel gleich darauf zu verbrennen. Der Inszenierung gelingt es, die manchmal abstrakten und assoziativen Texte einzelnen Figuren zuzuordnen und in ihnen zu entwickeln - mal chorisch, mal individuell. Die Zuschauer sind eingeladen, hinter die Kulissen der Macht zu schauen, wo es unappetitlich, fahrlässig blutig und unmenschlich zugeht.
Klaus Herzog, Fabio Menéndez, Thomas Schweiberer und Rupert Seidel schaffen das Bild eines vierköpfigen facettenreichen Herrenmenschen, der sich bald als das entblößt, was er in Wirklichkeit ist: ein kleiner willkürlich wütender Strippenzieher im Zentrum eines blendenden Machtapparates, der ihn vergrößert und medial aufpumpt.
Doch der Abend gehört der Schauspielerin Simone Thoma: seit 1993 Ensemblemitglied und damit wie so viele Schauspieler*innen des Mülheimer Theaters schon seit langen Jahren dabei. Mal mit Manierismen spielend, mal ganz zurückgezogen, fast unscheinbar, mal mit bellender Stimme, dann tänzerisch, fast ätherisch, wie durchsichtig manchmal, gehört sie zu den markantesten Gesichtern dieses Theaters.
Schöne Melania, wirre Melania
In Preuss' Inszenierung irrt nun Simone Thoma, eine wirre zauselige Wiedergängerin von Melania Trump, barfuß und in weißen wehenden Gewändern durch einen goldenen Palast und fabuliert. Sie wird an diesem Abend zunehmend zu einer Kassandra, die vergeblich mahnt und warnt, während die vier Herren, die sie umgeben, in Feinripp und Bademänteln selbstverliebt ihrer Egomanie frönen. Jelineks Text "Am Königsweg" deutet nur an, nennt keinen Namen, doch ist die Figur Donald Trump assoziativ omnipräsent.
Ramallah Aubrecht hat auf der Bühne des Theater an der Ruhr einen schimmernden goldenen Palast geschaffen, der sich aus lauter Fäden zusammensetzt, die die Windmaschine herrlich zum Flattern bringen kann. Für die einen ein pompöser Repräsentationssaal, für Melania / Kassandra ein goldener Käfig, aus dem es kein Entrinnen gibt. Der machtgierige und unberechenbare Herrscher Ubu / Trump findet sein bestes Porträt in einer Videoeinspielung, die den Schauspieler Thomas Schweiberer mit einem auf seinen Bauch gemaltes Gesicht sprechen lässt.
Die Zeit der Andeutungen ist vorbei
Modellcharakter soll es haben und das gelingt der Inszenierung. Doch das Konglomerat und der Schaumsatz aus Andeutungen, Süffisanz, Zitaten und Verschachtelungen, von Elfriede Jelinek nach gewohnter Rezeptur angerichtet, wirkt gerade weil Philipp Preuss einen so prägnanten und erschreckend plausiblen Modell-Trump auf die Bühne bringt, merkwürdig überholt und fast gefährlich harmlos. Jeder absolute Herrscher und muss abgesetzt werden, da sind sich auch die Mülheimer einig. Doch dafür hätte es dieses Stück nicht unbedingt gebraucht.
Vielleicht ist die Zeit der Andeutungen einfach vorbei und ein sehr viel eindeutigeres, radikal politisches Statement wäre angebrachter. So verstärkt das Parabelhafte von Alfred Jarry die Unschärfe und das vertraute Patchwork von Elfriede Jelineks Text und eine schauspielerisch glänzende und visuell prächtige Inszenierung traut sich nicht mehr zu.
König Ubu # Am Königsweg
von Alfred Jarry und Elfriede Jelinek
Regie: Philipp Preuss, Bühne/Kostüme: Ramallah Aubrecht, Dramaturgie: Helmut Schäfer, Video: Konny Keller, Lichtgestaltung: Jochen Jahncke.
Mit: Simone Thoma, Klaus Herzog, Fabio Menéndez, Thomas Schweiberer, Rupert Seidel
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.theater-an-der-ruhr.de
"Ein Vorhang aus goldenen Lamettafäden rahmt die Bühne, aus dem Off ertönt Händels pompöses Königs-Anthem 'Zadok the Priest'" - "Philipp Preuss und seine Ausstatterin Ramallah Aubrecht setzen das Stück sehr königlich in Szene", so Klaus Stübler in den Ruhr Nachrichten (20.11.2017). "Die virtuosen Schauspieler bringen die Wortspiele und Metaphern wirkungsvoll zur Geltung. Und Preuss hilft mit: Eine aufgestellte Wahlurne ist mit Asche gefüllt, Vögel zwitschern (Twitter-Anspielung), ein Shitstorm entlädt sich aus Airbrush-Maschinen." Und als besonderen Clou gebe es Einschübe aus Alfred Jarrys absurd-komischem "König Ubu".
Im "festlichen Rahmen" des goldenen Bühnenbilds treibe Philipp Preuss das "grandios aufspielende Ensemble (…) mit viel Fantasie und Spaß am Urkomischen im Todernsten durch einen Abend, der nie lang wird", schreibt Wolfgang Platzeck in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (21.11.2017). "Ein großer Theaterabend, in dessen leisen Tönen aber auch viel Resignation der Autorin mitzuschwingen scheint", so Platzeck. "Als wäre Elfriede Jelinek müde geworden, noch weiterhin gegen die Missstände der Welt anzuschreiben."
Die Verschneidung der beiden Theatertexte "möchte man zunächst für überflüssig halten, man hat mit Jelineks Wortwutschwall schon genug zu tun", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (24.11.2017). "Aber nein, die Szenen mit Jarrys extra ordinärem Machtungeheuer sind als solche klar gekennzeichnet und tragen wie heitere Zwischenspiele viel zum Witz und der Lässigkeit des Abends bei." Man komme "dem Zuhören hier nicht so leicht aus". Geisterhaft und berührend flattere Simone Thoma als "manische, machtlose Seherin, Sprecherin, Schrubberin" durch die Szenen, "ein Alter Ego Jelineks. Aber auch ein Engel der Geschichte", so Dössel. "Am Ende explodieren Atompilze auf dem Vorhang. Einer schöner als der andere."
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Die nötige Würze erhält der Jelinek-Text hier durch kurze Einsprengsel aus dem mehr als ein Jahrhundert älteren Jarry-Text, der Mutter aller Grotesken über Populisten und Despoten. Erstaunlich gut fügen sich die Jarry-Szenen in den Jelinek-Text.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/01/30/koenig-ubu-am-koenigsweg-theater-an-der-ruhr-kritik/