Es war einmal

von Martin Pesl

Wien, 19. November 2017. Schenken wir uns den obligatorischen Hartmann-Gag. Den übernimmt die Produktion selbst, wenn Sofie Hartmann dem Gast erklärt: "Es gab ja mal den Onkel Matthias, aber zu dem haben wir keinen Kontakt mehr." Da sitzt sie mit dem nigerianischen Geflüchteten gerade auf dem Riesensofa ihrer Eltern, während ihr Bruder und Vater mit unterschiedlichem Erfolg Dehnübungen machen.

Das Publikum zerkugelt sich eher wegen der Slapstick-Verrenkungen und der Sofagröße, soll dieser Abend (eigentlich: Nachmittag) im Akademietheater doch weniger die Theater-Insider ansprechen als alle, alle, alle, Menschen von 12–99. "Willkommen bei den Hartmanns" ist das diesjährige "Familienstück". Umso überraschender ist der Aufwand, mit dem die Bühnenfassung der deutschen Kinoerfolgskomödie uraufgeführt wird: der personelle – zwölf Schauspielende in wechselnden Rollen – und vor allem der dramaturgische.

"Willkommen" ist durchgestrichen

Denn in der Bearbeitung durch die auch als Polly Adler bekannte Journalistin Angelika Hager und der Regie von Peter Wittenberg ist vom Wohlfühlfilm, der vor einem Jahr die Kinos eroberte, nichts mehr übrig. Die Komödie von Simon Verhoeven resümierte 2016 den Geist der Willkommenskultur im Herbst 2015: Da setzte Mama bei Papa Hartmann durch, Diallo bei sich aufzunehmen. Der machte im Zuge diverser Turbulenzen alle neurotischen Familienmitglieder zu besseren Menschen und erhielt infolgedessen Asyl in Deutschland.

WillkommenHartmanns 560 GeorgSoulek Burgtheater 078s uSchwierige Begrüßung © Georg Soulek

2017 ist alles anders, der Schriftzug "Willkommen" an der Hinterwand wird gleich mal übermalt. Ins Wien der Gegenwart verlegt, wird über die Koalitionsverhandlungen und geplanten Asylrechtsverschärfungen in Österreich geredet, ja sogar Sebastian Kurz' Rede über die Schließung von Fluchtrouten persifliert. Nur weil seine Geschichte schlimm ist, darf Diallo noch lange nicht bleiben, der Anwalt kann den ablehnenden Asylrichter (nebenbei auch das Publikum) höchstens über nigerianische Politik belehren und eine Berufung erwirken. So versammelt das Ende zwar alle aufs Sofa gekuschelt und halbwegs hoffnungsfroh, aber neben einem symbolisch brennenden Haus. Dass diese Anpassung vom Feelgood-Kitsch an die Realität vorgenommen wurde, ist den Beteiligten hoch anzurechnen.

Piefke-Phobie aufs Korn genommen

Um noch etwas sind hier alle in sympathischem bis enervierendem Maße bemüht: lokale Verortung. Wenn der Arzt Tarek mit den Asylwerbern Fußball spielt, dann betont er, es auf der Jesuitenwiese zu tun. Und wenn Frau Hartmann Diallo erklärt, Sprache sei der Schlüssel zur Integration, dann hat das eben auch damit zu tun, dass es bei uns "Semmeln" heißt und nicht "Brötchen". "Oida!" (ein frustriertes wienerisches "Alter!") ist David Wurawas erstes und letztes Wort als Diallo, und auch zwischendurch sagt er es sehr, sehr oft, stets zum Gaudium der Zuschauenden.

WillkommenHartmanns 560 GeorgSoulek Burgtheater 147s uAlle auf dem roten Sofa © Georg Soulek

Dass den Dialekt herkunftsbedingt nicht alle im Ensemble gleich gut beherrschen, wird prompt in eine Hasstirade von Sabine Haupt als xenophober Nachbarin eingebaut. In okayem, aber eben erkennbar unvollkommenem Wienerisch echauffiert sie sich, dass am Burgtheater "eh immer nur die Piefke die Österreicher spielen". Damit wäre den ewigen Hatern hübsch der Wind aus den Segeln genommen. Ähnlich geartete Monologe übers Fremdsein und die Sorgen der Wutbürger machen aus dem Film tatsächlich Theater, nämlich eines, das sich, wenn auch oberflächlich, so doch mit dem Thema beschäftigt. Einige davon sind dem Stück "Illegal" von Björn Bicker entliehen.

Pointenorientiert

Auf der Strecke bleibt die Handlungsdramaturgie. Es dauert eine Stunde, bis Diallo endlich bei Hartmanns ist, der Rest der Story wird in Teil zwei durchgepeitscht. Nicht zu kurz kommt die Komik. Einige Figuren wurden zum Spaß hinzugefügt – ziemlich lustig etwa Petra Morzé als herablassendes Mitglied des wohltätigen Rotary Clubs –, kaum eine aus dem Original gestrichen. Welch schauspielerisches Angebot auch immer bei der Probe alle zum Lachen brachte, der Regisseur scheint es angenommen zu haben. Auch das peinliche Musikvideo, das Enkel Basti dreht, muss man sich zur Gänze anhören, sein Kriegscomputerspiel verlangte der Videokünstlerin Sophie Lux gewiss viel Arbeit ab, da konnte man es nicht einfach streichen.

So wirkt die ganze Aufführung so unordentlich wie das Bühnenbild, auf dem mal Altkleider rumliegen, mal bei Bedarf das rote Sofa aufgeblasen wird. Das Ensemble hält bei aller Rollenwechselhektik brav zusammen, drückt, wenn's lustig werden soll, richtig auf die Tube. Ein bisschen wie beim Onkel Matthias. Und die Leute lieben es. Oida, wenn sie vor Weihnachten schon kein Feelgood kriegen, dann wenigstens viel Bruhaha.

Willkommen bei den Hartmanns
von Simon Verhoeven, bearbeitet von Angelika Hager
Fassung von Hans Mrak und Peter Wittenberg
mit Texten von Björn Bicker ("Illegal")
Regie: Peter Wittenberg, Bühne: Florian Parbs, Mitarbeit Christian Blechschmidt, Kostüme: Heide Kastler, Video: Sophie Lux, Musik: Jacob Suske, Choreografie: Daniela Mühlbauer, Licht: Herbert Markl, Dramaturgie: Hans Mrak, Eva-Maria Voigtländer.
Mit: Sven Dolinski, Alina Fritsch, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Markus Hering, Simon Jensen, Dietmar König, Michael Masula, Petra Morzé, Dirk Nocker, Valentin Postlmayr, David Wurawa.
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

Einerseits entstehe der Eindruck, dass rassistische Stigmatisierungen hier weniger hinterfragt als einfach weitergereicht würden, findet Margarete Affenzeller im Standard (21.11.2017). "Andererseits zielte der Abend an seiner aufklärerischen Absicht klar vorbei. Er blähte die Protagonisten der Helferfamilie zu Karikaturen einer übersättigten, mit sich selbst überbeschäftigten zeitgenössischen Gesellschaft, während der aus Nigeria geflohene junge Mann namens Diallo (David Wurawa) wie ein Hampelmann in ihrer Mitte versauert, der jeden Spaß mitmacht."

Einerseits entstand der Eindruck, dass rassistische Stigmatisierungen in der Regie von Peter Wittenberg (Bühnenbearbeitung: Angelika Hager) weniger hinterfragt als einfach weitergereicht werden. Andererseits zielte der Abend an seiner aufklärerischen Absicht klar vorbei. Er blähte die Protagonisten der Helferfamilie zu Karikaturen einer übersättigten, mit sich selbst überbeschäftigten zeitgenössischen Gesellschaft, während der aus Nigeria geflohene junge Mann namens Diallo (David Wurawa) wie ein Hampelmann in ihrer Mitte versauert, der jeden Spaß mitmacht. - derstandard.at/2000068170920/Willkommen-bei-den-Hartmanns-Auf-einer-Couch-in-EuropaGanz anders die Presse (21.11.2017): Die fast dreistündige Bühnen-Version wirke "paradoxerweise zugespitzt", schreibt Norbert Mayer. "Zwölf Schauspieler ziehen eine grandiose Nummernshow ab." Das Ensemble pflege die Klischees fast so bös wie bei Nestroy: "Die Pointen sitzen."

 

 

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