Hakenkreuze im Rücken

von Andreas Thamm

Würzburg, 23. November 2017. Leni Riefenstahl erinnert sich an Speere und Fahnen von tausend nackten Nubakriegern. 1962 bereiste die Nazi-Propagandistin erstmals den Sudan, um den Stamm zu fotografieren. Auf der anderen, rechten Seite der Bühne hat Regisseur Dominik von Gunten Susan Sontag platziert. In ihrem Essay "Faszinierender Faschismus" beschrieb Sonntag, wie Riefenstahl in den Aufnahmen der Nuba die Bildtradition des Dritten Reiches fortsetzt. Das ist der Konflikt- und Knotenpunkt des Stücks "Riefenstahl und Rosenblatt sind tot".

Darin schnürt der flämische Autor Stijn Devillé die beiden Antagonistinnen in einem intellektuellen Zweikampf zusammen. Nach dem Publikumspreis für die szenische Lesung beim Heidelberger Stückemarkt 2016 feiert es jetzt in Würzburg seine deutschsprachige Erstaufführung. Riefenstahl zwischen Pappboxen und Sonntag vor der Helden-Pinnwand – Gandhi, Brecht, Benjamin – sitzen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Und doch ist die eine eigentlich in Pöcking am Starnberger See, die andere in Bari, als der Brief sie erreicht: Das Time Magazine feiert Geburtstag in New York und lädt die gesammelte Cover-Prominenz zum Fest.

Riefenstahl Rosenblatt Wuerzburg 1 560 Gabriela Knoch uGuckt mal! Anja Brünglinghaus' Leni Riefenstahl zeigt Fotos her © Gabriela Knoch

Krebs und schöne Beine

Damit beginnt für beide ein Hadern und Erinnern, für das der Autor eine Sprache zwischen selbstbeschreibender dritter und reflexhafter erster Person findet. "Sie arbeitet mit Handtüchern zwischen den Beinen", lässt er Susan Sonntag jammern. Denn Susan Sonntag hat feststellen müssen, dass Susan Sonntag Blut pinkelt. Sie hat Krebs.

Die andere probiert derweil schon Kleider an. Und sagt: "Trotz ihrer 96 hat sie schöne Beine." Die will sie zeigen, in New York. Im Zustand der beiden personifiziert sich das Naziklischee, die Bildsprache der Riefenstahl, gesunde Arierin hier, kränkelnde Jüdin da. Ob sie wirklich reisen sollen, wissen sie beide nicht. Die eine der Gesundheit, die andere der Vergangenheit wegen: "Wenn ich mich zeige, werden wieder Hakenkreuze hinter mir auftauchen." Sie versteht, wer sie ist. In dem Moment sagt sie wieder "Ich".

Zwei Frauen öffnen sprechend, denkend ihren Hirnraum – dem Publikum sowie der jeweils anderen. Sodass irgendwann eine Konstruktion entsteht, wie man es von grafischen Darstellungen von Kommunikation kennt: zwei Kreise mit einer Überschneidung in der Mitte. Dort findet ein Dialog statt, eine Begegnung noch vor der eigentlichen Begegnung, die es ja auch nie gab. "Wenn Stalin es mir aufgetragen hätte, hätte ich es auch getan", sagt Riefenstahl. Und Sonntag, bitter: "Warum wundert mich das nicht?"

Schneebälle aus Papier

Die Rollen in diesem Diskurs sind klar verteilt. Einerseits die Schuldige, die ihren lebenslangen Rechtfertigungsdruck exerziert. Riefenstahl trägt den Konflikt schon in sich. Anja Brünglinghaus macht aus ihr eine Figur, die innerhalb ihrer eigenen Realität gefestigt bleibt, elegant im roten Kleid, fast unantastbar. Auch nicht durch ihre moralische Anklägerin Sonntag. Maria Brendel wirkt burschikos und getrieben, dabei aber trotzdem weicher gezeichnet als ihre Gegenspielerin. "Sie sind unverbesserlich", sagt sie und beschreibt damit das zum Überleben notwendige Konzept der Riefenstahl.

Riefenstahl Rosenblatt Wuerzburg 2 560 Gabriela Knoch uAnja Brünglinghaus (als Leni Riefenstahl) und Maria Brendel (als Susan Sontag) in dem papiergesättigten Bühnenbild dieser gar nicht papiernen Inszenierung © Gabriela Knoch

Aber: Auch Übereinkunft, Waffenstillstand findet statt. Sturm auf Bari und in Pöcking – auf der Bühne bewerfen sich Riefenstahl und Sontag wie Mädchen mit Papier, eine Schneeballschlacht. Überhaupt Papier: Das Bühnenbild von Susanne Hoffmann ist reduziert, aber mehr als bloß Dekor oder Materialisierung von Arbeit. Auf der Papierrolle hinter Sontag erscheint irgendwann das Time-Cover, auf dem Riefenstahl zu sehen war, Februar 1936, auf Skiern, im Badeanzug. Und auf die gestapelten Kartons werden immer wieder Bilder projiziert: Die Körperlichkeit der Nuba, die perfekte Symmetrie des hundertfachen Hitlergrußes. Schließlich die Leichenberge. Riefenstahl: "Ich bin nie ein Nazi gewesen."

Kein Manierismus

Uff. Machtdiskurs, Bildtheorie, Moral in der Kunst, Romantik vs. Aufklärung – ganz schön viel für ein bisschen mehr als eine Stunde Theater. Und leicht hätte so ein Abend ins rein akademische Abrufen von Verweisen kippen können. Dass das nicht passiert, ist zum einen den überzeugenden Schauspielerinnen, zum anderen der formalen Anlage des Textes geschuldet: Das Sprechen in zweiter, dritter Instanz, die Markierung der Distanz ist kein Manierismus. Riefenstahl und Sontag werden im Stück selbst zu Rollen, sie übernehmen die Regie für sich selbst und die andere.

Am Ende trennt sie nur ein halbes Jahr. Leni Riefenstahl stirbt am 8. September 2003, Susan Sonntag am 28. Dezember 2004. Die Speere und Fahnen und Wörter bleiben.

 

Riefenstahl und Rosenblatt sind tot
von Stijn Devillé
Regie: Dominik von Gunten, Ausstattung: Susanne Hoffmann, Übersetzung: Uwe Dethier, Dramaturgie: Katharina Nay.
Mit: Anja Brünglinghaus, Maria Brendel.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.theaterwuerzburg.de

 

 

Kritikenrundschau

Ein "sorgfältig recherchiertes und 'komponiertes' Stück" sei Devillés "Riefenstahl und Rosenblatt", das "dank eines hervorragenden Schauspielerinnen-Duos erfolgreich Premiere" gefeiert habe, schreibt ferö im Mannheimer Morgen (27.11.2017). Die Inszenierung "konzentriert sich (…) auf den erbitterten Disput beider Frauen". "Äußerst geschickt" verwebe der Autor "Originalzitate zu einem Kampf um die Deutungshoheit". Ausdrücklich Partei ergreife das Stück dabei "für keine Seite".

Stijn Devillés habe aus seinen Recherchen einen packenden Dialog entwickelt, schreibt Manfred Kunz von der Main-Post (25.11.2017). Regisseur Dominik von Gunten enthalte sich moralischer Wertung. Der Zuschauer sehe beide Figuren als Frauen, "die geprägt sind von Alter und Krankheit, von schmerzhaften Erinnerungen, von Wut und Zorn, von ästhetischem Stil-Willen und gedanklicher Schärfe und Klarheit". Das sei in jedem Augenblick aufrichtig.

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