Presseschau vom 30. November 2017 – Der Münchner Kammerspiel-Intendant Matthias Lilienthal spricht in der Berliner Zeitung über das moderne Ensemble-Theater

Hürden nehmen

Hürden nehmen

30. November 2017. Im Interview mit Dirk Pilz für die Berliner Zeitung (online 29.11.2017) plädiert der Leiter der Münchner Kammerspiele Matthias Lilienthal für Ensembles, die die Diversität moderner Stadtgesellschaften abbilden, und stellt sein Haus als gutes Beispiel vor: "40 Prozent unseres Ensembles hat migrantischen Hintergrund! Das war eine mir selbst auferlegte Quote. In München leben schließlich 37,2 Prozent Menschen mit migrantischem Hintergrund." Zugleich macht er deutlich, dass man hier proaktiv tätig werden muss: "Wenn ich nur zum Vorsprechen in die Schauspielschulen gehen würde oder wenn ich nur auf die Wünsche der Regisseure reagiere würde, dann wäre das Ensemble nicht divers zusammengesetzt."

In Gender-Fragen seien die Münchner Kammerspiele weniger gut aufgestellt: "Es sind deutlich mehr Männer als Frauen, die inszenieren", denn man könne "nicht alle Hürden gleichzeitig nehmen". Allgemein zum Status des Ensemble-Theaters sagt Lilienthal: "Es ist ein Vorteil eines Ensemble-Theaters, dass das Publikum die Zeit hat und oft bereit ist, das Ensemble kennenzulernen und sich darauf einzulassen, auch auf ein diverses."

In der aktuellen Diskussion ums Ensemble-Theater im Kontext der Berliner Volksbühne unter Chris Dercon zeigt sich für Lilienthal ein "merkwürdiger Paradigmenwechsel", wie er sagt: "Zuvor war klar, dass die Freie Szene das linke und innovative Theater ist und das Stadttheater das etwas angestaubte konservative. Und jetzt wird das Ensemble zum Widerstand gegen die Globalisierung erhoben und die Freien Gruppen werden als Vertreter der Eventkultur und des Neoliberalismus hingestellt. Solche Gegenüberstellungen halte ich für abgrundtief falsch: Es gibt neoliberale Stadttheater und politische Freie Gruppen, wie auch umgekehrt."

Einen Vorschlag an die Bundeskulturstiftung hat der Theaterleiter auch in petto. "Ich fände es super, wenn die Kulturstiftung des Bundes ein neues, großes Stadttheater als Zukunftsmodell gründen und finanzieren würde. An dem sollte es dann unbedingt Mitbestimmung geben."

(Berliner Zeitung / chr)

Kommentare  
Presseschau Lilienthal: Ost-West
Lieber Matthias Lilienthal,
noch bevor irgendein Theatermensch "Truppe" zu jener Gruppe sagte, die sich ausgerechnet um ihn und seine Ideen geschart hatte, war "Truppe" ein militärisch benutzter Begriff. Er ist es heute auch. Allein das sollte für den Begriff Ensemble sprechen, wenns es um Theaterkunst geht - aber gut. Jeder so, wie es aus seinem Innersten ans Sprach-Licht drängt...

2. Was bitte ist an VW gerade so modern, dass dem Theater nacherifern sollte? Dass die da so hervorragend effizient die Abgaswerte schönen, die unsere Wirtschaft in eine nachweisbare international relevante Vertragsbrüchigkeit als Kavaliersdelikt überführen???

3. Nein, verehrter Matthias Lilienthal, wir hatten es an der Volksbühne nicht mit einem inzwischen almodischen Ost-West-Konflikt zu tun, der die unter Frank Castorf geprägt hat und der nun überkommen ist, weil es heuer um nämlich moderner und zeitgemäßer "nur" um Globalisierung geht. Wir haben es nämlich mit einer einer ganz konkret und real ideologisch ost-west-gerpägten Welt zu tun, die sich nun um ihre ethische Globalisierung zu kümmern hat.

Das ist ein bisschen so, als würden Sie gerne sagen wollen, dass für Menschen heute es vollkommen unwichtig ist, dass sie Vater UND Mutter haben, weil das für ihre Kinder nämlich nicht relevant ist.
Oder einfacher ausgedrückt: als würden Sie gern behaupten, dass der Mensch zwar vom Affen abstammt, aber das für die Menschen, die an den Kammerspielen in München arbeiten, jedenfalls nicht zutrifft...
Presseschau Lilienthal: gerechter verteilt
Noch ein Nachsatz,der vielleicht nicht gerade hierher gehört: erfreulicherweise dürften es demnächst gutwillige Intendanten wie Matthias Lilienthal auch leichter haben, ganz zeitnah etwas zu ändern an der geschlechtergerechten Chancenverteilung was Regie angeht: die Berichterstattung hier hat sich im Aufmerksamkeitsverhältnis ganz erfreulich geändert in letzter Zeit. Man hat wirklich das Gefühl, dass man jetzt viel mehr und gerechter verteilt auch von den Arbeiten der Regiseurinnen erfährt. Wenn dann auch noch Kritiker in der Lage wären, deren Leistungen a u c h miteinander und nicht nur mit denen von Männern zu vergleichen (z.B.: "... hat eine Ästhetik wie Ersan Mondtag...":)), ist das eine gute (Arbeits)Grundlage für eine bessere realistische Wahrnehmung zeitgenössischen Theaters allgemein...
Presseschau Lilienthal: lachhaft
zu#1+2

danke, sie haben den quatsch, den lilienthal als "argumente" (vw) und auch seinen sprachgebrauch (truppe) schon sehr diplomatisch aufgeführt.

für mich kommt noch seine fragwürdige zusammenarbeit mit dem zps "tötet den diktator" in seinem haus dazu.

"Die frühere Volksbühne war von der Ost-West-Frage geprägt. Die heute Frage ist, wie geht eine Gesellschaft mit dem Prozess der Globalisierung um." – Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/28976298 ©2017


schon allein diesen satz mag sich jeder mal auf der zunge zergehen lassen!!! herr, schmeiß hirn vom himmel - zumindest beim lesen

naja, zumindest hat ja herr lilienthal globalisierungs-prozess-ideen, die ost und west - die amerika, china, rußland - nicht mehr nur von einem einzigen theater einer stadt geprägt sehen ...
wow! globales theater = eine globaliserungstruppe ...

(alles andere war mal "früher" ... und zu "neuem" äußert er sich nicht (lacht) ... oh yes - me too ... hahaha
Presseschau Lilienthal: Hybris
Dass die freie Szene links und innovativ ist und Stadttheater angestaubt, wie Lilienthal treuherzig behauptet, ist und war schon immer Unsinn - ein genauso großer im übrigen wie die Behauptung des Gegenteils. Als These vorgetragen offenbart es die ganze hybris eines Denkens, dass derzeit die Münchner Kammerspiele wie die Berliner volksbühne ruiniert.
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