Zum Star zugeschnitten

von Tobias Prüwer

Leipzig, 2. Dezember 2017. "Ich bin nicht Hamlet", verneinen die fünf Schauspielenden jene Rolle, in die sie schließlich doch schlüpfen werden. Mit gespitzten Lippen und Wimpernaufschlag rekeln und posieren sie in einer zwischen Puppenstube und Pornoset changierenden Kulisse, in der Lucia Bihler ihre "Prinzessin Hamlet" im Schauspiel Leipzig auftreten lässt.

Der Buckingham-Palast? Eine psychiatrische Anstalt!

Optisch ist der Shakespeare-Spinoff der finnischen Autorin E. L. Karhu im rundungsverliebten 70er-Design und 90er-Farben gehalten. Lila, rosa und hellblau-mint sind Bett und Kommode, Wand und Boden gestrichen. Die Farben strahlen auch von den Kleidern der Darstellenden, die das Leid der Prinzessin vorstellen. Deren Drama ist schnell erzählt: Hamlet soll mal Königin werden, scheitert aber am schönen Schein, den sie allzeit geben soll. Sie zieht sich, so oft sie kann, in die Einsamkeit einer Felsspitze zurück.

Selbstmordfantasien spuken in ihr herum: Wie eine Fackel will sie brennen, sich einbrennen in die historische Erinnerung. Hamlets selbstzerstörerische Träume verrät Hofdame Horatia der Königin weiter. Die Prinzessin wird nach London in den Buckingham Palast geschickt, der als psychiatrische Anstalt fungiert. Nachdem sich Hamlet mit einem Sprung von der Brücke fürs Nichtsein entschied, übernimmt Horatia deren Rolle, dem Volk zum Wohlgefallen.

Sich Posen aneignen

"Prinzessin Hamlet" ist eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rollen und deren Zuschreibungen. Die Darstellenden sehen alle wie Marilyn Monroe aus, Schönheitsfleck inklusive. In dieser Aufmachung spielen die drei Frauen und zwei Männer unterschiedlichen Alters alle Figuren und machen so Aspekte persönlicher Identität respektive Merkmale sichtbar. Was macht eine Person und ihre Wahrnehmung aus? Diese Frage wird hier am Starkult durchexerziert. Natürlich geht es auch um Emanzipatorisches, nämlich die mögliche Freiheit des Subjekts.

Prinzessin Hamlet 560 uMonroe-Lookalikes: Das Ensemble von "Prinzessin Hamlet" © Rolf Arnold

Und damit wird selbstredend auch die Geschlechter-Binarität mitangesprochen. Die Inszenierung zum queeren Manifest hochzujazzen, wie das Programmheft andeutet, führt allerdings in die Irre. Dort wird unter anderem Judith Butlers Artikel Gender is Burning zitiert, der das Aneignen von Posen als subversiven Akt kennzeichnet. Nur geht es dort gerade nicht um Theaterspiel, sondern um soziales Performen, das im ungeschützten Raum und auf existenzieller Ebene stattfindet.

An der Textvorlage mit ihrer dünnen Handlung ist nicht viel dran. Mit starken Bildern und vielen Anspielungen gelingt es Lucia Bihler, sie zu einem spannenden Abend aufzupeppen: Einmal summen die Schauspieler den R.I.P.-Lady-Di-Song "Candle in the Wind", dann singen sie "London Bridge is Falling Down", das titelgebend war für das Musical "My fair Lady", das ja auch von einer nach äußeren Vorstellungen geformten Frau handelt.

Wie soziale Rollen funktionieren

So auch hier: Wie Puppen werden die Darstellenden zu Beginn in Pose gerückt. Als derart von außen gelenkte Automaten agieren sie die meiste Zeit. Exakt sind Mimik und Gestik, die sich oft doppeln, verdrei- und verfünffachen, wenn mehrere Personen eine Figur spielen. Hochgezogene Schultern deuten da Horatia an, vorgeschobene Hüften Hamlets Mutter Gertrud, ein ausgestreckter kleiner Finger Ophelio, deren Verehrer. Die hervorragenden Schauspieler exekutieren das mit Lust am Detail. Unter ihnen sticht Anna Keil hervor, deren Robotergesten und andere Zuckungen an ihre Kreatur in Drei sind wir erinnert.

Soziale Projektionen und Erwartungen werden zum Korsett, aus dem keiner lebend herauskommt. So muss auch Hamlets Fluchtversuch aus der Kulisse scheitern. Der Star-Zuschnitt ist dabei nur Aufhänger für das Suchen danach, was ein Ich, Identität oder Subjektivität fernab der Zuschreibungen sein kann. Immer wieder setzen die Figuren neu an, um denselben Text aufzusagen. Sie wiederholen Posen und Positionierungen und führen vor Augen, wie soziale Rollen funktionieren: durch Imitation und Wiederholung. Durch permanentes Einüben können normierte Rollen geprobt, aber auch Positionen jenseits des Erwartbaren eingenommen werden. So wird "Prinzessin Hamlet" nicht zum Manifest, aber zum Spiegel – sinnlich und entlarvend.

 

Prinzessin Hamlet
von E. L. Karhu
Aus dem Finnischen von Stefan Moster
Premiere, Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Lucia Bihler, Bühne & Kostüme: Josa Marx, Musik: Planningtorock, Künstlerische Beratung: Sonja Laaser, Dramaturgie: Christin Ihle, Licht: Jörn Langkabel.
Mit: Alina-Katharin Heipe, Anna Keil, Bettina Schmidt, Tilo Krügel, Andreas Dyszewski.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-leipzig.de

 

Kritikenrundschau

 Die Stimmen sind immer wieder technisch verzerrt, "ob da eine Frau spricht oder ein Mann soll keine Rolle spielen", und "wenn niemand Hamlet sein muss, muss auch Hamlet niemand sein", so Janina Fleischer in der Leipziger Volkszeitung (4.12.2017). Lucia Bihler habe den Text gestrafft und bewege ihn durch sich bewegende Schauspieler, "Puppen, in die das Grauen fahre". In diesem Gruppenbild muss und darf niemand einzeln glänzen. "Es gibt starke Momente, keine starke Entwicklung. Haltungen und Gesten gehen von einer auf die andere über." Angst oder Liebe heiße das Spielzeitmotto, "diese anderthalb Stunden betonen das Oder."

 

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