Regelwerk der Komik

von Wolfgang Behrens

5. Dezember 2017. Wenn man am Theater etwas Lustiges spielt, sollte man die Kritiker*innen unbedingt so weit als möglich auseinander setzen. Denn weniges ist dem Kritikermenschen peinlicher als vor beziehungsweise neben oder hinter Kolleg*innen zu lachen, wenn diese nicht lachen. Oft reicht schon ein einziger nicht lachender Kritiker aus, um einen unabsehbaren Domino-Effekt auszulösen: Was? Herr S. lacht nicht? Oha, da lache ich mal besser auch nicht, sonst denkt Herr S. am Ende gar, ich sei so ein dummer verkicherter Typ, der schon laut losgackert, wenn einer auf einer Spermaspur ausrutscht. Frau L. lacht sowieso nicht, wenn ich nicht lache, und am Ende sitzt da ein kompakt unlustiger Kritiker*innenblock, der konzentriert nach vorne starrt und alles unsagbar albern findet, während sich das Publikum wie Bolle amüsiert.

17 Kolumne behrens k 3PAls ich noch ein Kritiker war, widerfuhr mir genau dieses in der Premiere von Herbert Fritschs "Don Giovanni"-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin. Ich gluckste einige Male fröhlich vor mich hin, bis ich gewahr wurde, dass die werten Kolleg*innen befremdete Blicke auf mich warfen. Ich gluckste fürderhin leiser, und am Ende der Pause hörte ich von zwei überregional bekannten Kritiker*innen hinter mir den folgenden Dialog: "Man weiß gar nicht, wo man hinschauen soll, an die Decke oder auf den Boden." "Ja, aber es gibt ja Leute – – – (wohlplatzierte, gleichsam zeigefingernde Stille), die können sogar DARÜBER lachen." "Ja, unter Niveau, unter jedem Niveau!" Nach der Pause gluckste ich gar nicht mehr. Die Inszenierung fiel übrigens bei der kompakt platzierten Kritik so ziemlich komplett durch.

Das ist doch nun wirklich (nicht) komisch!

Nun kann man natürlich niemanden zwingen, etwas komisch zu finden. Beim Humor scheiden sich schlicht die Geister, und ihn erklären zu wollen hat immer etwas Hochnotpeinliches. Als ich noch ein Zuschauer war, zog sich der Schauspieler Jörg Gudzuhn einmal als geblendeter Ödipus einen schwarzen Sack über den Kopf, ging hochaufgerichtet und schnurstracks auf ein Seitenportal zu, um daran in bester Slapstickmanier abzuprallen. Meine Begleitung und ich hielten das für ein eindeutiges Komiksignal und prusteten los. Nach der Vorstellung wurden wir von zwei Zuschauerinnen entrüstet beschimpft und mit der Erläuterung beglückt, dass es sich bei "Ödipus" um eine antike Tragödie handele und diese sei per se unkomisch. Gut zu wissen!

In der legendären "Murx"-Inszenierung von Christoph Marthaler an der Berliner Volksbühne wiederum erlebte ich einmal, dass das Publikum (das mehrheitlich wohl aus Wiederholungstäter*innen bestand) ununterbrochen und teils schon in Vorfreude auf kommende Gags vor sich hin kicherte, bis eine Dame laut ihre Stimme erhob: "Warum lachen eigentlich alle? Das ist doch gar nicht lustig." Als später aus einem der Öfen auf der rechten Seite leise das Arbeiterlied "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" ertönte und sich bei vielen Zuschauer*innen Assoziationen an finsterste Zeit einstellten, herrschte Totenstille im Saal, bis dieselbe Dame plötzlich loslachte und rief: "Warum lacht denn jetzt keiner? Das ist doch nun wirklich komisch." Ich gebe zu, von dieser Reaktion befremdet gewesen zu sein, aber darf ich sie verurteilen?

So schnell ist der Spaß vorbei

Vielleicht gilt noch mehr als für die Schönheit, dass die Komik im Auge des Betrachters entsteht, weshalb Humorkritik eine außerordentlich heikle Sache ist. Als Kritiker, der in einer lustigen Aufführung sitzt, ohne lachen zu können, hat man's da schon schwer. Was habe ich mich als Kritiker gewunden, wenn ich etwas nicht komisch, sondern nur doof fand, etwa – ich zitiere aus einer meiner real existierenden Rezensionen – so: "Wahlweise kann man natürlich auch darüber lachen, und, es sei nicht verschwiegen, viele tun das auch. Man kann es aber auch schlicht quälend finden." Die Arroganz des Nicht-Lachers (der fast immer gute Argumente auf seiner Seite hat) lugt allerdings auch aus dieser Formulierung hervor.

Es geht natürlich noch rigider, und als Dramaturg durfte ich jetzt erfahren, wie das ist, wenn man auf der Seite der Kritisierten steht. Da wurde kritikerseitig über eine Komödieninszenierung an meinem Theater befunden, dass die Figuren darin "überhaupt nicht komisch" seien. Klingt wie ein faktisches Urteil, wurde für mich persönlich jedoch dadurch widerlegt, dass viele Zuschauer*innen durchaus vernehmlich gelacht haben. Aber gut, wenn's die Kritikerin nicht witzig fand, fand sie's nicht witzig. Wer weiß, wo sie saß, vielleicht ja neben dem oben genannten Herrn S.? Also Obacht bei der Platzierung, liebe Pressereferent*innen! Ich spreche aus Erfahrung, und ich weiß, wie schnell der Spaß aufhören kann …

 

Wolfgang Behrens, Jahrgang 1970, ist seit dieser Spielzeit Dramaturg am Staatstheater Wiesbaden. Zuvor war er Redakteur bei nachtkritik.de. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in Berlin. Für seine Kolumne "Als ich noch ein Kritiker war" wühlt er u.a. in seinem reichen Theateranekdotenschatz.

 

Zuletzt schrieb Wolfgang Behrens über das einsame Lachen des wissenden Zuschauers.

 

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Kommentare  
Kolumne Behrens Humor: Flucht ins andere Fach
Genau, der absolute Höhepunkt der humoresken Selbstzensur der Kritik ist die Flucht in die Dramaturgie! (Ich schreibe aus Erfahrung.)
Kolumne Behrens Humor: fehlende Autonomie
was sie beschreiben, deckt sich mit meiner beobachtung von fehlender autonomie von journalisten/kritikern.

wie weit dies jedoch schon geht, erschreckt mich - und erklärt zugleich. danke für ihre ehrlichkeit.
Kolumne Behrens Humor: Extra-Booster
Lieber Wolfgang, liebe marie, ich wollte nur schnell bemerken, dass in speziellen Fällen humorabweichende, humorverweigernde oder gar humorunfähige Mitkritiker so mit das Komischste sein können, was man im Theater erleben darf. Gerade bei so manchen Fritsch-Inszenierungen gibt das meinen ohnehin von keinen Schamgefühlen kontrollierbaren Lachkrämpfen noch einen Extra-Booster. Es könnte sein, dass dadurch in den ansonsten objektiven kritischen Gutachten das Humormaß leicht nach oben hin verfälscht wurde, aber das lässt sich nicht immer verhindern, wenn man mit anderen Leuten im Publikum sitzt. Schönstens, Ulrich Seidler
PS.: Beim nächsten meinungsbildenden (Humor!) Pausengespräch sag mir doch bitte, wer dieser S. ist!
Kolumne Behrens Humor: S.
Lieber Ulrich, Du bist es nicht, nein, Du bist nicht S. Der echte S., an den ich dachte, fängt mit einem anderen Buchstaben an, so wie auch die echte L. keine L. ist. Sorry für die Irreführung. Herzlich wb
Kolumne Behrens: gemein
Das is gemein, lieber Wolfgang Behrens, dabei hatte der Kollege Seidler gerade eine so perfekte Überleitung! - L OL
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