Letztlich Affentheater?

von Jürgen Reuß

Freiburg, 6. Januar 2018. Schon vor der Vorstellung wuseln seltsam gekleidete Menschen durchs Foyer, huschen später demonstrativ nervös durch die Zuschauerreihen, verteilen beruhigende Schokolade und wundern sich, warum so viele zum Vorsprechen gekommen sind. Klar, Shakespeare liebt das Spiel im Spiel, und der polnische Regiestar Ewelina Marciniak hat für ihre 34 Jahre zwar schon viele Auszeichnungen bekommen, aber dieser "Sommernachtstraum" am Theater Freiburg ist ihr erster Shakespeare. Gleich zu Beginn macht sie also klar, dass auch ihr die Konvention des ungestörten Zuschauens suspekt ist, und sie wird den Publikumsjoker später noch effektvoller ziehen.

Charmant, wie die Handwerkstruppe dann auf der Bühne in konkurrierender Castingsituation vor noch geschlossenem Vorhang mit gespielter Unbeholfenheit und dem lustigen Geplänkel zur Ausgestaltung von Wand und Mond die später im Zentrum des Abends stehende Frage nach dem Einfluss der Kunst auf Rollenbilder im Volkstheatermodus vorwegnimmt.

Väter gegen Töchter gegen Väter

Als der Vorhang sich hebt, weiß Katarzyna Borkowskas Bühne zu beeindrucken. Die im Hintergrund wie in freiem Fall eingefrorenen schwarzen Felsblockreihen geben diesem Theben im dämmrig nebligen Licht den Anstrich einer fast schon jenseitigen Finsterwelt. Das Wechselspiel von Helenas devoter Liebesunterwerfung und Demetrius' grober Zurückweisung gibt eine harte Gangart für gesellschaftliche Praktiken im Stadtstaat vor. Auch das hinten im Kuss erstarrte "falsche" Paar Hermia und Lysander ist kein Lichtblick.

Wie auch, denn Hermias Vater Egeus macht bei Herrscher Theseus unmissverständlich klar, wo in der patriarchalen Ordnung der Machthammer hängt. Töchter sind Verfügungsmasse der Väter, letztere haben das Bestimmungsrecht über Leben und Tod. Die Art, wie Theseus Hermia dann bis zum eigenhändig vorgenommen Jungfräulichkeitstest befingert, lässt keine Zweifel daran, dass die Machtgeilheit in dieser männlichen Zombiezone notfalls durch Exekution gegen ungehorsame Töchter verteidigt wird.

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Laura Angelina Palacios © Birgit Hupfeld

An diesem Punkt hat man das Gefühl, einem großen Theatermoment beizuwohnen. So unerbittlich wurde der Wille der Herrscherväter zur absoluten Verfügungsgewalt selten offengelegt. Und wie die vermeintliche Verfügungsmasse der Töchter dann selbst aktiv wird, zieht eine eindeutige Demarkationslinie, an der entlang eine Versöhnung unmöglich ist.

Wie teuer die Alternative der Flucht aus den patriarchalen Mauern in den hoffentlich irgendwie anderen Wald ist, macht Rosa Thormeyer als Hermia mit einem eindrücklichen Solo nachvollziehbar, für das Filme wie Das Omen, Der Exorzist oder für jüngere Zuschauer Gollum Pate gestanden haben könnten. Aber auch dieser Wald ist nur eine Spiegelung Thebens in hübsch. 

Die Ordnung währt am längsten

Wie ein blendender Lichtblick paradiesischer Verheißung entsteigt Titania in Kulisse und Kostüm von Boticellis "Venus" der Muschel des Versprechens auf die Möglichkeit echter menschlicher Begegnung. Es gibt eine kurzen Sommer der Liebe, bei dem sich alle nackig machen, "der harte Mann" zu einem liebenswerten überdimensionalen Fellpenis verweichlicht wird und die vierte Wand zum Publikum zum großen Nackt-Encounter eingerissen wird.

Aber auch Körpertherapie und Kunst haben einen Oberon, sind illusionäres Schmiermittel um letztlich die von den Vätern als gerecht empfundenen Ordnung wiederherzustellen. Konsequent werden sowohl Titania und Hippolyta als auch Oberon und Theseus in Personalunion gespielt. Die durch die Kunst gegangenen Paare sind anschließend richtig sortiert, und alle unterwerfen sich dem Affentheater der fürstlichen Hochzeit. Und auch das Publikum wird qua Applausordnung zu nützlichen Akklamationsidoten fürs Machtprimatentum manipuliert.

So weit, so wunderbar die Inszenierungsidee und -durchführung, mit tragender Präsenz der Schauspielerinnen und Schauspieler. Allerdings lenkt der mit shakespearefremden Versatzstücken aufgepeppte Kunstdiskurs bisweilen vom eigentlich sehr überzeugend angelegten Kernkonflikt ab, und der Text verschwimmt streckenweise zu einer undurchschaubaren Textfläche. Aber vielleicht war das auch als letzter, entscheidender Schlag gegen die patriarchale Textordnung genau so gewollt.

 

Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare
Regie: Ewelina Marciniak, Bühne, Kostüme, Light Design: Katarzyna Borkowska, Musik: Janek Duszynski, Choreografie: Izabela Chlewinska, Dramaturgie: Magda Kyprjanowicz, Michael Billenkamp.
Mit: Henry Meyer (Oberon, Theseus), Janna Horstmann (Titania, Hippolyta), Laura Angelina Palacios (Helena), Rosa Thormeyer (Hermia), Dominik Paul Weber (Lysander), Thieß Brammer (Demetrius), Lukas Hupfeld (Zettel), Anja Schweitzer (Puck), Angela Falkenhan (Schnock, Löwe), Moritz Peschke (Flaut, Thisbe), Michael Schmitter (Egeus, Schlucker, Mond), Timo Stegmüller (Live-Musiker).
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.theater.freiburg.de

 

Kritikenrundschau

Eine "intelligente, vielschichtige, anspruchsvolle Inszenierung" hat Bettina Schulte gesehen und schreibt in der Badischen Zeitung (8.1.2018): Dass sich hinter der Moral immer die Macht verberge, arbeite Marciniak messerscharf heraus. Indem sie den Text des Dramas zwar nicht überschreibe, "ihn aber wie sagen wir Frank Castorf als 'Partitur' nutzt, (…) mit anderen Texten (...) anreichert und im Dienst einer übergreifenden Inszenierungsidee kurzschließt". Das beschere "der noch jungen Ära Carp im Schauspiel ihren ersten glanzvollen Höhepunkt".

"Mar­ci­ni­ak und ihr weib­li­ches Re­gie­team füh­ren nicht nur pol­ni­sche Kul­tur­kreuz­züg­ler, son­dern auch das Pa­tri­ar­chat schlecht­hin am Na­sen­ring durch die schlüpf­ri­ge Are­na", schreibt Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (8.1.2018). Dieser "Som­mer­nachts­traum" sei "der bis­he­ri­ge Gip­fel von Carps Welt­thea­ter", auch wenn er am En­de ein we­nig schwä­chele, so Halter: "Die traum­haf­ten Bil­der, die ihr Ge­heim­nis nicht gleich preis­ge­ben, of­fen­ba­ren sich nach der Pau­se als selbst­re­fle­xi­ves Ge­plän­kel und 'plum­pes Spiel' mit dop­pel­tem Bo­den."

Marciniak betone besonders das Handwerker-Laienspiel des Shakespeare-Stücks und variiere es: "lustig zu Beginn, rätselhaft im Mittelteil, nachdenklich am Schluss", schreibt Siegbert Kopp im Südkurier (8.1.2018). Das neue Ensemble erweise sich als überraschend gut aufeinander eingespielt. "Bei den Darstellern sitzt jede Geste, jeder Ton. Sie bringen Shakespeares reiche Sprache zum Klingen und auf den inhaltlichen Punkt. Den coolen bis schrillen Umgangston, wie ihn das Gegenwartstheater oft bemüht forciert, schaffen sie mühelos nebenbei." Die Textfassung, "durchsetzt mit Alltagsjargon und Einsprengseln aus Kunstmanifesten", runde sich mit Shakespeare zur Einheit, so Kopp: "Es enthüllt sich ein Gesamtkunstwerk aus Sprache, Licht und Ausstattung (Katarzyna Borkowska), interpunktiert von der Musik (Janek Duszynski)." Wo "das postdramatische Stückel-Theater" oft nur beliebig wirke, beeindrucke diese Inszenierung durch ihren gekonnten Eklektizismus, auch Manierismus. "Es ist viel zu viel, das aber in bisweilen betörenden Bildern."

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