Ist das autobiografisch?

von Geneva Moser

Bern, 17. Januar 2018. "Ich bin glücklich", schreit sie, die süßliche Musik übertönend, und dreht sich liebestaumelnd um sich selbst. Glaubwürdig ist er keinesfalls, dieser ekstatische Ausbruch. Dafür ist uns zu viel über das Unglück dieser Frau bekannt: Ingeborg Bachmanns Roman "Malina", Teil der geplanten Todesarten-Trilogie, seziert schonungslos die Mechanismen, mit denen Menschen sich zugrunde richten. Ist das autobiografisch? Sicherlich ist das autobiografisch. Teilweise, abstrahiert und fiktionalisiert, natürlich. Aber eben doch: Die so schmerzhaft ambivalent glückliche, taumelnde Ich-Erzählerin im Roman ist auch sie, die Autorin Ingeborg Bachmann. Und Ivan. Und Malina.

Dieses Personendreieck – "Sie", ihr männlicher Alterego Malina und der Geliebte Ivan – steht nun am Konzert Theater Bern in der Regie von Mizgin Bilmen auf der Bühne. Dramaturgin Sophie-Thérèse Krempl hat die für ihre Inszenierung von Marc-André Dalbavies Oper Charlotte Salomon mit dem Götz-Friedrich-Preis 2017 ausgezeichnete Regisseurin nach Bern geholt und auch die Bühnenfassung erarbeitet.

Subtile Gewalt

Vergessen und verdrängen, erinnern und verarbeiten: Identität finden, sich selber erzählen, Subjekt werden – das sind die philosophischen Themen, um die sich die Gespräche zwischen Ivan, Malina und "Sie" drehen. In dieser Flughöhe bewegen sich die Dialoge beinahe konstant, getragen von gelegentlichem Witz oder Geläster, in erster Linie aber von einer unverhohlenen gegenseitigen Bissigkeit. Am stärksten sind diese Dialoge und der Abend insgesamt dann, wenn der verzweifelt geliebte Ivan und "Sie" über das schwarze Bakelit-Telefon telefonieren: Rhythmisch abgehakt, dialogisch und doch konsequent aneinander vorbei gesprochen. Dann wenn der sich entziehende Ivan und die in Abhängigkeit gefangene "Sie" zwar miteinander reden, aber nie ins Gespräch kommen. Hier zeigt sich Bachmanns poetische Schärfe und ihr Blick für die subtilen und alltäglichen Gewalttätigkeiten, die sich schwer erzählen lassen.

Malina246 560 c Annette Boutellier uDrei sind wir: Stéphane Maeder als Ivan, Jürg Wisbach als Malina, Chantal Le Moign als Sie
© Annette Boutellier

Das Erzählen ist für die Figur der "Sie" insgesamt zentral. Immer wieder versucht "Sie" das eigene Ich in eine zusammenhängende, erzähl- und hörbare Geschichte zu fassen, diese an der Schreibmaschine zu tippen. Und scheitert an den sie hinterfragenden, unterbrechenden und unterjochenden Männerfiguren, oder dem über allem drohenden Vater: "Du hast mir die ganze Geschichte gestohlen." Ingeborg Bachmann, erlebte den zweiten Weltkrieg als Jugendliche und damit auch die Mitgliedschaft des Vaters in der NSDAP. Im Traumkapitel des Romans werden die verstörenden Gewaltbilder des Holocaust aus dem Unterbewusstsein hervorgespült und beim Aufwachen aus dem Alptraum bleibt ein hilfloses: "Ich war nicht einverstanden."

Ein Eindruck jener drückenden und schuldbeladenen Enge, die Bachmann getrieben haben muss, entsteht schon in diesem Spiegelkabinett der antiken Möbel, schwarzen Bücher und sich um sich selbst kreisenden Dialoge. Die Enge von Nachkriegszeit, Patriarchat und kollektivem Trauma bestimmten die möglichen Selbstentwürfe zu Bachmanns Zeiten. Doch wenn die Verweise zum Holocaust in Bachmanns Text überdeutlich sind, so bleiben sie in der Inszenierung nur an der Oberfläche kratzende Verweise. Ein irritierendes Zuviel an Konzept und Material begräbt die Eindringlichkeit der Romanvorlage unter einstürzenden Buchbauten, Rauchschwaden und Höllenfeuer. Vor lauter Folianten-Gewitter und Gruft-Gewölbe fehlt dem Weltschmerz die Welt.

Malina159 560 c Annette Boutellier uBildungsbürgerliche Wohngemeinschaft: Chantal Le Moign, Jürg Wisbach © Annette Boutellier

Zu Callas-Oper und Whiskey schichten sich Perlenkette und Hosenträger, Krawatte und Lederhandschuhe – bürgerlich-feine Kostüme, in hellhaut-Tönen, sorgfältig übereinander gelegt und ebenso sorgfältig wieder ausgezogen. Bis die drei da stehen, gehäutet quasi, in gestückwerkten Strumpfanzügen, fast nackt und bloß, aber eben doch zusammengeschustert. Unter diesen Konzeptschichten muss man es manchmal fast aufspüren, das starke Spiel des Ensembles. Denn: Insbesondere Chantal Le Moign trägt den Abend hervorragend und hätte die Stoffschichten nicht gebraucht um die Vielschichtigkeit von Identität spielend zu vermitteln.

Zeit für neue Narrative

Neben diesem Zuviel an "was?" steht ein etwas unbefriedigendes "wozu?": Es bleibt die Frage, wie oft die geschlechterspezifische Rollenverteilung in der fatalen gelernten Verwechslung von Liebe und Schmerz noch heruntergebetet werden muss um sie zu kritisieren? Ist die Rekonstruktion antiquierter und hoffentlich endlich obsoleter Geschlechterbilder nicht bald langweilig? Wollen wir sie noch immer sehen, jene jovial-chauvinistischen Männlichkeiten, die sich eines Frauenkörpers bedienen und sprechenden Frauen mit einem "du weißt ja nichts, Fräulein" über den Mund fahren (selbst dann, wenn besagte Frau gerade über sich selbst spricht)? Wäre es nicht langsam an der Zeit für Brüche solcher und Imaginationen anderer, neuer Narrative? Aus "Malina" ließe sich mehr lesen als die fast schon voyeuristische und simplifizierende autobiografische Ausschlachtung des Liebesleidens der Autorin "Ingeborg Bachmann". Und es ließe sich mehr fragen, als die langweiligste aller Fragen, die man an einen Text stellen kann.

 

Malina
von Ingeborg Bachmann
Textfassung: Sophie-Thérèse Krempl
Regie: Mizgin Bilmen, Bühne: Kim Zumstein, Kostüme: Alexander Djurkov Hotter, Lichtgestaltung: Reto Dietrich, Dramaturgie: Lea Lustenberger.
Mit: Chantal Le Moign, Jürg Wisbach, Stéphane Maeder.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.konzerttheaterbern.ch

 

Kritikenrundschau

"Verletzlich ist alles an diesem Abend, der bei allen formalen Stärken aber nur deshalb funktioniert, weil Chantal Le Moign die Zerrissenheit ihrer Figur so packend vorträgt", schreibt Michael Feller in der Berner Zeitung (19.1.2018). Doch "Malina" bleibe ein Wolkenge­bilde – und den Zuschauern bleibt der Zugriff zur Figur bisweilen verwehrt. "Auch weil beim tollen Bühnenbild offenbar das Publikum vergessen ging. Zu oft sieht man nichts und wähnt sich in einem Hörspiel."

Die Inszenierung konzentriere sich "weniger auf die Identitätsproblematik als auf das Verdrängen einer Vergangenheit, die uns hinterrücks wieder anfällt", analysiert Béatrice Eichmann-Leutenegger in der Neuen Zürcher Zeitung (19.1.2018). Der "Traumspielcharakter" werde daher bestimmend. Bachmanns Roman, "ein Journal der Verstörung, quälend und oft kaum erträglich, aber auch voll von amüsanten Bosheiten und getragen von einem unnachahmlichen Parlando-Ton", vermisse man in der Bühnenproduktion, "die vor allem eine Frau mit dem Pathos der Verzweiflung präsentiert, ein spannungsreiches Wechselspiel jedoch kaum zulässt", so Eichmann-Leutenegger. "Effekt? Ermüdend."

Man könne "nicht behaupten, dass sich die Inszenierung um einen Gegenwartsbezug bemühen würde", schreibt Lena Rittmeyer im Bund (online 18.1.2018). Stattdessen halte Bilmen stark an Bachmanns Vorlage fest. "Das ist dort eine gute Idee, wo sie Bilder für die Sprache findet. So schleicht Malina etwa durch den von Spiegeln gesäumten Korridor und ist durch deren Reflektionen immer da." Die Kritikerin wünscht sich allerdings, "die Regisseurin hätte deutlicher durchblicken lassen, warum sie 'Malina' für erzählenswert hält. Bilmen gewichtet kaum, sie schafft vieles heraus, aber nichts richtig. So bleibt letztlich eben doch die Frage, was dieses Buch überhaupt noch aktuell macht."

Kommentare  
Malina, Bern: nicht haltbar
eindeutig nicht einstimmend mit frau moser!
es war ein bildgewaltiger, spielgewaltiger und beklemmender abend...

Auch bin ich mir nicht sicher, ob die kritikerin den roman wirklich aktuell gelesen hat, wenn sie zu ende fragt: "Ist die Rekonstruktion antiquierter und hoffentlich endlich obsoleter Geschlechterbilder nicht bald langweilig? Wollen wir sie noch immer sehen, jene jovial-chauvinistischen Männlichkeiten, die sich eines Frauenkörpers bedienen und sprechenden Frauen mit einem "du weißt ja nichts, Fräulein" über den Mund fahren (selbst dann, wenn besagte Frau gerade über sich selbst spricht)?" Denn 1. Bachmann hat eben das umtrieben und 2. leider sieht es heute doch kaum anders aus...

Eine nciht haltbare und leider völlig an der inszenierung vorbei geschiebene kritik...
ich kann nur sagen: hingehen und selbst gucken, als sih ein meinung aufzwingen zulassen (wie hier), die einfach falsch beobachtet hat oder in einem anderen abend war als ich gestern.


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Die Redaktion
Malina, Bern: Stärken
Ich hatte mich nur gefragt: Warum diesen Roman auf die Bühne... Das ist aber dann kein Problem der inszenierung, sondern das des Hauses und derjenigen die die Fassung gemacht hat... Denn wenn man Bachmann inszeniert, inszeniert man halt Bachmann- ganz einfach! Und wenn man das kacke findet, dann hat es etwas damit zu tun, dass man Bachmann nicht mag oder im Kern nciht verstanden hat, oder eben nicht auf der Bühne sehen will oder eben nur auf einer großen Bühne mit 3-5 std. Inszenierungsdauer...
Große stärke des Abends: Keine nationalsozialistischen Elemente, stattdessen Bilder, die diese Zeit in mir entstehen lassen.... lauter schwarzer Bücher, die verbrannt aussehen, Nebel, der hier zur Gaskammer wird und eine Welt die zusammenbricht. Hinzu ein sehr gelunger Umgang mit literarischer Sprache und Speilführung...


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Die Redaktion
Malina, Bern: Antwort
@ velo
besten dank für die antwort auf die kritik.

auf einen punkt möchte ich gerne eingehen:
dass bachmann hierarchische und gewaltgeprägte machtverhältnisse umgetrieben und dass diese eine persistenz bis heute haben, stellt meine kritik keinesfalls in frage (wenn sie andere kritiken von mir lesen, fordere ich eine auseinandersetzung mit diesen verhältnissen vielmehr immer wieder ein. abgesehen davon, dass ich theaterkritiken schreibe, bin ich nämlich geschlechterforscherin...;).

was ich allerdings unbefriedigend finde, ist die tatsache dass die kritik an diesen verhältnissen eben oft auf einer ebene der rekonstruktion stehen bleibt. ich wünschte mir dekonstruktion, neue imaginationen - und diese liessen sich sowohl auf textebene, als auch auf inszenierungsebene vermutlich aus malina herausarbeiten. diese leistung hätte ich mir gewünscht.
Malina, Bern: Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt
Zur Aufführung sagt "Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt": "Ob jetzt aber 'Diskurs' oder 'Seelen-Exhibitionismus' – in Bern ist 'Malina' zunächst einmal ein Zustand, und als Stagnation wird das Stück von Mizgin Bilmen auch inszeniert. Damit fehlt es dem Spiel an Verlangsamung und Beschleunigung. Es fehlen Gegensätze, unterschiedliche Klimazonen. Deshalb entwickelt sich jetzt kein Sog, keine Intensität. Immerzu sitzt man redlichem Bemühn gegenüber: Sauber gedacht, sauber geführt, sauber dargestellt."
Die ganze Kritik findet sich unter https://www.stimme-der-kritik.org/774.html
Malina, Bern: selbst entscheiden
@2: finde ich daneben, dem Theater und der Fassung die Schuld in die Schuhe zu schieben. In der Berner Zeitung präsentiert sich Bilmen als die Wütende, die starke Kämpferin, dann wird sie ja wohl selbst entscheiden können, ob sie das machen will und in welcher Fassung! (...)
Malina, Bern: kein Wunschkonzert
liebe frau moser,
zu punkt 1, sie stellen es sehr wohl in frage und das ist auch nicht das problem, sondern, dass sie es der inszenierung ankrieden wo sie doch wissen müssten, dass das ein kernthema im roman ist und der der namenlosen figur... und dass sie es in anderen kritiker besser hinbekommen- geschenkt... spielt doch eigentlich für diese kritik keine rolle, oder? und, dass die inszenierung diese gender-debatte nicht in den roman reinprojeziert, liegt ggf einfach daran, dass sich die inszenieung nicht dafür interessiert- muss man doch auch nicht.

zu punkt2, "was ich allerdings unbefriedigend finde, ist die tatsache dass die kritik an diesen verhältnissen eben oft auf einer ebene der rekonstruktion stehen bleibt. ich wünschte mir dekonstruktion, neue imaginationen - und diese liessen sich sowohl auf textebene, als auch auf inszenierungsebene vermutlich aus malina herausarbeiten. diese leistung hätte ich mir gewünscht." das verstehe ich rein semantisch nicht... und am wenigsten verstehe ich, dass sie ihre unerfüllten wünsche der inszenierung anprangern... wie auch das leben, ist das theater kein wunschkonzert... ich hätte mir einfach mehrklarheit und weniger ego von der kritik gewünscht...

p.s.: "Helen" is my boyfriend.
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