Wir hatten einen Traum

von Andreas Thamm

Erlangen, 19. Januar 2018. "The purpose of computers is human freedom." Ted Nelson, der als Erfinder des Hypertexts gilt, sagte das. Das ist über 40 Jahre her. Die Geschichte des Internet ist eng mit Utopien wie dieser verbunden. "#Meinungsmacher" von Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura, uraufgeführt in Erlangen, zeigt, wie und warum daraus, zumindest auch, Dystopien wurden.

Drei kegelförmige Aufbauten sind der einzige Schmuck der Bühne. Eine schwarzweiße Projektion erinnert an Strichcodes. Die transparente Leinwand hebt sich, dahinter die sechs Schauspieler, oder vielleicht besser: Referenten.

"Drei Buchstaben, die die Welt verändern"

Denn dies ist, wie es sich bei Kroesinger gehört, strictly Dokumentartheater, hier wird also kein Drama erzählt – auch wenn die sechs eine Geschichte nachzeichnen, die des Internets. Zunächst taucht es als Objekt auf, ein schwarzer Kasten, den sich die Schauspieler zuwerfen: Jeder will mal das Internet in Händen halten. Das Bild verpufft allerdings und wird nicht wieder aufgegriffen. Und überhaupt leidet "#Meinungsmacher" an einem Mangel an Bildhaftigkeit. Was unter anderem dem kargen (wenn auch wandelbaren) Bühnenbild geschuldet ist. Aus den Kegeln werden riesige Sprachrohre. Nach der Pause werden sie durch Treppengerüste ersetzt, von denen herab Internetexperten predigen können.

MEINUNGSMACHER7 560 JochenQuast uIn der Echokammer: Charles P. Campbell, Ralph Jung, Alexandra Ostapenko, Amos Detscher
© Jochen Quast

Der Text hangelt sich grob chronologisch an der tatsächlichen Entwicklung des Netzes entlang, zersetzt von "Hyperlinks", also Exkursen zum Beispiel zum Thema Facebook. 1969: Die erste Internetnachricht, verschickt von der University of Los Angeles nach Stanford hieß "LO". 1989: Tim Berners Lee erfindet das World Wide Web. "WWW – drei Buchstaben, die die Welt verändern." 2003: Mark Zuckerberg programmiert facemash, den Vorläufer von facebook.

Detox als Holzweg

Das ist ein ganzer Haufen Information. Kroesinger hat alles, alles über das Internet auf einen Haufen geschmissen, sich unterschiedlichster Interviews, Artikel etc. bedient und eine enorme Textmenge auf mehrere Sprecher verteilt. Klar, Charles P. Campbell gibt einen hervorragenden, menschlichen Sprachroboter. Und Marion Bordat versteht es mit idealem Hotelierslächeln in ihre Digital-Detox-Pension einzuladen.

Unterm Strich entsteht leider dennoch eher der Eindruck eines etwas unfokussierten TED Talks als eines Stücks. Zudem liefern die Texte im ersten Teil wenig Neues und die Regie wenig Überraschungen. Amos Detscher muss zwischen erhobenen Daumen strampeln wie auf einem Laufband. Das passt natürlich, ist aber auch ein wenig erwartbar.

Der zweite Teil ist gelungener, weil hier die kulturpessimistische Perspektive ein wenig in den Hintergrund rückt und der Text mehr Widerspruch zulässt. Ein "Digital Detox"-Exkurs zeigt, wie sich die Katze in den Schwanz beißt, indem auch das Ausschalten des Smartphones in die marktwirtschaftliche Logik integriert wird. Handy aus heißt: "Sie werden leistungsfähiger!"

Trump als menschlicher Algorithmus

Gegen Ende darf Trump nicht fehlen, dessen Wahlsieg auch auf Big Data Analysen fußte. Nicht ihn zitiert Kroesinger daher, sondern Alexander Nix, Chef von Cambridge Analytica und "Präsidentenmacher". Die Technologie von CA machte es möglich, Wähler nach den Methoden des Marketings persönlich zu adressieren. Trump habe also nicht widersprüchlich gesprochen, nur für jeden Wähler seine individuelle Botschaft geliefert: Erstmals stand ein menschlicher Algorithmus zur Wahl.

Wie bereits aus Zuckerberg wird aber auch aus Nix nur ansatzweise eine Figur, zuerst von Martin Maecker, dann von Charles P. Campbell verkörpert. Im Interview von Stahltreppe zu Stahltreppe spricht er über seine Firma: "Wir sind ideologisch agnostisch."

MEINUNGSMACHER6 560 JochenQuast uDie Möglichkeiten der Selbstinszenierung: Ralph Jung (Gesicht: Martin Maecker), Amos Detscher
(Gesicht: Alexandra Ostapenko), Marion Bordat (Gesicht: Charles P. Campbell), Martin Maecker,
Alexandra Ostapenko (Gesicht: Marion Bordat) © Jochen Quast

Man lernt dennoch viel, wenn man "#Meinungsmacher" sieht. Vom chinesischen Bürger-Kontrollprogramm mit Gaming-Logik "Sesame Credit" oder der Psychometrie als Auslesetool von Facebook-Usern. Aus dem Computer als Weg zur Freiheit ist ein Selbstversklavungs-Mechanismus geworden.

Ist das so? An offenen Fragen mangelt es. Nach dem Applaus holt ein Besucher sein Handy aus der Tasche. Von der Ehefrau darauf angesprochen nuschelt er: "Mir konnte niemand erklären, was daran schlecht sein soll."

#Meinungsmacher
von Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura
Regie: Hans-Werner Kroesinger, Konzept / Text: Regine Dura, Bühne, Kostüme, Video: Rob Moonen, Musik: Clemens Giebel, Dramaturgie: Udo Eidinger, Licht: Thomas Krammer, Ton: Christoph Panzer.
Mit: Marion Bordat, Charles P. Campbell, Amos Detscher, Ralph Jung, Martin Maecker, Alexandra Ostapenko.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause

www.theater-erlangen.de

 


Kritikenrundschau

"Die Inszenierung traut dem Zuschauer nicht nur wenig zu, sondern rechnet erst gar nicht mit ihm als informiertem Bürger, der seinen digitalen Konsum möglicherweise bereits selbst zu hinterfragen begonnen hat", schreibt Florian Welle für das Onlineportal der Deutschen Bühne (19.1.2018). Mit der "faktenbasierten Aneinanderreihung" von Statements werde inhaltlich zu wenig Neues vorgebracht. "Auch bei der Wahl der ästhetischen Mittel weiß die Inszenierung nicht zu überraschen oder einen gar einmal zu überrumpeln. Ästhetische Brechungen: Fehlanzeige. Weil die brav agierenden Schauspieler mit ihrer Gestik und Mimik stets das Erörterte verdoppeln müssen."

Faktenreich und eine kurzweilige Lehrstunde zum verstorbenen Traum der Internet-Pioniere, das schon: aber insgesamt sei der Abend "beliebig", schreibt Bernd Noack in den Erlanger Nachrichten (22.1.2018). Aus der Fülle der Fakten werde "nicht zwangsläufig auch ein gutes Theaterstück", sondern eine "Besserwisser-Revue mit Sesamstraßen-Aha-Effekt".

 

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