Zwischen den Balken

von Shirin Sojitrawalla 

Wiesbaden, 12. Juni 2008. Die junge kroatische Dramatikerin Tena Štivičić (Jahrgang 1977) hält in ihrem Stück "Krijesnice" (Funkenflug) eine Handvoll Paare und Passanten auf einem Flughafen, also im Nirgendwo, fest. Draußen herrscht Schneechaos, nichts geht mehr, und Warten scheint beinahe die einzige Alternative. Lebensklug, mit feinen Pointen und souveräner Personenführung fängt das Stück nonchalant auch ein irgendwie urbanes Lebensgefühl ein: das Leben als Dauer-Check-in.

 

Das Stück stand nun am Anfang der diesjährigen Wiesbadener Theaterbiennale "Neue Stücke aus Europa". Doch der Abend stand unter keinem guten Stern, und damit meinen wir nicht nur, dass an diesem Abend Deutschlands Kicker ausgerechnet gegen Kroatien verloren. Auch der Simultanübersetzer schien seltsam indisponiert. Unkonzentriert und fahrig vermasselte er nicht nur einmal seinen Einsatz und blieb zuweilen gänzlich stumm.

Da wir bei einem in kroatischer Sprache aufgeführten Stück doch sehr auf unseren Mann im Ohr angewiesen sind, war das schlicht ein Ärgernis. Die Eröffnungsworte des Stückes "Verdammte Scheiße" passten aber auch zu den erschreckend lückenhaften Reihen im Saal. Aber zurück zum Stück: Bei der Frau, die so treffend fluchend den Abend eröffnet, handelt es sich um die verletzlich verlebte Schriftstellerin Clara, die auf dem Flughafen ganz unerwartet auf ihren einstigen Geliebten trifft.

Pläne, so verloren wie ein Regenschirm

Sie ist auf dem Weg nach Pula, um ihren Vater zu besuchen, während er sein letztes Ticket in die Schweiz in der Sakkotasche trägt. Strammen Kurs auf Barbados halten hingegen Zana und Toni, nach dem Willen der Autorin ein ebenso gut angezogenes wie gut aussehendes Paar Mitte dreißig. In der Inszenierung des Jungen Theaters Zagrebs unter der Regie des polnischen Regisseurs Janusz Kica sind die beiden deutlich älter und eher nicht so attraktiv, sie Matrone mit hinreißendem Schmollmund, er untreudoofer Choleriker mit HB-Männchen-Charme.

Aus dem Nichts heraus und ohne Not gesteht er ihr einen Seitensprung, den sie ihm kurz vor dem Abflug nicht verzeihen mag. Beide versuchen obendrein, dem Alkohol zu entkommen und dem Leben nüchtern ins Gesicht zu sehen. Ganz andere Sorgen hat indes Olga, die es als Au-pair-Mädchen nach Amerika zieht, wo ihr Leben bitteschön endlich anfangen soll, gut zu werden. Solche Pläne hat wiederum der alte Mann Oliver längst verloren wie einen Regenschirm. Er möchte seinen Sohn in Miami mit seinem Besuch überraschen und denkt gar nicht daran, dass er dort nicht willkommen sein könnte.

Während sie sich alle die Zeit bis zum Abflug vertreiben, brechen ihre Lebenslügen auf wie überreife Früchte. Dazu gesellen sich noch zwei aufgekratzte Stewardessen, die ihre geilen Finger nicht vom Wodka lassen können, sowie einiges Flughafenpersonal.

Eher ein Film, bei Licht besehen

Das handlungsarme Stück bezieht seine Spannung aus seinen langen Dialogen. Zwei Menschen, auch wenn es nicht immer dieselben sind, dabei zuzusehen, wie sich unterhalten, kann auf die Dauer freilich müde machen. Wer das Stück liest, fühlt sich indes bestens unterhalten, weil vor seinen Augen automatisch ein Film abläuft. Und bei Licht besehen, taugt das Stück womöglich auch eher als Drehbuch denn als Theaterstück.

Will man es aber auf die Bühne bringen, muss man sich etwas einfallen lassen, um dem Stoff wie auch immer Dynamik zu verleihen. Den Text nur drei Stunden lang hübsch zu illustrieren, die Umbauphasen mit biederen Nummern zu füllen und sich ansonsten auf die Schauspielkunst des Ensembles zu verlassen, ist schon arg lahm. Das weiß natürlich auch der erfahrene Kica, der in seinem Beitrag zum Festivalkatalog schreibt, der Flughafen im Stück wirke wie eine Kinoleinwand, auf die die Menschen ihre Sehnsüchte und Fluchtträume projizierten.

Im ersten Teil des Abends nimmt das Bühnenbild diesen Gedanken auf, indem das Geschehen erhöht und eingerahmt von schwarzen Balken quasi im Cinemascope-Format dargeboten wird. Heraus- und herunterfahrende Schiebetüren und Jalousien sorgen für die Schnitte zwischen den einzelnen Einstellungen. Doch damit schafft es Kica nicht, dem Stück die Zügel anzulegen. Die beträchtliche Länge der einzelnen Sequenzen erzeugt immer wieder Monotonie, eine Kürzung und Straffung hätte dem Text gut getan.

Nach der Pause sitzen wir dann hinter der Flughafenbar "Casablanca", vom Band dudelt selbstverständlich "As times goes by". Die Figuren halten sich jetzt mit Sekt bei Laune, und auch die Inszenierung gerät ein bisschen in Schwung. Im März nächsten Jahres steht "Funkenflug" dann als deutschsprachige Erstaufführung auf dem Spielplan des Wiesbadener Theaters. Mal sehen.

Krijesnice/Funkenflug
von Tena Štivičić, deutsch von Mirjana und Klaus Wittmann
Inszenierung: Janusz Kica, Bühne: Slavica Radovic, Kostüme: Doris Kristic, Musik: Stanko Juzbasic. Mit: Doris Saric-Kuku Ijica, Jadranka Dokic, Sreten Mokrovic, Vanja Drach, Ksenija Marinkovic u.a.

www.staatstheater-wiesbaden.de
www.neuestuecke.de

 

Kritikenrundschau

Das Stück selbst hat Viola Bolduan, wie sie im Wiesbadener Kurier (14.6.2008) schreibt, durch seinen Sprachwitz und das "exzellente Gespür" der Autorin für "das Unaussprechliche von Gefühlen, für das Unterschwellige von Anziehung und Ablehnung, für die Melancholie von Vergeblichkeit und Verlorenheit" sehr beeindruckt. Doch von der Inszenierung sprang kein Funke auf sie über. Allzu behäbig gehe die Regie mit dem Stück und seinen Figuren um, ziehe Probleme und Konflikte in die Länge, und verlange vom Zuschauer mitunter sehr viel Geduld, was der Aufführung Bolduan zufolge jedoch längst nicht alle entgegenbringen wollten.

Auch Eva-Maria Magel meldet in der Rhein-Main-Zeitung, dem Lokakteil der FAZ (14.6.2008) Bedenken an. Bereits das Stück selbst findet sie nicht besonders innovativ. "Episoden unter dem Dach einer menschlichen Zwangslage zu versammeln", gehört für sie doch zu den "gebräuchlicheren Einfällen". Zwar werde "in wechselnden Konstellationen" immer wieder "Komisches, Anrührendes, Tragikomisches" gezeigt. Aber so recht froh wird die Kritikerin damit nicht. Auch die Übersetzung von Mirjana und Klaus Wittmann  bekommt keine sonderlich guten Noten. Der Simultandolmetscher, der sie im Rahmen der Aufführung einlas, kam ihr erst recht orientierungslos vor. Und während draußen vor dem Theater die ersten kroatischen Fußballfans den Sieg ihrer Mannschaft bei der Europameisterschaft gefeiert hätten, ist das kroatische Stück trotz der sehr engagierten Schauspieler ähnlich der deutschen Elf ihrem Eindruck zufolge "nicht aus dem Quark" gekommen. Fazit: "Gute Chancen, aber kaum Verwandlungen".



Kommentare  
Funkenflug: Mutmaßungen über die Identität von Tena Štivicic
Hier mal eine Geheimnislüftung: Es gibt Tena Stivcic gar nicht. Da hat sich ein deutscher Autor ein kroatisch sprechendes Model als Pseudoanthrop zugelegt. Aus seiner Zeit als Juror bei den einer Autorenwerkstatt hat dieser Autor ein paar nie aufgeführte Stücke gemixt, Figuren entlehnt, das Stück dort spielen lassen, wo die Hälfte aller damals eingereichten Stücke spielt: auf dem Flughafen (das Leben als Warteraum in der globalisierten Welt!). Eigentlich als Jux gedacht wurde die Sache zum Selbstläufer. Die älteren Herren bei Theater Heute waren insbesondere vom Aussehen der "Tanja Stivcic" begeistert und haben nach reiflichem Abwägen für einen Stückabdruck votiert. Und wenn man den Text ganz leise liest, dann hört man den alten häßlichen Autor irgendwo im Hintergrund ganz leise lachen.
Zu Tena Štivicic: Vielen Dank für die Aufklärung
Jetzt, wo Sie's sagen, höre ich es auch, noch leise, aber stetig lauter werdend, das Lachen des alten Autors.
Vielen Dank für die Aufklärung!
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