Gefolterte Hasenmarionette

von Robert Schröpfer

Leipzig, 5. Mai 2007. Korinth macht dicht: Selbst Integrationswille bis zur Selbstverleugnung und ein Hugo-Boss-Kostüm, das die Fremde gegen ihre Herkunft tauscht, können hier nicht helfen. König Kreon, der Medea nur widerwillig Asyl gewährt, interessiert nur jenes Widderfell, das sie dem eigenen Vater raubte.

Kreusa, seine Tochter, die die Migrantin beim Cellospiel unterweist, flirtet schamlos mit ihrem Gatten. Und wenn Jason die Wilde hart verstößt und sie selbst von den eignen Kinder gechmäht wird, bleibt ihr nicht viel mehr, als tatsächlich jene Horrorbilder zu bedienen, die die anderen unentwegt auf die "Barbarin" projizieren: eine Nagelbombe bauen und die Söhne unterm Widderfell ersticken.

Versatzstücke aus Horrorfilm und Medien

Berlin, München, Wien – wo immer das Theater Flüchtlingselend problematisiert, wird gegenwärtig zur "Medea" gegriffen. In Leipzig hat sich Regisseur Robert Schuster für Franz Grillparzers Trilogie "Das Goldene Vließ" entschieden, die den Mythos samt Vorgeschichte erzählt und stärker in Richtung interkulturellen Konflikt verschiebt. In gut drei Stunden führt er auf der großen Bühne des Schauspielhauses die Wirkungsmacht kultureller Zuschreibungen vor. Hier stranden Versatzstücke aus Horrorfilm und Medien, werden Mythos und Gegenwart abgemischt. Und wenn die Korinther die Barbarin ins Abseits drängen, erscheinen ihre Methoden nur subtiler, aber nicht minder unmenschlich, als die der Kolcher, die zu Beginn den griechischen Flüchtling Phryxus ermorden.

Der Abend nimmt zwar langen Anlauf, wenn er den "Gastfreund" und "Die Argonauten" zwischen Farce und Splatter zeigt. Mit Autotür-Altar und Elektrokocher praktizieren die Kolcher ihre Kulte, König Aietes (Matthias Hummitzsch) spielt den Chefbarbaren, indem er Fremde mit breitem Akzent begrüßt. Und die schwer bewaffnete Übermacht der Argonauten versucht, die Autochthonen zu bannen, indem sie mal im Pelz, mal im Schleier schwarze Witwen und jene Horrorgötter mimen, die die Griechen mit Kolchis imaginieren. Dazwischen wird mit einer Hasenmarionette gespielt und auch mal aus der Rolle getreten.

Von der Verliebten zur Tragödin

Doch nach der Pause zeigt sich, dass die Inszenierung damit auf mehr abzielt, als nur Theatermittel durchzudeklinieren. Während Torben Kessler Jason selbstmitleidig, dann pragmatisch in die Jeunesse dorée zu integrieren sucht, biegt Carolin Conrad als Verstoßene ins Medea-Drama ab. Barmend, händeringend, hart lässt sie die Kolchertochter von der frisch Verknallten über offene Neugier zur Tragödin wachsen. Immer aber, wenn der Abend ins Psychologische abzudriften droht, bricht ein V-Effekt die Szene. So hat sich Schuster einen Spielrahmen geschaffen, um assoziativ Bilder anzudocken, ohne platter Analogien verdächtig zu werden. Wenn an einer Hasen-Marionette Folterpraktiken durchexerziert werden, wenn Medea ihre Nagelbombe baut, erreicht der Abend Momente großer Dichte und Eindringlichkeit, in denen man als Zuschauer eigene Angstbilder wiederfindet.

 

Das goldene Vließ
von Franz Grillparzer
Inszenierung: Robert Schuster
Mit: Carolin Conrad, Torben Kessler, Matthias Hummitzsch, u.a.

www.schauspiel-leipzig.de

Kritikenrundschau

Für Andreas Hillger, Kritiker der Mitteldeutschen Zeitung (6.5.2007) in Halle, fängt das Problem schon bei der Entscheidung an, Medea als Metapher für die ungezählten Flüchtlingsschicksale der Gegenwart zun stilisieren, denn dazu taugt diese Figur aus seiner Sicht nur bedingt. Robert Schusters Steigerung des Stoffes zu einen Kampf der Kulturen überzeugt ihn erst recht nicht. Nur eine Beuys-inspirierte sprechende Hasenmarionette sorgt für Heiterkeit. Aber mehr dann auch nicht.

Anna Postels von der Sächsischen Zeitung (6.5.2007) findet Robert Schusters Zugriff zu oberflächlich. Das Hauptproblem des Abends ist für sie, dass die ersten beiden Teile über eineinhalb Stunden vor sich hin plätschern und so viel Zeit und Kraft verloren geht. Auch im spannendsten und wichtigsten letzten Teil passiert dann nicht genug, um das Ruder noch herumzureissen.

"Ein zwiespältiger Theaterabend mit großen Momenten und beeindruckenden Fehlschlägen", urteilt Ralph Gambihler in der Chemnitzer Zeitung Freie Presse (7.5.2007) und wird dann im Absatz darauf noch mal deutlicher: "Regietheater zwischen Bühnenkampf und Ideenkrampf".

 

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