Konsens - Am Staatstheater Kassel macht Eva Lange aus Nina Raines Stück zwischen Paar-Plauderei und sexueller Gewalt einen emotional dichten Abend
Ich zerfick dein Narrativ
von Karolin Berg
Kassel, 23. Januar 2018. Edward ist mit Kitty verheiratet. Jake mit Rachel. Tim – ja nun, Tim ist alleine, so wie es im Freundeskreis eben immer einen oder eine gibt, der/die notgedrungen Langzeitsingle ist und für den die anderen selbstredend nach potenziellen Kandidaten Ausschau halten. Ihre Wahl fällt auf Zara, eine Schauspielerin, ebenfalls Mitglied der Freundesrunde – auch wenn man sich fragt, wie und warum es Zara zu dieser Juristensippe verschlagen hat. Die Gespräche auf den Partys: Fachsimpelei samt des Hausierens mit ihren jüngsten Gerichtsverhandlungserfolgen, alles maximal abgebrüht: "Und dann zerfick ich dein Narrativ." Denn zermürbende, perfide Strategien vor Gericht sind das A und O.
Abgestumpft plaudern sie in Nina Raines Stück "Konsens" bei einem Gläschen Champagner über "ihre" Morde und Vergewaltigungen. Alle Taten fußen schließlich auf einem sexuellen Hintergrund – außer, es geht um Steuern. So weit Jakes These, der in der Runde wie ein trauriger Clown erscheint. Wie der Typ Stimmungsmacher, von dem alle wissen, dass er zu einem gewissen Zeitpunkt des Abends stets ein Glas zu viel intus hat und eine Zote zu tief unter der Gürtellinie raushaut. Die Runde stößt an auf die Geburt des Nachwuchses, sodass die Gläser am Köpfchen des Neugeborenen nur so klingen.
Das Stück zur #MeToo-Debatte
Doch dann steht plötzlich sie vor der Tür. Sie. Das Vergewaltigungsopfer Gayle, das nicht zur Ruhe kommt, das sich Luft verschaffen muss. Irgendwohin mit dem ohnmächtigen Unverständnis, wie es angehen kann, dass der Täter, der sich am Abend der Beerdigung ihrer kleinen Schwester an ihr vergeht und vor Gericht von Edward als Verteidiger vertreten wird, ungeschoren davon gekommen ist. Über sechs Jahre schrieb die britische Dramatikerin und Regisseurin Nina Raine an "Konsens" – und plötzlich findet sich das Stück in einen Kontext wieder, der durch die #Metoo-Debatte über sexuelle Gewalt enorme gesellschaftlich-mediale Aufmerksamkeit erfährt. Die deutschsprachige Erstaufführung fand soeben in Düsseldorf statt, jetzt inszeniert Eva Lange am Staatstheater Kassel.
Gayle sprengt mit einer Vehemenz, die eine eindrückliche Stille nach sich zieht, diese Feier, die bis dato mit bunten Papphütchen und nicht wenig Alkoholischem am Leben gehalten wurde. Denn zu diesem Zeitpunkt haben die Beziehungen der Freunde bereits existenzielle Krisen hinter sich. Jake, der notorische Fremdgänger, der so gar nicht verstehen kann, wo das Problem Rachels liegt, und der nun wut-weinerlich Angst hat, dass sie ihm seine Kinder wegnehmen könnte. "Leid tut's mir nur, dass sie es rausgekriegt hat. Jeder sucht hin und wieder nen Kick, da geht's mir nicht anders." Solche rausgeschnodderten Sätze sind es, die der Aufführung ihre grotesk-humoristische Note verleihen – bitterböse Pointen, die in einer bemerkenswerten Beiläufigkeit mit nüchternem, lapidarem Ton den Schauspielern aus dem Mund fallen.
Déformation professionelle
Zuvor sehen wir, wie Gayle im Gerichtssaal von Edward juristisch gewieft für jede Formulierung, jedes Zögern in die Mangel genommen wird, um ihre psychische Instabilität nachzuweisen. Das Opfer ist in der Position, sich rechtfertigen zu müssen, nicht der Täter. Eine tief beklemmende Szene. Im Zucken der Mundwinkel, im Flackern der Stimme und des Blicks, im fahrigen Spiel der Hände spiegeln sich Gayles traumatische Erinnerungen.
Immer mehr verwischen Berufliches und Privates. Vor uns ausgebreitet: eine Déformation professionelle in ihrer Endstufe. Eine juristische Blase, in der jede Empathie erodiert. Letztlich kumuliert dies in der Frage, ob wirklich ein Konsens, ein Einvernehmen zwischen den frisch gebackenen Eltern Edward und Kitty bestand, als sie miteinander schliefen. "Ich dachte, sie will es!", schluchzt Ed zusammengekauert vor Jake und Rachel. Die beiden gespalten darin, wie das Geschehnis zu bewerten ist.
Verbales Gefecht
Raine spielt gekonnt mit zerreißenden Eindeutigkeiten und Grauzonen. Im tif, der kleinen Kasseler Spielstätte, schenken sich Maria Munkert als Kitty und Thomas Sprekelsen als Edward in ihrem zerfetzenden Schlagabtausch rein gar nichts und schaffen eine erschütternde emotionale Dichte. Da wird verbal gefochten, was das Zeug hält. Eva Langes Inszenierung fokussiert ganz auf die Schauspieler und lässt sie die Gefühle entfesseln. Nur dann, wenn die Schauspieler aus ihrem Kosmos ausbrechen und direkt ins Publikum gewandt deklamieren, hebt sich moralinsauer der Regie-Zeigefinger.
Christina Weiser spielt ihre Doppelrolle von Gayle und Laura, Kittys Rechtsanwältin, als Trumpf aus. Sie ist es, die in der Mitte der Stuhlreihe hinter der kahlen Verhandlungsfläche das Sich-Winden Edwards genüsslich betrachtet. Als würde Gayle, die nur im Suizid einen Ausweg sah, immer noch da sitzen. Doch diesmal nicht als eine gebrochene Frau. Ein genugtuendes Lächeln bricht sich Bahn. In ihrem Blick liegt ein süffisantes "Tja, Edward. Jetzt sitzt du in der Scheiße."
Konsens
von Nina Raine
Deutsch vom Michael Eberth
Regie: Eva Lange
, Bühne und Kostüme: Sibylle Pfeiffer,
Dramaturgie: Annabelle Leschke.
Mit: Stephan Schäfer, Maria Munkert, Thomas Sprekelsen, Pauline Kästner, Konstantin Marsch, Rahel Weiss, Christina Weiser.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.staatstheater-kassel.de
"Zum brillant geschriebenen Stück, das angesichts #Metoo aktueller nicht sein könnte, kommt eine die Spannung unausweichlich anziehende Regie von Eva Lange und ein großartiges Ensemble, das man sich mit dem Thema auch gut auf der großen Bühne des Schauspielhauses hätte vorstellen können", schreibt Bettina Fraschke in der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen (25.1.2018). "Maria Munkert und Thomas Sprekelsen zeichnen immens facettenreiche Figuren, lassen die Stimmungen im Verlaufe des Abends mehrfach kippen, und bei ihrem finalen Ringen (mit keineswegs klarem Ausgang) um Liebe und Selbstachtung zerreißt es einem fast das Herz."
Eine konzentrierte Inszenierung, die "hippe und wirklich etwas unangenehme Leute" der Stückvorlage "sorgfältig zu Individuen" forme, hat Judith von Sternburg für die Frankfurter Rundschau (1.2.2018) in Kassel erlebt. "Nicht immer wird – im Text und auch am Abend – ganz klar, wo die Bewegungslosigkeit noch durch Anspannung begründet und wo sie nurmehr bewegungslos ist. Umgekehrt muss man sagen, dass es hinterher viel zu besprechen gab. Theater als offene Gesprächsgrundlage."
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(Liebes Kleeblatt - Die wurde von uns nicht besprochen.
Die Redaktion / sik)
(Lieber Fragender,
wir haben uns in diesem Fall tatsächlich bewusst entschieden, auf die nur wenige Tage nach der Düsseldorfer DEA angesetzte Inszenierung im kleineren, von uns seltener rezensierten Haus zu schauen.
Mit besten Grüßen, Anne Peter / Redaktion)