Die Ruhe nach dem Sturm

von Willibald Spatz

Ingolstadt, 27. Januar 2018. "Ich glaube, mir geht's scheiße" – das ist der Satz, mit dem die drei Personen aus "Wasted" ihren Zustand beschreiben. Und dabei bleibt es auch. Es geschieht zwar ein paar Stunden bewegtes Nichts. Doch danach kehrt wieder Ruhe ein, diese Scheiß-Ruhe.

Drei Freunde machen gemeinsam einen drauf im Gedenken an einen Freund. Der hat, wie es scheint, vor zehn Jahren alles richtig gemacht: Er ist gestorben, bei einem Autounfall. Daran wird man in Ingolstadt immer wieder durch laute Crash-Geräusche und eingeblendete Unfallbilder erinnert. Wenn Donald Berkenhoffs Inszenierung ein Problem hat, dann ist es eines mit der Lautstärke.

Irgendwie jung, irgendwie London

Alles beginnt herrlich unverkrampft. Die drei Schauspieler stehen schon vor dem Einlass auf der Bühne herum, einige Freunde begrüßen sie persönlich durch Umarmungen. Später eintreffenden Zuschauern helfen sie höflich, die restlichen freien Plätze zu finden. Im Hintergrund werden die verschiedenen deutschen Bedeutungen des Wortes "Wasted" eingeblendet, dazu läuft Musik von der britischen Rap-Poetin Kate Tempest, was einen gut in den Rhythmus des Theatertextes hineinfinden lässt.

Wasted.3 560 JochenKlenk uDrei Freunde (Marc Simon Delfs, Yael Ehrenkönig, Felix Steinhardt) und ein toter Kumpel (im Vordergrund: Maximilian Haberzettel in stummer Rolle) © Jochen Klenk

Unverbindlich erklären die drei, dass sie auch nichts zu verkünden hätten, keine tieferen Wahrheiten für die Zuschauer, und dass sie auch nicht so tun wollen, als hätten sie welche. Kate Tempest gliedert ihr Stück, indem sie zwischen die Szenen kurze Chorpassagen schiebt. Nach diesem gelungenen Auftakt werden die anderen Chorstellen in wilden Videos abgehandelt. Laut, mit verzerrten Stimmen und zwei- bis dreifach gedoppelten Schauspielern, maximal verfremdet und mit elektronischem Sound unterlegt. Irgendwie jung, irgendwie Drogen und Party, irgendwie London.

Verkatert durch Ikea

Das alles hätte es gar nicht gebraucht, um die Leere in diesen Menschen zu übertönen. Drei junge Leute, erst Mitte zwanzig und doch so was von wasted, so was von fertig ­ mit sich und der Welt: Ted hat es geschafft. Job mit Anzug, nette Freundin, die ihm passt, trotzdem hasst er es, jeden Tag Zahlen in den Computer zu hacken. "Ich bin den ganzen Tag da drin, ich gebe denen meine komplette beschissene Zeit." Aber er weiß, dass er es immer noch besser hat als sein Kumpel Danny, über den hält er einen Monolog. Jener träumt immer noch davon, mit seiner Band groß rauszukommen, in Wirklichkeit hangelt er sich nur von einem zum nächsten bedeutungslosen Auftritt, immer hoffend, dass es diesmal der Durchbruch ist. Gelegentlich verbringt er eine Nacht mit Charlotte, der dritten von ihnen. Aus ihr ist eine Lehrerin geworden. Sie verbringt ihre Zeit damit, "14-Jährige davon abzuhalten, sich gegenseitig Bilder von ihren Schwänzen zu schicken".

Diese drei ziehen nun los in die Nacht, ihr toter Kumpel zieht mit bzw. sitzt in stummer Rolle als Gespenst mit blutverschmiertem Gesicht permanent auf der Bühne. Er wird immer wieder angesprochen. Einerseits ein Vorbild, andererseits auch ein Vorwurf für die anderen, noch Lebenden.

Von der eigentlichen Sause kriegt man nicht viel mit, ein kurzes, heftiges Strobo-Gewitter. Der Großteil der Szenen besteht aus den Momenten, in denen die drei versuchen wieder nüchtern zu werden oder verkatert am nächsten Tag noch miteinander abhängen. Und in diesen Szenen, die in selbst herbeigeschleppten Sofa-Landschaften spielen, können die Schauspieler sich auch ganz auf die Rollen einlassen und glänzen. Marc Simon Delfs als Ted zum Beispiel, wenn er Danny sein verkorkstes Leben vorwirft, ja sogar zugibt, dass er Dannys Band scheiße findet und dann zu dem todtraurigen Schluss kommt: "Es geht darum, zufrieden zu sein mit dem, was man hat. Nur das. Mehr nicht." Die totale Kapitulation vor sich, den eigenen Hoffnungen, Wünschen. Natürlich, er spricht von Danny – und meint sich. Kurz darauf ruft seine Freundin an. Verkatert muss er nun vier Stunden mit ihr durch Ikea spazieren.

Hochgesang auf die Lebenslüge

Die einzige, die es anscheinend ernst meint, ist Charlotte. Sie kündigt, sie fliegt noch am selben Tag weg, sie lässt Danny einfach sitzen, weil der seinen Arsch nicht hochbekommt. Am Ende allerdings steht sie doch wieder bei ihm, weil sie ihren Flieger verpasst hat. Beim Schein zweier spießiger Wohnzimmerlampen versprechen Yael Ehrenkönig und Felix Steinhardt sich, von nun an alles besser zu machen. Charlotte wird als Lehrerin ihre ganze Energie in diese Jugendlichen stecken, und Danny wird ab jetzt sechs Stunden am Tag proben – zwei Hochgesänge auf eine große Lebenslüge.

Wasted.12 560 JochenKlenk uJetzt wird alles besser? Lebenslügen-Duett mit Yael Ehrenkönig und Felix Steinhardt © Jochen Klenk

Kate Tempest erweckt nie den Eindruck, als sammle sie das Material für ihre Songs, Gedichte, Theaterstücke und ihren Roman irgendwo anders als in ihrem direkten Umfeld. Großartig sind ihre Texte, weil sie es schafft, diesen kleinen privaten Problemen eine Dringlichkeit abzuringen, als gebe es jetzt im Augenblick nichts Wichtigeres auf der Welt. Diese Wucht und Dichte kommt in Ingolstadt vor allem in den leisen Szenen zum Tragen.

 

Wasted
von Kate Tempest
Deutsch von Judith Holofernes
Regie / Ausstattung: Donald Berkenhoff, Chorarrangement / Einstudierung / Sounds / Musik: David Rimsky-Korsakow, Video: Stefano Di Buduo, Dramaturgie: Paul Voigt.
Mit: Marc Simon Delfs, Yael Ehrenkönig, Felix Steinhardt, Andreas Binner / Maximilian Haberzettel.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

theater.ingolstadt.de

 

Kritikenrundschau

"Es ist ein präziser, hochpoetischer, musikalischer Text. (…) Donald Berkenhoff hat daraus eine konzentrierte, intensive, mitunter komische Spiel- und Denkfassung gemacht, die alle an- und berührt. Denn das Stück kreist um die Frage nach dem richtigen Leben, um Wege, Umwege, Abwege, Auswege", schreibt Anja Witzke im Donaukurier (29.1.2018). "Theater für Herz und Hirn!"

Donald Berkenhoff widerstehe der Versuchung der x-ten verlorenen Generation bierernst und tief tragisch ein Mahnmal zu errichten, schreibt Michael Heberling in der Augsburger Allgemeinen Zeitung (29.1.2018). "Wir sehen, traurig genug, junge, sehr selbstbezogene Menschen beim Jammern, das hat weder kathartische Wirkung noch wäre es politisch relevant." Immerhin habe das Stück ein "unerwartet optimistisches Ende": "Die Welt ist (…) nicht schlecht, sie steht dir offen, spricht die Dichterin, nur du bist zu."

"Vieles wirkt arg larmoyant und verquast" in Tempests Stück über das Lebensgefühl ihrer Generation, fasst Florian Welle in der Süddeutschen Zeitung (29.1.2018) seinen (Lese-)Eindruck zusammen: "Weiße Mittelschicht, um die 30, wild und frei war gestern, the party is over." Fazit zum Text: "Die Stärke von Tempest liegt in der kleinen Form. Ihre Gedichte und Songs erzeugen in der Verdichtung eine ungemein poetische Wahrheit und Wucht, die ihrem Stück abgehen." Fazit zur Inszenierung: "Die große Stärke der Inszenierung liegt in den Videoeinspielungen von Stefano Di Buduo, in denen die Schauspieler wie in einem Horrorfilm in Szene gesetzt sind, und dem melancholischen Elektrosound von David Rimsky-Korsakow, der mehr als alle Worte klar macht, wen wir hier vor uns haben. Hilflose junge Menschen auf der Suche nach ihrem Platz im Leben."

 

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