Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Esther Slevogt fragt, ob Kunst wirklich frei ist oder nicht doch Zwecken dient
Werte Freiheit
von Esther Slevogt
30. Januar 2018. Dass Kunst eine Waffe ist, hat schon Friedrich Wolf gewusst, ein (im Gegensatz zu dem von ihm geprägten Satz "Kunst ist Waffe!") inzwischen ziemlich in Vergessenheit geratener Dramatiker, Schriftsteller, Arzt und Kommunist, der nach dem Zweiten Weltkrieg auch der erste Botschafter der frisch gegründeten DDR in der frisch gegründeten Volksrepublik Polen gewesen ist. Denn der Satz "Kunst ist Waffe", von Wolf 1928 in einer berühmten Rede auf dem Gründungskongress des Arbeitertheaterbundes in Berlin geprägt, gilt noch immer. Allerdings nicht in der agitatorischen Holzhammermanier, in der er so gerne benutzt wird, sondern eher als subtiles wie subversives Manipulationsinstrument.
Ingenieure der Seele
"Unsere Panzer sind wertlos, wenn die Seelen, die sie lenken müssen, aus Ton sind. Deshalb sage ich: Die Produktion von Seelen ist wichtiger als die von Panzern ... Und deshalb erhebe ich mein Glas auf euch, Schriftsteller, auf die Ingenieure der Seele", hat Josef Stalin die Sache 1932 bei einem Empfang im Haus des Schriftstellers Maxim Gorki auf den Punkt gebracht. Wobei das Diktum vom Ingenieur der Seele eben nicht allein auf Schriftsteller*innen sondern auf Künstler*innen insgesamt anwendbar ist. Allerdings hat, wie die Geschichte gezeigt hat, der Kapitalismus in dieser Angelegenheit die deutlich fähigeren Ingenieure hervorgebracht. Die kommunistischen Seeleningenieure schnitten da mindestens so schlecht ab wie die Ingenieure in der Planwirtschaft, muss man heute leider sagen.
Dass bei der Durchsetzung von Kunst- und Kulturformen handfeste Interessen der Politik eine wichtige Rolle spielen, darauf hat im Berliner Haus der Kulturen der Welt (bis zum 8. Januar) die Ausstellung Parapolitik. Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg noch einmal aufmerksam gemacht. Sie widmete sich dem (bereits seit 1967) bekannten Sachverhalt, dass der amerikanische Geheimdienst CIA wesentlichen Anteil an der Durchsetzung des Konzepts von kultureller Freiheit und bestimmter daran geknüpfter Kunstformen hatte. Dass es also Kunstlenkung auch in den sogenannten freien Demokratien und nicht nur in den kommunistischen Ländern gab, wo sie freilich deutlich leichter zu identifizieren und damit auch zu unterwandern war. Die Ausstellung erzählte also noch einmal Teile der Vorgeschichte eines Dilemmas, in dem wir uns noch immer befinden. Und jene, die mit naivem Augenaufschlag heute stets von der Bewahrung der Freiheit oder der Unabhängigkeit von Kunst reden (etwa wenn AfD-Politiker den Vorsitz im Kulturausschuss anstreben), haben vielleicht einfach ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Oder wollen es nicht besser wissen.
Kunst ist abhängig von vorgegebenen Bedinungen
Denn Kunst ist eben nicht frei, und unabhängig ist sie auch nicht. Sie ist immer abhängig von den Bedingungen ihrer Möglichkeit, den ökonomischen und politischen gleichermaßen. Wenn sie staatlich gefördert ist, erst recht. Das Beste, was man tun kann, um unter (und in) diesen Bedingungen die größtmögliche Unabhängigkeit zu wahren, kann also unter Umständen darin bestehen, zunächst einmal die eigene Abhängigkeit und Missbrauchbarkeit bei der Implementierung von Ideologien in die Gesellschaft zu erkennen. In der Reflexion dieses Sachverhalts für eine gewisse Transparenz zu sorgen, statt naiv Dogmen von Kunstfreiheit nachzubeten ohne deren Geschäftsbedingungen näher betrachten zu wollen. In unserem "kulturellen Kapitalismus", wie der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin das gegenwärtige Stadium unserer gesellschaftlichen Entwicklung beschrieben hat, erst recht: in dem jede kulturelle Erfahrung kommerziell ausgewertet, Kultur dazu benutzt wird, gesellschaftlich, politisch oder ökonomisch notwendige Kulturtechniken auszubilden und zu trainieren. Was man vielleicht dem gegenwärtig gepflegten Hype für digital inspirierte bzw. basierte Kunstformen auch vorwerfen könnte. Und was ja nicht immer nur negativ sein muss.
Klar aber auch, dass Leute, die an der Umcodierung gesellschaftlicher Werte und Diskurse schrauben wollen (wie beispielsweise die Seeleningenieure von der AfD), als erstes die kulturellen Schaltzentren im staatlichen System ansteuern, die ja (u.a. via Förderrichtlinien) auch Schaltstellen von gesellschaftlicher Diskurslenkung und -kontrolle sind. Denn hier lässt sich am effektivsten der Hebel ansetzen. Diejenigen, die dann lautstark versuchen, rechte Newcomer in diesen Gremien zu verhindern, und sich dabei auf die Wahrung von Freiheit und Unabhängigkeit der Kunst berufen, statt dezidiert auf die Werte, die sie mit Hilfe der Kultur in diesen Gremien behauptet sehen wollen, schaden dem eigenen Anliegen eher als sie ihm nutzen. Im Gegenteil: sie assistieren Demokratiefeinden bei der Aushöhlung parlamentarischer und demokratischer Regeln.
Esther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de und außerdem Miterfinderin und Kuratorin der Konferenz Theater & Netz. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
Zuletzt schrieb Esther Slevogt in ihrer Kolumne über die Zukunft des Kritikers als Social-Media-Troll.
Wir bieten profunden Theaterjournalismus
Wir sprechen in Interviews und Podcasts mit wichtigen Akteur:innen. Wir begleiten viele Themen meinungsstark, langfristig und ausführlich. Das ist aufwändig und kostenintensiv, aber für uns unverzichtbar. Tragen Sie mit Ihrem Beitrag zur Qualität und Vielseitigkeit von nachtkritik.de bei.
sie haben mit den erwähnten "schaltstellen" (der macht) den nagel auf den kopf getroffen, genau wie mit der erkenntnis, "zunächst einmal die eigene Abhängigkeit und Missbrauchbarkeit bei der Implementierung von Ideologien in die Gesellschaft zu erkennen" und transparent zu reflektieren (helfen)...
jedoch würde ich die "freiheit der kunst" im sinne von "kunst als (geistige und nicht materiell-physische) waffe" verteidigen und nicht relativieren wollen. ein "bißchen freiheit" wäre ja schon eine einladung für weitere instrumentalisierung von ideologien, wo doch genau deren befolgen schon ein ende der freiheit anderer ideologien/philosopien bedeutet und doch eine lebendige realität unterschiedlicher haltungen/wünschen/interessen darstellt und eine gesamtgesellschaftliche reflektion, austausch+entwicklung erst ermöglichen.
die KUNST/literatur stellt nicht die machtfrage und schafft keine gültigen gesetze und darf von denen, die dies anstreben bzw. praktizieren IN KEINER WEISE instrumentalisiert werden - das ist ihre tiefere ethik und verantwortung. wer dies unterläuft ist ein verräter der kunst und nur als kapitalistischer marktteilnehmer einzustufen, was ja seine existenzberechtigung, aber mit KUNST nix zu tun hat.
Was auch die Frage nach der Hilfe für das Weiterkommen beantwortet, solange das ästhetische Weiterkommen gemeint ist: dafür gibt es KEINE Hilfe von niemand und für niemanden, der KünstlerIn ist.
Für das "Weiterkommen" im Sinne von Status KANN es Hilfe geben. Aber es wird in den meisten Fällen eine Hilfe für bevorzugt Männer sein. Das ist nicht schön, aber eine Tatsache. Sie wird nicht zu ändern sein, ehe nicht die Kunstberufe paritätisch ausgeübt werden und ehe nicht durch die Medien entsprechend gleichermaßen über Künstlerinnen wie über Künstler berichtet wird, die im gleichen Feld tätig sind. Erst wenn es dadurch normal geworden ist, dass sich Regisseure für Uraufführungen von Dramatikerinnen zum Beispiel von sich aus interessieren, oder Galeristen von sich aus für neue Arbeiten von Malerinnen, wird ökonomische Hilfe für KünstlerInnen gerechter verteilt werden können-
Ich finde gut, dass hier seit einigen Monaten gut darauf geachtet wird, männliche und weibliche Regiearbeiten auf möglichst gleichem technischen Anspruchsniveau kritisch zu begleiten. So entsteht eine ästhetische Vergleichbarkeit durch angehäufte Referenzen. Und auch ein Vorbild für andere Medien mit ihren Feuilleton-Redaktionen.
"Dabei gerät allerdings völlig aus dem Blickfeld, dass es schon lange keine Unabhängigkeit im Kulturbetrieb mehr gibt. Wer nun auf die Freiheit pocht, der soll dann auch darüber sprechen, wie der Kulturbetrieb diese Freiheit zurückgewinnen kann? (...) Die Autonomie der Kunst ist ohne ökonomische Autonomie eine Lachnummer. Wie unabhängig Kultur am Ende wirklich ist, das wäre eine spannendere Diskussion als das öffentliche Losgehen auf einen Generalintendanten. Wer Monat für Monat die Hand aufhält und sein Brot aus Subventionen verdient, darf sich nicht wundern, dass man von ihm erwartet, dass er auch das Lied von denjenigen singt, dessen Brot er isst. Freiheit setzt immer auch Unabhängigkeit voraus. Künstler müssen sich endlich entscheiden, ob sie Subventionsflittchen sein oder Kunst hervorbringen wollen. Beides, das sieht man gerade erst, ist schwierig."
https://schwerin-lokal.de/die-autonomie-der-kunst-ist-ohne-oekonomische-autonomie-eine-lachnummer/
Nach dem zufälligen kurz-hintereinander-Lesen der Texte wirkte die Diktion (unfreiwillig?!) erschreckend ähnlich.
die afd wird nicht einfach verschwinden, wenn es keine kluge und sachliche auseinandersetzung gibt - und die gab es schon sehr lange nicht mehr - und nur deshalb gibt es jetzt die afd.
m.m.n. haben sich auch ein tim renner von der spd und sein nachfolger keine lorbeeren für die freiheit der kunst und die wahrung demokratischer regeln verdient gemacht.
(...)
Esther Slevogt hat ihr Stalin-Zitat wohl aus der SPIEGEL-Besprechung von Frank Westermans Buch „Ingenieure der Seele“ entnommen. Bei Simon Sebag Montefiore kommen in seiner Stalin-Biographie zwar auch die „Ingenieure der menschlichen Seele“ vor, das Zitat ist jedoch abgewandelt: „ Mehr noch als Maschinen, Panzer, Flugzeuge benötigen wir menschliche Seelen“.
Die menschlichen Seelen sind, mein Eindruck: heute mehr denn je, flüchtige, leicht zu verstörende, leicht zu manipulierende Gebilde. Sie sind, auch das mein Eindruck, heute allerdings unsteter, unzuverlässiger, wankelmütiger geworden. Sie passen zu gluten- und laktosefreier, veganer Kost, keinesfalls jedoch zum Panzerfahren.
Aber zurück zu den weltpolitischen Konstellationen, von denen selbst ich umweht wurde, der „Kunstlenkung auch in den sogenannten freien Demokratien“. Ich habe Grund zur Annahme, dass selbst meine eher nicht wahrgenommenen Ansätze publizistischer Tätigkeit darauf beruhten, dass der amerikanische Geheimdienst CIA wesentlichen Anteil an der Durchsetzung des Konzepts von kultureller Freiheit und bestimmter daran geknüpfter Kunstformen hatte. Ein in dieser Weise wohl gesponsorter Aufsatz „Die ‚Mauer‘ als Wand zwischen Welten“ vom Juni 1987 erschien in der theaterwissenschaftlichen Zeitschrift „Maske und Kothurn“. Darin bekannte ich mich blindlings zur zweiten Kultur des Westens, die ich exemplarisch an der graffiti-übersäten Westberliner Seite der Mauer repräsentiert sah, und die für mich, fast mehr noch als zur ‚ersten‘ Kultur des Westens, mit der herrschenden Kultur im realen Sozialismus kontrastierte. „Somit scheiden sich an der Mauer mit den politischen Welten auch Welten des ästhetischen Empfindens“, schrieb ich damals. „Affinitäten zur einen oder anderen Seite brauchen nicht pointiert politisch motiviert sein, sondern können in der emotional-ästhetischen Sphäre wurzeln, welche heute wesentliche personale Identität vermittelt.“ Im Osten sei dies ein „verinnerlichte, heimliche Kultur“ gewesen, deren unvermeidliches Pendant die Angst vor Progression war. „Jeder Schritt muss abgerungen werden, ist eine anstrengende Überwindung des Bannspruches ‚Deine Füße werden dich nicht tragen.‘ “
Damals hatte ich unter Bezugnahme auf Adolf Muschg die Hoffnung, dass diese Kultur ‚ihren eigenen Anspruch auf Befreiung einzulösen beginnen will‘. Der endlich wahrgenommene ‚genaue Abstand‘ ‚zu allen Sprachen der Herrschaft und Verfügbarkeit‘ machte sie zur ‚Wachstumsstelle jeder menschenmöglichen Zukunft‘. Sie wäre endlich mehr als ‚das Sprachlose, über das die Zeiten zur Tagesordnung übergehen.‘ Ach ja, wie lang ist das her, wie weit ist das weg. Und wie frei und unabhängig, von wem auch immer unterstützt!
"dass es Unabhängigkeit von Kommerz nicht gibt und immer "handfeste Interessen" eine Rolle spielen."
>>> ist ja kein naturgesetz, wie sie vielleicht auch wissen, falls sie sich über die kommerzfreien zonen + das weltweite leben der menschen dort informieren wollten ...
https://t.co/56lZgtzly8
Und dann auch gleich mal bekräftigend zum Inhalt: man sollte vor allem wegen seines Schlussteils unbedingt dafür sorgen, dass der Artikel seine Blase verlässt-ganz gleich wie groß die ist! -
Deshalb schlage ich vor, dass zum Beispiel jemand von der Redaktion den kopiert und an zum Beispiel u.a. die Rosa-Luxemburg-Stiftung schickt. Oder an Klaus Lederer oder an Frau Dr. Grütters über die CDU-Zentrale zum Beispiel... Und dann kurz später eine Entschuldigung hinterherschickt und ungefähr schreibt: "Entschuldigung, ich habe mich, glaube ich, unkonzentriert verklickt, und Ihnen aus Versehen einen Artikel geschickt, der nur für eine gute Freundin bestimmt war, die auch Rosa heißt... tut mir leid, ich weiß wie lästig solche Irrläufer sind - mfG..." - Glauben Sie mir, so sprengt man Löcher in Blasen! - Das mache ich schon jahrelang so! -
Das kann man nämlich nicht nur mit Fake-Nachrichten so machen, sondern auch mit ganz richtigen und wichtigen! Also nicht, dass es jetzt heißt, von Trump lernen heißt siegen lernen... - Ich mach das schon viel länger als Trump und seine Profil-Einkäufer und Ver-Boter... aber nicht mit erfundenen Nachrichten, sondern mit erfundenen Ausreden für wichtige, nachdenkenswerte Nachrichten, die sonst nie gelesen würden und schon gar nicht über eine Blase hinaus verbreitet! Mit einem Theater hab ich sowas auch schon gemacht - aber ich sag nicht, welches das war...
https://www.freitag.de/autoren/mladen-gladic/im-heissen-brei
sie sind keinesfalls die einzige, die sich so ihre gedanken macht. und nein, ich habe kein problem damit, IHRE artikel - genauso wie die von simon strauß mit interesse zu lesen und als äußerst relevant und aktuell zu begrüßen.