Isso? IsNichSo. Es geht auch anders

7. Februar 2018. Das Theater ist ein undemokratischer Ort, sagt der Theaterkritiker Michael Laages. Die 60 Mitarbeiter*innen des Burgtheaters, die sich gegen Machtmissbrauch am Theater wenden, seien "naiv". Das will der Regisseur Tim Tonndorf von Prinzip Gonzo so nicht stehen lassen.

Von Tim Tonndorf

Isso? IsNichSo. Es geht auch anders

von Tim Tonndorf

7. Februar 2018. Als ich neulich Radio hörte, wurde mir nahe gelegt, meinen Beruf als Regisseur aufzugeben. Doch dazu später mehr. Zunächst möchte ich der laufenden Debatte um die Arbeitsbedingungen am deutschen Theaterbetrieb eine Regie-Perspektive hinzufügen. Neben Schauspieler*innen, die sich wirkungsvoll im Ensemble-Netzwerk engagieren (in welchem ich auch Mitglied bin), Intendant*innen und Kritiker*innen (wie unlängst Michael Wolf) fehlen mir öffentliche Positionen von jungen Regisseur*innen, insbesondere von solchen, die nicht zum arrivierten Metropolen-Karussell zählen. Bei der Frage nach erstrebenswerten Veränderungen in ihrem Arbeitsfeld halten sich gerade meine männlichen Kollegen seltsam bedeckt. Dabei ist für ein Umsetzen des Umdenkens gerade der Schulterschluss von Regisseur*innen und Schauspieler*innen essentiell.

Apropos Schulterschluss …

Michael Laages, landläufig gut beleumundeter Kritiker, wurde jüngst im Deutschlandfunk Kultur bezüglich des Briefes der 60 Mitarbeiter*innen des Burgtheaters befragt. Im Verlauf dieses Interviews wird deutlich, dass manche Theatermenschen die Schieflage der Arbeitsbedingungen an deutschen Stadttheatern derartig internalisiert haben, dass sie nurmehr schräge Dinge von sich geben.

Das Hauptargument, welches Laages gegen das Streiten für eine Abschaffung eines Systems von Despotie, Machtmissbrauch, Chauvinismus, hetero-normativer Deutungshoheit und Sexismus ins Feld führt, lautet in nuce: "Isso!" Bei Minute 04:34 ist's deutlich zu vernehmen:"Das isso. Das kann man gerne ändern wollen aber bislang isses so." Als Kind habe ich gelernt: "Isso!" heißt "Ich schrei sonst!". Aber da niemand Laages widerspricht, schreit Laages auch nicht. Ich möchte auch gar nicht, dass Laages schreit, dennoch möchte ich dringend widersprechen. "Isso" darf kein unangefochtenes Argument in dieser Debatte sein. In keiner Debatte. "Isso" ist die saloppe Zwillingsschwester der "Alternativlosigkeit" und wo uns die hinführt, spüren wir gerade weltweit. "Isso" kündet vom geschlossenen Weltbild. "Isso" issowas von undemokratisch.

Apropos Demokratie …

Eifrig bemüht sich Laages, die Belange von Menschen, die dafür aufstehen, dass die Arbeitssituation in ihren Berufen verbessert wird, paternalistisch klein zu reden. "Ganz ganz groben Unfug" nennt er die Kritik daran, dass ein regieführender Intendant mehrere Machtpositionen in sich vereint. "Verwaltungsleute" seien keinesfalls die bessere Wahl für die Führung eines Hauses. Dass es im Spektrum zwischen dem Regisseur/Intendanten-Hybrid und den "Verwaltungsleuten" noch weitere Kandidat*innen gäbe, um das "Profil von Häusern zu formen" (Intendant*innen, welche Schauspieler*innen waren/sind; ehemalige Regisseur*innen, welche am eigenen Haus nicht inszenieren; kollektive Strukturen; etc.) lässt Laages völlig außen vor.

machtmissbrauch ponyhof regenbogen 560"Eine Inszenierung ist kein Ponyhof", sagt der Kritiker Michael Laages. Das ist möglich. Der Ponyhof Regenbogen in Beelitz in Brandenburg ist aber ganz bestimmt ein Ponyhof.
© Ponyhof Regenbogen, 14547 Beelitz

Es folgt dann eine gekonnte Überleitung zur Person Matthias Hartmann, welcher sogleich mit Begriffen wie "Stiesel" und"Ungustl" beschirmt wird. Es scheint ein Reflex zu sein, das menschenverachtende Verhalten von Männern in Leitungspositionen nach bestem Wissen kreativ zu euphemisieren. Jemand, der seine Mitarbeiter*innen wiederholt rassistisch, sexistisch oder homophob angeht - bzw. deren Kündigung als Machtinstrument benutzt - ist kein Flegel oder Unsympath. Er ist ein untragbares Arschloch.

Wann hören wir auf, diese seltsam protestantisch-deutsche Haltung von "Wer arbeitet, muss leiden!" zu reproduzieren? Gerade beim Schauspiel-Beruf existieren ohnehin genug Vorbehalte innerhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Die haben sich ihren Beruf doch selbst ausgesucht! Die wussten doch, was auf sie zu kommt! Als Künstler weiß man, dass man brotlos bleiben und sich vom Applaus zu ernähren hat! Das ist eben der Preis dafür, wenn man unbedingt seinen Traum leben will! Das ist halt so am Theater! Das war schon immer so! Yadda, yadda, yadda … Ein von Menschen gemachtes und gewolltes, kontingentes System wird zum Naturgesetz erhoben.

Apropos Fehlverknüpfung …

Besonders bedenklich finde ich, dass Michael Laages in Sachen Arbeitsbedingungen einen künstlerischen Gegenstand (z.B. den Inhalt eines Stückes) mit dessen Produktionsbedingungen in einen Topf wirft. Weil in einem Jelinek-Text die "Übersexualisierung unerhört präsent" ist, besteht kein großer Unterschied zwischen dem geschmacklosen Stück und Hartmanns geschmackloser "Übersexualisierung von Witzen" (Spermaschlucken vs. Diät)? Heißt das, wenn es in einem Stück um Gewalt geht, darf ich als Regisseur mit Gewalt auf der Probe reagieren? Wenn es um Rassismus geht, darf ich all meinen unterdrückten Ressentiments auf der Probe mal so richtig freien Lauf lassen? Wenn ich als Spieler*in so einem Stück besetzt werde, muss ich es aushalten, dass der Kollege Regisseur dann auch immer dementsprechend "reagiert"?

khuon jopt ensemble netzwerk 280Gegen Machtmissbrauch: Schauspielerin Lisa
Jopt und Intendant Ulrich Khuon bei der Gründung des Ensemble Netzwerks in einem Badezimmer in Bonn-Beuel. Foto: Thilo Beu 
© ensemble netzwerk
Diese von der Moderatorin vorsichtig gestellte Rückfrage beantwortet Laages nicht - er poltert drüber weg. Er proklamiert, man könne das dann ja "sagen", wenn man sich "beleidigt fühlt", und dann werde man auch nicht entlassen, "auch bei Matthias Hartmann fliegt man dafür nich raus. Nein!"

Diese völlige Ignoranz gegenüber Machtzusammenhängen gerade am Theater und auf einer Probe ist hochgradig alarmierend. Woher kommt die Hybris, andere Menschen zu maßregeln, was sie von ihrem Beruf zu erwarten und wie sie ihn auszuüben haben? Wenn man selbst diesem Beruf überhaupt nicht nachgeht? "Unerhört naiv" seien die Vorwürfe der "Menschen und Menschinnen". Der Wunsch nach einer "Inszenierung als Ponyhof" wird
unterstellt. Der Wunsch, am eigenen Arbeitsplatz wie ein menschliches Wesen auf Augenhöhe behandelt zu werden, ist jetzt also Ponyhof? Menschen, die den Mut haben, in einem inzestuös verklüngelten und mit Vitamin B auf lebendig gespritzten System mit ihren Namen für Veränderungen einzustehen, als naive und verweichlichte Querulanten hinzustellen, ist schon ein starkes Stück. Zumal das Ensemble-Netzwerk schon seit seiner Gründung beklagt, dass von den großen Häusern beinahe niemand je den Mund aufmacht …

Apropos große Klappe …

Schließlich schiebt Laages seine argumentative Dicke Berta ins Feld: "Es gibt kaum Inszenierungen von wirklicher Qualität, [es folgt eine Liste männlicher Regie-Granden] in der irgendwann mal nicht irgendjemand gedeckelt würde." Und an dieser Stelle wurde mir klar, dass ich meinen Beruf aufgeben sollte. Denn ich möchte das nicht. Ich möchte niemanden auf der Probe deckeln, weder intellektuell noch körperlich noch emotional. Ich möchte die
Schöpfung eines Kunstwerks nicht erreichen durch die Herabwürdigung der Menschen, die mit mir gemeinsam schöpfen. So wird es mir und anderen Regisseur*innen meiner Generation also verwehrt bleiben, Inszenierungen von "wirklicher Qualität" zu schaffen.

Ich habe als Hospitant seine Majestät Claus Peymann, der "auch nicht wirklich ein Gemütlicher war", eine Spielzeit lang live erleben dürfen. Ich wurde dauerhaft angeschrien und gedemütigt. Ansagen wie "Mach, du Arschloch!" waren an der Tagesordnung. Auch den Satz "Verschwinde aus meinem Theater sonst mache ich Dich fertig!" durfte ich hören. Und das ist nur ein Bruchteil dessen, was die anderen (bezahlten) Mitarbeiter*innen des Hauses täglich zu hören bekamen. "Sie sind hier um das zu tun, was ich Ihnen sage, sonst können Sie sich augenblicklich Ihren Vertrag abholen." Das hatte nichts mit "groß, durchsetzungsstark und ungeduldig" (Matthias Hartmann) zu tun. Da entäußerten sich pathologischer Narzissmus und Selbstüberschätzung gepaart mit Machtbrunst in psychischer Gewalt.

Und das passiert jeden Tag, Land auf Land ab auf und hinter deutschen Bühnen. Und wird noch mit dem Glanz des Genialen verklärt. Und ein Michael Laages setzt sich ins Radio und spricht von Naivität und Ponyhof. Und bricht die äußerst differenzierten Standpunkte der 60 Unterzeichner*innen des Burg-Briefes herunter auf die"Erwartung purer Demokratie". Das Theater sei "ein feudalistischer, nicht-demokratischer Ort. Das isso."

Apropos Ausleitung ...

Ich möchte an dieser Stelle aus der jungen Provinz-Regisseur-Sicht mitteilen: Es geht auch anders. Wirklich. Ich möchte meine Kolleg*innen aus dem Regie-Fach dazu ermuntern, sich zu positionieren. Damit weiter debattiert werden kann. Damit eine neue Generation nachwächst, welche sie ablöst, die Steins und Peymanns und Hartmanns und Castorfs und die vielen ungenannten Teilnehmer am sausage-fest im Betrieb, die sich auf dem Künstler-Nimbus ausruhen - dem gesellschaftlich akzeptierten Freibrief für menschliche Verfehlungen aller Art. Man kann ohne den ganzen Macht-Mist traumhaftes Theater produzieren, welches die Menschen, die es erschaffen, erfüllt, und die Menschen, die es betrachten, bewegt. Dass ein Michael Laages das dann vielleicht nicht zu Gesicht bekommt, bleibt sein eigenes Pech.

 

Tim Tonndorf 2012 120 privatTim Tonndorf, Jahrgang 1985, ist freier Regisseur und Mitglied des Theater-Kollektivs PRINZIP GONZO. Sein Wunsch für das Theater der Zukunft: Einfach schön arbeiten!



 

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