Presseschau vom 8. Februar 2018 – In der Zeit denkt Peter Kümmel über Intendantenwillkür nach
Scham-Ausgleich
Scham-Ausgleich
8. Februar 2018. In der Zeit schreibt Peter Kümmel anlässlich des Offenen Briefes von 60 Burgtheater-Mitarbeiter*innen: "Womöglich wird das Theater gerade deshalb so spät vom #MeToo-Sturm erfasst, weil es sich in den beklagten Verhältnissen schon lange, mit einer gewissen Hoffnungslosigkeit, eingerichtet hat." Besonders wundert sich Kümmel über den Zeitpunkt des Offenen Briefes (vier Jahre zu spät) und stellt darüber Mutmaßungen an. Vielleicht, dass in Wien der Eindruck entstanden sei, dass man der Entlassung Matthias Hartmanns aus einem falschen Grund rasch einen richtigen Grund nachliefern müsste. Vielleicht aber auch, dass man dem zukünftigen Burgdirektor Martin Kušej, dem "ein Ruf wie Donnerhall" voraneile und den viele im Ensemble eher bang erwarteten (man denke an Shenja Lachers Kündigung am Münchner Residenztheater), warnen wolle: "als solle er es gar nicht erst wagen, sich wie ein Diktator zu benehmen".
Über Ausgrenzung werde geschwiegen, weil der Ensembleberuf "Theater", wenn es darauf ankomme, ein einsamer Beruf sei, "beherrscht vom einsamsten aller Gefühle: der Scham". Die Autokratie an deutschen Theatern sei durchaus ein Problem: "Intendanten sind späte Fürsten. Die meisten machen von ihrer Macht weidlich Gebrauch, und zwar mit erkennbarer Lust. Es liegt eine gewisse institutionelle Grausamkeit in ihrem Amt, dessen Wesen es ja ist, immer wieder das Bessere, den Neuanfang zu verheißen. Die Spuren des Vorgängers zu verwischen, das alte Ensemble aufzumischen oder aufzulösen, Schauspielern zu kündigen, ehe sie unkündbar werden, 'frische Luft reinzulassen' – das gehört zur Hauptfreude vieler neuer Chefs."
Ein möglicher Ausweg? "Über Mitbestimmung müsste nachgedacht werden." Für Gerechtigkeit unter den Mitarbeiter*innen müssten "die miesen Gehälter der (meisten) Spieler (...) den ungeheuren Gehältern der Intendanten wenigstens ein wenig entgegenwachsen". Außerdem schlägt Kümmel vor, den "scharfen Auswahlverfahren" für Schauspieler*innen "transparente Findungsprozesse" für die Besetzung von Intendantenposten gegenüberzustellen – als "Scham-Ausgleich": "Die Intendanten sollten angesichts ihrer Machtfülle eine so große Scham empfinden, wie sie die Schauspieler aufgrund ihrer semiprekären Abhängigkeitsverhältnisse ein Leben lang in sich tragen. Dann wäre eine Begegnung auf Augenhöhe vielleicht möglich."
(geka)
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