Dämmerleuchten

von Esther Boldt

Frankfurt am Main, 8. Februar 2018. Es ist alles nur geträumt. Antonia Baehr träumte von einer Performance, in der die obligatorischen Notausgangslichter der westlichen Bühnen – Sie wissen schon, laufender Mensch neben spitzem Pfeil auf grünem Grund – die Hauptrolle spielt. In der es kein Licht gibt außer ihrem grünlich-fahlen Schein. Die Bühne: nackt und ausgeräumt bis auf ein Rednerpult in der Mitte des Raumes. Auch die Performerin selbst ist nackt im Dämmerdunkel, geborgen, unseren Blicken in einem Wechselspiel aus Sehen und Verbergen ausgesetzt und entzogen zugleich. Oder ist es nicht geträumt, ist es nur erfunden und erzählt?

Egal. Jetzt ist es auf jeden Fall Wirklichkeit, Inszenierungsrealität, Uraufführungsrealität im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm. Die wunderbare Künstlerin, Performerin, Choreografin und Filmemacherin Antonia Baehr hat eine Lecture-Performance über Notausgangsleuchten gemacht. Und sie spielt, etwa eine Stunde lang, nur im Glimmerschein fünf solcher Lampen. Gemeinhin stellen sie den Einbruch der Realität in die Theaterwirklichkeit dar, sie zerstören akribisch gesetztes Theaterlicht und verunmöglichen vollständiges Dunkel, sie verweisen auf die funktionale Architektur des Raumes in Momenten, in denen man von dieser gar nichts wissen will.

Spiel mit Licht und Dunkel

Verschiedenste Möglichkeiten wurden schon erfunden oder erstritten, um ihren Schein einzudämmen, auch wenn es gegen das Strafgesetzbuch verstößt, sie ganz auszuschalten: Zwei Jahre Haft kann es darauf geben. Und so hat es natürlich eine feine Poesie, diesen Lästigkeiten, diesem "Verdrängten des Theaters", wie Baehr einmal sagt, gleich einen ganzen Abend zu widmen.

Wie so oft bei Antonia Baehr ist "EXIT" weniger ein Solo als die Artikulation von Vielstimmigkeit in einer gleichwohl sehr distinkten und bestimmten Person. So bat sie beispielsweise auch bei ihrem Abecedarium bestiarium (2013) und bei dem vielgereisten "Lachen/Rire" (2009) befreundete Künstler*innen, Partituren für sie zu schreiben. Baehr als virtuose, charmante und furchtlose Performerin arrangiert sie auf der Bühne und verleiht ihnen Stimmen und Körper. Im Falle von "EXIT" allerdings fast ausschließlich Stimme: Zwar gewöhnen sich die Augen mit der Zeit an das Zwielicht, mehr als Schemen aber werden darin nicht kenntlich. So referiert Baehr über die historische Herkunft des Piktogramms (ein Japaner hat's erfunden!) und ihre Notwendigkeit (215 Theaterbrände in Europa in den 1880er Jahren!). Sie singt den Text von Warnschildern ("Feuer und offenes Licht verboten!") und intoniert "Feuer!"-Rufe.

Illusion der Sicherheit

Die Black Box des Theaters möchte, heißt es an anderer Stelle, dem Publikum weismachen, dass es hier sicher sei, dass es im Dunkel sitzen dürfe und für eine Weile seine Körper vergessen. Mit diesem Theaterpakt spielt Antonia Baehr auch, einerseits mit der Nacktheit ihres eigenen Körpers, andererseits, indem sie das Sicherheitsversprechen benennt und es so aus dem Unausgesprochenen zerrt. Werden wir das nächste Mal daran denken, wenn wir ein Theater betreten? An die Bomben von Beirut, die die Theater ins Unterirdische drängen, in Parkgaragen beispielsweise?

"EXIT" schürft nicht besonders tief, sondern schafft seine Dichte vielmehr in der Fläche; es ist eine lose zusammengefügte Anordnung heterogener Bezüge, Aspekte, Assoziationen, in der Redundanzen gleichwohl nicht ausgeschlossen sind. Dabei ist der Lecture Performance eine Mischung aus Formstrenge und Lust am Spiel zu eigen, die viele von Baehrs Arbeiten auszeichnet.

Zum Finale wird endlich die schokoladenbehängte Glühbirne entzündet, die an einem langen Kabel über der Bühne hängt. Frau Baehr spricht, es werde Licht!, und die Schokolade schmilzt schwer herab. Heller wird es allerdings kaum, und die Performerin legt ein kantiges Tänzchen aufs Parkett.

Der Mensch als Piktogramm

So verbringt man eine anregende, unterhaltsame und bisweilen strapaziöse Stunde damit, über Licht und Dunkel zu sinnieren, über Sicherheit und Gefahr, Gesetz und Spiel, Sinnlichkeit und Negation, Stimme und Macht – und über die Sehnsucht, zu sehen. Denn auch Baehr wird zu einer Art zweidimensionalem Piktogramm, nicht nur, weil sie die Pose des Notausgangsmännchens einige Male nachvollzieht, sondern auch, weil das fahle Licht ihrem Körper keine Tiefe zu verleihen vermag. Im Dreivierteldunkel wird ihre wohltemperierte Stimme zu der einer Geschichtenerzählerin, deren Sagen und Märchen uns beim Übergang vom Tag in die Nacht begleiten, vom Licht ins Dunkel, die das Profane im Poetischen suchen oder das Poetische im Profanen: Gute-Nacht-Geschichten für den nächsten Theatertraum.

EXIT
Konzept, Performance: Antonia Baehr, Technische Leitung: Carola Caggiano, Dramaturgie: Lindy Annis, Dramaturgische Mitarbeit: Bettina Knaup, Mayte Zimmermann, Recherche: Manon Haase, Laura Schilling, Constanze Schellow, Sarah Tehranian.
Basierend auf Audio-Messages von Lindy Annis, Frédéric Bigot, Frieder Butzmann, Carola Caggiano, Mette Edvardsen, Silvia Fanti, Neo Hückler, André Lepecki, JMK Nicholas, Stefan Pente, Anne Quirynen, Michael Schlund, Anna Wagner und einem Interview mit Susanne Görres.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.mousonturm.de

 

Kritikenrundschau

Antonia Baehr ziehe "al­le Re­gis­ter ih­res Kön­nens, das sie, stimm­lich, kör­per­lich und vor al­lem kon­zep­tio­nell, in ei­nem be­schei­den wir­ken­den For­mat sou­ve­rän und lust­voll aus­brei­tet", schreibt Eva-Maria Magel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.2.2018). Sie drehe in je­der Hin­sicht die Ver­hält­nis­se um, "zwar nicht die Not­aus­gangs­schil­der über den Tü­ren des Mou­son­turm­saals, aber sonst ver­än­dert sie so sub­til und gleich­zei­tig ur­ko­misch un­ser al­ler Blick, dass es, mit­ten im Fast-ganz-Dun­kel, ei­ne buch­stäb­lich hel­le Freu­de ist."

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