Presseschau vom 9. Februar 2018 – Co­rin­na Kirch­hoff in der FAZ über Missachtung von Frauen im Kunstbetrieb

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9. Februar 2018. Die Schauspielerin Co­rin­na Kirch­hoff, die zu den Unterzeichnern des of­fe­nen Briefs gehört, der den Machtmissbrauch am Burgtheater Wien anprangert, fragt in der FAZ: "Jun­ge Frau wird ge- und miss­braucht, äl­te­re Frau wird ab­ge­schafft. Warum bloß gibt es zum Missbrauch kei­ne Al­ter­na­ti­ve als Miss­ach­tung?" 

Sie habe lange überlegt, ob sie un­an­ge­neh­me An­ek­do­ten des Macht­miss­brauchs aus dem Theater­be­trieb samt Na­men preis­ge­ben soll, und ha­be ent­schie­den: nein, schreibt Corinna Kirchhoff in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (9.2.2018). "We­sent­li­cher als die­se Ein­zel­hei­ten er­scheint mir ei­ne öko­no­mi­sche, se­xu­el­le, au­to­ri­tä­re, letzt­lich pa­tri­ar­cha­le Macht­struk­tur, die sich am Thea­ter in ge­ra­de­zu ab­so­lu­tis­ti­scher Form un­ter dem Man­tel künst­le­ri­schen Ei­gen­wil­lens er­hal­ten konn­te." Die­se Struk­tur schüre Ab­hän­gig­keiten und lade ein zum Miss­brauch be­zie­hungs­wei­se da­zu, sich miss­brau­chen zu las­sen. Was da­ge­gen zu­nächst helfe, sei der ei­ge­ne Macht­zu­wachs im macht­er­hal­ten­den Sys­tem, "al­so: pro­mi­nen­ter wer­den, ein­fluss­rei­cher, ego­is­ti­scher, ag­gres­si­ver".

Ein enormer Bruch

Was dann auch helfe, "ist das Äl­ter­wer­den der Frau. Sie wird ein­fach gar nicht mehr be­läs­tigt. Dass sie aber auch nicht mehr be­gehrt, ge­se­hen, wert­ge­schätzt wird, ist das nächs­te The­ma." Es fin­de in den weib­li­chen Le­bens­ge­schich­ten durch den äu­ße­ren Blick auf die Frau ein enormer Bruch statt. "Ein Sturz von über­mä­ßig se­xua­li­sier­ter Be­ach­tung, die sie zum Ob­jekt macht, in völ­li­ge Igno­ranz, die sie zum Nicht-Ob­jekt macht. Das sind zwei Sei­ten ei­ner Me­dail­le."

Dabei besitze man viel mehr Kompetenzen, über das Le­ben zu er­zäh­len, so Kirchhoff. "Spä­tes­tens mit dem fünf­zigs­ten Le­bens­jahr hat die Frau ei­ne enor­me Er­fah­rungs­dich­te und ein Be­zie­hungs­wis­sen in sich ge­sam­melt: Sie hat, oft so­gar al­lein­er­zie­hend, Kin­der groß­ge­zo­gen, die Al­ten ver­sorgt, Ehen durch­lebt – das hat sie zum Teil mehr ge­for­dert als bis­lang den Va­ter und Mann. Die ver­schie­de­nen Le­bens­schu­len, die sie durch­lief, prä­gen und prä­des­ti­nie­ren sie auf be­son­de­re Wei­se. Ihr Er­fah­rungs­spek­trum ist häu­fig dop­pel­be­las­tet und dop­pelt kom­pe­tent, brei­ter je­den­falls als das männ­li­che." Dass die­ses Po­ten­ti­al in die so­zia­le, ge­sell­schaft­li­che und künst­le­ri­sche Un­sicht­bar­keit ver­scho­ben wird, sei skan­da­lös.

(sik)

 

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