Presseschau vom 9. Februar 2018 – In der Berliner Zeitung benennt Charlotte Wilde die vom Fördersystem aufgetürmten Hindernisse für freies Theatermachen

Beißt der Katze in den Schwanz

Beißt der Katze in den Schwanz

9. Februar 2018. Unterfinanzierung, Bürokratie, enge Förderzeiträume: Die vom derzeitigen Fördersystem verursachten Erschwernisse für die Arbeit freier Theatermacher*innen benennt Charlotte Wilde vom Leipziger Figurentheater-Duo Wilde & Vogel in der Berliner Zeitung.

"Sich selbst Konzepte auszudenken und dafür Unterstützung zu bekommen, wird immer schwieriger", schreibt Wilde in ihrem Gastbeitrag und nennt vier hauptsächliche Hindernisse freier Theaterarbeit durch das bürokratische "Gießkannensystem".

Vier Haupthindernisse

Erstens: Finanzanforderungen unterschiedlicher Fördertöpfe schlössen sich gegenseitig aus. "Beim Fonds daku [Fonds Darstellende Künste, d. Red.] müssen inklusive der Antragssumme 75 Prozent des Projekts sicher finanziert sein, wenn der Antrag gestellt wird. Ich weiß aber frühestens Ende Dezember, ob ich Geld aus Leipzig und Sachsen für das Projekt für das Folgejahr bekomme. Zum 1. Februar kann ich dann beim Fonds daku Geld beantragen und bekomme den Bescheid im April. … Wird der Antrag abgelehnt, kann ich im April entweder das Projekt absagen, dann bekommen die Künstler für diese Zeiträume in der Regel aber keine anderen Jobs mehr. Oder ich mache das Projekt trotzdem, und wir arbeiten schlecht bezahlt, was aber weder gewünscht (Honoraruntergrenzen!) noch klug ist (wir beweisen damit schließlich, dass wir auch mit kleinerem Budget arbeiten können ...)."

Zweitens: Honoraruntergrenzen seien wünschenswert, aber nicht einzuhalten, so Wilde. "Wenn für das Projekt weniger Geld zur Verfügung steht, ist es für uns im Normalfall ja trotzdem sinnvoll, es zu realisieren. Denn wenig Geld ist immer noch besser, als gar kein Geld. Und wenn das Projekt nicht realisiert wird, haben wir auch keine neue Produktion, mit der wir Geld verdienen können."

Drittens: Die Teilfinanzierung von bewilligten Anträgen. "Insbesondere bei der Kulturstiftung Sachsen bekommen wir seit Jahren nur die Hälfte oder ein Drittel der beantragten Summe. Ich müsste also die Summen im Antrag künstlich heraufsetzen, um das einzukalkulieren. … Das wäre unseriös und würde auch sichtbar."

Viertens: Bürokratische Antragsformulare, die "Ausführungen zum 'erzielbaren Nutzen' und eine 'Begründung des städtischen Interesses und der Notwendigkeit der Förderung bzw. Finanzierung'" erforderten. Wilde meint: "Die Zeit, die wir für die Arbeit dieser sogenannten Antragslyrik brauchen, würden wir wirklich gerne für unsere künstlerische Arbeit nutzen!"

Gängelung durch Fördergelder

Auf der Bühne seien die Ergebnisse ihrer Arbeit zu begutachten: "In unseren Aufführungen kann unsere Arbeit überprüft werden. Dazu braucht es keine anschließenden Sach- und Finanzberichte von unserer Seite. Sondern das Interesse und Wohlwollen der Förderer."

Programme wie "Doppelpass" von der Kulturstiftung des Bundes sieht Charlotte Wilde als "Gängelung, bei der Projekte teils aus dem einzigen Grund entstehen, dass es die Möglichkeit gibt, sie zu finanzieren". Statt die Zusammenarbeit mit einem Stadttheater zu fördern, sollte die freie Tätigkeit gefördert werden, denn: "Wir würden in solchen Kooperationen immer der kleine und flexible Partner sein, der gegen die Bürokratie und Hierarchie institutionalisierter Strukturen den Kürzeren zieht."

Konkretisieren soll Charlotte Wildes Gastbeitrag die Diskussion, die ein Artikel von Petra Kohse angestoßen hatte. Im Januar hatte Kohse in der Berliner Zeitung die kunstfremden Vorgaben der Förderstrukturen kritisiert.

(Berliner Zeitung / eph)

mehr medienschauen