Der Führer im Fake News Büro

von Steffen Becker

Esslingen, 10. Februar 2018. Die Hitler-Tagebücher stehen für eine Blamage sondergleichen – und für einen Stoff, aus dem Helmut Dietl mit Schtonk! einen Filmklassiker geschaffen hat. Beides ist schon länger her: die Stern-Affäre um die falschen Tagebücher (1983) und der Film (1992).

Im Angesicht rechtspopulistischer Parolen

Nun gibt es eine Bühnenfassung. Am Württembergischen Landestheater feiert sie Premiere und bringt Glanz und Fernsehteams nach Esslingen. Verwandtschaft des 2015 verstorbenen Helmut Dietl ist da, ebenso Ulrich Limmer, der mit ihm das Drehbuch schrieb. Laut Programmheft lässt die Uraufführung die Geschichte "im Angesicht rechtspopulistischer Parolen und Fake News in einem neuen Licht" erscheinen. Die Aussage ist nicht haltbar.

Für den Tagebuch-Skandal brauchte es mit dem Stern ein großes Magazin, das über Jahre Dokumente ankaufte, die die Verantwortlichen für echt hielten. Und für Fake News? Im letzten US-Wahlkampf verbreiteten die Kampagnenbüros Storys, dass Michelle Obama ein Mann sei und Hillary Clinton einen Kinderschänder-Ring im Keller einer Pizzeria betreibe. Dass das Unfug ist, wissen auch die Publizisten dieser News – und es spielt auch keine Rolle, es muss nur schnell in die Welt. Die AfD plant schon einen eigenen Newsroom, um auf Stern & Co. nicht mehr angewiesen zu sein. Dagegen wirkt der Kunstfälscher Konrad Kujau wie eine Anekdote ferner Tage.

Fast wie bei Dietl

Marcus Grubes Bühnenfassung bleibt eng beim Film. Die Szenen, die Dialoge, die Begleitmusik (inklusive Wagners "Die Walküre") – alles wie bei Dietl 1992. Heißt: Wer den Film gut fand, wird sich auch in Esslingen amüsieren. Das Publikum tut es – muss aber mit Abstrichen leben. Die Schnitte auf der Bühne sind naturgemäß weniger rasant. In Esslingen ist der Raum starr unterteilt: In die Fälscherwerkstatt mit allen Insignien eines abgerissenen Lotterlebens (alte Teppiche, ein Metallspind, Toulouse-Lautrec-Versuche an der Wand und ein abgewetztes Sofa, auf dem junge Damen als Eva Braun Modell sitzen). Fälscher und Reporter treffen sich konspirativ unter der Lichterkette einer Gartenwirtschaft.

Schtonk3 560 Patrick Pfeiffer xFälscher, Führerfreund und Fachmann: Martin Theuer (Fritz Knobel), Wieland Backes ( Karl Lentz) und Achim Hall (Professor August Strasser) © Patrick Pfeiffer

Auf der oberen Ebene befinden sich sowohl das Deck der Göring-Yacht Carin II (gehörte dem Stern-Reporter) als auch die Kommandobrücke der „HH-Press“. Keinen wirklichen Raum – lediglich eine Führer-Büste auf Rädern als Bezugspunkt – gibt es für die Treffen der Hitler-Sammler, über die der Reporter und der Fälscher sich kennenlernen. So wirken die Szenenwechsel trotz Licht- und Musikvariation manchmal etwas fahrig.

Promi an Bord

Zweite Einschränkung: Es stehen nicht Götz George, Harald Juhnke und Christiane Hörbiger auf der Bühne. Für den Promi-Faktor holt die WLB dafür Wieland Backes auf die Bühne. Das Publikum kennt (und liebt) ihn als ehemaligen SWR-Talkmaster. Aber er ist halt kein Schauspieler und man merkt es auch. Andererseits war er in seinen Sendungen sichtlich von sich selbst überzeugt, und das passt dann wieder zur Doppelrolle als schwerreicher NS-Sammler und Chefredakteur.

Überzeugend besetzt sind dafür die Hauptrollen. Martin Theuers Fälscher ist sympathisch-bauernschlau – einer, der einfach weiter macht im Angesicht immer prallerer Geldkoffer. Als er Geldscheine wie Brotkrumen auf den Boden wirft, um seine Freundin zu beeindrucken, zeigt er deutlich, dass diese Figur recht bodenständige Ziele hat (Frauen rumkriegen) und das Spiel mehr am Laufen hält als antreibt.

Schtonk2 560 Patrick Pfeiffer xGutes Gegensatzpaar: Oliver Moumouris (Hermann Willié) und Martin Theuer (Fritz Knobel). Hinten: Marcus Michalski (Dr. Guntram Wieland) © Patrick Pfeiffer

Im Vergleich zum recht "normalen" Fälscher dreht Oliver Moumouris einige Schrauben weiter in Richtung absurdes Spiel. Sein Reporter ist der Inbegriff von schmierig und erinnert ein bisschen an die Markus Lanz-Parodie der Satire-Sendung "Switch" (auch optisch). Aber er lässt auch die Verzweiflung eines Mannes spüren, der schon lange keinen Coup mehr hatte und seine Felle davonschwimmen sieht. Das Gegensatzpaar Theuer und Moumouris wird zum Glücksfall für Grubes Inszenierung. Ihr Aufeinanderprallen sorgt für Tempo und Situationskomik – und für Szenenapplaus und positive Kommentare in die Kamera des SWR-Reporters. Um mehr ging es dem Abend wahrscheinlich auch nicht.

 

Schtonk!
nach dem Drehbuch von Helmut Dietl und Ulrich Limmer
Bühnenfassung von Marcus Grube
Regie: Marcus Grube, Bühne: Frank Chamier. Mit: Wieland Backes, Sabine Bräuning, Frank Ehrhardt, Achim Hall, Felix Jeiter, Christian A. Koch, Markus Michalik, Marcus Michalski, Sofie Alice Miller, Nina Mohr, Oliver Moumouris, Reinhold Ohngemach, Martin Theuer.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause

www.wlb-esslingen.de

 

Kritikenrundschau

Marcus Grube habe die 'Schtonk'-Uraufführung als wohlig-leichtes Entertainment angerichtet. "Er zeigt eine Komödie mit viel Slapstick und entschlossen aufgedrehtem Tempo, die sich ganz auf die beiden Männer verlässt, die hier einen nur bedingt faustischen Pakt eingehen", schreibt Wolfgang Höbel auf Spiegel Online (11.2.2018). "Möglicherweise liegt gerade in der schamfreien Gewissenlosigkiet, mit der hier Fake News produziert werden, die Aktualität des Stücks." Die Theaterwirkung jedoch entstehe aus der Eleganz der Dialoge, aus der Frechheit und der Musikalität des Drehbuchs. "Man wird 'Schtonk' in naher Zukunft sicher öfter auf deutschen Theaterbühnen zu sehen bekommen."

Der Stoff habe seine Bewährungsprobe auf der Bühne souverän bestanden, so Thomas Rothschild in der Stuttgarter Zeitung (11.2.2018). "Herausgekommen ist ein vergnüglicher Theaterabend." Eine Erkenntnis hinter der Komödienfassade sei diese: "Es gibt keinen neutralen Journalismus. Wer Wahlen, bei denen es um den Fortbestand oder die Abschaffung der Demokratie geht, mit den Worten 'Es wird spannend' ankündigt, als handle es sich um einen Krimi, hat sich schon an der Abschaffung beteiligt."

"Grube präsentiert eine kleine, feine, durchaus eigenwertige Theater-Alternative. Ein lockerer Bummel durch die Film-Story – zwischen Anekdotenstadel und bissiger Satire. Kein dunkles Grausen, kein aufklärerischer Zorn. (…) Eine lichte, helle Komödie", schreibt Otto Paul Burkhardt auf Südwest Presse Online (12.2.2018). Die Regie lasse den ganzen Irrsinn oft wie eine groteske Choreografie ablaufen. In Zeiten von Fake News und Rechtspopulismus wirke die Realsatire 'Schtonk!' ungebremst aktuell.

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