Red Bull verleiht kein Bleiberecht

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 11. Februar 2018. Die Geschichte vom Hasen? "Der Hase hüpft dem Löwen ins Maul, damit er ihn von innen heraus verändern kann." Der Marsch durch die Institutionen führt bei "Gutmenschen" von Yael Ronen und Ensemble ins Didi Mateschitz-Dickicht, besser bekannt als ServusTV. Und weil Mateschitz nicht nur Privatfernsehen, sondern vor allem Red Bull betreibt, steht auf der Bühne ein riesiger roter Stier. Zeus, Europa, Mythologie? Nix da. Eine Red-Bull-Reality-Show soll die Abschiebung von Cousin Yousif verhindern. Die "Gutmenschen" glauben, auf ServusTV ließe sich "mit Rechten reden". Einzig Elias zweifelt, und Schauspieler Sebastian Klein schimpft sich aus der Rolle heraus: "Das ist mein Text, aber zufällig ist das auch meine Meinung."

Teil II – Jetzt erst recht

Ronen inszenierte in Wien zuletzt Lost and Found. Thematisiert wurde die Familiengeschichte von Seyneb Saleh, einer Schauspielerin am Volkstheater, und ihrem aus dem Irak geflohenen Cousin Yousif Ahmad. Jetzt, zwei Jahre später, hat Ahmad vom österreichischen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen negativen Asylbescheid erhalten. Und Ronens Sequel setzt mit den teils schon bekannten Figuren wieder ein. Cousin Yousif lebt bei Cousine Maryam in Wien. Die hat ein Kind von Schnute, der in einer Beziehung mit Moritz lebt. Und hat einen Bruder Elias, der in einer Beziehung mit Klara lebt. Cousin Yousif darf nicht arbeiten. "Hallo, er darf hier nicht auftreten, er hat keine Arbeitserlaubnis." Für die vorletzten 30 Sekunden des 90 Minuten Abends setzt das Geplapper aus. Ahmad selbst tritt auf.

Gutmenschen2 560 Lupispumacom Volkstheater uGutes tun ist gar nicht schwer: Sebastian Klein, Katharina Klar, Knut Berger, Birgit Stöger
© Lupi Spuma

Davor werden 89 Minuten lang die Probleme mit Problemchen auf verdrossener Distanz gehalten. These: Nicht das Private ist Politisch, sondern alle Politik ist persönliche Eitelkeit. Der Anwalt kann nicht über Einsprüche gegen Asylbescheide sprechen, er ist grad bei der Zahnhygiene. Mutter Ute hat was gegen die Homosexualität ihres Sohnes Schnute und lobt die eigenen Kochkünste: "Du kannst nicht einfach sagen, dass du Kohlsprossen nicht magst, wenn du sie nie probiert hast." Elias akzeptiert die Idee von nicht-monogamen Beziehungen. Solange es nicht seine eigene ist. Klara wiederum befürwortet die Ehe als subversiven Akt. Um hinterrücks zu kommandieren. Klipp-Klapp, Pointe, Pointe, Altherrenwitz. Selbst der Aufruf, am Theater Alternativen zu erfinden, Geschichten jenseits rassistischer oder heteronormativer Klischees zu ermöglichen, verhallt im lächerlichen Gag: "Zum Beispiel deine Entscheidung, alleine zu sein und gar kein Sexleben zu haben, super, finde ich super!"

Hipster auf Red Bull

Während die Stereotypen ihren Sprach-Slapstick abziehen, passiert szenisch wenig bis nichts. Es wird bei Tisch gesessen, es wird am Tisch gegessen, es gibt perspektivisch verschiedene Live-Video-Projektionen. Acht Plattformen mit Wohnungs-Grundrissen stehen und hängen im Bühnen-Dunkel. Kostüme und Einrichtungsgegenstände zitieren eine durch den Hipster-Katalog gedrehte Red-Bull-Optik. Und ja, verleiht Flügel, die Stühle haben Flügel. Einmal, es geht um Österreich-Klischees – Nestroy, Knödel, schlechter Fußball und so – kommen die Schauspielenden ins Spielen. Eine pantomimische Verzettelei schiebt den Eindeutigkeiten eine Vieldeutigkeit unter. Einsamer Moment der Behutsamkeit.

Gutmenschen1 560 Lupispumacom Volkstheater uVielschichtig: Das Bühnenbild von Wolfgang Menardi. Auf dem Bild: Katharina Klar, Sebastian Klein © Lupi Spuma

Einsame Spitze ist der Auftritt von Katharina Klar als selbstverliebte Sängerin Klara. "Mit Rechten reden", von wegen, sie will ihre Platte verkaufen. Rechnet aufgeregt 60 Prozent neuen Marktanteil aus und steigt auf die Tischplatte. Sentimentale österreichische Volksmusik. Eine Hubert von Goisern-Melodie. Titel: "Weit, weit weg". Geschichte neu geschrieben: "Du bist so weit, weit rechts, so weit, weit rechts von mir." Das sitzt. Der Volksmusik eine Traurigkeit über die Existenz des Völkischen eingeschrieben. Da hat der Hase doch tatsächlich den Löwen von innen heraus verändert. Was sich vom Verhältnis "Gutmenschen" zu Klischee-Komödie nicht behaupten lässt. Die chauvinistischen Schenkelklopfer fressen jeden um Politik, Aktualität und neue Geschichten bemühten Anspruch. Zu grob, zu distanziert, zu allgemein gearbeitet. Klappe zu, Hase tot.

 

Gutmenschen
von Yael Ronen und Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Yaniv Fridel, Ofer (OJ) Shabi, Video: Jan Zischka, Licht: Jennifer Kunis, Dramaturgie: Veronika Maurer, Niels Bormann.
Mit: Yousif Ahmad, Knut Berger, Katharina Klar, Sebastian Klein, Jutta Schwarz, Paul Spittler, Birgit Stöger. Im Video: Jan Thümer, Jermolaj Klein, Julius Feldmeier, Niels Bormann.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.volkstheater.at

 

Kritikenrundschau

Politisch überkorrekter Gestus habe etwas Komisches, wenn er als Pose entlarvt wird. "Beispiel: Leute, die sich für Integration stark machen, ihre eigenen Kinder dann aber doch lieber in die Privatschule schicken", genau in diesem Spannungsfeld bewege sich "Gutmenschen", schreibt Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (13.2.2018). Der Abend sei die Fortführung von "Lost and Found", darin wurde der irakische Cousin einer Volkstheater-Schauspielerin zur Figur im Stück gemacht. Nun werde sein Fall in "Gutmenschen" zum Thema gemacht, und er stehe diesmal auch selbst auf der Bühne, wo er Yousef heiße, dem die Abschiebung droht. "Das Setting ist reichlich bizarr: In der Wohnung der Bloggerin Maryam Sabry soll eine von Red Bull gesponserte Reality-Soap gedreht werden." Fazit: "'Gutmenschen' ist weniger well-made als der Vorgänger. Man merkt dem Stück an, dass es ein Schnellschuss ist, manches wirkt recht grob gestrickt. Aber die Gags zünden, und der unverblümt offensive Gestus der Aufführung hat etwas Erfrischendes."

"Ein Erfolg ie 'Lost and Found' müsste sich doch wiederholen lassen – oder? Leider nicht ganz, denn das Folgedrama, das Ronen mit einem Team des Volkstheaters erarbeitet hat, reicht nicht ans Original heran", schreibt Norbert Mayer in der Presse (13.2.2018). Yousefs Schicksal bleibe seltsam blass. Es gebe auch zuviel an aktueller Ablenkung. Die Gags seien diesmal kaum fokussiert, "der Abend packt nur punktuell, wenn die Inszenierung zur Sache kommt. Das geschieht erst spät."

"Ein zeitgeistiger wie charmanter Reflex auf das Gesellschaftsklima", heißt es von Ronald Pohl im Standard (13.2.2018). Jeder agiere aufgekratzt, als hätte er vom Getränk mehrere Büchsen über den Durst getrunken. "Dieses theatralische Überkabarett hält über knapp eineinhalb Stunden genau das, was es verspricht", veräppele Hubert von Goisern mit traumschönem Dialektgesang, verstricke die beteiligten Personen in ein herzhaftes Theorie-Pingpong. "Am niederschmetternden Ausgangsbefund ändern Spiel und Spaß herzlich wenig." Asylant Yousef wird (wirklich) abgeschoben. Ame Ende angemessener Applaus für beherztes Theater zur Zeit: "ohne Ewigkeitsanspruch, aber mit hohem Gebrauchswert".

"'Gutmenschen' ist wie eine Komödie von Yasmin Reza mit zu vielen Energydrinks im System: weniger kultiviert, mit mehr Mut zur Berufsjugendlichkeit und einem Herz für Trash", schreibt Eva Biringer in der Welt (15.2.2018). Selbst der abgelehnte Asylantrag sorge für Lacher im Publikum, "weil Behördenösterreichisch natürlich genau so gaga ist wie Behördendeutsch". Wenn man Yael Ronen und ihrem Ensemble eines vorwerfen könne, "ist es der fehlende Ernst ihrem eigentlichen Thema gegenüber".

"Ronen spielt satirisch überspitzt – und nicht immer frei von Klischee-Anhäufungen – mit der Zwickmühle: Wohin mit all dem guten Willen in einer Welt, die vom schlechten Wollen diktiert wird?" schreibt Bernd Noack in der Neuen Zürcher Zeitung (16.2.2018). Durchaus kritisch und ironisch, doch stets mit dem scharfen Willen, wachzurütteln aus Lethargie und Selbstgerechtigkeit, skizziere sie dabei "freilich auch die Hilflosigkeit der 'Gutmenschen'".

"Mehr Do­ku­men­ta­ti­on, wenn auch sa­ti­risch über­zo­ge­ne, als Fik­ti­on" hat Martin Lhotzky gesehen und schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (17.2.2018) unter der Frage "Was sehen wir also hier?": "Ei­nen ent­spann­ten, neun­zig­mi­nü­ti­gen Wohl­fühl-Thea­ter­abend? Kei­nes­wegs, aber es ist wit­zig und bis­sig. Ein biss­chen Agit­prop? Viel­leicht! Und et­was in Ös­ter­reich Un­ge­wöhn­li­ches, näm­lich wie ein ein­fluss­rei­cher Plu­to­krat an­ge­pran­gert wird." Hof­fent­lich habe das Volks­thea­ter wirk­lich gu­te An­wäl­te, "denn die­sen Abend, wenn auch im stren­gen Sin­ne kein Thea­ter, möch­te man nicht mis­sen müs­sen."

 

 

 

Kommentare  
Gutmenschen, Wien: daneben
Liebe Theresa Gindlstrasser,
Wenn man wenig vom Theater versteht und noch weniger Sinn für schrägen Witz in der Auseinandersetzung mit den witzlosen Verhältnissen hat, die solche Asylbescheide schreiben wie Yousif Ahmad einen bekommt, der in Ihrer Kritik kaum vorkommt, obwohl er das Zentrum dieser Farce ausmacht, dann verzerrt das den fröhlich-galligen Versuch einer Ausnahme-Regisseurin, diese Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, ins Unkenntliche, ja ins Gegenteil. Es macht mich Staunen wie daneben es ist, was Sie über diesen Abend schreiben.
Gutmenschen, Wien: De Gustibus
... non est disputandum, lieber Lothar.
Und dass Jael Ronen eher zum humoristischen Holzhammer greift als zum Florett, konnte der aufmerksame Betrachter auch schon früher feststellen. Ihre politisch gesellschaftliche Analyse ziehe ich dabei nicht in Zweifel, doch ästhetisch geht die Sache eben manchmal mehr mal weniger auf. Auch für mich dieses Mal weniger.
Gutmenschen, Wien: ästhetisch?
@klaus: Was meinen sie mit ästhetisch...ich habe gerade die feine Abstraktion und Vielschichhtigkeit der Bühne zum Beispiel sehr gemocht..Das kannte ich aus andern Arbeiten von Yael Ronen noch nicht..es gab dem Abend eine zusätzliche Ebene ..Das war optisch sehr ansprechend und inhaltlich sinnstiftend ...Thomas
Gutmenschen, ATT Berlin: noch absurder
Die Küchendialoge zwischen den satirisch-überzeichneten Figuren plätschern recht matt dahin und erreichen nicht das bissige Niveau, das wir von Yael Ronen als Gorki-Hausautorin gewohnt sind.

In Erinnerung bleiben vor allem der mit Szenenapplaus bedachte Song „Weit, weit rechts“ von Katharina Klar, die Hubert von Goiserns Hit „Weit, weit weg“ (1994) parodiert, und die Pointe, auf die der Abend zusteuert. Schon im Original wirkt diese Szene ziemlich absurd: Nach längeren Verhandlungen mit einem Beamten (Niels Bormann, der auch als Co-Dramaturg beteiligt ist) darf der irakische Flüchtling nur 30 Sekunden stumm über die Bühne gehen. Ein längerer Auftritt im Stück, das um sein Schicksal kreist, wurde nicht gestattet: dann wäre er Schauspieler und bräuchte eine Arbeitserlaubnis, die ihm bisher verweigert wird. Beim Berliner Gastspiel wird die Absurdität noch auf die Spitze getrieben: die Uhr zählt den 30 Sekunden-Countdown penibel mit, aber das Ensemble starrt ins Leere: Yousef Ahmad darf in Berlin nicht mal stumm über die Bühne gehen, sondern gar nicht erst einreisen.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/06/20/gutmenschen-yael-ronen-volkstheater-wien-kritik/
Gutmenschen, ATT Berlin: redundant
nach fünf minuten alles klar.
mäxchen gorki theater der totalen affirmation.
oma rassistin, alle anderen im queer cosmos.
redundantes self remix von yael ronen.
erkenntnisgewinn null.
schade, weil schon besser gesehen.
so leider wdr schulfunk.
gutmenschentheater.
Gutmenschen, ATT Berlin: traurig
Tja, es ist ein traurig-schlichter Abend, wie soviele, wie die meisten. Warum nur schreibt das kaum einer der Rezensenten? Es ist seltsam. Es ist das Grundübel des künstlerisch unbeschenkten Stadttheaters.
Man kann in diesem Zusammenhang nicht oft genug auf die Analyse von Fabian Hinrichs verweisen ("bebilderte Schulaufsätze", "gutgemeinte Moralbotschaften", "Selbstgewißheiten"): https://www.sueddeutsche.de/kultur/theater-nur-pflicht-und-disziplin-1.3987235?reduced=true
sowie noch luzider
https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=15434:rede-ueber-die-schauspielkunst-der-fabian-hinrichs-denkt-als-alleinjurors-des-alfred-kerr-darstellerpreises-beim-berliner-theatertreffen-ueber-seinen-berufstand-nach&catid=1635&Itemid=100190.
Jeder.
Gutmenschen, ATT Berlin: aus den Augen
Hier liegt das Grundproblem des Abends: Es gelingt ihm über weite Strecken ziemlich gut, genau den Eindruck zu erwecken, den er der fiktiven Fernsehshow unterstellt. Denn die satirisch geschärften Linksalternativen, die er vorführt, sind in ihrer Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Birgit Stögers Maryam gibt die frustrierte Mutter, die ihr Singledasein in höhere Hysteriesphären katapultiiert, Paul Spittler den Moritz als phrasendreschenden Klischeelinken, Katharina Klar und Sebastian Klein ihr Paar als Stereotyp einer pseudo-offenen Kleinbürgerbeziehung, bei der sie natürlich die Hosen an und den Pantoffel in der Hand hat. Da ist Ute noch die interessanteste Figur, wenn sie vorführt, wie die neue Rechte Tatsachen so virtuos verformt und Argumente so elegant zurechtdreht, das sie am Ende in ihr Weltbild passen, auch wenn sie sich dazu in ihr Gegenteil verkehren müssen. Wer wissen will, wie die Wähler von FPÖ und AfD ticken und wie Herren wie Kurz, Gauland oder Söder ihre Schäfchen einzufangen suchen, der sollte Ute ( Jutta schwarz) nur einige Minuten lang zuhören.

Doch solche Einsichten sind Mangelware, auch weil der Abend sein Thema viel zu oft aus den Augen verliert. Ja, da sind die perfide Absurdität eines Asylbescheids, der auf die eben anhand von Ute beschriebene Weise argumentiert oder die nicht unzutreffende Kritik an einer wohlmeinenden Gesellschaftsschicht, die, wie hier streckenweise durchaus virtuos, schlagfertig und präzise vorgeführt, in die Falle der Rechten tappt, weil sie die, denen sie zu helfen meinen, genauso zum Objekt degradieren wie es die Gegenseite tut. Elias ist der Einzige, dem auffällt, wie problematisch es ist, hinter dem Rücken dessen, um den es gehen sollte, seine Zukunft zu entscheiden. So wie es die Bürokratie tut, machen es die „Gutmenschen“ nach. Doch unterminiert der Abend diese Problembetrachtungen meist noch im gleichen Moment. Weil er sich an den persönlichen Zickereien aufhält und ergötzt, an den oft eher holzschnittartigen und grobschlächtigen Karikaturen einer verwöhnten Gesellschaft, die sich allzu gern um sich selbst dreht. Das ist nicht falsch, prallt aber frontal mit den ernsteren Themen zusammen, die hier zu verhandeln wären und die der Abend mit zunehmender Dauer immer weniger ernst zu nehmen scheint.

Schön ist sie ja anzuschauen, Wolfgang Menardis Bühne mit den schrägen Ebenen in Form von Wohnungsgrundrissen, die Unbehaustheit des nicht als zugehörig Definierten thematisierend, und die als Spielfläche und Videowände dienen. Eine Welt in offensichtlicher Schieflage, woraus Ronen und Ensemble letztlich wenig bis nichts machen. Auch weil selbst die übliche Metaebene, die unsichere Verzahnung von Spiel und Realität, Spieler*in und Rolle hier nur lustlos hingeworfene Fußnoten bleiben. Hier ist alles geradliniger, greller Boulevard, der sich, wenn er die Wahl zwischen Oberfläche und Tiefgang hat, zielsicher für ersteres entscheidet. Und so kippt am Ende das ganze Konstrukt selbst – in ein Zerrbild, das der Perspektive dessen, dem er sich entgegenstellen will, gefährlich nahekommt, während er sein eigentliches Thema an den Rand drängt. Der mag hier zwar nicht „weit, weit rechts“ sein, „weit, weit weg“ ist er in jedem Fall.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/06/21/weit-weit-weg/
Gutmenschen, ATT Berlin: riesiger Salon
Das mag alles sein, Sascha Krieger, aber das Grundproblem dieser Inszenierung wie auch des Stadttheaters im Allgemeinen ist nicht die hier öde oder dort gelungenere Ausgestaltung von Problembetrachtungen, sondern dass ich tatsächlich nichts erfahren, erleben kann was über die Ratio hinausgeht, was aber Theater überhaupt erst einen Zweck verschaffte, indem es dann nämlich endlich über uns hinausweiste. Eine Stimme, ein Körper, ein Zwischenraum, Unausformuliertes, nur Spürbares, ein unbewusster Dialog, eben Theater mit dialogischem Charakter im metaphysischen Sinne und nicht nur reiner Ausfall, Palaver. Sprache und Theater sind ganz geordnet und numeriert und vorgeblich politisch (und dadurch total unpolitisch) momentan, an irgendeine menschliche Tiefe rührt das nicht. Es ist eigentlich ein riesiger Salon, das Theater, man sitzt so da und begegnet sich noch nicht einmal selbst, im Sessel.

Das Lebendige, das Partikulare (der EINE Mensch auf der Bühne, auch erscheinend in der Sprache), das sich in das Allgemeine (nur) kleidet, das ist das, was man poetisch erzählen kann. Das Allgemeine (Flüchtlingskrise, Kulturkritik) ist nur die algorithmische Autobahn, die nur eine Fahrtrichtung kennt.

Es gibt eben diesen Unterschied zwischen Information und Erzählen. Informationen befriedigen uns nicht.

Nur die Phantasielosen flüchten in die Realität (und zerschellen dann, wie billich, daran). (Arno Schmidt)
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