Das Ende der Ausreden

von Dirk Pilz

13. Februar 2018. Diesmal zu #MeToo, zum Theater und den Folgen, noch einmal. Es muss sein. Es wird ja eifrig diskutiert in Theaterkreisen derzeit. Dieter Wedel, Matthias Hartmann, die vielen verstreuten Aussagen, Interviews, Statements über Machtmissbrauch an den Theatern: Jeder Fall will eigens betrachtet werden, Vorverurteilungen sind so verwerflich wie Vergröberungen, sicher. Aber es ist keine Frage der Debatte, dass es erstens ein immenses Problem mit Machtmissbrauch an den Theatern gibt und dieses zweitens durch nichts zu rechtfertigen ist.

kolumne 2p pilz"Das Theater ist ein System, in dem ganz viele Dinge passieren, die man sich in anderen Bereichen wie der Privatwirtschaft gar nicht mehr erlauben könnte", hat Angelika Zacek, Mitgründerin von Pro Quote Bühne gesagt. Sie hat vollkommen recht. Und dieser Zustand ist nicht dadurch zu erklären, dass Theater "ein totalitäres und kein demokratisches System" sei, wie Daniele Muscionico behauptet hat. Allein deshalb nicht, weil Theater als Inszenierungsarbeit nicht mit Begriffen der politischen Sphäre beschreibbar ist: Theaterarbeit ist weder totalitär noch demokratisch, weil es kein System, sondern eine konkrete Arbeitsweise mit und für Menschen ist.

Ein Regisseur kann sein unmenschliches Gebaren nicht damit entschuldigen, dass der künstlerische Prozess leider nicht demokratisch sei. Arschlochhaftigkeit ist überhaupt nicht zu entschuldigen, es über derlei Scheinbegründungen zu versuchen, ist eine Ablenkungsstrategie. Denn Theaterarbeit ist natürlich auch ohne chauvinistisches, sexistisches und egozentrisches Gehabe möglich, da hat Tim Tonndorf mit seinem Wutausbruch uneingeschränkt recht. Ich glaube sogar, dass es das Theater besser macht, wenn man die Menschen inklusive aller Mitarbeiter liebt statt sie zu benutzen, zu beschimpfen oder zu beschädigen.

Blamierter Betrieb

"Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter trägt die Verantwortung, Respekt und Wertschätzung im Betriebsklima zu erhalten", hat Clara Gallistl geschrieben, die einst "unter" Matthias Hartmann Dramaturgieassistentin war. Ja, Veränderung fängt bei jedem selbst an. Aber sie findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern in Theater-Strukturen, die längst zum Himmel stinken – und hier hat man dann auch "das System", den Theaterbetrieb.

Er steht jetzt blamiert da, nicht zum ersten Mal. Der Pay Gap unter den SchauspielerInnen, der miserable Umgang mit Praktikant*innen und Hospitant*innen, die jämmerliche Frauenquote, die kaum präsenten Menschen mit Migrationshintergrund auf und hinter der Bühne, die Familienunfreundlichkeit – die Liste der Peinlichkeiten ist lang. Aber noch immer glauben diese Theater, die Gesellschaft belehren und ihr den Spiegel vorhalten zu dürfen. Es ist zum Schämen. Wer nur ein wenig den Kopf aus der Kantinenblase hinaushält, sich in anderen Milieus und Bezugsrahmen umhört, stößt zunehmend auf Kopfschütteln. Oft genug auch auf mitleidiges Achselzucken.

Es muss jetzt dringend etwas geschehen. Und keiner komme mit dem pseudointellektuellen Einwand, "das Theater" und "die Kunst" seien viel zu kompliziert. Veränderung fängt auch mit sehr einfachen Dingen an: beim Bühnenverein, dem mächtigsten Interessenvertreter der Theater, zum Beispiel. Im Präsidium sitzen sieben Männer und eine Frau, inklusive Präsident und Geschäftsführendem Direktor; in der einflussreichen Intendantengruppe des Bühnenvereins sind sechs Männer und zwei Frauen.

Männerdominierte Hinterzimmerpolitik

Das geht so nicht. Das ist absurd angesichts der theaterbetrieblichen Zustände und gesellschaftlichen Debatten. Lässt sich so Veränderung initiieren – oder wird sie so nicht eher verhindert, wie absichtsvoll auch immer? Absichtserklärungen, schöne Worte, das reicht jedenfalls nicht mehr. Hinweise darauf, dass es anderswo auch arg zugeht (in Hollywood, an den Universitäten undsoweiter) auch nicht. Dergleichen nennt man Whataboutism, auch eine Ablenkungsstrategie, übrigens sehr erfolgreich eingesetzt von Trump & Co.

Per Twitter habe ich den Bühnenverein gefragt, ob es nicht doch "Zeit wäre, eine eigene Anlaufstelle einzurichten, bei der (anonym oder nicht) Fälle von Machtmissbrauch und Ausbeutung in den Theatern gemeldet werden können? Auch von sexuellen Übergriffen, die es möglicherweise gegeben hat?" Die Antwort: "Wir verfolgen die Entwicklungen genau und diskutieren intern, welche Maßnahmen die Situation sowohl strukturell als auch für die Betroffenen verbessern können. Auch die Idee einer solchen Anlaufstelle wurde bereits mit Partnern und der Politik besprochen." Auf den Einwand, dass es einer öffentlichen Debatte bedürfe, hieß es, eine Debatte "über die richtigen Maßnahmen" werde begrüßt: "Die Schaffung neuer Strukturen muss allerdings erst in der Mitgliedschaft und mit möglichen Partnern besprochen werden". Für die Einrichtung einer Anlaufstelle etwa stellten sich "neben dem politischen Willen auch konkrete Fragen, z.B. nach qualifiziertem Personal und Ausstattung". Es wäre verfrüht, "schon konkrete Ergebnisse zu präsentieren".

Von Grund auf in Frage stellen

Abgesehen davon, dass es für den Deutschen Kulturrat etwa nicht verfrüht ist, er längst reagiert, im Herbst ein eigenes Projektbüro und erst kürzlich ein Mentoringprogramm für Frauen geschaffen hat, ist es aberwitzig, dass der Bühnenverein noch immer an seiner männerdominierten Hinterzimmerpolitik festhält. Was nützt die wohlfeile Begrüßung einer "öffentlichen Debatte", wenn "neue Strukturen" erst in der Mitgliedschaft und mit möglichen Partnern abgekungelt werden sollen, wenn man noch immer glaubt, unter sich und seines Gleichen Probleme lösen zu wollen, für die man mitverantwortlich ist?

Ich fürchte, das nützt nichts. Ich glaube, es muss endlich eingestanden werden, dass da wirklich grundlegende und umfassende Machtmissbrauchsprobleme sind, die sich nicht mit Mitteln beheben lassen, die das Entstehen eben dieser Probleme wenigstens begünstigt, wenn nicht befördert haben. Wenn der Bühnenverein nicht an seiner Selbstabschaffung arbeiten will, muss er seine Macht nutzen, um sich und die Strukturen von Grund auf in Frage zu stellen. Um ein Klima und die Bedingungen mit zu ermöglichen, die ein ergebnisoffenes Debattieren erlauben. Über Mitbestimmungsmodelle, über die Berufungsmechanismen für Leitungspositionen, darüber, ob eine Belegschaft bei der Wahl ihrer Chefs nicht beteiligt werden sollte. Über sinnvolle Quotenregelungen, über (auch tarifpolitisch) veränderte Produktionsbedingungen, über das Verhältnis zur Freien Szene, über die Gast- und Festivalbetriebe. Über unabhängige Anlaufstellen für abhängig Arbeitende.

Den Bühnenverein kann man auch abschaffen, die Theater könnten austreten und eine andere, eigene Organisation schaffen, vielleicht mit dem Ensemble-Netzwerk als Herzstück. Es gibt diesen Verein ja nicht um seiner selbst, sondern um der Theater willen. Aber noch ist er die derzeit wirkmächtigste Theatervertretung. Es ist an ihm, dafür Sorge zu tragen, dass der Theaterbetrieb Anschluss an die Gegenwart gewinnt. Die Zeit der Ausreden ist abgelaufen. Time’s Up. 

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.

 

Zuletzt fragte Dirk Pilz sich und uns, wie Theater mit Rechtsextremismus und "dem politischen Wie-Weiter" umgehen solle.

 

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